Dieser Fernseh-Beitrag der Kölner Lokalzeit ist noch für 2 Tage in der Mediathek des WDR abrufbar.
Wolf Thomas - am Montag, 25. Januar 2010, 16:26 - Rubrik: Kommunalarchive
Wolf Thomas meinte am 2010/01/25 20:01:
Ergänzungsüberlieferung:
" .....In Detmold wird jetzt daran gearbeitet, sie doch noch zu bewahren.Karoline Meyntz zieht einen Karton aus dem Regal. Wahllos. Darin befindet sich eine schwer zerfledderte Akte. "Könnte aus den 80er-Jahren vom Jugendamt sein", sagt sie mit abschätzendem Blick, und blättert mit dem Daumen das wellige Papier auf.
Neben dem Papierhaufen liegt ein Sterbebuch von 1941 im schwarzen Einband. Es ist nahezu unversehrt. Beide Papierstücke sind Zellen des einst riesigen Gedächtnisses der Stadt Köln, das am 3. März 2009 in ein Erdloch stürzte. Drei Regalkilometer, vollgepackt mit solchen einzelnen "Papier-Zellen", sowie unzählige Paletten mit Plänen und Plakaten lagern derzeit in einer Außenstelle des Landesarchivs Detmold in Herberhausen. Regal steht neben Regal, fast deckenhoch und mit gleichförmigen Kartons bestückt. In Herberhausen sind Mitarbeiter des Kölner Archivs dabei, dem Gedächtnis ihrer Stadt wieder auf die Sprünge zu helfen.
Karoline Meyntz schiebt den Karton zurück. Er ist noch nicht an der Reihe. Vorrang haben momentan die großformatigen Pläne und Plakate, denn die Zeit drängt. Bis Sommer müssen sie bearbeitet sein, dann braucht das Landesarchiv ihren Platz; die Kartonregale können hingegen noch länger stehen bleiben.
Nachdem das Kölner Stadtarchiv in sich zusammengestürzt war und dabei die insgesamt 30 Regalkilometer mit historischen Dokumenten mitgerissen hatte, war schnelle Erstversorgung nötig. Feuerwehr und THW bargen die einzelnen Teile aus dem Krater, bis zu 4000 freiwillige Helfer leisteten Erste Hilfe am geistigen Erbe: Sie reinigten es grob, verpackten das Material, schickten vieles in die Gefriertrocknung, damit der Schimmel keine Chance hatte. "Wir hatten sogar eine Archivarin aus Australien, die für vier Wochen nach Köln gekommen ist", erinnert sich Karoline Meyntz.
Mittlerweile lagern 90 Prozent des Archivgutes in 19 Asylarchiven, bunt durcheinander und quer über die Republik verteilt. Ein Puzzle mit sieben Millionen Teilen: von der ganzen Akte bis hin zum kleinen Papierschnipsel, sarkastisch "Köln-Flocken" genannt. Die letzten zehn Prozent aller dieser Gedächtniszellen liegen noch im Grundwasser an der Kölner Severinstraße.
Die ehemalige Lagerhalle in Herberhausen ist eines der Asylarchive und quasi Station zwei in der Rettungskette. Hier geht es um die Identifizierung aller Fragmente. Nadine Thiel, Leiterin der Restaurationswerkstatt, beugt sich über eine Planzeichnung. Sie beschreibt ihrem Kollegen Markus Marx das Stück so gut wie möglich. Der gibt die Informationen nebst Schadensklassifizierung in die Computer-Software ein. Der Rechner soll dabei helfen, das Stück einem Bestand zuzuordnen. Jedes Stück erhält einen Strichcode, damit man es wiederfinden kann. Danach geht es in die Restaurierung.
"Alles, was bisher geborgen wurde, ist restaurierbar", sagt Nadine Thiel. Die Frage sei eher: was ist zu leisten, sagt sie und tupft mit einem Latex-Schwamm an einer Ecke des Planes Baustaub ab. "Wir tragen einen riesigen Berg ab", sagt Karoline Meyntz, die Projektleiterin für die Erfassung. Drei bis fünf Jahre werde das wohl dauern, schätzt die Archivarin. Aufgabe der Erfasser ist, möglichst schnell möglichst viel zu identifizieren. Das heißt, dass sie sich nicht ewig daran aufhalten, die Identität eines kleinen Schnipsels bis ins Letzte zu klären. Meyntz: "Da müssen später dann die Experten für einzelne Fachbereiche ran."
Die folgende Restaurierung soll so schnell wie möglich vorgenommen werden, damit das Archivgut wieder benutzt werden kann. Ein spezielles Computerprogramm des Fraunhofer-Instituts für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik könnte dabei helfen. Dieses Institut hat schon ein Programm hergestellt, mit dessen Hilfe die zerschredderten Stasi-Akten wieder zusammen gesetzt wurden.
Doch der Blick über die riesigen Kartonmengen allein in Detmold könnte entmutigen. Schließlich sind sie weniger als ein Zehntel der 30 Kilometer Wissen, die es zu retten gilt. Sysiphus lässt grüßen.
Aber Karoline Meyntz ist optimistisch. "Wir haben schon 50 000 Einheiten erfasst. Das spielt sich langsam alles ein und wird mehr", sagt sie. Eines Tages, davon ist sie überzeugt, wird das Kölner "Gedächtnis" wieder da sein, werden alle Zellen wieder miteinander verbunden sein. "Natürlich. Klar!" ..."
Link: http://www.lz-online.de/lokales/detmold_augustdorf/3347405_Die_welligen_Reste_eines_Gedaechtnis-Verlustes.html?em_index_page=1
Wolf Thomas (Gast) meinte am 2010/01/27 14:37:
Asylarchive
WDR 3 Mosaik interviewte Nadine Thiel, Restauratorin im Kölner Stadtarchiv.Link zur WDR-Mediathek: http://www.wdr.de/mediathek/html/regional/2010/01/26/mosaik-stadtarchiv.xml;jsessionid=6F1AF1BE474AC30292D207048E68BE30.mediathek2