
"Ab 1936 widmete sich Marcel Duchamp der Idee eines transportablen Künstlermuseums, der Boîte en valise, die er 1941 schließlich als limi- tierte Luxusausgabe herausbrachte: Ein Koffer, in dem komplexe Falt- systeme ca. 80 miniaturisierten Reproduktionen duchamp’schen Kunst- schaffens Platz boten, „jederzeit verfügbar und vorzeigbar“, ein Prototyp des mobilen Archivs.
STILL DIALING ALICE riskiert den Blick in die archivarische Schachtel, macht das Buch zum Musterkoffer und umgeht damit Duchamps Klappef- fekt, die Textschachtel (Buch) zu einem Museum umzufunktionieren. Denn nicht das Archiv ist die Grenzfigur, die den Text erst archivfähig macht, sondern der Archivar und seine archivarische Arbeit. Die dadasophische Archeologie widmet sich genau dieser unbekannten Arbeit am Text: Sie folgt den Spuren der Texte (Archivalien) mit dem archivarischen Blick und wird erst im Gebrauch aktiv. Sie stellt die Archivreife der Texte fest, erschließt, registriert, erstellt einen Index - das Findbuch, bearbeitet und entfernt Textteile, die nicht archivwürdig sind, führt sie der Kassation zu, ganz nach dem Muster der alten Schachtel.
Die dadasophische Archeologie stellt den Archivar als Steuermann direkt in den Text und beobachtet ihn in seiner Welt der machtvollen Steuerzei- chen. Nicht nur er blickt in die archivarische Schachtel wie der potentielle Käufer in den Musterkoffer, auch der Leser. Schließlich ist das dadaso- phische Archiv nicht nur ein ausgeklügeltes Faltensystem, bei näherem Hinsehen und im Regalfall auch Sargdeckel. "
205 Seiten, brosch. erschienen im Herbst 2009
ISBN: 978-3-85415-445-7
Quelle: Ankündigung Ritter Verlag, Klagenfurt
Leseprobe (PDF)
Wolf Thomas - am Freitag, 19. Februar 2010, 20:39 - Rubrik: Wahrnehmung