
Prof. Dr. Ursula Nelles, Walter Remy, Prof. Dr. Holger Strutwolf und Huberta Gabriela Remy-von Nell (v. l.) enthüllten die Bibelsammlung. Foto: WWU/Peter Grewer
Für die Westfälische Wilhelms-Universität (WWU) Münster sei es "ein großartiges Ereignis", betonte WWU-Rektorin Prof. Dr. Ursula Nelles. Andere Gäste und Redner sprachen von einer "epochalen Sammlung" beziehungsweise "von einem bedeutenden Tag" für das Bibelmuseum" der WWU. Das Lob und die Freude haben ihren guten Grund: Heute (19. April) hat die Universität Münster die europaweit größte Bibel-Sammlung aus
Privatbesitz erhalten. Der aus Betzdorf/Sieg stammende Jurist Walter Remy hat über viele Jahre hinweg hunderte Bibeln zusammengetragen - den altsprachlichen Teile davon, exakt 652 Werke, hat er jetzt der Universität überlassen. Sie werden im Institut für Neutestamentliche Textforschung (INTF) wissenschaftlich erschlossen und zum Teil im angeschlossenen Bibelmuseum der Öffentlichkeit präsentiert.
Bislang lag der Schwerpunkt des Instituts auf der Rekonstruktion des Urtextes des griechischen Neuen Testaments. "Die Sammlung Remy ist ein Juwel für Münster und für uns eine wundervolle Ergänzung, denn mit ihrer Hilfe können wir nun erforschen, wie der Bibeltext in der Neuzeit editiert wurde. Für uns ist die Übergabe ein historisches Ereignis", erklärte Prof. Dr. Holger Strutwolf, Direktor des INTF und des Bibelmuseums. Rund 500 Bibeln von der Antike bis zur Neuzeit zeichnen dort bislang die Geschichte der Bibel und damit auch die Geschichte des
Buches insgesamt nach. Der Bestand wird durch die neuen Bände also mehr als verdoppelt.
Walter Remy zeigte sich von der Resonanz seiner mehr als sechzigjährigen Arbeit beeindruckt. ?Ich bin überwältigt und hätte
niemals mit so einem Echo gerechnet", sagte der 75-Jährige während des Festakts. Als besondere Überraschung übergab er Ursula Nelles zusätzlich eine Luther-Bibel aus dem Jahr 1534 mit Zeichnungen des Renaissance-Malers Lucas Kranach. ?Die habe ich bei einer Freundin auf dem Dachboden gefunden", erzählte er. Ursula Nelles und Holger Strutwolf freuten sich sichtlich über das Geschenk, das nun ebenfalls in den Bibelbestand aufgenommen wird.
Der Landtagsabgeordnete Prof. Dr. Thomas Sternberg, der neben dem ehemaligen Regierungspräsidenten Jörg Twenhöven und dem ehemaligen Stadtdirektor von Recklinghausen, Peter Borggraefe, als Vermittler wesentlichen Anteil daran hatte, die Sammlung nach Münster zu holen, betonte, dass nicht nur die Evangelisch-Theologische Fakultät, zu der INTF und Museum gehören, von der Überlassung der Bibeln profitiert. "Für beide Theologien ist die Sammlung außerordentlich wichtig. Es sind Stücke von außerordentlicher Seltenheit darunter, Münster darf sich
über die europaweit bedeutendste private Bibelsammlung freuen." Der Hauptteil der Bibeln ist in Latein geschrieben, das heißt, es sind überwiegend katholische Bibeln. Auch für den WWU-Exzellenzcluster "Religion und Politik" werden die Bände "bedeutsame Forschungsgegenstände" sein, unterstrich Cluster-Sprecher Prof. Dr. Gerd Althoff.
Die Sammlung Remy wurde mit erheblicher finanzieller Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Kunststiftung des Landes Nordrhein-Westfalen, der Staatskanzlei NRW und des Exzellenzclusters erworben. Dr. Michael Reitemeyer von der Staatskanzlei ver wies auf das Schwerpunktprogramm "Substanzerhalt" der Landesregierung: "Wir wollen Fragen beantworten wie: Was ist das entscheidende an unserer kulturellen Substanz? Woher kommen wir? Was sind unsere geistigen Wurzeln?" Dafür sei die Sammlung bestens geeignet.
Walter Remy stammt aus einem Elternhaus, das auf eine 350-jährige hugenottische Tradition zurückblickt. Schon in seiner Kindheit wurde die Bibel zu einem zentralen Bezugspunkt des täglichen Lebens. Sowohl während seines Studiums als auch während seiner Tätigkeit als Anwalt verlor der heute 75-Jährige nie das Interesse an alten Büchern und Bibeln. Er besuchte zahlreiche nationale und internationale Buch-Auktionen und -messen sowie Antiquariate. Seit der Schließung seiner Anwaltspraxis im Jahr 2000 widmet er sich seinem eigenen
Antiquariat, das er unter dem Namen "Remigius" in Betzdorf führt.
Links:
Institut für Neutestamentliche Textforschung
http://www.uni-muenster.de/NTTextforschung/
via Mailingliste "Westfälische Geschichte"
Thomas Sternberg schreibt in seinem Blog über die Genese der Schenkung: " .... Für mich begann das Thema Bibelsammelung vor fast fünf Jahren: ich war gerade frischer Landtagsabgeordneter, als der ehemalige Bürgermeister von Recklinghausen, Peter Borgraefe, mich besuchte und mir von einer Bibelsammlung erzählte, die an die Universität Münster gehen solle.
Deren Geschichte ist schnell erzählt: Am Anfang stand eine Begegnung des Regierungspräsidenten Dr. Jörg Twenhöven mit dem Rechtsanwalt Walter Remy. Dessen großes Lebenswerk ist eine einzigartige Sammlung von frühen Drucken und Inkunabeln der Heiligen Schrift, die er für die Zeit nach seinem Tod in sicherer Obhut wissen wollte. Twenhöven dachte sogleich an das „Aland-Institut“ hier an der Universität und sein Bibelmuseum. Er sprach Peter Borggräfe an, von dem er wusste, dass er sich für frühe Bibeleditionen interessierte.
Was in den folgenden Jahren geschehen ist an Gesprächen, Überlegungen, Briefwechseln, Gutachten, Klärungen und Treffen, ist hier nicht im Einzelnen nachzuzeichnen. Aber überall, wo man mit dem Thema sich meldete, traf man auf offene Ohren und Bereitschaft zur Mithilfe. Das galt auch für den Nachfolger Twenhövens als Regierungspräsident Paziorek, für die Rektorin der WWU Nelles, für den Kulturstaatssekretär Große-Brockhoff, für die Kunststiftung, die Kulturstiftung der Länder und viele mehr.
.... Eine Bemerkung zum Schluss über die Bedeutung der Bibel von Heinrich Heine, der in der zweiten Auflage seines Buches von 1834 „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ im Jahre 1852 ein korrigierendes Vorwort verfasste. Dort liest man über seine „Umwandlung in bezug auf göttliche Dinge“, seine Konversion habe nichts mit „Wunderspuk“ zu tun, sondern mit einem „alten, schlichten Buch“, das nähre wie Brot und wärme wie die Sonne, der Bibel. Es heißt da: „Mit Fug nennt man diese auch die Heilige Schrift; wer seinen Gott verloren hat, der kann ihn in diesem Buche wiederfinden, und wer ihn nie gekannt, dem weht hier entgegen der Odem des göttlichen Wortes.“
In diesem Sinne freue ich mich mit über den großen Zugewinn des Bibelmuseums aus den Beständen eines leidenschaftlichen und ebenso spirituellen Sammlers, das damit in den Rang von Stuttgart und Wolfenbüttel aufrückt. "
Wolf Thomas - am Dienstag, 20. April 2010, 11:03 - Rubrik: Kulturgut