Bei einem Besuch der Hofbibliothek Sigmaringen wurde mir die Durchsicht des wohl am Anfang des 20. Jahrhunderts in Karteikartenform angelegten handschriftlichen Supplements zum gedruckten Katalog von Friedrich A. Lehner 1872 ermöglicht.
Offensichtlich der Forschung bisher entgangen ist Hs. 444, ein lateinisches Legendarium, nach dem Katalog eine Pergamenthandschrift aus der Mitte des 12. Jahrhunderts (209 Bl.) mit Abbildungen. Sie überliefert unter anderem Bl. 155r-170r Bern: Vita s. Udalrici. Wichtiger freilich ist der Bl. 89r-119v enthaltene Text, den die Karteikarte als Vita Heriberti des Rupert von Deutz bestimmt. Dass dies zutreffend ist, zeigte die freundlicherweise von der Bibliothek zugesandte Rückvergrößerung von Bl. 89r eines Mikrofilms des (von mir nicht eingesehenen) Codex.
Die Handschrift wurde im Mai 1882 von Prof. Eckertz in Köln, dem Kölner Gymnasialprofessor Gottfried Eckertz (1817-1897) erworben. Die Entstehung der Handschrift in Köln liegt nahe. Insbesondere die Kunsthistoriker werden die bislang unbekannte romanische Handschrift aufgrund des bemerkenswerten Buchschmucks zu würdigen haben.
Anders als von der mehrfach überlieferten Vita Heriberti des Landbert von Deutz, die von Rupert von Deutz bearbeitet wurde (siehe Vogel 2001 sowie Heribert Müller 1991 und Heribert Müller 1977, S. 20-23), war bislang von der 1119/20 niedergeschriebenen Vita aus der Feder des bedeutenden Lütticher Theologen (BHL Nr. 3830) nur eine einzige späte, um 1400 entstandene Handschrift bekannt: UB Basel B VII 33. Daneben sind (nach ²VL 8, 411) als Textzeugen die voneinander unabhängigen Drucke bei L. Surius, De probatis sanctorum vitis, Bd. 2, Köln 1571, S. 246-269 und Ruperts Opera omnia, Bd. 2, Köln 1602, S. 754-769 zu nennen. Online ist anscheinend nur der Nachdruck Migne, PL 170, Sp. 389-428 verfügbar. Eine kritische Edition aufgrund der Basler Handschrift legte Peter Dinter 1976 vor (Rezension im DA, kritischere Rezensionen weist Vogel nach).
Nachdem nun eine Handschrift des 12. Jahrhunderts aufgefunden wurde, wird zu prüfen sein, wie sich die verbesserte Textgrundlage auf die Textgestalt auswirkt. Dies muss - ebenso wie die weitere Auswertung der Handschrift - besseren Kennern der Materie vorbehalten bleiben.
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You can quote this entry using the WebCite archive:
Graf, Klaus. Die bislang unbekannte älteste Handschrift der Vita Heriberti des Rupert von Deutz in der Hofbibliothek Sigmaringen. Archivalia. 2010-05-31. URL: http://archiv.twoday.net/stories/6361153/ . Accessed: 2010-05-31. ( Archived by WebCite® at http://www.webcitation.org/5q99iT5GE )
#forschung
Offensichtlich der Forschung bisher entgangen ist Hs. 444, ein lateinisches Legendarium, nach dem Katalog eine Pergamenthandschrift aus der Mitte des 12. Jahrhunderts (209 Bl.) mit Abbildungen. Sie überliefert unter anderem Bl. 155r-170r Bern: Vita s. Udalrici. Wichtiger freilich ist der Bl. 89r-119v enthaltene Text, den die Karteikarte als Vita Heriberti des Rupert von Deutz bestimmt. Dass dies zutreffend ist, zeigte die freundlicherweise von der Bibliothek zugesandte Rückvergrößerung von Bl. 89r eines Mikrofilms des (von mir nicht eingesehenen) Codex.
Die Handschrift wurde im Mai 1882 von Prof. Eckertz in Köln, dem Kölner Gymnasialprofessor Gottfried Eckertz (1817-1897) erworben. Die Entstehung der Handschrift in Köln liegt nahe. Insbesondere die Kunsthistoriker werden die bislang unbekannte romanische Handschrift aufgrund des bemerkenswerten Buchschmucks zu würdigen haben.
Anders als von der mehrfach überlieferten Vita Heriberti des Landbert von Deutz, die von Rupert von Deutz bearbeitet wurde (siehe Vogel 2001 sowie Heribert Müller 1991 und Heribert Müller 1977, S. 20-23), war bislang von der 1119/20 niedergeschriebenen Vita aus der Feder des bedeutenden Lütticher Theologen (BHL Nr. 3830) nur eine einzige späte, um 1400 entstandene Handschrift bekannt: UB Basel B VII 33. Daneben sind (nach ²VL 8, 411) als Textzeugen die voneinander unabhängigen Drucke bei L. Surius, De probatis sanctorum vitis, Bd. 2, Köln 1571, S. 246-269 und Ruperts Opera omnia, Bd. 2, Köln 1602, S. 754-769 zu nennen. Online ist anscheinend nur der Nachdruck Migne, PL 170, Sp. 389-428 verfügbar. Eine kritische Edition aufgrund der Basler Handschrift legte Peter Dinter 1976 vor (Rezension im DA, kritischere Rezensionen weist Vogel nach).
Nachdem nun eine Handschrift des 12. Jahrhunderts aufgefunden wurde, wird zu prüfen sein, wie sich die verbesserte Textgrundlage auf die Textgestalt auswirkt. Dies muss - ebenso wie die weitere Auswertung der Handschrift - besseren Kennern der Materie vorbehalten bleiben.
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Graf, Klaus. Die bislang unbekannte älteste Handschrift der Vita Heriberti des Rupert von Deutz in der Hofbibliothek Sigmaringen. Archivalia. 2010-05-31. URL: http://archiv.twoday.net/stories/6361153/ . Accessed: 2010-05-31. ( Archived by WebCite® at http://www.webcitation.org/5q99iT5GE )
#forschung
KlausGraf - am Montag, 31. Mai 2010, 22:57 - Rubrik: Kodikologie
KlausGraf meinte am 2010/06/23 01:06:
Werkausgabe Ruperts von Deutz Mainz 1631 in Düsseldorf online
Vita Heriberti: http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/content/pageview/1384996
KlausGraf meinte am 2010/08/11 17:15:
Korrektur zum NDB-Link zu Rupert von Deutz
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00016410/image_289
KlausGraf meinte am 2012/03/08 00:55:
Notiz im DA 2010
http://archiv.twoday.net/stories/75226855/