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Herbert Blume: Hermann Bote. Braunschweiger Stadtschreiber und Literat. Studien zu seinem Leben und Werk (= Braunschweiger Beiträge zur deutschen Sprache und Literatur 15). Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2009. ISBN 978-3-89534-875-4. Gb. 24x16 cm. 368 S. 10 sw. Abb. 6 farb. Abb. 24,00 €

Inhaltsverzeichnis: http://d-nb.info/992808820/04 (PDF)

Blume ist salopp formuliert der "Bote-Papst". Kein anderer Wissenschaftler hat sich so intensiv mit dem wohl 1520 gestorbenen Braunschweiger Autor befasst wie Blume. Das nun vorliegende Buch ist zwar keine Gesamtdarstellung, sondern aus einzelnen früher veröffentlichten Aufsätzen zusammengesetzt, weist aber ein vergleichsweise hohes Maß an Geschlossenheit auf. Blume hat erfreulicherweise die älteren Arbeiten revidiert, teilweise erweitert und auf den neuesten Forschungsstand gebracht. Ein Schwerpunkt der gründlichen und quellennahen Studien sind jene Texte Botes, die mit den Braunschweiger Bürgerkonflikten zusammenhängen: das Schichtbuch und die Ludeke-Holland-Lieder. Leider werden die beiden Weltchroniken nur in der zusammenfassenden Einführung in Botes Leben und Werk sehr knapp vorgestellt. Aber immerhin fällt durch die Überlieferungs-Studien zum Schichtbuch und zu den Liedern etwas Licht auf die frühneuzeitliche Braunschweiger Stadtchronistik.

Der zweite Teil gilt dem Eulenspiegelbuch. Blume verficht vehement die Verfasserschaft Botes, die er als beinahe sicher ansieht. Nun mag es zwar zutreffen, dass bis zum Erscheinen von Schulz-Groberts Studien zum Eulenspiegelbuch 1999 überwiegend von der Verfasserschaft Botes ausgegangen wurde. Aber gilt das heute immer noch? Weder in seinem Buch noch in der Daphnis-Rezension von 2001 findet Blume zu einer fairen Würdigung der Leistung von Schulz-Grobert. Schaut man sich andere Rezensionen des Buchs von Schulz-Grobert an, so werden diese dem Werk eher gerecht.

Man lese etwa John L. Flood, früher ein klarer Vertreter der Bote-Verfasserschaft, der Schulz-Groberts Buch in der ZfdA 129 (2000), S. 469-474 rezensierte. Es dürfte, meint Flood S. 473, nunmehr erwiesen sein, dass die Ansprüche der Bote-Forschung der 1970er und 1980er mit Blick auf das Eulenspiegelbuch übertrieben waren. Blume will dies nicht wahrhaben.

"Mit der Beschreibung des Ulenspiegel als eines „gelehrten literarischen Scherzartikel[s]“ (S. 275), wie Schulz-Grobert sie konsequent durchführt, um in der bisherigen Forschung „weitgehend marginalisierte[ ] Subjekte[ ]“ (S. 26) der ,Straßburger Intelligenz‘ als Produktionsinstanzen ins Licht zu rücken, geht die Gefahr einer neuen Einseitigkeit einher: Das Bild einer humanistisch-scherzfreudigen Elite, die in kongenialem Zusammenspiel [...] auf hohem Reflexionsniveau einen „komischen Geschmack“ (S. 269) bedient habe, setzt einen neuen Mythos an die Stelle des zu Recht kritisierten alten. Dabei werden diesbezüglich als Störmomente zu wertende Fakten des Überlieferten bagatellisiert." (Anna Mühlherr, Arbitrium 2001, S. 177f.)

Blume hinwiederum bagatellisiert eindeutig all das, was gegen Bote als Autor spricht.

Ist die von Honegger 1973 als Akrostichon Herman Botes ausgegebene Zeichenfolge ERMANB überhaupt ein Akrostichon? Und wenn ja, bezieht sie sich auf tatsächlich auf Bote? Blume, der sich auf die Verfasserschaft Botes festgelegt hat, konnte kein Interesse daran haben, den 2005, also nach dem Erscheinen der Arbeit von Schulz-Grobert, veröffentlichten Aufsatz von Ulrich Seelbach zur Akrostichon-Problematik auf Herz und Nieren zu prüfen.

Ohne Zweifel sind Schulz-Grobert grobe Fehleinschätzungen unterlaufen. Die von Blume unverständlicherweise nicht zitierte Dissertation von Julia Buchloh (online seit September 2005!) zu den Illustrationen der Straßburger Drucke, die auch das lange der Forschung entzogene Hucker-Exemplar einsehen (aber nicht fotografieren!) durfte, kommt zu dem Schluss, dass Honeggers Fragment und Huckers unvollständiges Exemplar ein- und derselben Ausgabe angehören und vor der Ausgabe von 1515 anzusetzen sind (Schulz-Grobert hatte das bezweifelt).

http://opus.kobv.de/tuberlin/volltexte/2005/1095/pdf/buchloh_julia.pdf

Schlüssig wiederlegt Blume Schulz-Groberts Argumentation mit den geographischen Kenntnissen von Sebastian Brant. Nicht nur das Lokalkolorit, auch die niederdeutschen Spuren im oberdeutschen Straßburger Druck sind nicht ganz wegzudiskutieren.

Auf der anderen Seite steht die von Schulz-Grobert überzeugend belegte Straßburger Intertextualität der frühesten Ausgaben. Wenn man nicht annehmen will, dass die Wigalois-Vorrede (siehe Flood, ZfdA 1976) nach Braunschweig gelangt ist und dort von Bote verwendet wurde, muss man sie der erschlossenen niederdeutschen Vorlage absprechen. Welcher Textbestand bleibt für eine niederdeutsche, womöglich Braunschweiger Vorlage übrig? Unverzichtbar für die "Boteaner" sind die Historien, die das vermeintliche Akrostichon ERMANB überliefern.

Buchloh S. 33 bildet das von Sodmann 1980 entdeckte Titelblatt zum Liber-vagatorum-Druck des Braunschweiger Druckers Hans Dorn (VD16 L 1567) von ca. 1510 ab, das eine Eulenspiegeldarstellung zeigt. Dorn druckte 1509 auch eine Schrift Murners mit Beigabe von Sebastian Brant (VD16 M 7051). Einflüsse Straßburg-Braunschweig sind in beiden Richtungen möglich. Denkbar ist, dass Dorn eine Straßburger Auflage des Eulenspiegelbuchs vorlag und er eine eigene wohl in niederdeutscher Sprache (zum Wechsel der Druckersprache Dorns, ablesbar am Wortlaut der Titel, sehe man den VD 16 http://www.vd16.de) vorlegte oder auch nur plante. Man muss ja nicht an eine Gesamtillustration wie in den Grüninger-Drucken denken. Der Holzschnitt kann als Titelholzschnitt und einzige Illustration gedient haben. Denkbar ist aber auch, dass eine Braunschweiger Eulenspiegelausgabe Dorns nach Straßburg gelangte und Vorlage für die erheblich erweiterte Redaktion der Grüninger-Drucke war.

S. 221 erwägt Blume, ob ein fingierter Hinweis auf dem Titelblatt eines Drucks von 1618, das Buch sei aus sächsischer Sprache ins Hochdeutsche übersetzt, auf die Kenntnis eines über 100 Jahre früher veröffentlichten niederdeutschen Drucks hindeuten könnte. Ich halte das mit Verlaub für reines Wunschdenken.

Die Annahme einer niederdeutschen Vorlage (ob als Druck oder in handschriftlicher Form, sei dahingestellt) für den Straßburger Druck scheint mir plausibel. Aber ob Bote - wenn man das umstrittene Akrostichon beiseite lässt - unbedingt der Autor sein muss? Weder sind die Gegenargumente gegen ihn als Verfasser sonderlich zwingend noch die Argumente für ihn. Schlagende Übereinstimmungen mit Bote-Werken sind nicht namhaft gemacht worden. Einen Einblick in die Argumente vermittelt online

http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/108532.html

Auch wenn Blume das Gegenteil beteuert: Bote als Autor des Eulenspiegelbuchs ist mit einem dicken Fragezeichen zu versehen. Ob sich so bald nach Schulz-Groberts Habilitationsschrift jemand die philologische Kleinarbeit aufhalst, möglichst unvoreingenommen mögliche niederdeutsche Spuren im Text zu sichern und mit den stoffgeschichtlichen Resultaten von Schulz-Grobert zu konfrontieren, darf dahingestellt bleiben. Bis dahin wird der "Bote-Papst" Blume fortfahren, die Verfasserschaft Botes zu dekretieren (etwa in Killys Literaturlexikon, nach Registrierung einsehbar bei http://paperc.de).

 

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