Aus Sagen der Schwäbischen Alb, hrsg. und kommentiert von Klaus Graf, Leinfelden-Echterdingen: DRW Verlag 2008 gebe ich im folgenden das Kapitel "Im Sagenreich der Pfullinger Urschel" (S. 115-146 mit Nachweisen S. 292f.) wieder.
Mehr zum Buch und weitere Auszüge:
http://archiv.twoday.net/stories/5401895/
Zu den Pfullinger Sagen ist künftig auch mein im Manuskript abgeschlossener Beitrag "Urschel, Nachtfräulein und andere Gespenster Überlieferungen und Sagen in Reutlingen und Pfullingen" (erscheint in: Reutlinger Geschichtsblätter) einschlägig.
Weitergeführt werden dort die Überlegungen in meinen "Schwabensagen" von 2007:
http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/3459/
Zu den Texten siehe auch die Nachweise von Digitalisaten:
http://de.wikisource.org/wiki/Pfullingen
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Pfullingen
Andres Mährchen
Wiederum erzählt die Sage, der Ursulenberg sey nur des Tages ein Berg, des Nachts aber eine Höhle, in der ein weiblicher Geist bei unendlichen Schätzen auf Erlösung harre. Einst habe ein Bürger von Pfullingen sich zu diesem Versuche entschlossen, und sey in der Nacht nach der Höhle gegangen. Dort erschien ihm der Geist in Gestalt einer Nonne, und lud ihn ein, mit ihm drei Nächte hintereinander zu speisen, ohne sich zu fürchten, und ohne einen Laut von sich zu geben. Dann werde der Geist erlöst seyn, der Mann aber den ungeheuren Schatz erheben. Die erste Nacht erschien der Geist in seiner gewöhnlichen Gestalt als Nonne; der Bürger schmauste ohne Furcht und Rede bei ihm. In der zweiten Nacht erschien aber statt der Nonne eine gräßliche Schlange vor dem wohlbesetzten Tisch, bäumte sich schwellend, und leckte zischend von dem Speisen. Der Mann überwand sein Grausen, und unterdrückte den Schrei des Entsetzens, der über seine Lippe wollte; des Morgens kehrte er zur Stadt und in sein Haus zurück. Als aber die dritte Nacht heran kam, die das Abentheuer enden sollte, da fand man ihn todt auf seinem Lager: der Schrecken der zweiten hatte ihn umgebracht. (85)
Niemand weiss, warum ausgerechnet Pfullingen, am Fuß der Alb gelegen, den reichsten Sagenbestand Schwabens aufweist. Am frühesten greifbar ist die Geschichte von der gescheiterten Erlösung der alten Urschel in diesem Text, der Gustav Schwabs Albführer 1823 entnommen ist. 1828 gab Pfarrer Friedrich Meyer Sagen in seiner handschriftlichen Pfarrbeschreibung wieder. Ernst Meier eröffnete mit 14 Pfullinger Sagen seine 1852 gedruckte Sammlung schwäbischer Sagen. Nicht weniger als zwölf Texte schrieben Schüler des Stuttgarter Gymnasiallehrers Albert Schott 1845/1847 auf. Einige sind hier erstmals ediert.
Der schwäbische Literat Hermann Kurz (1813-1873) arbeitete die Erlösungsgeschichte vom Urschelberg in seinen historischen Roman „Schiller's Heimatjahre“ (Stuttgart 1843) ein und hat dadurch wohl spätere Sagenversionen beeinflusst. Dank der gedruckten Fassungen kam es zu einem Austausch zwischen lebendiger mündlicher Überlieferung und schriftlicher Fixierung. Die Sagen kursierten in Pfullingen in unterschiedlichen Versionen. Der Heimatbuchautor Wilhelm Kinkelin beobachtete, dass „in bestimmten Familien die Sagen in einer bestimmten besonderen Weise erzählt werden. Mein Vater wußte alles so wie meine Mutter dem Inhalt nach genau, und doch immer wieder ein bißchen anders“.
Ernst Meier deutete die alte Urschel mythologisch, und über seine Sammlung ging sie in die internationale volkskundliche Literatur ein. In Pfullingen ist sie bis heute populär. Auf dem Pfullinger Marktbrunnen aus den 1950er Jahren ist sie mit anderen Sagengestalten dargestellt. 1999 gründete sich ein Narrenverein „Die Uschlaberghexa“.
Der Ursulaberg
In Pfullingen lebte vor vielen Jahren ein armer Taglöhner, der in der schweren Zeit außer Stand gesetzt war, sich, sein Weib und sein Kind zu ernähren, so daß sie oft bitteren Hunger leiden mußten. In einer Nacht, als seine Lieben schon lange neben ihm schliefen, wachte er noch kummervoll uund dachte daran, wie er sein trauriges Loos ändern könnte. Aber nirgend zeigte sich ihm ein Ausweg, und er war der Verzweiflung nahe. Von Sorgen erschöpft und halb betäubt, schlief er ein. Im Traume aber sah er den Ursulaberg vor sich, sah wie ein enger Spalt an demselben immer weiter wurde, und endlich als weites Gewölbe vor seinen Augen stand, die von dem angehäuften Golde und den Edelsteinen, von den reichen Schmucksachen, welche die Wände zierten, ganz geblendet waren. Unruhig erwachte er und theilte seinem Weibe den Vorsatz mit, in der nächsten Nacht den Berg zu besuchen, vielleicht, daß das Glück ihm mit einem Male günstig sei. Umsonst bat ihn sein Weib, das Vertrauen auf Gott nicht fahren zu lassen, wie dieser am besten wisse, was dem Menschen nütze.
In der kommenden Nacht ging der Arme hin, fand den Spalt, der sich auch öffnete, wie die nahe Thurmuhr anzeigte, daß es Mitternacht sei. Wie er es im Traume gesehen, so stand das Gewölbe vor seinen Blicken, nur daß sich in demselben noch eine Jungfrau von wunderbarer Schönheit befand, die ihn zu einer reichbesetzten Tafel führte, und ihn köstlich bewirthete. Als das Mahl geendet war, ergriff sie eine Laute und sang Lieder voller Liebesklage und Liebessehnsucht, ohne daß sie den Armen verführen wollte, der treu an seinem Weibe hing, und endlich die Jungfrau bat, daß sie ihm erlauben möge, etwas von den herrlichen Speisen nach Hause nehmen zu dürfen. Die Jungfrau aber füllte alle seine Taschen, so viel sie nur fassen konnten, mit Gold und Edelsteinen, worauf sie ihn an den Ausgang des Gewölbes führte. Die Morgensonne war eben im Aufgehen, und der Arme glaubte geträumt zu haben, als er umsah und keine Spur einer Oeffnung in dem Berge gewahr wurde. Aber die Schätze, welche ihn belasteten, überzeugten ihn von der Wirklichkeit des Erlebten. Voll Freude eilte er nach Hause, und sein Weib fiel auf die Kniee betend nieder, denn jetzt waren sie plötzlich reich geworden. Aber, wie leider der Besitz so häufig die Begierde nach Mehrbesitz erzeugt, und immer heftiger steigert, so geschah es auch hier. Der dem Hungertod so nah Gewesene konnte eines Reichthums nicht froh werden; beständig sah er die Schätze, welche in der Höhle zurückgeblieben, und dachte nur daran, sie auch zu erhalten und war entschlossen, sie mit Gewalt an sich zu reißen, wenn sie die Jungfrau nicht freiwillig hergeben würde.
Um diese zu zwingen, ging er mit einem Dolche bewaffnet in der kommenden Nacht zur Höhle, die er ganz so reich geschmückt fand, wie früher, nur daß an der Stelle der Schönen ein gräßlicher Drache lag, der ihn aus dem Gewölbe jagte und ihn den ganzen Berg hinab mit Gebrüll verfolgte.
Der Habgierige erreichte zwar unbeschädigt seine Wohnung, aber schon am nächsten Tage starb er an den Folgen des erlittenen Schreckens. (86)
Alexander Patuzzi bearbeitete in seiner Schwäbischen Sagen-Kronik (1844) offenkundig ein 1832 erschienenes sozialkritisches Gedicht des späteren Bauernkrieghistorikers Wilhelm Zimmermann (1807-1878): „Der Ursulenberg bei Pfullingen“. Patuzzi hat aber Zimmermanns Erlösungs-Motiv weggelassen: Im Gedicht erhält der Arme keine Schätze, er muss am nächsten Tag wiederkehren, um die Maid zu erlösen und lässt sich von dem Drachen verjagen.
Der Dreieichenweg auf dem Ursulaberg
Ein Bauer von Pfullingen, Namens Jakob Hättler, fuhr öfters mit einem Wagen in den Wald auf dem Ursulaberge, um dort Holz zu holen und durfte, während andere Bauern beim Herabfahren alle vier Räder an ihren Wagen sperren mußten, nie an seinen Wagen einen Radschu anlegen, weil ihm diß Geschäft jedesmal von einer Frau besorgt wurde. Eines Tags nun fuhr der Bauer, wie gewöhnlich, wieder in den Wald, verspätete sich aber, weil ihm ein böser Geist am Wagen etwas zerbrochen hatte, bis in die tiefe Nacht hinein, so daß er erst gegen 12 Uhr von demselben wieder abfahren konnte. Kaum hatte er einen kleinen Theil seines Wegs zurückgelegt, als es 12 schlug und plötzlich eine reichgekleidete Frau vor ihm stand, welche sich ihm als die Ursula, die in diesem Berge hause, zu erkennen gab und zu ihm sagte, daß nur er sie erlösen könnte. Nachdem sie ihn mit den zu der Erlösung nötigen Verhaltungsmaaßregeln näher bekannt gemacht hatte, zeigte sie ihm eine Öffnung, welche in den Berg hinein gieng, und gab ihm dann ein Schwert, ein Scepter und ein Kraut in die Hände. Hierauf stieg der Bauer in den Berg hinunter u. stieß dann bald auf eine Thüre, welche durch die Berührung mit seinem Kraute sogleich aufflog. Hier kam ein großer schwarzer Pudel mit feurigen Augen und mit einem langen Messer in der Pfote auf ihn zugesprungen, welcher sobald jener mit der Linken sein Scepter diesem entgegenhielt, ruhig stehen blieb, und sich durch des Bauern Schwert tödten ließ. Damit war es aber noch nicht genug, sondern er hatte noch zwei Ungeheuer, nemlich einen grimigen Löwen und eine furchtbar große Schlange umzubringen, was ihm zwar auch gelang, aber doch viel mehr Mühe kostete als die erste That. Sofort trat er noch durch eine zweite von ihm geöffnete Thüre, in einen äußerst prächtigen, mit Kostbarkeiten aller Art und einer Menge Goldes angefüllten Saal, wo er dann theils durch die glückliche Vollbringung freudetrunken, theils durch die Masse Kostbarkeiten geblendet, leider nicht mehr der Ursula gedachte, welche ihn vorher gewarnt hatte, nicht lange unter einer Thüre zu verweilen und nicht mehr von den Kostbarkeiten zu nehmen, als er zum Berge hinaustragen könne, sondern so viel mitnahm, daß er schon an der letzten Thüre Etwas von seinem Golde fallen ließ. Dadurch, daß er noch unter der Thüre stehen blieb und daß die Thüre plötzlich zuknarrte, hatte er das Unglück, um beide Fersen zu kommen. Auf der Oberfläche des Berges angekommen, erschien ihm wieder mit bleichem und von Jammer verzerrtem Aussehen die Ursula mit 3 Eicheln, u. sagte ihm, indem sie diese fallen ließ, sie müße von jetzt an so lange in dem Berge herumschweben, bis diese 3 Eicheln zu 3 vollständigen Eichen emporgewachsen und dann wieder abgestorben seien. Nach diesen Worten verschwand sie wieder und der Bauer fuhr vollends mit seinem Wagen, den er noch angetroffen hatte, nach Hause, starb aber bald darauf. Es stehen nun wirklich 3 Eichen auf dem Ursulaberge, von welchen die Sage geht, daß sie in Folge von der Nichterlösung der Ursula entstanden seien. (87)
In der Fassung der Erlösungs-Geschichte des Stuttgarter Gymnasiasten Schmückle (1847) sind die magischen Hilfsmittel des Bauern vermutlich dem Motivbestand der Märchen entnommen.
Die Feien des Ursulenberges
Wenn die Nebel Schleier weben.
Um Gebirg und Flur,
Regt in der Natur
Sich ein anderes Leben.
Aus den Blumen, die sich neigen
In der Erde Kluft
Vor des Winters Luft,
Ihre Seelen steigen.
Anzuschaun wie zarte Weiber
Schweben sie heraus
Aus des Berges Haus,
Jungfräuliche Leiber.
Mit dem Blau der Genziane,
Mit der Lilie Glanz,
Mit des Rosenbrands
Gluthen angethane.
Flattern, wenn sie Lichter sehen,
In die Hüten, wo
Spinnerinnen froh
Seidne Fäden drehen.
Setzen an der Mägde Kunkel,
Luft’ge Gäste, sich,
Spinnen emsiglich
Durch der Nächte Dunkel
Und von ihren Lippen wallen
Worte leicht und leis,
Goldner Sagen Preis,
Die behagen Allen.
Von des Berges tiefen Spalten,
Wo in ew’ger Nacht
In dem kühlen Schacht
Blumen Hochzeit halten.
Von der Erdengeister Treiben,
Fürstlichem Geschlecht,
Und von Gnom und Knecht,
Und von Wasserweiben.
Und die Spindel rollet Allen
Lustig durch die Hand,
Bis daß an der Wand
Morgenlichter wallen.
Da entschlüpfen schnell die Frauen:
An des Bergs Gestein
Sind die seel’gen Fei’n
Nebeln gleich zu schauen.
Doch der Flachs ist abgesponnen,
Und die Spindel ruht,
Und ein zehnfach Gut
Jede hat gewonnen. (88)
Autor dieses Gedichtes ist Gustav Schwab, der es im Taschenbuch „Urania“ auf das Jahr 1823 veröffentlichte und es später auch in seine „Neckarseite der Schwäbischen Alb“ (1823) aufnahm.
Die Nachtfräulein und die alte Urschel
Noch bey zwey erst vor wenigen Jahren verstorbenen Frauen, ins Keßlers Haus auf Wiel, und beym Wielweber, fanden sich regelmäßig an jedem stillen Winterabende zwey Nachtfräulein ein, kleine, zierliche, wunderschöne Gestalten, schneeweiß angethan und glänzend in Gesicht und Kleidern, wie der funkelnde Schnee. Sie spannen an der Weiber Kunkeln die feinsten Fäden hurtig und flink, gegen die Menschen schweigsam, nur unter sich zuweilen einige Worte in kindischer Aussprache wechselnd. Wenn der Morgen graute, giengen sie davon und man sah ihr Laternchen bis in die Gegend des Nachtfräuleinloches; dann war auf einmal Alles verschwunden. Der Flachs indeß war abgesponnen, wie groß die Kunkeln auch gewesen waren.
Als Ursache ihres Ausbleibens wird erzählt: der Wielweber hatte einst Fruchtmangel und klagte diese Noth seinem Weibe, als eben die Nachtfräulein da waren. Da öffnete die eine von ihnen den zierlichen Mund und bot ihm Frucht an, so viel er begehre, jedoch auf Wiedererstattung. Nur dürfe die zurük zu gebende ja nicht am Sonntag gedroschen seyn. Abends standen zwei schneeweiße Säke voll herrlicher Frucht an der Treppe, wußte Niemand, wie sie hergekommen seyn mochten. Den Ersatz des Darlehens stellte der Wielweber in denselben Säken wieder an die Treppe hin. Da blieb er Tage und Wochen unberührt stehen. Endlich kam die eine von den Nachtfräulein und bitterlich weinend jammerte sie: die Frucht sey am Sonntag gedroschen; sie könne nun nimmer zu den Menschen kommen, die sie betrogen. Sie verschwand und man hat seitdem nichts mehr von beiden gesehen. Der Segen wich mit ihnen aus dem Hause. Die Frucht war am Samstags von dem Wielweber gedroschen, und, um zu sehen, was daraus erfolgen möge, hatte er damit bis Nachts nach 12 Uhr fortgemacht.
In dieser Sage finden wir unverkennbar die freundlichen Elfen der Vorzeit, deren Erscheinen die Volkssage von einem Geschlecht zum andern bis in die nächste Vergangenheit herüberzieht. Auch die tückischen Alfe (Gnomen) fehlen nicht; nur identificirt sie die Sage mit jenen und nennt auch diese: Nachtfräulein.
In eine Grube am Ursulaberge, sie ist eben das sogenannte Nachtfräuleinsloch, wirft noch ein Jeder, der vorüber geht, einen Stein, und doch wird sie nie ausgefüllt. Wer dieses Opfer nicht bringt, dem legen die Nachtfräulein einen Stein so in den Weg, daß er darüber durchaus fallen muß, oder sie spielen ihm auf irgend eine andere Weise einen argen Streich.
Das Schloß auf dem Ursulaberge soll mit unendlichen Schäzen versunken seyn. Die Bergsage, die alte Urschel, suche noch, als Steingeist diejenigen, die bey Nacht über die Steinge gehn, zu blenden, und nach dem Ursulaberge hin zu verführen, damit sie diese Schäze haben, und damit sie gleich zu erlösen.
Eine ältere Sage erzählt: Ein junger Geselle gieng einst mit seinen Eltern auf ein Feld am Ursulaberge, um Kartoffeln zu holen. Die abgeschirrten Pferde ließen sie einstweilen weiden. Sie nachher auf dem Berge wiedersuchend, findet dort der Geselle ein neues Pferdekummet, nimmt und sezt sichs, wie es der Brauch ist, auf beyde Schultern, den Kopf zwischend durchstekend. Da sieht er augenbliks die alte Urschel vor sich stehn, im grünen Rok, mit rothen Strümpfen. Ich und noch Jemand, spricht sie, freuen uns, daß du endlich kommen bist. Wir warten hier schon Jahrhunderte auf Erlösung durch dich. Dann führt sie ihm zu Gemüthe, wie sie, mit unendlichem Sehnen, des Baumes (ein Baum zu gleicher Bestimmung soll eben jezt wieder auf dem Ursulaberge stehn und von der alten Urschel gehegt und gepflegt werden), daraus man seine Wiege gemacht, Keimen und Wachsen belauscht und betrieben und Minuten, Jahre und Jahrhunderte gezählt habe, bis er endlich gehauen ward. Sie habe ihn in dieser Wiege gepflegt und vor den Nachstellungen ihres Feindes geschirmt, und jezt sey die Zeit für ihn gekommen, dankbar dafür zu seyn und sie zu erlösen, was einzig ihm möglich sey. Sie hüte unermeßliche Schäze. (Auch auf der Achalm sollen von 2 Pudeln unendliche Reichthümer gehütet werden.) Die wolle sie alle ihm geben und einen noch tausendmal köstlichern Schaz, wenn er sie erlöse. Sie werde ihn durch einen allen andern Menschen unsichtbaren Eingang in den innern Berg führen. Dort stehe jezt das alte herrliche Schloß, das vordem auf dem Berge stand. Dort werde aber eine Schlange, furchtbar anzusehen, ihm auf das Herz losfahren. Die solle er jedoch nur herzhaft in die Arme schließen und fest an sein Herz drüken. Dann werde er das schönste Weib der Welt in seinen Armen finden. Dann sey der Fluch gelöst. Das alte Schloß werde von neuem ans Licht des Tages heraufsteigen und er mit seinem Schaz in solchem Schloße all dessen goldene Schäze theilen. Mit noch viel andern verführerischen Worten suchte sie ihn zu berüken. Er aber, als ein frommer Jüngling, betete zu Gott im Stillen: Vater Unser da war urplözlich die Urschel verschwunden. Nachher erschien sie ihm indeß noch zu verschiedenen Malen und suchte ihn mit gar beweglichen Worten dahin zu bringen, daß er ihr zu Willen seyn möchte. Er wiederstand jedoch kräftig jeder Versuchung, zumal da ihm die alte Urschel nicht einmal gestatten wollte, seine Eltern zu dem Abentheuer mitzunehmen. Sie sollten höchstens bis an den Eingang des Berges mitgehn dürfen.
Einst kam der junge Geselle mit andern Kammeraden wieder an den Ursulaberg. Auch da erschien die alte Urschel wieder und drohte ihm nun, daß es sein junges Leben gelte, wenn er nach ihrem Begehren nicht thue. Die andern aber sahen nichts und hörten nichts von ihr. Da sagt’ er es endlich ihr zu. Doch fragt er vorher noch den Geistlichen, der sein Beichtvater war, um Rath; der aber hielt dafür, daß eine einmal verfluchte Seele durchaus nicht erlöst werden dürfe. Dies führte er noch in einer Predigt, die er am nächsten Sonntag hielt, des Weitern aus, und schloß damit, das Ganze sey ein Teufelsspuk, die arme Seele dieses frommen Jünglings zu verderben. Die ältesten Leute wollen von ihren Eltern wissen, daß diese die besagte Predigt angehört haben. Nach Jahr und Tagen gieng darauf der junge Geselle mit seinen Eltern einmal wieder auf den Aker am Ursulaberg, um Kartoffeln zu holen. Sie hatten wieder ihre Pferde bey sich, von denen eines das gefundene Kummet anhatte. Da erschien ihm denn die alte Urschel, ungesehen von seinen Eltern, wieder, schalt ihn heftig aus, daß er dem Pfarrer von ihr gesagt, und fiel dann wieder in ihr altes Jammern, daß, wenn er sie nicht erlöse, sie noch Jahrhunderte zu leiden habe. So geschieht dies eben recht, gab ihr der junge Geselle zur Antwort, wer einmal verflucht ist, ist ewig verflucht. Solche Rede hörten seine Eltern und merkten daraus, daß er mit der Urschel rede, von deren Worten sie jedoch nichts vernommen hatten. Bald aber sahn sie ihre furchtbare Rache. Ihr Kind fiel plötzlich todt vor ihren Augen nieder, die alte Urschel hatte ihn erwürgt; das gefundene Kummet verschwand. – Von dieser Geschichte sollen die Aeker hinter dem Ursulaberge den Namen haben: Mordios-Aeker.
b) Auf dem Uebersberge soll ehedem oberhalb ein Schloß gestanden seyn. Noch dröhnt es dumpf und hohl aus der Erde herauf, wenn man nicht weit vom Mädchenfelsen hart auftritt. Dort sollen von dem verfallenen Schloße noch die Keller seyn. Es mögen indeß, wohl natürliche Felsenhöhlen seyn.
Mädchenfelsen oder Dorotheen-Felsen heißt die vorspringende Felsenstirn des Uebersberges. Die Sage über den Ursprung dieses Namens erzählt: eine fromme Jungfrau, von einem bösen Jäger verfolgt, kommt an die steile Felsenwand, und wagt in Gottes Namen, betend: Der Herr wird seinen Engeln über dir Befehl thun, daß sie dich auf ihren Händen tragen, den Sprung die schwindelnde Höhe hinab und wird wunderbar erhalten. Der nachspringende Verfolger zerschellt an den Felsen. (89)
Der Sagenabschnitt aus der umfangreichen handschriftlichen Pfarrchronik (1828) von Friedrich Meyer (1794-1848), seit 1820 in Pfullingen als protestantischer Geistlicher tätig, wird hier erstmals vollständig abgedruckt. Meyer war Ludwig Uhlands Schwager und ein Freund von Gustav Schwab.
Vom Urschelberg
Ueber Pfullingen erhebt sich ein Berg, der Urschelberg genannt. Wie sein Name an den Hörseelenberg (vom Volke Hörschelberg gesprochen), in Thüringen erinnert, so hat er auch an einem Abhang, der das Hörnle heißt, gleich jenem, der unter seinem, Eisenach zugestrecktem Horn eine Höhle hat, das Hörselloch - ebenfalls eine solche, die bei den Umwohnern das Nachtfräuleinsloch genannt wird.
Gleich der Frau Holle, der alten Spinnefrau im Hörseelenberge (Sage Nr. 459 und 757), wohnt die alte Urschel als Spinnerin im Urschelberge, und ist des Berges ganze Umgegend mit Sagen über sie erfüllt. Ein Theil dieser Sagen deutet darauf hin, daß die Urschel gleich andern wandernden Jungfrauen aus verwünschten oder versunkenen Schlössern (zwei Schlösser sollen auf dem Urschelberge versunken sein), auf Erlösung harre, die auf einer Eichel, deren erwachsen zum Baume, auf das fertigen einer Wiege aus diesem Baume, und auf einem darin gewiegten Sonntagskinde beruht - der hoffenden aber stets fehl geschlagen, weil der erkorene Gesell, der sie durch ein aufgefundenes Pferdekummt sichtbar geschaut, nicht Muth genug gehabt, das Werk der Erlösung zu vollführen. Nach andern war es keine Eiche, sondern eine von der Urschel selbst gepflanzte Buche, aus welcher die Wiege gefertigt wurde, und noch immer soll eine solche Buche auf dem Urschelberge stehen und von ihr gehüthet werden. Anderntheils deuten die Urschelsagen rein auf sie als Spinnefrau. Wie die Berchtha im Voigtlande ihr Gefolge hat von Heimchen, hat die Urschel eines von Nachtfräulein, nur nicht so zahlreich, meist nur auf die Dreizahl beschränkt. In deren Begleitung kam sie nach Pfullingen „auf Wiel," eine also genannte Häuserreihe, an welche die Heergasse (Sage Nr. 918) vorüberführt - leise Hindeutung auf die Urschel auch als wilde Jagdfrau - in die Lichtkarz, und spannen allda sehr fleißig. Einst machte sich aber ein Bursche den Scherz, einem der Nachtfräulein den Faden abzubrechen, und wollte nach der üblichen Sitte, indem er den Rocken nahm, diesen mit einem Kuß ausgelöst haben - das nahmen die Urschel und die Nachtfräulein sehr übel, nahmen ihre Spindeln, gingen von dannen und kamen nie wieder in dieses Haus. Von dem Hause aber wich seitdem aller Segen. Sie besuchten dagegen bisweilen andere Häuser, und spannen nicht allein für sich, sondern auch für die Frauen, die sie besuchten, und spannen deren Kunkeln ganz leer, und alle Spindeln voll, und den feinsten Faden, den es geben konnte, spannen sie, und wann sie gingen, sah man ihre schloßschleierweißen Kleider beim Schein ihres Laternchens bis nahe an das Nachtfräuleinsloch am Urschelberge leuchten. In Reutlingen heißen sie Bergfräulein, weil sie im Urschelberge wohnen, da sollen sie ihren Aus- und Eingang, wenn sie auch dorthin zum Spinnen kamen, mitten auf dem Markt gehabt haben. So ganz ledigen Standes müssen aber die Urschelbergerinnen doch nicht gelebt haben, denn es sind Sagen von in den Berg geholten Hebammen vorhanden, welche mit Strohhalmen belohnt wurden, von denen sich die in Goldstangen und Goldstücke verwandelten, die nicht verächtlich weggeworfen worden waren. (90)
Ludwig Bechstein, der vor allem durch seine Märchensammlung bekannte Thüringer Autor, arbeitete gern Parallelen in die Texte seines Deutschen Sagenbuchs von 1853 ein. Hier gibt er eine Zusammenfassung der verschiedenen Urschelberg-Sagen aus der kurz zuvor erschienenen Sammlung von Ernst Meier (1852).
Der Ursulaberg (Urschelberg) bei Pfullingen
Unweit Pfullingen ragt auf dem Alpgebirge unter andern ein ziemlich hoher Berg hervor, welcher von alter Zeit her nach der unter den dortigen Bewohnern noch gehenden Sage, seine Benennung von einer gewissen Feenkönigin, Ursula genannt, erhalten haben soll.
Diese Ursula war, nach der Aussage, keine von den bösartigen Feen, sondern im Gegentheil eine sehr wohlthätige und machte öfters unter den Leuten von Pfullingen und den umliegenden Ortschaften Besuche, wenn sie Nachts mit dem Spinnen beschäftigt waren, wo sie dann auch meistens mitgesponnen und ihnen mit ihren Weissagungen nützliche Dienste erwiesen hat; so kündigte sie z. B. an, wenn ein gutes oder ein schlechtes Flachsjahr kommen werde. Zuweilen kamen auch noch einige andere Feen, welche ihr unterthänig waren, mit ihr. In diesem Ursulaberge hatte sie ein prächtiges Schloß und darinn Ueberfluß von Gold und Silber, wovon sie fast jedesmal bei ihrem Besuche einen bestimmten Theil je nach Umständen ausgetheilt hat. Auf dem Gipfel des Berges befindet sich ein sehr tiefes Loch, aus welchem Ursula herausgestiegen ist, und von wo aus man oft einen wunderbar schönen Gesang gehört hat. (91)
Aufgezeichnet von dem Gymnasiasten Schmückle 1846.
Die versiegte Quelle der Ursula
Als ich im vergangenen Spätjahre mich zu Pfullingen aufhielt, besuchte ich auch die Berge der Umgegend, von denen aus man eine schöne und weite Aussicht genießen konnte. Als einen solchen Punkt rühmte man mir auch den Jungfrauenfelsen. Der Weg dahin, den ich in Begleitung eines Bauern machte, führte uns über den Ursulaberg, der ringsum mit einem schönen Grün bekleidet ist. Um so mehr fiel mir eine Stelle neben dem Wege auf, die ganz mit Steinen bedekt war, welche absichtlich hingeworfen zu sein schienen. Diese meine Vermuthung bestätigte sich, indem mein Begleiter einen Stein auf dem Wege aufhob, und ihn mit den Worten: "da, Ursula!" auf die Stelle hinwarf. Zugleich forderte er mich auf, dasselbe zu thun. Lachend warf ich einen Stein hin und fragte den Bauern dann um die Ursache seiner sonderbaren Handlung. "Ja, antwortete er, dazu haben wir unsere guten Gründe, da Ihr aber die Sache nicht zu wissen scheint, will ich sie Euch erzählen: Hier an dieser Stelle war früher ein Loch, in dem sich eine schöne Quelle befand. Neben der Quelle saß gewöhnlich so ein Bergfräulein, Namens Ursula, welcher der ganze Berg gehörte. Wer nun ihr Gebiet betrat, mußte ihr etwas, woran er gerade Überfluß hatte, vor oder in ihr Loch werfen, sonst zog sie die Vorübergehenden hinein oder ließ ihnen auf dem Wege ein Unglück zustoßen. Weil nun aber wir Bauern an Steinen immer den größten Ueberfluß haben, werfen wir gewöhnlich der Ursula statt einer Gabe nur einen Stein hin. Vielleicht nun wäre ihr etwas Anderes lieber gewesen, oder fürchtete sie, von den Steinen, die in ihr Loch fielen, getroffen zu werden; kurzum sie ließ sich von da an auf dem Berg nicht mehr sehen, nahm uns aber auch dafür die Quelle mit. Dennoch unterlassen wir nicht ihr diese Steine zu schenken, da auch jezt noch gewöhnlich dem, der diese Sitte vernachlässigt, die Ursula etwas, wäre es auch nur ein Regen oder Gewitter, auf den Hals schickt. (92)
Der Stuttgarter Gymnasiast Wanser wusste 1847 von einem „Opfer“-Ritual, das in anderer Form in der Nr. 1 der Sagensammlung Ernst Meiers „Das Opfer für die alte Urschel“ erscheint. Meier zufolge legten am Remselesstein Pfullinger Kinder durchlöcherte Hornknöpfe, die „Remsele“ hießen, als Opfer nieder. Um 1900 wurde dieser angebliche Opferbrauch als Kinderspiel berichtet. Die Buben spielten auf dem Weg zum Berg auf dem Remselesstein:
Man warf die Remsele in die Höhe und je nach Lage, in der sie auf den Stein zu liegen kamen, fielen sie der einen oder anderen der spielenden Parteien zu. So spielte man der Urschel zuliebe, damit einem im Walde nichts zustoße, der Urschel übergab man aber die Remsele nicht, auch nannte man das Spiel nicht Opfer.
Die auch andernorts im 19. Jahrhundert belegten „Opferbräuche“ lassen sich zwar nicht sicher deuten, aber es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass es sich um uralte heidnische Traditionen handelt, wie man im 19. Jahrhundert vermutete.
Das versunkene Kloster Ursulenberg
Über den Ursulaberg bei Pfullingen ist folgende Sage im Umlauf, als deren Gewährsmann ich einen alten Pfullinger anführen kann. Dort soll einst ein Kloster der heiligen Ursula gestanden sein, dessen Nonnen sich nur des Tags mit geistlichen Dingen beschäftigten, Nachts jedoch allerlei Zauberei trieben. Deshalb wurden sie in der Umgegend theils als Wunderthäterinnen gepriesen, theils als Hexen verrufen. Dieser letztern Ansicht war auch der Schutzherr des Klosters und er wollte es daher bei Nacht zerstören. Da sich aber die Nonnen in allerlei Gestalten verwandelten, um ihm zu entgehen, rief er erzürnt aus: "Der Teufel möge euch und euer Kloster verschlingen!" Dieser Wunsch gefiel dem Bösen und er ließ den Berg mit Allem, was darauf war, in den Boden versinken. Da aber der Geist der Finsterniß nur des Nachts Macht hat, konnte er nicht verhindern, daß am nächsten Morgen der Berg sich wieder erhob, wiewohl ohne Kloster, das durch Zauberei entweiht, ganz in den Händen des Teufels war. Und auch jetzt noch soll an der Stelle, wo des Tags der Berg steht, Nachts ein Abgrund gähnen, in dessen Tiefe die Klosterschätze liegen. (93)
So der Stuttgarter Gymnasiast Martens 1847. Ein Kloster stand nie auf dem Ursulaberg, der 1370 erstmals als „Ursenberg“ bezeugt ist.
Die Nixe von der Echatz. Eine Sage
Nicht weit von dem Fußwege, welcher an der Echatz hin von Reutlingen nach Pfullingen führt befindet sich ein schöner Wasserfall, der sich einen nach der Sage unergründlichen Kessel gehöhlt hat.
Folgende Sage geht über denselben im Munde des Volks.
Vor grauen Zeiten kam jeden Abend eine Jungfrau, die dem Strudel des Wasserfalls entstiegen war in die Spinnstube (Karz) nach Pfullingen. Die Jungfrau erzählte schöne Mährchen und sang während des Spinnens liebliche Lieder. Dadurch wurde allen der Abend erheitert, allein mit dem 10ten Stundenschlag kehrte sie eiligst in den Strudel zurück.
Bald liebte sie der Sohn des Meßners, der ebenfalls den Karz besuchte, unaussprechlich, allein auch dieser vermochte sie nie [zu bewegen], länger, als bis 10 Uhr zu bleiben.
Seine Sehnsucht war so groß, daß er oft bey Tag an den Wasserfall gieng und denselben ganze Stunden anstarrte.
Das Nahen des Frühlings machte ihn noch trauriger, da mit Frühlingsanfang der Karz zu Ende gieng. Jede Minute, die er bey ihr zubrachte, war ihm daher kostbar, er sann auf eine List und glaubte sie darin gefunden zu haben, daß er die Kirchenuhr um Eine Stunde zurückrichtete. Dadurch gelang es ihm, daß sie sich erst entfernte, als es 10 Uhr schlug.
Die Echatz brauste zerstörend durchs Thal, als der Jüngling erwachte, vom nahen Ursulaberge her tönten Seufzer, aus welchem Laute wie Todesschmerzen schoßen und auf welchem ein schauriger Blutfleck schwamm. Aus Verzweiflung stürzte sich der Jüngling in den Strudel aus welchem die Jungfrau nie mehr zurückkehrte. (94)
Carl Albert Zeller hielt diese Sage für seinen Lehrer Albert Schott 1845 fest.
Der Haule im Sörgenthal
Es mögen schon sehr viele Jahre verflossen seyn, seitdem in Pfullingen ein Mezger, Namens Haule, lebte, welcher durch Leichtsinn und Verschwendung seines ziemlich grossen Vermögens so weit herabgekommen war, daß er darben mußte. Anstatt daß er nun getrachtet hätte, durch Arbeit sein Brod zu verdienen, gieng er mit mörderischen Gedanken um, und machte sich eines Tags auf den Weg in einen naheliegenden Wald, durch den ein Bauer, welcher viel Geld bei sich trug, kommen mußte, um denselben zu ermorden. Als dieser an ihm vorüber war, schlich er ihm leise nach, brachte ihm von hinten mit einem Knittel einen Hieb bei, daß er sogleich todt zu Boden stürzte und eilte dann mit diesem Geld nach Hause, welches bald aufgebraucht war. Alsbald nach dem Morde wachte in ihm sein Gewissen auf und ließ ihm keine Ruhe mehr, bis er sich in seinem Hause aufhenkte. Er hinterließ ein Weib und einige Kinder, welche durch die Noth gezwungen wurden, ihr Haus zu verkaufen. Der neue Hausbesitzer und seine ganze Familie wurde jede Nacht durch ein unheimliches Winzeln und starkes Poltern und Rasseln im Schlafe gestört, das Gesinde blieb nicht mehr und streute in der Stadt das Gerücht aus, daß es in dem Hause spucke, weil sich darin der Haule erhenkt habe. Als die Unruhe in dem Hause nicht aufhörte, sondern nur noch zunahm, ließ der Hauseigenthümer aus der Umgegend von Pfullingen einen Geisterbeschwörer komen, welcher den Geist in ein Fläschgen bannte und in eine Schlucht des Sörgenthals trug. Von jetzt an war die Ruhe in dem Hause wiederhergestellt, allein in dem Sörgenthal wurde es nach einiger Zeit um so lebhafter, obschon man niemals daselbst etwas gesehen oder gehört hatte. Es fand nemlich ein Schnitter das Fläschchen, von welchem er sogleich den Stöpsel wegthat um zu sehen, ob etwas darin enthalten sei; aber kaum war derselbe weg, so wurde plötzlich ein starkes Geräusch hörbar, und es trabte an ihm ein Mann auf einem Schimmel vorbei, welcher immer "hup hup" schrie. Sehr viele Leute wollen von der Zeit an den Reiter bei Nacht gesehen und hup hup rufen gehört haben, auch soll man, wenn man an diesem Thale vorbei komme, sehr gerne darin verirren und Ohrfeigen bekommen. (95)
Der Stuttgarter Gymnasiast Schmückle schrieb diese Geschichte 1847 nieder. Noch heute ist dieser Geist, der Haule vom Serchental, in Pfullingen bekannt, glaubt man den „Pfullinger Sagen“ von 1987. Als Übereinstimmungen sind zu registrieren: Der Haule habe einen Fremden umgebracht und reite meist auf einem Schimmel. Die anderen Motive aus Schmückles Version sind nicht mehr bekannt, andere sind an ihre Stelle getreten. Im Pfullinger Konferenzaufsatz des Schullehrers Schäf (1900) heißt es zu dieser Sagengestalt:
Vor wenigen Monaten starb hier eine Frau, die nicht nur fest an ihn glaubte, sondern ihn auch öfters gesehen hatte.Einmal fuhr sie mit anderen bei Nacht auf einem Leiterwagen von einer Hochzeit in Gönningen her. Im „Serchenthal“ sah sie den Haule, wie er sich mit einer Hand am hinteren Ende des Wagens hielt und diesem nachlief, während er in der anderen Hand seinen Kopf trug. Ein andermal wollte dieselbe Frau, vom Heuen auf den Holzwiesen ermüdet, ein Mittagsschläfchen machen. Der Haule ließ sie aber nicht dazu kommen und störte sie immer wieder durch Zupfen an ihrem Kleide. Von da an ging die Frau nie mehr in jene Gegend.
Weißes Schwein geht um
In mehren Gassen von Pfullingen läuft um Weihnachten ein kleines weißes Schweinchen um. Es begegnet namentlich solchen, die auf verbotenen Wegen gehen. So wollte einmal ein Bursch zu einem Mädchen durchs Fenster steigen; allein das Schwein litt es nicht. Ebenso gieng es ihm am folgenden Abend. Schon oft hat man versucht, es zu fangen, hat es umstellt und eingeschloßen; aber es verschwand jedesmal den Leuten unter den Händen. (96)
Von den gespenstischen „Dorftieren“ wusste man in allen Gegenden Deutschlands zu erzählen. Im Pfullinger Konferenzaufsatz von 1900 liest man:
Vom 1. Advent bis zum Erscheinungsfest läßt sich bei Nacht in den Straßen, namentlich in der Heergasse ein "Säule" sehen, dessen ganze Thätigkeit im Umherspringen besteht. Am häufigsten ist`s um 12 Uhr zu sehen. Auch auf dem Kunstmühleweg (5 Min. vor der Stadt) soll es zu sehen sein.
Geist bringt Radfahrer zu Fall
An der Arbachbrücke (zwischen hier und Reutlingen) soll ebenfalls ein Geist zu sehen sein, der es als fortschrittlicher Geist auf die Radfahrer abgesehen hat, die er zu Fall bringt, indem er ihnen die Luft aus den Reifen zieht. (97)
So der Konferenzaufsatz von 1900, aus dem auch der nächste Text stammt.
Kröte in der Pfarrkirche
Im Jahr 1889 wurde die hiesige Kirche umgebaut. Als man den Staffeltritt im Chor wegnahm, sei eine große Kröte darunter gewesen, die dann in den benachbarten Hirschgarten hüpfte. (98)
Im Mondschein soll man nicht arbeiten
In Pfullingen spann einmal eine Frau noch um Mitternacht bei Mondschein, um Oel zu sparen. Da trat ein nackter Mann herein und bot ihr den Hintern hin und sagte, daß sie ihn kratzen solle, was sie in der Angst denn auch that. Darauf gieng er fort. Die Frau begab sich dann zu Bett und erzählte noch ihrem Manne die Geschichte. In der folgenden Nacht blieb der Mann auf, um zu sehen, was geschehen würde, und hechelte Flachs beim Mondschein. Da erschien wieder der nackte Mann; als er aber seinen Hintern herhielt, um sich kratzen zu laßen, da nahm der Andere die Hechel in die Hand und kratzte ihn damit recht ordentlich, worauf der nackte Mann fortgegangen und nicht wieder gekommen ist. (99)
Die Glockenhöhle
Ganz in der Nähe desselben Weilers [Breitenbach] befand sich ehedem die Glockenhöhle, darin es, wenn einer redet, wie eine Glocke klingt. Sie findet sich nimmer, wie sorgfältig ich auch gesucht habe. (100)
Am 20. Juni 1834 schrieb Ludwig Uhland sein Gedicht „Die Glockenhöhle“ nieder. Inspiriert wurde er von dieser Passage aus der Pfarrbeschreibung seines Schwagers Meyer. In einer Beschreibung des Blauhofs von 1572 wird ein Markstein genannt, „so in die Klingen- und Glockenhöhle hinabsteht“.
Sage vom Mägdleinsfelsen
Die Sage vom Mägdleinsfels ist dieselbe, die sich in allen Gebirgen Deutschlands bei ähnlichen Felsenvorsprüngen wiederholt: es ist die der Riesentrappe, des Jungfernsprungs und andrer Stellen: Ein Jäger, der ein schönes Mägdlein verfolgt, und sie auf die Spitze des Felsen treibt, wo sie nicht weiter kann. Sie stürzt sich betend hinab; aber sie wird von unsichtbaren Händen getragen, und ihr wiederfährt kein Leid, Der Jäger springt ihr nach, und findet in der Tiefe zerschmettert seinen Tod. (101)
So Gustav Schwab 1823. Er kannte diese Überlieferung bereits 1816. Ernst Meier ergänzte 1852, man sage auch, diese Jungfrau sei eins von den Nachtfräulein des Urschelberges gewesen. Der „Mädchenstein“ erscheint 1521 als „Metlinstein“.
Eningen unter Achalm
Ursprung des Namens Achalm
Die von mir poetisch bearbeitete Sage vom Ursprung des Namens der Burg Achalm (s. Morgenbl. März 1815), wo ich nur aus Versehen einen Pfeilschuß statt des sagengemässen Schwertstosses (den Uhland in seinem Eberhard dem Greiner s. dessen Gedichte beibehalten) gesetzt habe, wird auch anders und prosaischer so erzählt: Ein Kaiser habe den hohen und steilen Berg bestiegen, und unterwegens in der Ermattung ausrufen wollen: ach allmächtiger Gott! Wobei ihm der Athem ausgegangen, und er nur Ach allm- hervorgebracht.
Derselbe spitze und isolierte Berg auf dem die Ruinen von Achalm stehen, soll zu seinem Fusse unter der Erde mit einer goldenen Kette umflochten seyn; weswegen die Bauern da schon öfters Schatzgräbereien angestellt. (102)
Dies teilte Gustav Schwab Wilhelm Grimm im Rahmen einer kleinen Sagensammlung am 20. Oktober 1816 mit. Er hatte die Texte überwiegend aus der Beschreibung Württembergs von Johann Martin Rebstock (1699) exzerpiert.
Gespenster und umgehende Tote
Die Lage Eningens am Fuße der Alb, wo die Sagen „reicher fließen“ (Oberamtsbeschreibung von Reutlingen von 1893, Seite 152), und die kühngeformten Berge der prächtigen Umgebung schon von alten Zeiten her mächtig auf das Gemüt und die Phantasie eingewirkt haben, sowie das lebhafte und bewegte Naturell der Eninger, das sich für Neues leicht, wenn auch nicht gerade nachhaltig tief erregen läßt, endlich der Umstand, daß viele Kauf- und Handelsleute („Eninger Krämer“) fast in allen Städten und Dörfern des In- und Auslandes verkehrten - diese drei Punkte bringen es mit sich, daß an volkstümlichen Überlieferungen auf allen Gebieten Vieles sich hier findet. Aber unsere materialistische, verstandeskalte Zeit drängt das Alte, das Überlieferte, besonders aber den alten Aberglauben mit der früher so beliebten Sage mehr und mehr in den Winkel oder in den Kreis weniger Freunde, Nachbarn oder Familien.
Und auch hier will das junge Geschlecht von Vielem nichts mehr wissen; das "dumme" Alte wird erzählt, um ein mitleidiges Lächeln über die vielgläubigen Ahnen anbringen zu können - wenigstens ist das so in größerer Gesellschaft, im Wirtshaus. So ein Aufgeklärter bringt es mitunter aber doch trotzdem fertig, bei Unannehmlichkeiten mancher Art, bei Krankheit oder bei der gefürchteten Aushebung zum Militär „zu jemand zu gehen“, um sich mit Sprüchen, Amuletten und anderen Mitteln feien zu lassen. Traurig, aber leider wahr!
Will der Sammler reichere Kunde und gläubigere Anhänger alter Überlieferungen finden, so muß er sich an ein altes Mütterlein oder einen ergrauten Vertreter vergangener Tage wenden; man darf dabei aber ja nicht glauben, alles aus den Leuten herausbringen zu können; mit einem kurzen "das sag ich nicht!" oder "ich kann es nicht sagen!" werden die schönsten Geheimnisse zu einem Privatbesitz weniger Eingeweihter gemacht. "So lebt vieles unter der Oberfläche unvermerkt fort", und der Sammler muß nicht selten die betrübende Wahrnehmung machen, einen alten Schatz zwar nach seinem Vorhandensein zu kennen, ihn aber nicht heben und der Vergessenheit entziehen zu können. [...]
Ein "feuriger Reiter" ohne Kopf ergeht sich unter der Achalm am Hag; aber nicht alle Leute sehen ihn. Ein schwarzer "gottsträflicher" Pudel zeigt sich bisweilen auf dem Fußweg von Eningen nach Pfullingen (sog. Boll); das Gespenst nimmt seinen Weg dem Ursulaberg zu und hat auch einmal einen, der nachts von der Mühle heimkehrte, auf Irrwegen diesem Berge zugeführt. Ganz gefährlich steht es um die Leute, die nachts von einer Bösen (Hexe ?) ohne Kopf besucht werden. Geräuschlos schleicht sie daher; am andern Morgen ist alles Vieh losgebunden; ja einmal hat die Böse sogar einen Mann im Arrest aufgesucht und ihn weidlich durchgeprügelt.
Irrlichter giebt es an verschiedenen Orten, so im sog. Banget, am Weistenberg, Katzenbuckel. Auf dem Kirchhof zeigt sich ein Licht, das nahe kommt, so bald man etwas vom Boden aufhebt. Auch in der Eninger Kirche soll es nicht ganz geheuer sein. Man habe sogar vor nicht zu langer Zeit während der Sonntagskinderlehre einen früheren Geistlichen zum Altar gehen sehen, so daß viele Mädchen in Ohnmacht gesunken seien und der Geistliche das Amen habe sprechen müssen. Aus vielen Äußerungen hiesiger Bewohner kann geschlossen werden, daß das "Volk" zwischen dem rechen Glauben (Kirchenglauben) und den Gespenstern, den Irrlichtern, den Spukgeister, dem wilden Heer u.a. insofern einen Zusammenhang herstellt, als ein gläubig-frommer Sinn vor allen bösen Einflüssen bewahrt. So äußerte sich ein Bewohner: "Ich glaube ja nicht viel und will auch nicht zu den Frommen gehören; aber wenn ich des Morgens aufstehe, so sage ich: "Das walte Gott". Ich mag dann hingehen, wo ich will, so fürchte ich mich nicht; auch beim Gewitter denke ich, du hast den Tag mit Gebet angefangen und auch sonst nichts besonderes Böses gethan, deswegen wird es dir auch nicht schaden." Wie überall ist ferner die Ansicht verbreitet, daß, wer Marksteine versetzt, Opfer stiehlt, sich in den unrechten Besitz von Häusern und Äckern setzt, geisten d.h. umgehen muß. Nur (wenig) Jahre zurück hat es in einem hiesigen Hause ganz gewaltig gespukt, so daß alle Nachbarn und, wie erzählt wurde, der Geistliche in das betreffende Haus gerufen wurde. Eine Nachtwache, gebildet aus dem Landjäger und einem hiesigen Bäcker und Gemeinderat, letzterer seinen Mut in Gestalt einer Flasche Rotwein mit sich führend, hörte auf das ängstliche Schreien und Jammern der Hausfrau und Kinder hin wirklich ein "starkes 3maliges Klopfen." Aber "was" und "wer" es sei, weiß man bis heute noch nicht. (103)
Die Überlieferungen zeichnete Schullehrer G. Krieg in seinem Konferenzaufsatz im Jahr 1900 auf.
Genkingen
Der Geist in der Esche
Bei Genkingen auf der Alb steht an dem Wege, der nach Pfullingen führt, eine alte hohle Esche, darin wohnt ein Geist, der die vorübergehenden Menschen erschreckt, sie anhält und mit in die Esche zu nehmen sucht. Deshalb wagt es Niemand, selbst nicht bei Regenwetter, sich in den hohlen Baum hineinzustellen. Diesen Geist will man sogar schon gesehen haben. Er soll eine rothe Weste, schwarze Hosen und weiße Strümpfe tragen. (104)
Belsen
Die Belsener Kapelle
Die Volkssage von Belsen erklärt diese Kirche, die seit undenklicher Zeit zum Gottesdienst der Gemeinde eingerichtet ist, für einen heidnischen Bels- oder Baalstempel, von dem sie auch den Namen Belsen ableitet, setzt den Farrenberg, wohl auch den Roßberg damit in Verbindung, indem sie erzählt, daß auf diesen Höhen das heilige Opfervieh geweidet wurde, und zeigt noch im Innern der Capelle den Stein, an welchen die Opfer gebunden wurden. (105)
Die von Gustav Schwab in seinem Albführer 1823 als „Volkssage“ bezeichnete Deutung der rätselhaften romanischen Bildwerke der Belsener Kapelle ist natürlich eher eine Sage der Gebildeten, denen der antike Baals-Kult geläufig war. Bereits im 18. Jahrhundert haben sich Altertumsforscher an Interpretationen der Plastiken versucht. In einem kritischen Exkurs setzte sich Schwab mit den gelehrten Phantasien auseinander. Er stellte fest, dass auch die „Volkstradition“ die Baals-Deutung bevorzuge, bemerkte dann aber durchaus einsichtsvoll:
Doch möchte sie dorthin erst durch die gelehrte Welt, durch Pfarrer oder Schulmeister gekommen seyn.
Dem Pfarrer die Predigt aus dem Kopf nehmen
Der Hexen- und Geisterglauben wurzelt in Belsen im fruchtbarsten Boden; denn wo einst Götter verehrt wurden, treiben Geister und Hexen ihr Wesen. Ganze Familien sind im Verdacht, Hexerei zu treiben. Von weit her werden die Hexenmeister besucht um Unholde zu bannen. In der Schlucht zwischen dem Farren- und Heuberge ist es nicht geheuer und gefährlich den Weg des Nachts zu gehen. Hier begegnet man Hexen und Kobolden und zuweilen einem Manne, der kein Herz, an dessen Statt aber ein Licht hat und den Kopf unter dem Arm trägt. Es ist diess eine merkwürdige Identifizirung Wuodans und Frô's für eine Stelle, wo ganz in der Nähe ein Licht- oder Sonnen-Kultus bestanden hat.
Wenn der Redefluss des Geistlichen, welcher in der Kapelle zu predigen hat ins Stocken gerathet. so sind die Leute fest überzeugt, dass die Jungfrau, welche von der Ruine Andeck herkommt ihm auf seinem Gang zur Kirche begegnet ist. Mehr noch als diese Begegnung ist die Sage verbreitet, dass noch ein Heide in der Kapelle sei, welcher dem Pfarrer die Predigt aus dem Kopf nehme. (106)
Theophil Rupps Buch „Aus der Vorzeit Reutlingens und seiner Umgebung“ (1864) ist einer der zahlreichen Versuche, mythologische Kombinationen auf heimatliche Namen und Überlieferungen anzuwenden. Selbstverständlich durfte darin ein Kapitel über die Belsener Kapelle nicht fehlen.
Unterhausen
Gang unter der Echaz
Unterhausen gegenüber, auf der rechten Thalseite, ragt das sogenannte Burgholz mit einem vorspringenden Felsen hervor, welcher der Burgerstein, Burgstein genannt wird, und nach Crusius einst eine Greifensteinische Burg trug. Unter demselben bemerkt man noch ein gemauertes Gewölbe, das tief in den Berg hineinführt, und der Sage nach mit einem, unter der Echaz durchgehenden unterirdischen Gang zusammenhängt. (107)
Unterirdische Gänge werden von den Leuten auch da vermutet, wo sie eigentlich unmöglich sind. Wenn alle diese Geschichten wahr wären, wäre ganz Deutschland von einem riesigen Höhlensystem durchlöchert. Man darf annehmen, dass es sich um dasjenige traditionelle Sagen-Motiv handelt, das heute noch am weitesten mündlich verbreitet ist.
Lichtenstein
Herzog Ulrichs Zuflucht
Gewiß ist aus diesem Wenigen schon ersichtlich, wie der Lichtenstein eigentlich der Glanzpunkt der Alppartie ist, die wir von Reutlingen aus angetreten haben; allein welchem Württemberger und Schwaben würde nicht, wenn er den Namen „Lichtenstein“ hört, unwillkürlich auch das Wort „Nebelhöhle“ oder „Nebelloch“, wie man es früher hieß, auf die Zunge kommen? Beide sind ja in der württembergischen Volkssage unzertrennlich, laut welcher Herzog Ulrich, als er sich von dem schwäbischen Bunde flüchtig im Lande herumtrieb, in der Nebelhöhle eine sichere Zuflucht gefunden habe und allda von dem nahem Lichtenstein aus mit Speise und Trank versehen worden sei! (108)
Wie hier Theodor Griesinger 1866 wusste schon Wilhelm Zimmermann 1836 von einer angeblichen „Volkssage“ vom Aufenthalt Ulrichs in der Nebelhöhle. Diese Überlieferung geht aber ganz auf den 1826 erschienenen Erfolgsroman „Lichtenstein“ von Wilhelm Hauff zurück. Dieses Buch war auch der Grund für die Erbauung des historistischen „Märchenschlosses“ Lichtenstein um 1840.
Während der Nebelhöhlen-Aufenthalt von Hauff erfunden wurde, gab es eine ältere Tradition über Herzog Ulrich und Schloss Lichtenstein. Schwabs Albbeschreibung, eine Quelle Hauffs, zitierte die Beschreibung des Schlosses Lichtenstein bei Martin Crusius am Ende des 16. Jahrhunderts. Diese lautet in der Übersetzung von Johann Jakob Moser:
Einen Stuck-Schuß weit von Holzelfingen, gegen Mittag sieht man das Schloß Lichtenstein, welches nicht groß ist und auf einem Felsen ligt, so daß die untere Zimmer in den Felsen gehauen sind. Dieses hat, wie man sagt, eine alte Edel-Frau erbauet; man weißt aber nicht, wer sie gewesen und zu welcher Zeit sie gelebt. Doch ist von alten Leuthen erzehlt worden, daß sie, da der Bau zu Ende war, gesagt habe: Nun bin ich GOttes Freundin, aber der gantzen Welt Feindin. Denn sie glaubte, sie sey nun wieder jedermann in demselben sicher. [...] Im obern Stockwerck ist eine überaus schöne Stuben oder Saal, rings herum mit Fenstern, aus welchen man biß an den Asperg sehen kan: Darinn hat der vertriebene Fürst, Ulrich von Würtemberg, öffters gewohnt, der des Nachts vor das Schloß kam, und nur sagte: Der Mann ist da; so wurde er eingelassen.
NACHWEISE
Zu den Abkürzungen:
http://archiv.twoday.net/stories/5401895/
(85) Schwab S. 73. Vgl. Graf, Schwabensagen; Wilhelm Kinkelin, Das Pfullinger Heimatbuch, 1956, S. 559. Deutung der Marktbrunnendarstellungen: Martin Fink/Ina Brandmaier, Pfullinger Sagen, 1987, S. 7f.
(86) Alexander Patuzzi, Schwäbische Sagen-Kronik, 1844, S. 30f. Vgl. Wilhelm Zimmermann, Gedichte, 1832, S. 170-173 (in der 2. Aufl. 1839, S. 245-249 ohne Ortsbezug unter dem Titel „Der verzauberte Schatz. Volkssage“); Birlinger II, S. 263: Mündlich.
(87) Haderthauer S. 139f. nach Schott II, Bl. 117-119v: Schmückle IX. 1847.
(88) Schwab S. 72f.
(89) Pfarrbeschreibung von Dietrich Friedrich Wilhelm Meyer (1828), Stadtarchiv Pfullingen B 1123, S. 40-43 (Ü). Vgl. Hermann Taigel, in: Pfullingen einst und jetzt, 1982, S. 110-113 (dort leicht gekürzt). Herrn Taigel danke ich auch hier für Unterstützung.
(90) Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, 1853, S. 751f. Vgl. Meier S. 3-18.
(91) Haderthauer S. 138 nach Schott II, Bl. 112-112v: Schmückle VIII. 1846.
(92) Schott II, Bl. 108-110: Wanser VIII. 1847; Karl Bohnenberger, Volkstümliche Überlieferungen in Württemberg, 1980, S. 5 = Württembergische Jahrbücher 1904 I, S. 95. Vgl. Meier S. 3f.
(93) Schott II, Bl. 125-125v: Martens VIII. 1847. Ursenberg: Martin Fink/Ina Brandmaier, Pfullinger Sagen, 1987, S. 17.
(94) Haderthauer S. 148 nach Schott II, Bl. 145-145v: Carl Albert Zeller 26.12.1845.
(95) Haderthauer S. 140f. nach Schott II, Bl. 123-124v: Schmückle IX. 1847. Vgl. Martin Fink/Ina Brandmaier, Pfullinger Sagen, 1987, S. 49; KA Pfullingen; OAB Reutlingen, 1893, S. 159.
(96) Meier S. 224f.: Mündlich aus Pfullingen (Ü); KA Pfullingen. Vgl. HDA 2 (1930), Sp. 352-357.
(97) KA (Ü).
(98) KA (Ü).
(99) Meier S. 234f.: Mündlich aus Pfullingen.
(100) Paul Schwarz, Ludwig Uhlands Beziehungen zu Pfullingen, in: BllSAV 86 (1980), S. 115 nach der Pfarrbeschreibung Meyers (Ü). Vgl. Meier S. 345.
(101) Schwab S. 74. Vgl. Haderthauer S. 35; Meier S. 288f.; Martin Fink/Ina Brandmaier, Pfullinger Sagen, 1987, S. 19.
(102) Haderthauer S. 34 nach Staatsbibliothek Berlin, Nachl. Grimm 688 (Ü). Vgl. Schwab S. 79f.; Meier S. 344.
(103) KA (Ü).
(104) Meier S. 251: Mündlich aus Genkingen.
(105) Schwab S. 51, 300. Vgl. Meier S. 296-298.
(106) Theophil Rupp, Aus der Vorzeit Reutlingens und seiner Umgebung, 1864, S. 42f. (Ü)
(107) OAB Reutlingen, 1824, S. 127 (Ü). Vgl. Graf, Stuttgart, S. 18; Keith Thomas, Vergangenheit, Zukunft, Lebensalter, 1988, S. 37 (für England).
(108) Theodor Griesinger, Württemberg. Nach seiner Vergangenheit und Gegenwart in Land und Leuten, 1866, S. 169 (Ü); Martin Crusius, Schwäbische Chronick, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1733, S. 426. Vgl. Max Schuster, Der geschichtliche Kern von Hauffs Lichtenstein, 1904, S. 9, 18-30; Hans Binder, Ein Fürst und ein Dichter begründen den Ruhm der Nebelhöhle, in: Abhandlungen zur Karst- und Höhlenkunde, Reihe A Heft 4,1969, S. 33-55, hier S. 47-51. Zum Schloss vgl. Barbara Potthast, Der Lichtenstein – ein Sehnsuchtsort des 19. Jahrhunderts, in: Kurzer Aufenthalt, 2007, S. 197-201.
Urschel-Wandgemälde Wilhelm-Blos-Straße 2, Pfullingen
Archivversion dieses Eintrags:
http://www.webcitation.org/66SlMnkR9
Mehr zum Buch und weitere Auszüge:
http://archiv.twoday.net/stories/5401895/
Zu den Pfullinger Sagen ist künftig auch mein im Manuskript abgeschlossener Beitrag "Urschel, Nachtfräulein und andere Gespenster Überlieferungen und Sagen in Reutlingen und Pfullingen" (erscheint in: Reutlinger Geschichtsblätter) einschlägig.
Weitergeführt werden dort die Überlegungen in meinen "Schwabensagen" von 2007:
http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/3459/
Zu den Texten siehe auch die Nachweise von Digitalisaten:
http://de.wikisource.org/wiki/Pfullingen
***
Pfullingen
Andres Mährchen
Wiederum erzählt die Sage, der Ursulenberg sey nur des Tages ein Berg, des Nachts aber eine Höhle, in der ein weiblicher Geist bei unendlichen Schätzen auf Erlösung harre. Einst habe ein Bürger von Pfullingen sich zu diesem Versuche entschlossen, und sey in der Nacht nach der Höhle gegangen. Dort erschien ihm der Geist in Gestalt einer Nonne, und lud ihn ein, mit ihm drei Nächte hintereinander zu speisen, ohne sich zu fürchten, und ohne einen Laut von sich zu geben. Dann werde der Geist erlöst seyn, der Mann aber den ungeheuren Schatz erheben. Die erste Nacht erschien der Geist in seiner gewöhnlichen Gestalt als Nonne; der Bürger schmauste ohne Furcht und Rede bei ihm. In der zweiten Nacht erschien aber statt der Nonne eine gräßliche Schlange vor dem wohlbesetzten Tisch, bäumte sich schwellend, und leckte zischend von dem Speisen. Der Mann überwand sein Grausen, und unterdrückte den Schrei des Entsetzens, der über seine Lippe wollte; des Morgens kehrte er zur Stadt und in sein Haus zurück. Als aber die dritte Nacht heran kam, die das Abentheuer enden sollte, da fand man ihn todt auf seinem Lager: der Schrecken der zweiten hatte ihn umgebracht. (85)
Niemand weiss, warum ausgerechnet Pfullingen, am Fuß der Alb gelegen, den reichsten Sagenbestand Schwabens aufweist. Am frühesten greifbar ist die Geschichte von der gescheiterten Erlösung der alten Urschel in diesem Text, der Gustav Schwabs Albführer 1823 entnommen ist. 1828 gab Pfarrer Friedrich Meyer Sagen in seiner handschriftlichen Pfarrbeschreibung wieder. Ernst Meier eröffnete mit 14 Pfullinger Sagen seine 1852 gedruckte Sammlung schwäbischer Sagen. Nicht weniger als zwölf Texte schrieben Schüler des Stuttgarter Gymnasiallehrers Albert Schott 1845/1847 auf. Einige sind hier erstmals ediert.
Der schwäbische Literat Hermann Kurz (1813-1873) arbeitete die Erlösungsgeschichte vom Urschelberg in seinen historischen Roman „Schiller's Heimatjahre“ (Stuttgart 1843) ein und hat dadurch wohl spätere Sagenversionen beeinflusst. Dank der gedruckten Fassungen kam es zu einem Austausch zwischen lebendiger mündlicher Überlieferung und schriftlicher Fixierung. Die Sagen kursierten in Pfullingen in unterschiedlichen Versionen. Der Heimatbuchautor Wilhelm Kinkelin beobachtete, dass „in bestimmten Familien die Sagen in einer bestimmten besonderen Weise erzählt werden. Mein Vater wußte alles so wie meine Mutter dem Inhalt nach genau, und doch immer wieder ein bißchen anders“.
Ernst Meier deutete die alte Urschel mythologisch, und über seine Sammlung ging sie in die internationale volkskundliche Literatur ein. In Pfullingen ist sie bis heute populär. Auf dem Pfullinger Marktbrunnen aus den 1950er Jahren ist sie mit anderen Sagengestalten dargestellt. 1999 gründete sich ein Narrenverein „Die Uschlaberghexa“.
Der Ursulaberg
In Pfullingen lebte vor vielen Jahren ein armer Taglöhner, der in der schweren Zeit außer Stand gesetzt war, sich, sein Weib und sein Kind zu ernähren, so daß sie oft bitteren Hunger leiden mußten. In einer Nacht, als seine Lieben schon lange neben ihm schliefen, wachte er noch kummervoll uund dachte daran, wie er sein trauriges Loos ändern könnte. Aber nirgend zeigte sich ihm ein Ausweg, und er war der Verzweiflung nahe. Von Sorgen erschöpft und halb betäubt, schlief er ein. Im Traume aber sah er den Ursulaberg vor sich, sah wie ein enger Spalt an demselben immer weiter wurde, und endlich als weites Gewölbe vor seinen Augen stand, die von dem angehäuften Golde und den Edelsteinen, von den reichen Schmucksachen, welche die Wände zierten, ganz geblendet waren. Unruhig erwachte er und theilte seinem Weibe den Vorsatz mit, in der nächsten Nacht den Berg zu besuchen, vielleicht, daß das Glück ihm mit einem Male günstig sei. Umsonst bat ihn sein Weib, das Vertrauen auf Gott nicht fahren zu lassen, wie dieser am besten wisse, was dem Menschen nütze.
In der kommenden Nacht ging der Arme hin, fand den Spalt, der sich auch öffnete, wie die nahe Thurmuhr anzeigte, daß es Mitternacht sei. Wie er es im Traume gesehen, so stand das Gewölbe vor seinen Blicken, nur daß sich in demselben noch eine Jungfrau von wunderbarer Schönheit befand, die ihn zu einer reichbesetzten Tafel führte, und ihn köstlich bewirthete. Als das Mahl geendet war, ergriff sie eine Laute und sang Lieder voller Liebesklage und Liebessehnsucht, ohne daß sie den Armen verführen wollte, der treu an seinem Weibe hing, und endlich die Jungfrau bat, daß sie ihm erlauben möge, etwas von den herrlichen Speisen nach Hause nehmen zu dürfen. Die Jungfrau aber füllte alle seine Taschen, so viel sie nur fassen konnten, mit Gold und Edelsteinen, worauf sie ihn an den Ausgang des Gewölbes führte. Die Morgensonne war eben im Aufgehen, und der Arme glaubte geträumt zu haben, als er umsah und keine Spur einer Oeffnung in dem Berge gewahr wurde. Aber die Schätze, welche ihn belasteten, überzeugten ihn von der Wirklichkeit des Erlebten. Voll Freude eilte er nach Hause, und sein Weib fiel auf die Kniee betend nieder, denn jetzt waren sie plötzlich reich geworden. Aber, wie leider der Besitz so häufig die Begierde nach Mehrbesitz erzeugt, und immer heftiger steigert, so geschah es auch hier. Der dem Hungertod so nah Gewesene konnte eines Reichthums nicht froh werden; beständig sah er die Schätze, welche in der Höhle zurückgeblieben, und dachte nur daran, sie auch zu erhalten und war entschlossen, sie mit Gewalt an sich zu reißen, wenn sie die Jungfrau nicht freiwillig hergeben würde.
Um diese zu zwingen, ging er mit einem Dolche bewaffnet in der kommenden Nacht zur Höhle, die er ganz so reich geschmückt fand, wie früher, nur daß an der Stelle der Schönen ein gräßlicher Drache lag, der ihn aus dem Gewölbe jagte und ihn den ganzen Berg hinab mit Gebrüll verfolgte.
Der Habgierige erreichte zwar unbeschädigt seine Wohnung, aber schon am nächsten Tage starb er an den Folgen des erlittenen Schreckens. (86)
Alexander Patuzzi bearbeitete in seiner Schwäbischen Sagen-Kronik (1844) offenkundig ein 1832 erschienenes sozialkritisches Gedicht des späteren Bauernkrieghistorikers Wilhelm Zimmermann (1807-1878): „Der Ursulenberg bei Pfullingen“. Patuzzi hat aber Zimmermanns Erlösungs-Motiv weggelassen: Im Gedicht erhält der Arme keine Schätze, er muss am nächsten Tag wiederkehren, um die Maid zu erlösen und lässt sich von dem Drachen verjagen.
Der Dreieichenweg auf dem Ursulaberg
Ein Bauer von Pfullingen, Namens Jakob Hättler, fuhr öfters mit einem Wagen in den Wald auf dem Ursulaberge, um dort Holz zu holen und durfte, während andere Bauern beim Herabfahren alle vier Räder an ihren Wagen sperren mußten, nie an seinen Wagen einen Radschu anlegen, weil ihm diß Geschäft jedesmal von einer Frau besorgt wurde. Eines Tags nun fuhr der Bauer, wie gewöhnlich, wieder in den Wald, verspätete sich aber, weil ihm ein böser Geist am Wagen etwas zerbrochen hatte, bis in die tiefe Nacht hinein, so daß er erst gegen 12 Uhr von demselben wieder abfahren konnte. Kaum hatte er einen kleinen Theil seines Wegs zurückgelegt, als es 12 schlug und plötzlich eine reichgekleidete Frau vor ihm stand, welche sich ihm als die Ursula, die in diesem Berge hause, zu erkennen gab und zu ihm sagte, daß nur er sie erlösen könnte. Nachdem sie ihn mit den zu der Erlösung nötigen Verhaltungsmaaßregeln näher bekannt gemacht hatte, zeigte sie ihm eine Öffnung, welche in den Berg hinein gieng, und gab ihm dann ein Schwert, ein Scepter und ein Kraut in die Hände. Hierauf stieg der Bauer in den Berg hinunter u. stieß dann bald auf eine Thüre, welche durch die Berührung mit seinem Kraute sogleich aufflog. Hier kam ein großer schwarzer Pudel mit feurigen Augen und mit einem langen Messer in der Pfote auf ihn zugesprungen, welcher sobald jener mit der Linken sein Scepter diesem entgegenhielt, ruhig stehen blieb, und sich durch des Bauern Schwert tödten ließ. Damit war es aber noch nicht genug, sondern er hatte noch zwei Ungeheuer, nemlich einen grimigen Löwen und eine furchtbar große Schlange umzubringen, was ihm zwar auch gelang, aber doch viel mehr Mühe kostete als die erste That. Sofort trat er noch durch eine zweite von ihm geöffnete Thüre, in einen äußerst prächtigen, mit Kostbarkeiten aller Art und einer Menge Goldes angefüllten Saal, wo er dann theils durch die glückliche Vollbringung freudetrunken, theils durch die Masse Kostbarkeiten geblendet, leider nicht mehr der Ursula gedachte, welche ihn vorher gewarnt hatte, nicht lange unter einer Thüre zu verweilen und nicht mehr von den Kostbarkeiten zu nehmen, als er zum Berge hinaustragen könne, sondern so viel mitnahm, daß er schon an der letzten Thüre Etwas von seinem Golde fallen ließ. Dadurch, daß er noch unter der Thüre stehen blieb und daß die Thüre plötzlich zuknarrte, hatte er das Unglück, um beide Fersen zu kommen. Auf der Oberfläche des Berges angekommen, erschien ihm wieder mit bleichem und von Jammer verzerrtem Aussehen die Ursula mit 3 Eicheln, u. sagte ihm, indem sie diese fallen ließ, sie müße von jetzt an so lange in dem Berge herumschweben, bis diese 3 Eicheln zu 3 vollständigen Eichen emporgewachsen und dann wieder abgestorben seien. Nach diesen Worten verschwand sie wieder und der Bauer fuhr vollends mit seinem Wagen, den er noch angetroffen hatte, nach Hause, starb aber bald darauf. Es stehen nun wirklich 3 Eichen auf dem Ursulaberge, von welchen die Sage geht, daß sie in Folge von der Nichterlösung der Ursula entstanden seien. (87)
In der Fassung der Erlösungs-Geschichte des Stuttgarter Gymnasiasten Schmückle (1847) sind die magischen Hilfsmittel des Bauern vermutlich dem Motivbestand der Märchen entnommen.
Die Feien des Ursulenberges
Wenn die Nebel Schleier weben.
Um Gebirg und Flur,
Regt in der Natur
Sich ein anderes Leben.
Aus den Blumen, die sich neigen
In der Erde Kluft
Vor des Winters Luft,
Ihre Seelen steigen.
Anzuschaun wie zarte Weiber
Schweben sie heraus
Aus des Berges Haus,
Jungfräuliche Leiber.
Mit dem Blau der Genziane,
Mit der Lilie Glanz,
Mit des Rosenbrands
Gluthen angethane.
Flattern, wenn sie Lichter sehen,
In die Hüten, wo
Spinnerinnen froh
Seidne Fäden drehen.
Setzen an der Mägde Kunkel,
Luft’ge Gäste, sich,
Spinnen emsiglich
Durch der Nächte Dunkel
Und von ihren Lippen wallen
Worte leicht und leis,
Goldner Sagen Preis,
Die behagen Allen.
Von des Berges tiefen Spalten,
Wo in ew’ger Nacht
In dem kühlen Schacht
Blumen Hochzeit halten.
Von der Erdengeister Treiben,
Fürstlichem Geschlecht,
Und von Gnom und Knecht,
Und von Wasserweiben.
Und die Spindel rollet Allen
Lustig durch die Hand,
Bis daß an der Wand
Morgenlichter wallen.
Da entschlüpfen schnell die Frauen:
An des Bergs Gestein
Sind die seel’gen Fei’n
Nebeln gleich zu schauen.
Doch der Flachs ist abgesponnen,
Und die Spindel ruht,
Und ein zehnfach Gut
Jede hat gewonnen. (88)
Autor dieses Gedichtes ist Gustav Schwab, der es im Taschenbuch „Urania“ auf das Jahr 1823 veröffentlichte und es später auch in seine „Neckarseite der Schwäbischen Alb“ (1823) aufnahm.
Die Nachtfräulein und die alte Urschel
Noch bey zwey erst vor wenigen Jahren verstorbenen Frauen, ins Keßlers Haus auf Wiel, und beym Wielweber, fanden sich regelmäßig an jedem stillen Winterabende zwey Nachtfräulein ein, kleine, zierliche, wunderschöne Gestalten, schneeweiß angethan und glänzend in Gesicht und Kleidern, wie der funkelnde Schnee. Sie spannen an der Weiber Kunkeln die feinsten Fäden hurtig und flink, gegen die Menschen schweigsam, nur unter sich zuweilen einige Worte in kindischer Aussprache wechselnd. Wenn der Morgen graute, giengen sie davon und man sah ihr Laternchen bis in die Gegend des Nachtfräuleinloches; dann war auf einmal Alles verschwunden. Der Flachs indeß war abgesponnen, wie groß die Kunkeln auch gewesen waren.
Als Ursache ihres Ausbleibens wird erzählt: der Wielweber hatte einst Fruchtmangel und klagte diese Noth seinem Weibe, als eben die Nachtfräulein da waren. Da öffnete die eine von ihnen den zierlichen Mund und bot ihm Frucht an, so viel er begehre, jedoch auf Wiedererstattung. Nur dürfe die zurük zu gebende ja nicht am Sonntag gedroschen seyn. Abends standen zwei schneeweiße Säke voll herrlicher Frucht an der Treppe, wußte Niemand, wie sie hergekommen seyn mochten. Den Ersatz des Darlehens stellte der Wielweber in denselben Säken wieder an die Treppe hin. Da blieb er Tage und Wochen unberührt stehen. Endlich kam die eine von den Nachtfräulein und bitterlich weinend jammerte sie: die Frucht sey am Sonntag gedroschen; sie könne nun nimmer zu den Menschen kommen, die sie betrogen. Sie verschwand und man hat seitdem nichts mehr von beiden gesehen. Der Segen wich mit ihnen aus dem Hause. Die Frucht war am Samstags von dem Wielweber gedroschen, und, um zu sehen, was daraus erfolgen möge, hatte er damit bis Nachts nach 12 Uhr fortgemacht.
In dieser Sage finden wir unverkennbar die freundlichen Elfen der Vorzeit, deren Erscheinen die Volkssage von einem Geschlecht zum andern bis in die nächste Vergangenheit herüberzieht. Auch die tückischen Alfe (Gnomen) fehlen nicht; nur identificirt sie die Sage mit jenen und nennt auch diese: Nachtfräulein.
In eine Grube am Ursulaberge, sie ist eben das sogenannte Nachtfräuleinsloch, wirft noch ein Jeder, der vorüber geht, einen Stein, und doch wird sie nie ausgefüllt. Wer dieses Opfer nicht bringt, dem legen die Nachtfräulein einen Stein so in den Weg, daß er darüber durchaus fallen muß, oder sie spielen ihm auf irgend eine andere Weise einen argen Streich.
Das Schloß auf dem Ursulaberge soll mit unendlichen Schäzen versunken seyn. Die Bergsage, die alte Urschel, suche noch, als Steingeist diejenigen, die bey Nacht über die Steinge gehn, zu blenden, und nach dem Ursulaberge hin zu verführen, damit sie diese Schäze haben, und damit sie gleich zu erlösen.
Eine ältere Sage erzählt: Ein junger Geselle gieng einst mit seinen Eltern auf ein Feld am Ursulaberge, um Kartoffeln zu holen. Die abgeschirrten Pferde ließen sie einstweilen weiden. Sie nachher auf dem Berge wiedersuchend, findet dort der Geselle ein neues Pferdekummet, nimmt und sezt sichs, wie es der Brauch ist, auf beyde Schultern, den Kopf zwischend durchstekend. Da sieht er augenbliks die alte Urschel vor sich stehn, im grünen Rok, mit rothen Strümpfen. Ich und noch Jemand, spricht sie, freuen uns, daß du endlich kommen bist. Wir warten hier schon Jahrhunderte auf Erlösung durch dich. Dann führt sie ihm zu Gemüthe, wie sie, mit unendlichem Sehnen, des Baumes (ein Baum zu gleicher Bestimmung soll eben jezt wieder auf dem Ursulaberge stehn und von der alten Urschel gehegt und gepflegt werden), daraus man seine Wiege gemacht, Keimen und Wachsen belauscht und betrieben und Minuten, Jahre und Jahrhunderte gezählt habe, bis er endlich gehauen ward. Sie habe ihn in dieser Wiege gepflegt und vor den Nachstellungen ihres Feindes geschirmt, und jezt sey die Zeit für ihn gekommen, dankbar dafür zu seyn und sie zu erlösen, was einzig ihm möglich sey. Sie hüte unermeßliche Schäze. (Auch auf der Achalm sollen von 2 Pudeln unendliche Reichthümer gehütet werden.) Die wolle sie alle ihm geben und einen noch tausendmal köstlichern Schaz, wenn er sie erlöse. Sie werde ihn durch einen allen andern Menschen unsichtbaren Eingang in den innern Berg führen. Dort stehe jezt das alte herrliche Schloß, das vordem auf dem Berge stand. Dort werde aber eine Schlange, furchtbar anzusehen, ihm auf das Herz losfahren. Die solle er jedoch nur herzhaft in die Arme schließen und fest an sein Herz drüken. Dann werde er das schönste Weib der Welt in seinen Armen finden. Dann sey der Fluch gelöst. Das alte Schloß werde von neuem ans Licht des Tages heraufsteigen und er mit seinem Schaz in solchem Schloße all dessen goldene Schäze theilen. Mit noch viel andern verführerischen Worten suchte sie ihn zu berüken. Er aber, als ein frommer Jüngling, betete zu Gott im Stillen: Vater Unser da war urplözlich die Urschel verschwunden. Nachher erschien sie ihm indeß noch zu verschiedenen Malen und suchte ihn mit gar beweglichen Worten dahin zu bringen, daß er ihr zu Willen seyn möchte. Er wiederstand jedoch kräftig jeder Versuchung, zumal da ihm die alte Urschel nicht einmal gestatten wollte, seine Eltern zu dem Abentheuer mitzunehmen. Sie sollten höchstens bis an den Eingang des Berges mitgehn dürfen.
Einst kam der junge Geselle mit andern Kammeraden wieder an den Ursulaberg. Auch da erschien die alte Urschel wieder und drohte ihm nun, daß es sein junges Leben gelte, wenn er nach ihrem Begehren nicht thue. Die andern aber sahen nichts und hörten nichts von ihr. Da sagt’ er es endlich ihr zu. Doch fragt er vorher noch den Geistlichen, der sein Beichtvater war, um Rath; der aber hielt dafür, daß eine einmal verfluchte Seele durchaus nicht erlöst werden dürfe. Dies führte er noch in einer Predigt, die er am nächsten Sonntag hielt, des Weitern aus, und schloß damit, das Ganze sey ein Teufelsspuk, die arme Seele dieses frommen Jünglings zu verderben. Die ältesten Leute wollen von ihren Eltern wissen, daß diese die besagte Predigt angehört haben. Nach Jahr und Tagen gieng darauf der junge Geselle mit seinen Eltern einmal wieder auf den Aker am Ursulaberg, um Kartoffeln zu holen. Sie hatten wieder ihre Pferde bey sich, von denen eines das gefundene Kummet anhatte. Da erschien ihm denn die alte Urschel, ungesehen von seinen Eltern, wieder, schalt ihn heftig aus, daß er dem Pfarrer von ihr gesagt, und fiel dann wieder in ihr altes Jammern, daß, wenn er sie nicht erlöse, sie noch Jahrhunderte zu leiden habe. So geschieht dies eben recht, gab ihr der junge Geselle zur Antwort, wer einmal verflucht ist, ist ewig verflucht. Solche Rede hörten seine Eltern und merkten daraus, daß er mit der Urschel rede, von deren Worten sie jedoch nichts vernommen hatten. Bald aber sahn sie ihre furchtbare Rache. Ihr Kind fiel plötzlich todt vor ihren Augen nieder, die alte Urschel hatte ihn erwürgt; das gefundene Kummet verschwand. – Von dieser Geschichte sollen die Aeker hinter dem Ursulaberge den Namen haben: Mordios-Aeker.
b) Auf dem Uebersberge soll ehedem oberhalb ein Schloß gestanden seyn. Noch dröhnt es dumpf und hohl aus der Erde herauf, wenn man nicht weit vom Mädchenfelsen hart auftritt. Dort sollen von dem verfallenen Schloße noch die Keller seyn. Es mögen indeß, wohl natürliche Felsenhöhlen seyn.
Mädchenfelsen oder Dorotheen-Felsen heißt die vorspringende Felsenstirn des Uebersberges. Die Sage über den Ursprung dieses Namens erzählt: eine fromme Jungfrau, von einem bösen Jäger verfolgt, kommt an die steile Felsenwand, und wagt in Gottes Namen, betend: Der Herr wird seinen Engeln über dir Befehl thun, daß sie dich auf ihren Händen tragen, den Sprung die schwindelnde Höhe hinab und wird wunderbar erhalten. Der nachspringende Verfolger zerschellt an den Felsen. (89)
Der Sagenabschnitt aus der umfangreichen handschriftlichen Pfarrchronik (1828) von Friedrich Meyer (1794-1848), seit 1820 in Pfullingen als protestantischer Geistlicher tätig, wird hier erstmals vollständig abgedruckt. Meyer war Ludwig Uhlands Schwager und ein Freund von Gustav Schwab.
Vom Urschelberg
Ueber Pfullingen erhebt sich ein Berg, der Urschelberg genannt. Wie sein Name an den Hörseelenberg (vom Volke Hörschelberg gesprochen), in Thüringen erinnert, so hat er auch an einem Abhang, der das Hörnle heißt, gleich jenem, der unter seinem, Eisenach zugestrecktem Horn eine Höhle hat, das Hörselloch - ebenfalls eine solche, die bei den Umwohnern das Nachtfräuleinsloch genannt wird.
Gleich der Frau Holle, der alten Spinnefrau im Hörseelenberge (Sage Nr. 459 und 757), wohnt die alte Urschel als Spinnerin im Urschelberge, und ist des Berges ganze Umgegend mit Sagen über sie erfüllt. Ein Theil dieser Sagen deutet darauf hin, daß die Urschel gleich andern wandernden Jungfrauen aus verwünschten oder versunkenen Schlössern (zwei Schlösser sollen auf dem Urschelberge versunken sein), auf Erlösung harre, die auf einer Eichel, deren erwachsen zum Baume, auf das fertigen einer Wiege aus diesem Baume, und auf einem darin gewiegten Sonntagskinde beruht - der hoffenden aber stets fehl geschlagen, weil der erkorene Gesell, der sie durch ein aufgefundenes Pferdekummt sichtbar geschaut, nicht Muth genug gehabt, das Werk der Erlösung zu vollführen. Nach andern war es keine Eiche, sondern eine von der Urschel selbst gepflanzte Buche, aus welcher die Wiege gefertigt wurde, und noch immer soll eine solche Buche auf dem Urschelberge stehen und von ihr gehüthet werden. Anderntheils deuten die Urschelsagen rein auf sie als Spinnefrau. Wie die Berchtha im Voigtlande ihr Gefolge hat von Heimchen, hat die Urschel eines von Nachtfräulein, nur nicht so zahlreich, meist nur auf die Dreizahl beschränkt. In deren Begleitung kam sie nach Pfullingen „auf Wiel," eine also genannte Häuserreihe, an welche die Heergasse (Sage Nr. 918) vorüberführt - leise Hindeutung auf die Urschel auch als wilde Jagdfrau - in die Lichtkarz, und spannen allda sehr fleißig. Einst machte sich aber ein Bursche den Scherz, einem der Nachtfräulein den Faden abzubrechen, und wollte nach der üblichen Sitte, indem er den Rocken nahm, diesen mit einem Kuß ausgelöst haben - das nahmen die Urschel und die Nachtfräulein sehr übel, nahmen ihre Spindeln, gingen von dannen und kamen nie wieder in dieses Haus. Von dem Hause aber wich seitdem aller Segen. Sie besuchten dagegen bisweilen andere Häuser, und spannen nicht allein für sich, sondern auch für die Frauen, die sie besuchten, und spannen deren Kunkeln ganz leer, und alle Spindeln voll, und den feinsten Faden, den es geben konnte, spannen sie, und wann sie gingen, sah man ihre schloßschleierweißen Kleider beim Schein ihres Laternchens bis nahe an das Nachtfräuleinsloch am Urschelberge leuchten. In Reutlingen heißen sie Bergfräulein, weil sie im Urschelberge wohnen, da sollen sie ihren Aus- und Eingang, wenn sie auch dorthin zum Spinnen kamen, mitten auf dem Markt gehabt haben. So ganz ledigen Standes müssen aber die Urschelbergerinnen doch nicht gelebt haben, denn es sind Sagen von in den Berg geholten Hebammen vorhanden, welche mit Strohhalmen belohnt wurden, von denen sich die in Goldstangen und Goldstücke verwandelten, die nicht verächtlich weggeworfen worden waren. (90)
Ludwig Bechstein, der vor allem durch seine Märchensammlung bekannte Thüringer Autor, arbeitete gern Parallelen in die Texte seines Deutschen Sagenbuchs von 1853 ein. Hier gibt er eine Zusammenfassung der verschiedenen Urschelberg-Sagen aus der kurz zuvor erschienenen Sammlung von Ernst Meier (1852).
Der Ursulaberg (Urschelberg) bei Pfullingen
Unweit Pfullingen ragt auf dem Alpgebirge unter andern ein ziemlich hoher Berg hervor, welcher von alter Zeit her nach der unter den dortigen Bewohnern noch gehenden Sage, seine Benennung von einer gewissen Feenkönigin, Ursula genannt, erhalten haben soll.
Diese Ursula war, nach der Aussage, keine von den bösartigen Feen, sondern im Gegentheil eine sehr wohlthätige und machte öfters unter den Leuten von Pfullingen und den umliegenden Ortschaften Besuche, wenn sie Nachts mit dem Spinnen beschäftigt waren, wo sie dann auch meistens mitgesponnen und ihnen mit ihren Weissagungen nützliche Dienste erwiesen hat; so kündigte sie z. B. an, wenn ein gutes oder ein schlechtes Flachsjahr kommen werde. Zuweilen kamen auch noch einige andere Feen, welche ihr unterthänig waren, mit ihr. In diesem Ursulaberge hatte sie ein prächtiges Schloß und darinn Ueberfluß von Gold und Silber, wovon sie fast jedesmal bei ihrem Besuche einen bestimmten Theil je nach Umständen ausgetheilt hat. Auf dem Gipfel des Berges befindet sich ein sehr tiefes Loch, aus welchem Ursula herausgestiegen ist, und von wo aus man oft einen wunderbar schönen Gesang gehört hat. (91)
Aufgezeichnet von dem Gymnasiasten Schmückle 1846.
Die versiegte Quelle der Ursula
Als ich im vergangenen Spätjahre mich zu Pfullingen aufhielt, besuchte ich auch die Berge der Umgegend, von denen aus man eine schöne und weite Aussicht genießen konnte. Als einen solchen Punkt rühmte man mir auch den Jungfrauenfelsen. Der Weg dahin, den ich in Begleitung eines Bauern machte, führte uns über den Ursulaberg, der ringsum mit einem schönen Grün bekleidet ist. Um so mehr fiel mir eine Stelle neben dem Wege auf, die ganz mit Steinen bedekt war, welche absichtlich hingeworfen zu sein schienen. Diese meine Vermuthung bestätigte sich, indem mein Begleiter einen Stein auf dem Wege aufhob, und ihn mit den Worten: "da, Ursula!" auf die Stelle hinwarf. Zugleich forderte er mich auf, dasselbe zu thun. Lachend warf ich einen Stein hin und fragte den Bauern dann um die Ursache seiner sonderbaren Handlung. "Ja, antwortete er, dazu haben wir unsere guten Gründe, da Ihr aber die Sache nicht zu wissen scheint, will ich sie Euch erzählen: Hier an dieser Stelle war früher ein Loch, in dem sich eine schöne Quelle befand. Neben der Quelle saß gewöhnlich so ein Bergfräulein, Namens Ursula, welcher der ganze Berg gehörte. Wer nun ihr Gebiet betrat, mußte ihr etwas, woran er gerade Überfluß hatte, vor oder in ihr Loch werfen, sonst zog sie die Vorübergehenden hinein oder ließ ihnen auf dem Wege ein Unglück zustoßen. Weil nun aber wir Bauern an Steinen immer den größten Ueberfluß haben, werfen wir gewöhnlich der Ursula statt einer Gabe nur einen Stein hin. Vielleicht nun wäre ihr etwas Anderes lieber gewesen, oder fürchtete sie, von den Steinen, die in ihr Loch fielen, getroffen zu werden; kurzum sie ließ sich von da an auf dem Berg nicht mehr sehen, nahm uns aber auch dafür die Quelle mit. Dennoch unterlassen wir nicht ihr diese Steine zu schenken, da auch jezt noch gewöhnlich dem, der diese Sitte vernachlässigt, die Ursula etwas, wäre es auch nur ein Regen oder Gewitter, auf den Hals schickt. (92)
Der Stuttgarter Gymnasiast Wanser wusste 1847 von einem „Opfer“-Ritual, das in anderer Form in der Nr. 1 der Sagensammlung Ernst Meiers „Das Opfer für die alte Urschel“ erscheint. Meier zufolge legten am Remselesstein Pfullinger Kinder durchlöcherte Hornknöpfe, die „Remsele“ hießen, als Opfer nieder. Um 1900 wurde dieser angebliche Opferbrauch als Kinderspiel berichtet. Die Buben spielten auf dem Weg zum Berg auf dem Remselesstein:
Man warf die Remsele in die Höhe und je nach Lage, in der sie auf den Stein zu liegen kamen, fielen sie der einen oder anderen der spielenden Parteien zu. So spielte man der Urschel zuliebe, damit einem im Walde nichts zustoße, der Urschel übergab man aber die Remsele nicht, auch nannte man das Spiel nicht Opfer.
Die auch andernorts im 19. Jahrhundert belegten „Opferbräuche“ lassen sich zwar nicht sicher deuten, aber es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass es sich um uralte heidnische Traditionen handelt, wie man im 19. Jahrhundert vermutete.
Das versunkene Kloster Ursulenberg
Über den Ursulaberg bei Pfullingen ist folgende Sage im Umlauf, als deren Gewährsmann ich einen alten Pfullinger anführen kann. Dort soll einst ein Kloster der heiligen Ursula gestanden sein, dessen Nonnen sich nur des Tags mit geistlichen Dingen beschäftigten, Nachts jedoch allerlei Zauberei trieben. Deshalb wurden sie in der Umgegend theils als Wunderthäterinnen gepriesen, theils als Hexen verrufen. Dieser letztern Ansicht war auch der Schutzherr des Klosters und er wollte es daher bei Nacht zerstören. Da sich aber die Nonnen in allerlei Gestalten verwandelten, um ihm zu entgehen, rief er erzürnt aus: "Der Teufel möge euch und euer Kloster verschlingen!" Dieser Wunsch gefiel dem Bösen und er ließ den Berg mit Allem, was darauf war, in den Boden versinken. Da aber der Geist der Finsterniß nur des Nachts Macht hat, konnte er nicht verhindern, daß am nächsten Morgen der Berg sich wieder erhob, wiewohl ohne Kloster, das durch Zauberei entweiht, ganz in den Händen des Teufels war. Und auch jetzt noch soll an der Stelle, wo des Tags der Berg steht, Nachts ein Abgrund gähnen, in dessen Tiefe die Klosterschätze liegen. (93)
So der Stuttgarter Gymnasiast Martens 1847. Ein Kloster stand nie auf dem Ursulaberg, der 1370 erstmals als „Ursenberg“ bezeugt ist.
Die Nixe von der Echatz. Eine Sage
Nicht weit von dem Fußwege, welcher an der Echatz hin von Reutlingen nach Pfullingen führt befindet sich ein schöner Wasserfall, der sich einen nach der Sage unergründlichen Kessel gehöhlt hat.
Folgende Sage geht über denselben im Munde des Volks.
Vor grauen Zeiten kam jeden Abend eine Jungfrau, die dem Strudel des Wasserfalls entstiegen war in die Spinnstube (Karz) nach Pfullingen. Die Jungfrau erzählte schöne Mährchen und sang während des Spinnens liebliche Lieder. Dadurch wurde allen der Abend erheitert, allein mit dem 10ten Stundenschlag kehrte sie eiligst in den Strudel zurück.
Bald liebte sie der Sohn des Meßners, der ebenfalls den Karz besuchte, unaussprechlich, allein auch dieser vermochte sie nie [zu bewegen], länger, als bis 10 Uhr zu bleiben.
Seine Sehnsucht war so groß, daß er oft bey Tag an den Wasserfall gieng und denselben ganze Stunden anstarrte.
Das Nahen des Frühlings machte ihn noch trauriger, da mit Frühlingsanfang der Karz zu Ende gieng. Jede Minute, die er bey ihr zubrachte, war ihm daher kostbar, er sann auf eine List und glaubte sie darin gefunden zu haben, daß er die Kirchenuhr um Eine Stunde zurückrichtete. Dadurch gelang es ihm, daß sie sich erst entfernte, als es 10 Uhr schlug.
Die Echatz brauste zerstörend durchs Thal, als der Jüngling erwachte, vom nahen Ursulaberge her tönten Seufzer, aus welchem Laute wie Todesschmerzen schoßen und auf welchem ein schauriger Blutfleck schwamm. Aus Verzweiflung stürzte sich der Jüngling in den Strudel aus welchem die Jungfrau nie mehr zurückkehrte. (94)
Carl Albert Zeller hielt diese Sage für seinen Lehrer Albert Schott 1845 fest.
Der Haule im Sörgenthal
Es mögen schon sehr viele Jahre verflossen seyn, seitdem in Pfullingen ein Mezger, Namens Haule, lebte, welcher durch Leichtsinn und Verschwendung seines ziemlich grossen Vermögens so weit herabgekommen war, daß er darben mußte. Anstatt daß er nun getrachtet hätte, durch Arbeit sein Brod zu verdienen, gieng er mit mörderischen Gedanken um, und machte sich eines Tags auf den Weg in einen naheliegenden Wald, durch den ein Bauer, welcher viel Geld bei sich trug, kommen mußte, um denselben zu ermorden. Als dieser an ihm vorüber war, schlich er ihm leise nach, brachte ihm von hinten mit einem Knittel einen Hieb bei, daß er sogleich todt zu Boden stürzte und eilte dann mit diesem Geld nach Hause, welches bald aufgebraucht war. Alsbald nach dem Morde wachte in ihm sein Gewissen auf und ließ ihm keine Ruhe mehr, bis er sich in seinem Hause aufhenkte. Er hinterließ ein Weib und einige Kinder, welche durch die Noth gezwungen wurden, ihr Haus zu verkaufen. Der neue Hausbesitzer und seine ganze Familie wurde jede Nacht durch ein unheimliches Winzeln und starkes Poltern und Rasseln im Schlafe gestört, das Gesinde blieb nicht mehr und streute in der Stadt das Gerücht aus, daß es in dem Hause spucke, weil sich darin der Haule erhenkt habe. Als die Unruhe in dem Hause nicht aufhörte, sondern nur noch zunahm, ließ der Hauseigenthümer aus der Umgegend von Pfullingen einen Geisterbeschwörer komen, welcher den Geist in ein Fläschgen bannte und in eine Schlucht des Sörgenthals trug. Von jetzt an war die Ruhe in dem Hause wiederhergestellt, allein in dem Sörgenthal wurde es nach einiger Zeit um so lebhafter, obschon man niemals daselbst etwas gesehen oder gehört hatte. Es fand nemlich ein Schnitter das Fläschchen, von welchem er sogleich den Stöpsel wegthat um zu sehen, ob etwas darin enthalten sei; aber kaum war derselbe weg, so wurde plötzlich ein starkes Geräusch hörbar, und es trabte an ihm ein Mann auf einem Schimmel vorbei, welcher immer "hup hup" schrie. Sehr viele Leute wollen von der Zeit an den Reiter bei Nacht gesehen und hup hup rufen gehört haben, auch soll man, wenn man an diesem Thale vorbei komme, sehr gerne darin verirren und Ohrfeigen bekommen. (95)
Der Stuttgarter Gymnasiast Schmückle schrieb diese Geschichte 1847 nieder. Noch heute ist dieser Geist, der Haule vom Serchental, in Pfullingen bekannt, glaubt man den „Pfullinger Sagen“ von 1987. Als Übereinstimmungen sind zu registrieren: Der Haule habe einen Fremden umgebracht und reite meist auf einem Schimmel. Die anderen Motive aus Schmückles Version sind nicht mehr bekannt, andere sind an ihre Stelle getreten. Im Pfullinger Konferenzaufsatz des Schullehrers Schäf (1900) heißt es zu dieser Sagengestalt:
Vor wenigen Monaten starb hier eine Frau, die nicht nur fest an ihn glaubte, sondern ihn auch öfters gesehen hatte.Einmal fuhr sie mit anderen bei Nacht auf einem Leiterwagen von einer Hochzeit in Gönningen her. Im „Serchenthal“ sah sie den Haule, wie er sich mit einer Hand am hinteren Ende des Wagens hielt und diesem nachlief, während er in der anderen Hand seinen Kopf trug. Ein andermal wollte dieselbe Frau, vom Heuen auf den Holzwiesen ermüdet, ein Mittagsschläfchen machen. Der Haule ließ sie aber nicht dazu kommen und störte sie immer wieder durch Zupfen an ihrem Kleide. Von da an ging die Frau nie mehr in jene Gegend.
Weißes Schwein geht um
In mehren Gassen von Pfullingen läuft um Weihnachten ein kleines weißes Schweinchen um. Es begegnet namentlich solchen, die auf verbotenen Wegen gehen. So wollte einmal ein Bursch zu einem Mädchen durchs Fenster steigen; allein das Schwein litt es nicht. Ebenso gieng es ihm am folgenden Abend. Schon oft hat man versucht, es zu fangen, hat es umstellt und eingeschloßen; aber es verschwand jedesmal den Leuten unter den Händen. (96)
Von den gespenstischen „Dorftieren“ wusste man in allen Gegenden Deutschlands zu erzählen. Im Pfullinger Konferenzaufsatz von 1900 liest man:
Vom 1. Advent bis zum Erscheinungsfest läßt sich bei Nacht in den Straßen, namentlich in der Heergasse ein "Säule" sehen, dessen ganze Thätigkeit im Umherspringen besteht. Am häufigsten ist`s um 12 Uhr zu sehen. Auch auf dem Kunstmühleweg (5 Min. vor der Stadt) soll es zu sehen sein.
Geist bringt Radfahrer zu Fall
An der Arbachbrücke (zwischen hier und Reutlingen) soll ebenfalls ein Geist zu sehen sein, der es als fortschrittlicher Geist auf die Radfahrer abgesehen hat, die er zu Fall bringt, indem er ihnen die Luft aus den Reifen zieht. (97)
So der Konferenzaufsatz von 1900, aus dem auch der nächste Text stammt.
Kröte in der Pfarrkirche
Im Jahr 1889 wurde die hiesige Kirche umgebaut. Als man den Staffeltritt im Chor wegnahm, sei eine große Kröte darunter gewesen, die dann in den benachbarten Hirschgarten hüpfte. (98)
Im Mondschein soll man nicht arbeiten
In Pfullingen spann einmal eine Frau noch um Mitternacht bei Mondschein, um Oel zu sparen. Da trat ein nackter Mann herein und bot ihr den Hintern hin und sagte, daß sie ihn kratzen solle, was sie in der Angst denn auch that. Darauf gieng er fort. Die Frau begab sich dann zu Bett und erzählte noch ihrem Manne die Geschichte. In der folgenden Nacht blieb der Mann auf, um zu sehen, was geschehen würde, und hechelte Flachs beim Mondschein. Da erschien wieder der nackte Mann; als er aber seinen Hintern herhielt, um sich kratzen zu laßen, da nahm der Andere die Hechel in die Hand und kratzte ihn damit recht ordentlich, worauf der nackte Mann fortgegangen und nicht wieder gekommen ist. (99)
Die Glockenhöhle
Ganz in der Nähe desselben Weilers [Breitenbach] befand sich ehedem die Glockenhöhle, darin es, wenn einer redet, wie eine Glocke klingt. Sie findet sich nimmer, wie sorgfältig ich auch gesucht habe. (100)
Am 20. Juni 1834 schrieb Ludwig Uhland sein Gedicht „Die Glockenhöhle“ nieder. Inspiriert wurde er von dieser Passage aus der Pfarrbeschreibung seines Schwagers Meyer. In einer Beschreibung des Blauhofs von 1572 wird ein Markstein genannt, „so in die Klingen- und Glockenhöhle hinabsteht“.
Sage vom Mägdleinsfelsen
Die Sage vom Mägdleinsfels ist dieselbe, die sich in allen Gebirgen Deutschlands bei ähnlichen Felsenvorsprüngen wiederholt: es ist die der Riesentrappe, des Jungfernsprungs und andrer Stellen: Ein Jäger, der ein schönes Mägdlein verfolgt, und sie auf die Spitze des Felsen treibt, wo sie nicht weiter kann. Sie stürzt sich betend hinab; aber sie wird von unsichtbaren Händen getragen, und ihr wiederfährt kein Leid, Der Jäger springt ihr nach, und findet in der Tiefe zerschmettert seinen Tod. (101)
So Gustav Schwab 1823. Er kannte diese Überlieferung bereits 1816. Ernst Meier ergänzte 1852, man sage auch, diese Jungfrau sei eins von den Nachtfräulein des Urschelberges gewesen. Der „Mädchenstein“ erscheint 1521 als „Metlinstein“.
Eningen unter Achalm
Ursprung des Namens Achalm
Die von mir poetisch bearbeitete Sage vom Ursprung des Namens der Burg Achalm (s. Morgenbl. März 1815), wo ich nur aus Versehen einen Pfeilschuß statt des sagengemässen Schwertstosses (den Uhland in seinem Eberhard dem Greiner s. dessen Gedichte beibehalten) gesetzt habe, wird auch anders und prosaischer so erzählt: Ein Kaiser habe den hohen und steilen Berg bestiegen, und unterwegens in der Ermattung ausrufen wollen: ach allmächtiger Gott! Wobei ihm der Athem ausgegangen, und er nur Ach allm- hervorgebracht.
Derselbe spitze und isolierte Berg auf dem die Ruinen von Achalm stehen, soll zu seinem Fusse unter der Erde mit einer goldenen Kette umflochten seyn; weswegen die Bauern da schon öfters Schatzgräbereien angestellt. (102)
Dies teilte Gustav Schwab Wilhelm Grimm im Rahmen einer kleinen Sagensammlung am 20. Oktober 1816 mit. Er hatte die Texte überwiegend aus der Beschreibung Württembergs von Johann Martin Rebstock (1699) exzerpiert.
Gespenster und umgehende Tote
Die Lage Eningens am Fuße der Alb, wo die Sagen „reicher fließen“ (Oberamtsbeschreibung von Reutlingen von 1893, Seite 152), und die kühngeformten Berge der prächtigen Umgebung schon von alten Zeiten her mächtig auf das Gemüt und die Phantasie eingewirkt haben, sowie das lebhafte und bewegte Naturell der Eninger, das sich für Neues leicht, wenn auch nicht gerade nachhaltig tief erregen läßt, endlich der Umstand, daß viele Kauf- und Handelsleute („Eninger Krämer“) fast in allen Städten und Dörfern des In- und Auslandes verkehrten - diese drei Punkte bringen es mit sich, daß an volkstümlichen Überlieferungen auf allen Gebieten Vieles sich hier findet. Aber unsere materialistische, verstandeskalte Zeit drängt das Alte, das Überlieferte, besonders aber den alten Aberglauben mit der früher so beliebten Sage mehr und mehr in den Winkel oder in den Kreis weniger Freunde, Nachbarn oder Familien.
Und auch hier will das junge Geschlecht von Vielem nichts mehr wissen; das "dumme" Alte wird erzählt, um ein mitleidiges Lächeln über die vielgläubigen Ahnen anbringen zu können - wenigstens ist das so in größerer Gesellschaft, im Wirtshaus. So ein Aufgeklärter bringt es mitunter aber doch trotzdem fertig, bei Unannehmlichkeiten mancher Art, bei Krankheit oder bei der gefürchteten Aushebung zum Militär „zu jemand zu gehen“, um sich mit Sprüchen, Amuletten und anderen Mitteln feien zu lassen. Traurig, aber leider wahr!
Will der Sammler reichere Kunde und gläubigere Anhänger alter Überlieferungen finden, so muß er sich an ein altes Mütterlein oder einen ergrauten Vertreter vergangener Tage wenden; man darf dabei aber ja nicht glauben, alles aus den Leuten herausbringen zu können; mit einem kurzen "das sag ich nicht!" oder "ich kann es nicht sagen!" werden die schönsten Geheimnisse zu einem Privatbesitz weniger Eingeweihter gemacht. "So lebt vieles unter der Oberfläche unvermerkt fort", und der Sammler muß nicht selten die betrübende Wahrnehmung machen, einen alten Schatz zwar nach seinem Vorhandensein zu kennen, ihn aber nicht heben und der Vergessenheit entziehen zu können. [...]
Ein "feuriger Reiter" ohne Kopf ergeht sich unter der Achalm am Hag; aber nicht alle Leute sehen ihn. Ein schwarzer "gottsträflicher" Pudel zeigt sich bisweilen auf dem Fußweg von Eningen nach Pfullingen (sog. Boll); das Gespenst nimmt seinen Weg dem Ursulaberg zu und hat auch einmal einen, der nachts von der Mühle heimkehrte, auf Irrwegen diesem Berge zugeführt. Ganz gefährlich steht es um die Leute, die nachts von einer Bösen (Hexe ?) ohne Kopf besucht werden. Geräuschlos schleicht sie daher; am andern Morgen ist alles Vieh losgebunden; ja einmal hat die Böse sogar einen Mann im Arrest aufgesucht und ihn weidlich durchgeprügelt.
Irrlichter giebt es an verschiedenen Orten, so im sog. Banget, am Weistenberg, Katzenbuckel. Auf dem Kirchhof zeigt sich ein Licht, das nahe kommt, so bald man etwas vom Boden aufhebt. Auch in der Eninger Kirche soll es nicht ganz geheuer sein. Man habe sogar vor nicht zu langer Zeit während der Sonntagskinderlehre einen früheren Geistlichen zum Altar gehen sehen, so daß viele Mädchen in Ohnmacht gesunken seien und der Geistliche das Amen habe sprechen müssen. Aus vielen Äußerungen hiesiger Bewohner kann geschlossen werden, daß das "Volk" zwischen dem rechen Glauben (Kirchenglauben) und den Gespenstern, den Irrlichtern, den Spukgeister, dem wilden Heer u.a. insofern einen Zusammenhang herstellt, als ein gläubig-frommer Sinn vor allen bösen Einflüssen bewahrt. So äußerte sich ein Bewohner: "Ich glaube ja nicht viel und will auch nicht zu den Frommen gehören; aber wenn ich des Morgens aufstehe, so sage ich: "Das walte Gott". Ich mag dann hingehen, wo ich will, so fürchte ich mich nicht; auch beim Gewitter denke ich, du hast den Tag mit Gebet angefangen und auch sonst nichts besonderes Böses gethan, deswegen wird es dir auch nicht schaden." Wie überall ist ferner die Ansicht verbreitet, daß, wer Marksteine versetzt, Opfer stiehlt, sich in den unrechten Besitz von Häusern und Äckern setzt, geisten d.h. umgehen muß. Nur (wenig) Jahre zurück hat es in einem hiesigen Hause ganz gewaltig gespukt, so daß alle Nachbarn und, wie erzählt wurde, der Geistliche in das betreffende Haus gerufen wurde. Eine Nachtwache, gebildet aus dem Landjäger und einem hiesigen Bäcker und Gemeinderat, letzterer seinen Mut in Gestalt einer Flasche Rotwein mit sich führend, hörte auf das ängstliche Schreien und Jammern der Hausfrau und Kinder hin wirklich ein "starkes 3maliges Klopfen." Aber "was" und "wer" es sei, weiß man bis heute noch nicht. (103)
Die Überlieferungen zeichnete Schullehrer G. Krieg in seinem Konferenzaufsatz im Jahr 1900 auf.
Genkingen
Der Geist in der Esche
Bei Genkingen auf der Alb steht an dem Wege, der nach Pfullingen führt, eine alte hohle Esche, darin wohnt ein Geist, der die vorübergehenden Menschen erschreckt, sie anhält und mit in die Esche zu nehmen sucht. Deshalb wagt es Niemand, selbst nicht bei Regenwetter, sich in den hohlen Baum hineinzustellen. Diesen Geist will man sogar schon gesehen haben. Er soll eine rothe Weste, schwarze Hosen und weiße Strümpfe tragen. (104)
Belsen
Die Belsener Kapelle
Die Volkssage von Belsen erklärt diese Kirche, die seit undenklicher Zeit zum Gottesdienst der Gemeinde eingerichtet ist, für einen heidnischen Bels- oder Baalstempel, von dem sie auch den Namen Belsen ableitet, setzt den Farrenberg, wohl auch den Roßberg damit in Verbindung, indem sie erzählt, daß auf diesen Höhen das heilige Opfervieh geweidet wurde, und zeigt noch im Innern der Capelle den Stein, an welchen die Opfer gebunden wurden. (105)
Die von Gustav Schwab in seinem Albführer 1823 als „Volkssage“ bezeichnete Deutung der rätselhaften romanischen Bildwerke der Belsener Kapelle ist natürlich eher eine Sage der Gebildeten, denen der antike Baals-Kult geläufig war. Bereits im 18. Jahrhundert haben sich Altertumsforscher an Interpretationen der Plastiken versucht. In einem kritischen Exkurs setzte sich Schwab mit den gelehrten Phantasien auseinander. Er stellte fest, dass auch die „Volkstradition“ die Baals-Deutung bevorzuge, bemerkte dann aber durchaus einsichtsvoll:
Doch möchte sie dorthin erst durch die gelehrte Welt, durch Pfarrer oder Schulmeister gekommen seyn.
Dem Pfarrer die Predigt aus dem Kopf nehmen
Der Hexen- und Geisterglauben wurzelt in Belsen im fruchtbarsten Boden; denn wo einst Götter verehrt wurden, treiben Geister und Hexen ihr Wesen. Ganze Familien sind im Verdacht, Hexerei zu treiben. Von weit her werden die Hexenmeister besucht um Unholde zu bannen. In der Schlucht zwischen dem Farren- und Heuberge ist es nicht geheuer und gefährlich den Weg des Nachts zu gehen. Hier begegnet man Hexen und Kobolden und zuweilen einem Manne, der kein Herz, an dessen Statt aber ein Licht hat und den Kopf unter dem Arm trägt. Es ist diess eine merkwürdige Identifizirung Wuodans und Frô's für eine Stelle, wo ganz in der Nähe ein Licht- oder Sonnen-Kultus bestanden hat.
Wenn der Redefluss des Geistlichen, welcher in der Kapelle zu predigen hat ins Stocken gerathet. so sind die Leute fest überzeugt, dass die Jungfrau, welche von der Ruine Andeck herkommt ihm auf seinem Gang zur Kirche begegnet ist. Mehr noch als diese Begegnung ist die Sage verbreitet, dass noch ein Heide in der Kapelle sei, welcher dem Pfarrer die Predigt aus dem Kopf nehme. (106)
Theophil Rupps Buch „Aus der Vorzeit Reutlingens und seiner Umgebung“ (1864) ist einer der zahlreichen Versuche, mythologische Kombinationen auf heimatliche Namen und Überlieferungen anzuwenden. Selbstverständlich durfte darin ein Kapitel über die Belsener Kapelle nicht fehlen.
Unterhausen
Gang unter der Echaz
Unterhausen gegenüber, auf der rechten Thalseite, ragt das sogenannte Burgholz mit einem vorspringenden Felsen hervor, welcher der Burgerstein, Burgstein genannt wird, und nach Crusius einst eine Greifensteinische Burg trug. Unter demselben bemerkt man noch ein gemauertes Gewölbe, das tief in den Berg hineinführt, und der Sage nach mit einem, unter der Echaz durchgehenden unterirdischen Gang zusammenhängt. (107)
Unterirdische Gänge werden von den Leuten auch da vermutet, wo sie eigentlich unmöglich sind. Wenn alle diese Geschichten wahr wären, wäre ganz Deutschland von einem riesigen Höhlensystem durchlöchert. Man darf annehmen, dass es sich um dasjenige traditionelle Sagen-Motiv handelt, das heute noch am weitesten mündlich verbreitet ist.
Lichtenstein
Herzog Ulrichs Zuflucht
Gewiß ist aus diesem Wenigen schon ersichtlich, wie der Lichtenstein eigentlich der Glanzpunkt der Alppartie ist, die wir von Reutlingen aus angetreten haben; allein welchem Württemberger und Schwaben würde nicht, wenn er den Namen „Lichtenstein“ hört, unwillkürlich auch das Wort „Nebelhöhle“ oder „Nebelloch“, wie man es früher hieß, auf die Zunge kommen? Beide sind ja in der württembergischen Volkssage unzertrennlich, laut welcher Herzog Ulrich, als er sich von dem schwäbischen Bunde flüchtig im Lande herumtrieb, in der Nebelhöhle eine sichere Zuflucht gefunden habe und allda von dem nahem Lichtenstein aus mit Speise und Trank versehen worden sei! (108)
Wie hier Theodor Griesinger 1866 wusste schon Wilhelm Zimmermann 1836 von einer angeblichen „Volkssage“ vom Aufenthalt Ulrichs in der Nebelhöhle. Diese Überlieferung geht aber ganz auf den 1826 erschienenen Erfolgsroman „Lichtenstein“ von Wilhelm Hauff zurück. Dieses Buch war auch der Grund für die Erbauung des historistischen „Märchenschlosses“ Lichtenstein um 1840.
Während der Nebelhöhlen-Aufenthalt von Hauff erfunden wurde, gab es eine ältere Tradition über Herzog Ulrich und Schloss Lichtenstein. Schwabs Albbeschreibung, eine Quelle Hauffs, zitierte die Beschreibung des Schlosses Lichtenstein bei Martin Crusius am Ende des 16. Jahrhunderts. Diese lautet in der Übersetzung von Johann Jakob Moser:
Einen Stuck-Schuß weit von Holzelfingen, gegen Mittag sieht man das Schloß Lichtenstein, welches nicht groß ist und auf einem Felsen ligt, so daß die untere Zimmer in den Felsen gehauen sind. Dieses hat, wie man sagt, eine alte Edel-Frau erbauet; man weißt aber nicht, wer sie gewesen und zu welcher Zeit sie gelebt. Doch ist von alten Leuthen erzehlt worden, daß sie, da der Bau zu Ende war, gesagt habe: Nun bin ich GOttes Freundin, aber der gantzen Welt Feindin. Denn sie glaubte, sie sey nun wieder jedermann in demselben sicher. [...] Im obern Stockwerck ist eine überaus schöne Stuben oder Saal, rings herum mit Fenstern, aus welchen man biß an den Asperg sehen kan: Darinn hat der vertriebene Fürst, Ulrich von Würtemberg, öffters gewohnt, der des Nachts vor das Schloß kam, und nur sagte: Der Mann ist da; so wurde er eingelassen.
NACHWEISE
Zu den Abkürzungen:
http://archiv.twoday.net/stories/5401895/
(85) Schwab S. 73. Vgl. Graf, Schwabensagen; Wilhelm Kinkelin, Das Pfullinger Heimatbuch, 1956, S. 559. Deutung der Marktbrunnendarstellungen: Martin Fink/Ina Brandmaier, Pfullinger Sagen, 1987, S. 7f.
(86) Alexander Patuzzi, Schwäbische Sagen-Kronik, 1844, S. 30f. Vgl. Wilhelm Zimmermann, Gedichte, 1832, S. 170-173 (in der 2. Aufl. 1839, S. 245-249 ohne Ortsbezug unter dem Titel „Der verzauberte Schatz. Volkssage“); Birlinger II, S. 263: Mündlich.
(87) Haderthauer S. 139f. nach Schott II, Bl. 117-119v: Schmückle IX. 1847.
(88) Schwab S. 72f.
(89) Pfarrbeschreibung von Dietrich Friedrich Wilhelm Meyer (1828), Stadtarchiv Pfullingen B 1123, S. 40-43 (Ü). Vgl. Hermann Taigel, in: Pfullingen einst und jetzt, 1982, S. 110-113 (dort leicht gekürzt). Herrn Taigel danke ich auch hier für Unterstützung.
(90) Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, 1853, S. 751f. Vgl. Meier S. 3-18.
(91) Haderthauer S. 138 nach Schott II, Bl. 112-112v: Schmückle VIII. 1846.
(92) Schott II, Bl. 108-110: Wanser VIII. 1847; Karl Bohnenberger, Volkstümliche Überlieferungen in Württemberg, 1980, S. 5 = Württembergische Jahrbücher 1904 I, S. 95. Vgl. Meier S. 3f.
(93) Schott II, Bl. 125-125v: Martens VIII. 1847. Ursenberg: Martin Fink/Ina Brandmaier, Pfullinger Sagen, 1987, S. 17.
(94) Haderthauer S. 148 nach Schott II, Bl. 145-145v: Carl Albert Zeller 26.12.1845.
(95) Haderthauer S. 140f. nach Schott II, Bl. 123-124v: Schmückle IX. 1847. Vgl. Martin Fink/Ina Brandmaier, Pfullinger Sagen, 1987, S. 49; KA Pfullingen; OAB Reutlingen, 1893, S. 159.
(96) Meier S. 224f.: Mündlich aus Pfullingen (Ü); KA Pfullingen. Vgl. HDA 2 (1930), Sp. 352-357.
(97) KA (Ü).
(98) KA (Ü).
(99) Meier S. 234f.: Mündlich aus Pfullingen.
(100) Paul Schwarz, Ludwig Uhlands Beziehungen zu Pfullingen, in: BllSAV 86 (1980), S. 115 nach der Pfarrbeschreibung Meyers (Ü). Vgl. Meier S. 345.
(101) Schwab S. 74. Vgl. Haderthauer S. 35; Meier S. 288f.; Martin Fink/Ina Brandmaier, Pfullinger Sagen, 1987, S. 19.
(102) Haderthauer S. 34 nach Staatsbibliothek Berlin, Nachl. Grimm 688 (Ü). Vgl. Schwab S. 79f.; Meier S. 344.
(103) KA (Ü).
(104) Meier S. 251: Mündlich aus Genkingen.
(105) Schwab S. 51, 300. Vgl. Meier S. 296-298.
(106) Theophil Rupp, Aus der Vorzeit Reutlingens und seiner Umgebung, 1864, S. 42f. (Ü)
(107) OAB Reutlingen, 1824, S. 127 (Ü). Vgl. Graf, Stuttgart, S. 18; Keith Thomas, Vergangenheit, Zukunft, Lebensalter, 1988, S. 37 (für England).
(108) Theodor Griesinger, Württemberg. Nach seiner Vergangenheit und Gegenwart in Land und Leuten, 1866, S. 169 (Ü); Martin Crusius, Schwäbische Chronick, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1733, S. 426. Vgl. Max Schuster, Der geschichtliche Kern von Hauffs Lichtenstein, 1904, S. 9, 18-30; Hans Binder, Ein Fürst und ein Dichter begründen den Ruhm der Nebelhöhle, in: Abhandlungen zur Karst- und Höhlenkunde, Reihe A Heft 4,1969, S. 33-55, hier S. 47-51. Zum Schloss vgl. Barbara Potthast, Der Lichtenstein – ein Sehnsuchtsort des 19. Jahrhunderts, in: Kurzer Aufenthalt, 2007, S. 197-201.
Urschel-Wandgemälde Wilhelm-Blos-Straße 2, Pfullingen
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KlausGraf - am Samstag, 21. Januar 2012, 13:28 - Rubrik: Landesgeschichte