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Im Weblog Kulturgut erhebe ich schwere Vorwürfe gegen die Stadt Stralsund:

http://kulturgut.hypotheses.org/334

Ich gebe meinen Beitrag im folgenden ohne die Links wieder.

Anlass der Gründung dieses Weblogs im Dezember 2012 waren die skandalösen Vorkommnisse im Stadtarchiv Stralsund, die ich in Archivalia umfassend dokumentiert habe (über 270 Beiträge zu Stralsund; Best of). Nach einem Hinweis von Falk Eisermann am 22. Oktober 2012 auf eine von mir überlesene Passage einer Stralsunder Pressemitteilung konnte ich die Fachwelt im Herbst 2012 soweit mobilisieren, dass sich ein Sturm der Entrüstung erhob und nach einem Gutachten von Nigel Palmer und Jürgen Wolf die Hansestadt Stralsund sich veranlasst sah, die für 95.000 Euro an einen bayerischen Antiquar verscherbelte kostbare Gymnasialbibliothek mit über 6000 alten Drucken ab dem 16. Jahrhundert zurückzukaufen.

Im LISA-Portal hatte ich am 13. November 2012 zusammenfassend das Vorgehen der Stadt gegeißelt. Philipp Maaß, der Initiator der Stralsund-Petition, unterrichtete in einem Beitrag für die bibliothekarische Fachzeitschrift BuB, der hier nachgelesen werden kann über den Skandal, während der im Februar 2013 im Bibliotheksdienst erschienene Aufsatz des Speyerer Altbestands-Spezialisten Armin Schlechter erst jetzt kostenlos einsehbar ist. In LIBREAS stellte ich “Lehren aus der Causa Stralsund” vor.

Nun hat der NDR herausgefunden, dass der renommierte New Yorker Händler Jonathan Hill den Kepler-Druck aus der Gymnasialbibliothek für eine Viertelmillion Dollar anbietet. Wieso Margret Ott für diese bescheidene Recherche-Leistung (das Angebot ist online verfügbar) ein dickes Lob spendet, erschließt sich mir nicht. Im Nordmagazin des NDR-Fernsehens wird behauptet, es sei unklar, wie der Händler zu dem Druck gekommen sei. Wenig genauer auf der NDR-Website: “Bei einer ersten Auktion vor ein paar Monaten hatte das Werk 45.000 Euro erzielt.” Diese journalistische Fehlleistung fügt sich ins Bild: Die Journaille hatte sich in der Causa Stralsund nach meiner Einschätzung als unfähig und tölpelhaft erwiesen; meine Rechercheergebnisse als Blogger wurden entweder nicht zur Kenntnis genommen oder meist stillschweigend vereinnahmt.

Tatsache ist: In der Nacht vor der Bekanntgabe des Rückkaufs am Dienstag, dem 20. November 2012 hatte ich fieberhaft daran gearbeitet, einen umfangreichen Archivalia-Beitrag fertigzubekommen, nachdem ich am Sonntag zuvor einen anonymen Tipp von einem Käufer bekommen hatte, bei den Reiss-Herbstauktionen seien Bücher aus der Gymnasialbibliothek Stralsund versteigert worden. Ich ging den Reiss-Online-Katalog durch und kam zu dem Schluss: Die Einlieferungen der Reiss-Auktionen mit den Nummern 41, 95, 152, 177 und 169 setzen sich ausschließlich aus Stücken zusammen, die aus dem Stadtarchiv Stralsund stammen. Eine außerordentlich grobe Schätzung für den Gesamterlös ergab gut 140.000 Euro für etwa 190 Titel. Am 30. Oktober 2012 erbrachte der jetzt in New York angebotene Kepler-Druck von 1621 (mit Beibänden) als Nr. 4841 bei Reiss in Königstein 44.000 Euro.

Angesichts der Rückkauf-Meldung vom gleichen Tag verpuffte mein Scoop und wurde auch in der Folgezeit von der etablierten Presse nicht registriert. Vermutlich hat der New Yorker Händler den Kepler-Band und zwei weitere kostbare Werke aus Stralsund, die er für sehr viel weniger Geld anbietet, bei Reiss ersteigert oder über einen Zwischenhändler bezogen.

Die Stadt Stralsund mit ihrem Beauftragten Dr. Burkhard Kunkel hat nach der Rückkaufentscheidung vom November 2012 so gut wie nichts richtig gemacht, was die Rückführung weiterer Bestände angeht.

Im Fernsehen sagt Kunkel, es fehlten 585 Bücher. Diese Zahl dürfte sich lediglich auf die Gymnasialbibliothek beziehen. Unklar ist, was der Antiquar Hassold vor dem Rückkauf bereits vertickt hatte. Eine nicht näher bezifferbare Anzahl von Büchern aus der Gymnasialbibliothek sind für immer verloren, da Hassold sie als unverkäuflich vernichtet hatte. Außer den Reiss-Auktionen kamen einige Stralsunder Werke auch bei dem Münchner Auktionshaus Zisska und Schauer, dessen ehemaliger Geschäftsführer Schauer wegen seiner Verwicklung in die Causa Girolamini in Italien in Untersuchungshaft sitzt, unter den Hammer. Den dort erworbenen unikalen Türkendruck hat die Bayerische Staatsbibliothek immerhin zurückgegeben.

Absolut lächerlich ist, dass im Mai 2013 laut Meldung der Stadt Stralsund gerade einmal sieben (in Zahlen: 7) Titel zurückgegeben worden waren.

Dank einer Fehlentscheidung des BGH zum Hamburger Stadtsiegel-Fall sind auf öffentlicher Auktion verkaufte Bände rechtsgültig in das Eigentum des jeweiligen Erwerbers übergegangen. Für die anderen Bände kann man zumindest die Auffassung vertreten, dass sie nach wie vor Eigentum der Stadt Stralsund sind. Es ist ein Unding, dass die Stadt Stralsund weder einen öffentlichen Rückgabe-Aufruf (z.B. durch Anzeigen in Sammler-Organen wie “Aus dem Antiquariat”) gestartet hat noch eine mit der Kommunalaufsicht abgestimmte Stellungnahme zum Eigentums-Status des entfremdeten Bestands abgegeben hat. Nicht jeder Sammler verhält sich so abscheulich wie der Eigentümer des durch seine Einträge unersetzlichen Hevelius-Drucks, der ihn nicht zurückgeben will.

Wie in meinem Archivalia-Beitrag vom 20. November ausdrücklich angeregt, hätten durch rasches Handeln beim Auktionshaus Reiss wenigstens die unverkauften (also auch nicht rechtsgültig in anderes Eigentum übergegangenen) Stücke aus Stralsund gerettet werden können. Geschehen ist aber: nichts.

Noch skandalöser als das denkbar unprofessionelle Vorgehen bei der Rückholung der Bestände der Gymnasialbibliothek ist die Untätigkeit, was die vor dem Sommer-Verkauf 2012 als angebliche Dubletten durch die damalige Archivleiterin Nehmzow und ihren nicht weniger abscheulichen Vorgänger rechtswidrig veräußerten Altbestände angeht. Nach wie vor können Hassold und seine Kumpane ungehindert seltene Pomeranica aus Stralsund verkaufen, von denen womöglich nicht wenige durch Besitzeinträge unikalen Charakter haben. In diesem Bereich hat die Stadt Stralsund offenkundig nichts unternommen, obwohl durch meine eingehenden Recherchen bewiesen wurde, dass auch unantastbare Bestände der Ratsbibliothek in die unfassbaren Verkäufe einbezogen waren. Mindestens zwei Bücher wurden aus dem Barock-Ensemble der Löwen’schen Bibliothek von Hassold im Handel angeboten, eines davon noch am 30. November 2012! Ein weiteres Stück stammte aus der Kirchenbibliothek St. Nikolai.

Die perfide Strategie der Stadt Stralsund und ihres Dr. Kunkel besteht also darin, lauthals zu erklären, dass man die entfremdeten Teile der Gymnasialbibliothek zurückholen wolle. In Wirklichkeit agiert man aber völlig ineffizient und verschließt die Augen vor den nachgewiesenen Verkäufen wertvollen Buchguts vor dem Verkauf der Gymnasialbibliothek im Sommer 2012. Diese rechtswidrig veräußerten Bücher (durch Nehmzow, die Staatsanwaltschaft will sich im März 2014 zum Verfahrensstand äußern, und auch schon ihren Vorgänger Hacker) gehören nach meiner Rechtsauffassung ebenfalls nach wie vor der Stadt Stralsund und müssten mit aller Energie, zu der die Stadt und ihr Dr. Kunkel offenkundig nicht fähig sind, zurückgeführt werden!
FeliNo meinte am 2014/02/25 19:43:
Wege...
http://www.nordkurier.de/kultur-und-freizeit/stralsunds-buecher-bringen-in-new-york-viel-geld-255290202.html

Den o.g. Link postete ich bereits zur Meldung weiter unten ( http://archiv.twoday.net/stories/706566624/ ), nehme den Nachrichtentext aber mal zum Anlass für einen Gedanken. In dem "Nordkurier"-Artikel wird berichtet, dass Stralsund sich bemühe, die Gymnasialbibliothek zu "rekonstruieren", und Rückkäufe anstrebe. Ich halte Rückkäufe in solchen Fällen für falsch, und zwar aus folgenden Gründen:

1. Rückkäufe, denen ein offensichtliches Begehren zugrunde liegt, treiben die Preise hoch in einem Handelsgewerbe, das, anders als alle anderen Gewerbe, keinerlei Kontrollen unterliegt. Überdies sind Hinterzimmerpraktiken ggf. ominöser Provenienz in unkontrollierten Bereichen nie auszuschließen bei Begehrlichkeiten.

2. Seit den Katastrophen von Weimar und Köln gilt seitens des Bundes die Erfassung und Sicherung der Metadaten für schriftliches Kulturgut für die Bestandssicherung als erforderlich; Verluste durch Katastrophen ebenso wie durch Ignoranz sind niemals auszuschließen, in den Metadaten indes sind die Sammlungen für immer präsent.

3. Auf der Basis der Metadaten nebst weiterer Quellen (z. B. Auktionskatalogen und Archivalien) können Sammlungen digital rekonstruiert werden. Beispiel: die Bibliothek der Kartause von Buxheim, 1843 in alle Winde zerstreut, wird durch William Whobrey (Universität Yale) seit Jahren digital wiederhergestellt ( http://www.yale.edu/german182b/buxheim/intro.html ). Da bis auf wenige Exemplare Gymnasialbibliotheken zwar gelegentlich seltene, aber kaum einmalige Drucke besitzen (und z. B. zunehmend auch Digitalisierungen alter Drucke zur Verfügung stehen), kann eine verlorene Sammlung heute durchaus "auferstehen".

Der Verlust von z. B. persönlichen Einträgen ist zwar "schmerzhaft", passierte aber auch in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder: Seiten mit erkennbaren handschriftlichen Einträgen wurden herausgerissen, Bücher neu eingebunden und mit neuen Vorsätzen versehen usw.

Das schriftliche Kulturgut ist das fragilste von allen beweglichen Kulturgütern, Verluste sind irreversibel. Gleichwohl ist schriftliches Kulturgut meiner Meinung nach besonders ungeeignet, Geschichte zurückzudrehen und dem romantischen Gedanken zu folgen, längst vergangene Situationen, wie z. B. eine Gymnasialbibliothek mit blitzblanken Bänden in feinsten Regalen, wie es sie ohnehin nie gab, wieder zum Anfassen zu haben. Was weg ist, ist weg. Nach dem Kepler-Band in Stralsund hat doch dort - sei man mal ehrlich - seit 70 Jahren bis zum Post von Klaus Graf im November 2012 in diesem Blog ( http://archiv.twoday.net/stories/219022356/ ) kein Hahn gekräht, und selbst da krächzte er nur heiser. Erst die Phantasiesumme eines New Yorker Verkaufspreises schafft doch die Illusion des schicken Verlusts, für die Keplers Ideen ohnehin irrelevant sind. 
 

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