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Auf den ersten Blick ist der von Felix Josef Lipowsky (1764-1842) - GND - 1818 in seinem Buch über Herzog Christoph von Bayern abgedruckte Text "Auszüge aus einer Chronik vom Lande Baiern was zu meiner Zeit sich anbegeben" (S. 159-167) unverdächtig.

http://bavarica.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10483962_00171.html

Lipowsky will die Handschrift von dem Ingolstädter Stadtsyndikus Ignaz Hübner erhalten haben, der sie drucken wollte, was aber durch seinen Tod 1815 vereitelt worden sei. Die ihm mitgeteilte stamme aus dem Anfang oder der Mitte des 17. Jahrhunderts und trage den Schreibervermerk J. M. S. J. (Kopist war also ein Jesuit J. M.). Hübner habe den Chronisten des Landshuter Erbfolgekriegs, Andreas Zayner, Stadtschreiber zu Ingolstadt, als Verfasser vermutet (S. 159f.).

Die Handschrift ist seither nicht wieder aufgetaucht; da Hübner verstorben war, waren Nachfragen bei Hübner nach dem Stück zwecklos.

Lipowsky war ein seriöser Autor und Archivar (er betreute das landständische Archiv).

Die Chronik ist kaum benutzt worden. In einer Rezension 1819 wurde eine bemerkenswerte Stelle zur Idee des Vaterlands hervorgehoben:

http://books.google.de/books?id=l7ZFAAAAcAAJ&pg=PA143#v=onepage&q&f=false

Roth von Schreckenstein zitierte sie zum Löwlerbund:

http://books.google.de/books?id=LngAAAAAcAAJ&pg=PA136

In der Ausgabe der Nürnberger Deichsler-Chronik (S. 571) wurde sie ebenfalls herangezogen:

https://archive.org/stream/diechronikender09kommgoog#page/n141/mode/2up

Riezler, ein ausgezeichneter Kenner der bayerischen Historiographie, würdigte den Text, indem er ihm eine Fußnote in seiner Geschichte Baierns (III, S. 912) widmete. Er fand die Charaktere der vier Münchner Herzöge "nicht übel gezeichnet".

https://archive.org/stream/RiezlerGeschichteBaiernsBd3/Riezler%20Geschichte_Baierns_Bd_3#page/n927/mode/2up

Im 20. Jahrhundert war der Text so gut wie vergessen. Helga Czerny erwähnte ihn 2005 (Der Tod ... S. 211).

Eine quellenkundliche Analyse liegt nicht vor. Ich werde diese Lücke nicht füllen können, sondern mich auf einige Beobachtungen beschränken, die einen Fälschungsverdacht begründen könnten.

Der Text bietet viel zu interessante Details. Ein ganz schwaches Argument! Ich bin bei Fälschungen vorsichtiger geworden, seit ich eine ziemlich echte, wenngleich höchst ungewöhnliche Urkunde zum Heroldswesen als Fälschung erklärte (unveröffentlicht).

Erheblich bedenklicher stimmt der Umstand, dass S. 165 ohne nähere Kennzeichnung zwei lateinische Verse des dänischen Dichters Ludvig Holberg in den Text eingestreut werden:

https://www.google.de/search?tbm=bks&q=%22spartae+quod+gravitas%22

Man kann natürlich argumentieren, dass es sich dabei um einen nicht gekennzeichneten Kommentar des Herausgebers (Hübner oder Lipowsky) handelt.

Zu 1492 wird als Jurist der Löwenritter Dr. Georg Lamparter erwähnt, der als Bayer und früherer Kanzler des Herzogs von Württemberg vorgestellt wird. Vor 1495 gab es noch keinen Herzog von Württemberg, und Lamparter wurde erst nach dem Tod Eberhards im Bart 1496 württembergischer Kanzler. Er war auch kein Bayer, sondern stammte aus Biberach (war also ein Oberschwabe) während Lipowsky ihn in der Fußnote hypothetisch den Sohn des Münchner Arztes Peter Lamparter nennt. Um diese Vermutung abzusichern, wäre es schlüssig, ihn als Bayer zu bezeichnen.

http://beacon.findbuch.de/seealso/pnd-aks?format=sources&id=136241948 (insbesondere Wikipedia)
[ http://archiv.twoday.net/stories/1022374158/ ]

Bei Krenner heißt er nur Dr. Lamparter:

http://geschichte.digitale-sammlungen.de/landtag1429/seite/bsb00008572_00067

Nach Dollinger/Stark starb Martha von Werdenberg wohl vor ihrem Gemahl, dem letzten Abensberger Grafen Nikolaus

http://books.google.de/books?id=TJhCAAAAcAAJ&pg=PA209

während unsere Quelle S. 161 angibt, sie sei "vor enntsetzn und Leydt" über den Tod ihres Manns gestorben. Was über ihre Stiftungen gesagt klingt wie eine Lesefrucht aus dem bei Krenner veröffentlichten Testament, das Lipowsky in der Note nachweist. Gleiches gilt für den Tadel des Christoph von Degenberg (nicht "Degenfelt", so die Quelle S. 160), zu dem Lipowsky Sunthaim aus Oefele zitiert:

http://www.literature.at/viewer.alo?objid=14325&viewmode=fullscreen&scale=3.33&rotate=&page=583

Besonders schwierig ist die sprachliche Gestalt zu beurteilen, da eine spätmittelalterliche Vorlage durch den Abschreiber im 17. Jahrhundert geglättet worden sein kann. Siehe dazu auch meine Ausführungen zu dem von Trautmann gefälschten Pilgramsbuch Herzog Christophs:

http://archiv.twoday.net/stories/790549607/

Ein "Bauchgefühl" lässt mich dazu tendieren, dass die Sprache und die resümierende Darstellungstechnik eher unmittelalterlich ist. Die üblichen Verständigungshürden fehlen.

Reichen diese Indizien, um die Beweislast umzukehren? Dann müsste derjenige, der den Text als authentische Quelle nützen wollte, seine Echtheit zeigen.

Ich bin mir nicht sicher, verdächtig erscheint mir der Text aber schon. Und auf jeden Fall kann - wie die Lamparter-Stelle gezeigt hat - keine unbearbeitete zeitgleiche Niederschrift vorliegen.

Meinungen?

#forschung

Fälschungen in Archivalia:
http://archiv.twoday.net/stories/96987511/

 

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