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Urban Küsters: Marken der Gewissheit. Urkundlichkeit und Zeichenwahrnehmung in mittelalterlicher Literatur. Düsseldorf: Düsseldorf University Press 2012. 885 S. mit SW-Abbildungen. EUR 79,90.

Inhaltsverzeichnis:
http://d-nb.info/1020735740/04

Die Düsseldorfer Habilitationsschrift auf dem Stand von 2006 stammt von einem Autor, der in seiner von den Rezensenten positiv aufgenommenen Dissertation "Der verschlossene Garten" (1985) und in seinem Beitrag zur Hirsau-Festschrift 1991 (über die Frauenklöster der Hirsauer Reform) die Forschung zu hochmittelalterlichen Frauenklöstern erheblich gefördert hat. Als Germanist hatte er sich intensiv in die historischen Quellen eingearbeitet. Um interdisziplinäre Zusammenführung von geschichtswissenschaftlichen, rechtshistorischen und germanistischen Forschungsergebnissen geht es Küsters in dem zu besprechenden allzu voluminösen Buch. Er will das mittelalterliche Wahrheitsproblem aus pragmatisch-semiotischer Sicht beleuchten, indem er nach der "Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit von Formen, Zeichen und Sinnen im Spannungsfeld traditionaler und 'moderner' Versicherungs- und Beweisverfahren" fragt (S. 24).

Ein solches Buch ohne jegliches Register und ohne abschließende Zusammenfassung ist schlicht und einfach eine Zumutung. Einer schlechten Praxis folgend müssen Passagen der Einleitung eine Zusammenfassung ersetzen (S. 38f., 43-46). Präzise aufzuschreiben, was denn nun bei dem riesigen Unternehmen herausgekommen ist, liegt Küsters nicht. Aber gerade der Materialreichtum des Werks, das unterschiedlichste Kontexte behandelt, verlangt nach Orientierung und Hilfestellung.

Die ersten fünf Kapitel stellen eine eigene Monographie zur Entwicklung der Schriftlichkeit und des Urkundenwesens (einschließlich der Beweisproblematik) im Hochmittelalter dar. Über das Resümee der Forschungsliteratur gehen die Abschnitte hinaus, bei denen ein Zusammenhang zwischen zeitgenössischem Diskurs zur Theorie des Sehens (v.a. anhand der Optik Witelos) und der Urkundenkritik hergestellt wird (Kapitel 2 und 4.6).

Die interpretierenden Teile - Kapitel 5 bis 10 - befassen sich mit einem breiten, überwiegend deutschsprachigen, aber auch lateinischen Quellenkorpus. Der Schwerpunkt liegt auf dem 12./13. Jahrhundert, nur in Kapitel 6, das sich "Herzensurkunden und Einschreibungen der Gottesliebe in Mystik und Legende" widmet, wird in das 14., bei Bernardino von Siena sogar in das 15. Jahrhundert ausgegriffen. Eine historische Entwicklung herauszuarbeiten war offenkundig nicht das Ziel Küsters, dem es stattdessen um Variationen rund um die Motivik des Schreibens in einer für die Ausformung der Schriftlichkeit wichtigen Epoche ging.

Sehr umfangreich werden Gottfrieds Tristan und weitere Tristan-Dichtungen sowie Werke von Konrad von Würzburg und Rudolf von Ems behandelt. Küsters fördert erstaunliche Textbelege zu niveauvollen Reflexionen über Schriftlichkeit, dingliche Zeichen und Beweisverfahren zu Tage. Küsters Interpretationen wirken auf mich, da mir die Bezugnahme zu übergreifenden Fragestellungen fehlt (es gibt auch viel zu wenig Querverweise), etwas deskriptiv, sind aber bei der Erschließung der Texte ohne Zweifel hilfreich.

Angesichts der enormen Breite des Themas verwundert es nicht, dass Küsters nicht immer auf dem neuesten Forschungsstand ist. Veraltet ist etwa die Literatur zu Bernardino von Siena und dem Trigramm IHS. Wenn die Encyclopedia Bernardiana mit dem Iconografia-Band von 1981 vielleicht nicht erreichbar war, so hätte doch die grundlegende Studie von Longpré im AFH 1935 herangezogen werden müssen. Ebenso veraltet sind die Angaben zur Ursula-Archäologie S. 311, die sich auf Levison 1928 stützt. Die genannte Sigmaringer Handschrift ist leider seit langem verschollen (aber Thema einer Monographie von Monica Sinderhauf 1996). Zu den mittelalterlichen Reliquiengrabungen gibt es moderne Literatur (z.B. von Ute Verstegen).

S. 324 zitiert Küsters einen mystischen Traktat aus einer Handschrift des 15. Jahrhunderts nach Spamer mit falscher bibliographischer Angabe ("Texte aus der Mystik" statt "Texte aus der deutschen Mystik") und ohne realisiert zu haben, dass es sich um den früher Meister Eckhart zugeschriebenen Traktat "Von abescheidenheit" handelt, der in der Eckhart-Werkausgabe kritisch ediert vorliegt.

Ärgerlich sind Schlampigkeiten wie S. 325 das Zitat: Villinger Chronik. Hg. von H. Glatz, Stuttgart 1850 (Publication des Literarischen Vereins Nr. 151). Korrekt ist daran nur der Nachname des Autors, der Verlagsort und die Nummer der Reihe.

http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/glatz1881

Leider ist das Buch sehr kärglich mit schlechten Schwarzweißabbildungen illustriert.

Trotz ihrer Mängel verdient Küsters Arbeit die Beachtung von Schriftlichkeits-Forschung, Diplomatik, Epigraphik (Inschriften-Motivik!), Rechtsgeschichte und auch Erzählforschung (Schrift-Motivik!) - keine erschöpfende Aufzählung! Leider scheint der wenig prominente Verlag die Rezeption der Arbeit zu behindern. Mir ist noch keine Rezension des Buchs bekannt geworden, und laut KVK ist es auch nicht sonderlich gut in wissenschaftlichen Bibliotheken verbreitet. Küsters Dissertation von 1985 ist im HBZ-Verbund mit 20 Exemplaren präsent, die Habilitation mit ganzen sechs! Die von mir schon öfter beobachtete "Krise der Monographie" lässt mich einmal mehr zur Schlussfolgerung gelangen, dass eine solche Studie auf einem Open-Access-Hochschulschriftenserver erheblich besser aufgehoben wäre. Da der Autor den Leser bei der Erschließung des gewaltigen Stoffs allein lässt, wäre die Möglichkeit einer Volltextsuche dringend erforderlich.

 

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