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Pseudo-Experte Martin Heidingsfelder schwallt von massiven Plagiaten und fordert den Entzug des Doktortitels von Frau Dr. med. Ursula Gertrud von der Leyen (L.).

http://www.br.de/nachrichten/von-der-leyen-doktorarbeit-100.html

Ich werde im Folgenden begründen, wieso ich das für überzogen halte und eher einen leichten Fall von Plagiat sehe. Dies ist ein Update zu:
http://archiv.twoday.net/stories/1022476170/

Was ist dran an den angeblichen Urheberrechtsverletzungen, von denen Heidingsfelder spricht?

Zahlreiche Bilder enthielten keine Quellenangaben und seien daher Urheberrechtsverletzungen, sagt Heidingsfelder in dem Video des BR, und das sei noch schlimmer als Plagiate. Nachvollziehen lässt sich das anhand der Dokumentation der gesichteten Fragmente

http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Ugv/Fragmente/Gesichtet_g

und auch der ungesichteten

http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Ugv/Fragmente/Sichtung_v

nicht. Sichtbar sind in den gesichteten Fragmenten die Abbildungen 1 und 2 der Arbeit, deren Quelle nicht korrekt angegeben wird. Es handelt sich in beiden Fällen jedoch um gemeinfreie historische Abbidlungen. Von einer Urheberrechtsverletzung kann also überhaupt nicht die Rede sein.

In der Darstellung der Befunde

http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Ugv/Befunde

ist von den Abbildungen überhaupt nicht die Rede. In der als Illustration beigebenen, aus Urheberrechtsgründen nicht lesbaren Grafik erscheinen Bilder, die wohl ebenfalls gemeinfrei sind, aber jedenfalls nicht die zwei Abbildungen 1 und 2. Eine korrekte Beschriftung der Illustration ist daher nicht gegeben. Es ist nicht erkennbar, ob die Seitenwiedergaben nur den Schlussteil betreffen oder nur Auszüge der beanstandeten Seiten enthalten. In letzterem Fall hätten die Bilder nicht einbezogen werden dürfen, da sie in den Befunden nicht thematisiert wurden.



Wo kann die Dissertation eingesehen werden?

Mit dem Karlsruher Virtuellen Katalog konnte ich nur fünf Standorte ermitteln. Außer der medizinischen Hochschule Hannover, wo die Arbeit eingereicht wurde, und den beiden Standorten der Deutschen Nationalbibliothek ist sie nur an der HU Berlin, der SUB Göttingen und der ZB MED in Köln nachgewiesen. Im Ausland gibt es in wissenschaftlichen Bibliotheken anscheinend keine Exemplare.

Wurde die Arbeit irgendwo jemals zitiert?

Mittels Google Scholar und Google Books konnte ich keine Publikation ermitteln, in der die Arbeit von L. zitiert wird.

Das gilt auch für einen zweiseitigen Artikel, den die Doktorandin gemeinsam mit ihrem Doktorvater und einem weiteren Autor in einem Tagungsband 1989 veröffentlichte:

http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Quelle:Ugv/von_der_Leyen_et_al_1989

Wie gefährlich sind die Fehlzitate?

Problematischer findet der Plagiatsjäger, dass von der Leyens Arbeit "23 Fehlverweise" enthalte, also Hinweise auf Quellen, in denen der zitierte Inhalt gar nicht zu finden sei. "Das ist im medizinischen Bereich besonders gefährlich", sagt Dannemann. Das kann natürlich ein Juraprofessor am besten beurteilen ...

Dass eine so spezielle Dissertation, die keine nachweisbare Rezeption erfahren hat, Schaden anrichten könnte, dürfte ausgeschlossen sein. Medizinische Dissertationen, denen man üblicherweise ein deutlich niedriges Niveau als Doktorarbeiten aus anderen Fächern zuschreibt, sind ein Massenphänomen. Gründliche medizinische Forschung wird Angaben aus Dissertationen nicht ungeprüft abschreiben. In der ärztlichen Praxis wird man sich auf Handbücher und geeignete Zeitschriftenartikel stützen und nur ausnahmsweise auf eine Dissertation.

Wie gründlich ist die Dokumentation im VroniPlag?

Recht eindrucksvoll. Es wurde von dem Benutzer Stratumlucidum offenbar die von L. verwendete Sekundärliteratur sowie von ihr nicht zitierte, aber benutzte Arbeiten mit der Dissertation verglichen. Traut man diesem Eindruck, werden weitere Recherchen kaum nennenswerte zusätzliche Befunde erbringen.

Wie verhält sich die Arbeit zu den anderen von Vroniplag überprüften medizinischen Dissertationen?

Der Benutzer Hindemith ist im Vroniplag nicht irgendwer. Der ausgebildete Mathematiker wurde 2011 von der SZ befragt:

http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/525731/Ich-will-keiner-Partei-schaden

Um so schwerer wiegt seine Aussage auf der Diskussion zur Benutzerseite des L.-Jägers Stratumlucidum:

http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Benutzer_Diskussion:Stratumlucidum

Finde zwar, die Doku ist von höchster Qualität, aber im Medizin-Universum haben wir geschätzte 1000 andere Arbeiten auf Halde, die mehr Plagiate enthalten ...

[ Siehe auch ]

Hat die Autorin im wesentlichen sauber gearbeitet?

Wer die Dokumentation unvoreingenommen sichtet, kann nicht zu dem Schluss kommen, dass die zahlreichen Schlampigkeiten irrelevant sind. Sie hat an vielen Stellen in der historischen Einleitung und beim Referat von Handbuchwissen bzw. Sekundärliteratur nicht wie vorgeschrieben korrekte Belege geliefert, sondern aus "zweiter Hand" gearbeitet, indem sie aus einer nicht oder nicht hinreichend korrekt bezeichneten Quelle Sachverhalte übernommen hat, die sie der Quelle ihrer Quelle zuschreibt.

Eindeutige Plagiate wie das folgende sind aber eher selten.

leyen_1

Häufiger finden sich sogenannte "Bauernopfer", bei denen es an Anführungszeichen fehlt oder Übernahmen nicht an der jeweiligen Stelle vermerkt wurden.

leyen_3

In diesem Fall ist die Quelle zwar genannt, aber die wörtliche Abhängigkeit nicht gekennzeichnet worden.

Je begrenzter das Vokabular einer Fachsprache für die Beschreibung von Sachverhalten ist, um so schwieriger ist es, wörtliche Übernahmen zu vermeiden. Man lese dazu die Ausführungen des BGH in seiner Entscheidung "Staatsexamensarbeit" von 1980:

http://lexetius.com/1980,1

Hinzu kommt, dass man in der Medizin bei Passagen, die nicht mit den Versuchsbefunden zu tun haben, wohl eher ein Auge zudrückt, was exakte Referenzierungen angeht. Anders als in den Geistes- und Sozialwissenschaften wird auf den sprachlichen Ausdruck wohl weniger Gewicht gelegt und eine enge Anlehnung an Handbücher und Standard-Literatur eher toleriert.

leyen_2

In diesem Fall sehe ich kein Fehlverhalten. Für die grobe Zusammenfassung einer Studie ein englisches Handbuch oder wie hier einen Fachartikel zu verwenden, ohne diesen zu nennen, würde ich nie beanstanden. Wem würde eine solche Strenge nützen? Denn eine eigene Formulierung der Forschungsergebnisse der Studie in zwei Sätzen müsste zwangsläufig mit dem aus dem Englischen übersetzten Referat in etwa identisch sein.

Regeln guten wissenschaftlichen Arbeitens sind kein Selbstzweck. Man muss im Einzelfall immer auch Augenmaß bewahren.

Ein mittelschwerer oder ein leichter Fall?

Eher ein leichter. Eindeutige Plagiate, bei denen die Quelle ganz verschwiegen und auch nicht im Kontext genannt wird, gibt es aus meiner Sicht zu wenige. Jedes Plagiat ist eines zu viel, aber man muss auch die Kirche im Dorf lassen. Die Arbeit weist deutliche handwerkliche Mängel aufgrund des Arbeitens aus zweiter Hand auf, hat aber längst nicht das Kaliber der Causa Schavan oder etwa von Guttenberg. Sie ist aus meiner Sicht eher im Bereich von Lammert und Steinmeier (beide nach wie vor in Amt und Würden) anzusiedeln, die ja beide von den Universitäten "freigesprochen" wurden. In beiden Fällen konnte ich damit leben, dass der Titel nicht entzogen wurde:

http://archiv.twoday.net/search?q=lammertplag
http://archiv.twoday.net/stories/534900357/

Berücksichtigt man die medizintypische Laxheit und die Eigenart der Dissertation als spezielle empirische Studie, kann man auch zu einem noch milderen Urteil kommen.

Soll man die Affäre öffentlich erörtern?

Wieso nicht? Schon aus Gründen der Generalprävention ist es sinnvoll, immer wieder über Nachweis-Kultur in der Wissenschaft zu diskutieren.

Wird die Verteidigungsministerin ihren Doktortitel verlieren?

Ich denke nicht. Verwaltungsgerichte sind immer sehr viel strenger als die Universitäten, aber wenn man Lammert und Steinmeier seitens ihrer Universitäten ungeschoren ließ, sollte man bei der medizinischen Dissertation von 1990 der Frau Verteidigungsministerin, die mir als Zensursula herzlich unsympathisch war

http://archiv.twoday.net/search?q=zensursula

ebenfalls Milde walten lassen. (Und natürlich auch bei jeder anderen gleichwertigen medizinischen Dissertation jener Zeit, deren Autorin oder Autor nicht prominent wurde.)

Da "Mutti" ans Abtreten noch nicht so bald denkt, braucht L. eh einen langen Atem. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr Image dauerhaft durch die Plagiatsaffäre belastet werden wird.

Updates:
https://erbloggtes.wordpress.com/2015/09/29/ursula-von-der-leyen-vroniplag-und-das-plagiat-i/

http://plagiatsgutachten.de/fall-von-der-leyen-plagiat-ja-ruecktritt-moeglich-aber-aberkennung-nein/

http://www.zeit.de/studium/hochschule/2015-09/plagiat-von-der-leyen

http://www.sueddeutsche.de/bildung/plagiatsvorwurf-gegen-ursula-von-der-leyen-sieht-nicht-gut-fuer-sie-aus-1.2671589
Bleckmann meinte am 2015/10/01 11:29:
Bauernopfer
Die Idee, dass "Bauernopfer-Plagiate" nur Plagiate zweiten Ranges darstellen, ist weitverbreitet, trifft aber kaum zu. Zunächst kommen solche Bauernopfer fast nie in Reinkultur vor, sondern sind in der Regel mit Verschleierungen kombiniert. In der Kombination der beiden Techniken wird so der Eindruck selbständiger Leistungen und wissenschaftlichen Gebarens erweckt, obwohl die eigene Leistung hier mit viel Sägemehl gestreckt wird, aus welchen Motiven auch immer (hoher zeitlicher Druck, intellektuelles Ungenügen oder beides in Kombination). Weiter sind Bauernopfer deutliches Indiz dafür, dass der Plagiateur sich seines Täuschungshandelns bewußt ist, es aber gegenüber sich und anderen dadurch zu verharmlosen und zu rechtfertigen sucht, er habe ja irgendwie schon zitiert. 
MINT (Gast) meinte am 2015/10/02 18:04:
Bei besagtem "Bauernopfer" Plagiat ist die inhaltliche/wörtliche Übernahme vorzuwerfen, wobei man, wie im Artikel erwähnt, darüber streiten kann, ob die Formulierungen wirklich problematisch sind. Weitere Erwägungen gibt es bei diesem Fragment nicht. 
 

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