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Open Access und Edition

Vorabversion des Beitrags von Klaus Graf zum Wiener Kolloquium "Vom Nutzen des Edierens" am IÖG

Der Wiener Kanoniker Ladislaus Sunthaim, einer der um 1500 am historisch-genealogischen Forschungsprojekt Maximilians I. tätigen Gelehrten, wurde von Fritz Eheim - unter anderem in seiner leider ungedruckt gebliebenen Prüfungsarbeit am IfÖG 1950 - als einer jener reisenden Historiker in der Zeit des Humanismus porträtiert, die unter anderem in Klosterarchiven und -bibliotheken nach verborgenen Quellenschätzen fahndeten.

Im Zeitalter von Kopie und Mikrofilm ist es wesentlich einfacher geworden, an entlegene handschriftliche Quellen zu kommen. Heutzutage macht sich der reisende Historiker auf den Weg, um in anderen Bibliotheken und Forschungsinstituten umfangreiche kommerzielle Datenbanken und digitale Sammlungen zu konsultieren, die sich die eigene Institution nicht leisten kann oder will, denn ein unkomplizierter Fernzugriff ist aus urheber- und lizenzrechtlichen Gründen nicht möglich.

Niemand bezweifelt, dass Eheims Studien zu Sunthaim, von der nur eine Zusammenfassung in den MIÖG 1959 publiziert wurde, nach wie vor maßgeblich sind. Glücklicherweise handelte es sich zwar um ein Gerücht, was mir vor Jahren von einem Institutsmitglied erzählt wurde, dass nämlich das einzige Exemplar der Prüfungsarbeit - sie enthält eine Quellenanalye und Edition der "Klosterneuburger Tafeln" - verschollen sei, aber es ist, da es in der Regel nur am Institut einsehbar ist, sehr viel schwerer zugänglich als eine gedruckte Publikation. (Gleiches gilt für Eheims maschinenschriftliche Dissertation zu Sunthaim, die immerhin auch in anderen Bibliotheken steht, und die Prüfungsarbeit von Dora Bruck über Maximilians Porträtstammbäume.) Aus welchen Gründen auch immer seinerzeit eine Drucklegung unterblieben ist - heute müßte man erhebliche Geldmittel einwerben, damit man einen wissenschaftlichen Verlag für einen Abdruck gewinnen könnte. Vergleichbare Beispiele von wissenschaftlich wertvoller "grauer Literatur" hat wohl jeder von uns parat.

Solche Arbeiten könnte man, die Zustimmung des Autors und seiner Erben vorausgesetzt, mit einem vergleichsweise geringen Aufwand scannen bzw. als Text erfassen lassen und auf einem institutionellen Server mit Langzeitgarantie der Wissenschaft im Internet weltweit zugänglich machen. So bietet das grandiose und viel zu wenig gewürdigte Innsbrucker Digitalisierungsprojekt "Austrian Literature Online" (ALO) jedem Autor an, sein Buch kostenfrei zu digitalisieren, sofern er Inhaber der entsprechenden urheberrechtlichen Verwertungsrechte ist und zustimmt, dass es im Internet allgemein einsehbar ist. Im Einvernehmen mit dem Verlag habe ich vor kurzem meine 1984 veröffentlichte Studie über die Schwäbisch Gmünder Chronistik (mit Editionsanhang) auf diese Weise einer potentiell sehr viel breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. So könnte man natürlich auch mit Eheims Sunthaim-Arbeiten verfahren oder mit einer Eichstätter Dissertation (von W. Haderthauer) über württembergische Volkssagen aus dem 19. Jahrhundert, die 2001 völlig versteckt auf Mikrofiches publiziert wurde und - da kaum in Bibliotheken vorhanden - bislang von der Erzählforschung völlig ignoriert wurde, obwohl zahlreiche wichtige ungedruckte Sagentexte in ihr ediert sind.

Die beiden wichtigsten Handschriften von Ladislaus Sunthaims topographisch-genealogischen Kollektaneen verwahrt die Württembergische Landesbibliothek Stuttgart (Cod. hist. fol. 249, 250). Wenn man nicht die Codices selbst oder Kopien einsehen will, muß man für die genealogischen Teile einen Abdruck des bayerischen Historikers Oefele aus dem 18. Jahrhunderts heranziehen; die Landesbeschreibungen Oberdeutschlands hat im Rahmen seiner Dissertation Karsten Uhde transkribiert - bei näherem Hinsehen ist diese Textwiedergabe, wie auch Winfried Stelzer im Sunthaim-Artikel des Verfasserlexikons angemerkt hat, aber ein Ärgernis. Die gelegentlichen lateinischen Passagen der Sunthaim-Handschriften konnte Uhde schlicht und einfach nicht lesen.

Dass es in absehbarer Zeit eine gedruckte Edition der gesammelten Werke Sunthaims auf hohem Niveau geben wird, halte ich für wenig wahrscheinlich - so wünschenswert diese auch wäre. Die heutigen Anforderungen an Editionen sind bekanntlich so gewachsen, dass die vergleichsweise wenigen Kärrner des Editionsgeschäfts mit anderen Aufgaben vollauf beschäftigt sind.

Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch - hier: in Gestalt der neuen Medien und des Internets, wenn man bereit ist, pragmatische Lösungen zu akzeptieren. Ein Sunthaim-Projekt könnte mit ganz wenig Geld eine virtuelle Werkausgabe realisieren und mit weiteren Materialien, nämlich digitalisierter Forschungsliteratur, ergänzen. Ältere Artikel, deren Autoren länger als 70 Jahre tot sind, könnten problemlos und zustimmungsfrei digitalisiert werden. Im Bereich der Quellentexte müßte das einzige gedruckte Werk Sunthaims, die Basler Inkunabel des Klosterneuburger Babenberger-Stammbaums (1491 oder kurz danach), nicht mehr digitalisiert werden, ein Hyperlink würde genügen, denn ein digitales Faksimile dieser Ausgabe ist vor wenigen Wochen im Rahmen der "Verteilten Digitalen Inkunabelbibliothek" von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel ins Netz gestellt worden.

Wenn die Württembergische Landesbibliothek Stuttgart der Veröffentlichung eines digitalen Faksimiles ihrer beiden Sunthaim-Handschriften zustimmen würde, könnte man unmittelbar auf die Quellen zugreifen.

Hätte Karsten Uhde seine Dissertation auch digital nach den Grundsätzen von "Open Access" oder unter einer sogenannten "Creative Commons"-Lizenz veröffentlicht, so dürfte man ohne seine Zustimmung Bearbeitungen publizieren, in denen seine Lesefehler anhand der Handschriften verbessert sind. Man hätte dann zu dem Handschriftenfaksimile auch einen korrekten E-Text der topographischen Teile seiner Sammlungen. Transkriptionen anderer Teile könnten in Form einer dynamisch fortschreitenden Edition kooperativ erarbeitet werden. (Leider wusste man zum Zeitpunkt der Publikation von Uhdes Dissertation noch nichts von Open Access oder dem Internet, und heute
Verfügt der Autor über keine Datei seiner Arbeit mehr.)

Was heißt "Open Access"? Dieses aus dem angloamerikanischen Bereich kommende Schlagwort hat in den letzten ein bis zwei Jahren auch in den großen Forschungsorganisationen des deutschsprachigen Raums Furore gemacht. Es geht um die kosten- und lizenzfreie Bereitstellung wissenschaftlicher Fachliteratur im Internet. Da in der Open-Access-Bewegung die Naturwissenschaften führend sind, konzentriert man sich vor allem auf die Zeitschriftenliteratur. Die sogenannte Zeitschriftenkrise der Bibliotheksetats ist hier besonders dramatisch, da man für den Jahresband einer führenden naturwissenschaftliche Fachzeitschrift mitunter den Gegenwert eines Mittelklassewagens zu bezahlen hat. Ein wichtiger Meilenstein der Open-Access-Bewegung war 2001 die "Budapest Open Access Initiative" mit ihren zwei Säulen: Self-Archiving und freie E-Journals. Self-Archiving meint, dass Wissenschaftler dazu aufgefordert werden, ihre Zeitschriftenartikeln Eprint-Servern zur Verfügung zu stellen - vielfach bedarf es dazu nicht einmal der urheberrechtlichen Zustimmung der Verlage (mehr dazu). Das berühmteste freie E-Journal ist die 2003 gestartete Biologie-Zeitschrift der "Public Library of Science", die auf ein alternatives, von den kommerziellen Verlagen verständlicherweise angefeindetes Geschäftsmodell setzt. Hier zahlen nicht die Endkunden, sondern die Autoren oder besser gesagt ihre Institutionen für die Aufsätze, die nach den Grundsätzen des "Peer Review" einem strengen Begutachtungsverfahren unterzogen werden.

Ein weiterer Meilenstein der "Open Access"-Bewegung war die Berliner Erklärung vom Oktober 2003, die von bedeutenden Forschungsorganisationen weltweit unterzeichnet wurde. Auf Betreiben des Berliner Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte wurde hier der "Open Access"-Gedanke auch auf Kulturgut in Archiven, Bibliotheken und Museen ausgeweitet.

Die wichtigsten "Open Access"-Statements der letzten Zeit stimmen hinsichtlich der Definition von "Open Access" überein. Ich zitiere die Berliner Erklärung nach meiner eigenen Übersetzung:

"Die Urheber und Rechteinhaber sichern allen Benutzern unwiderruflich den freien weltweiten Zugang zu und erteilen ihnen die Erlaubnis, das Werk zu kopieren, zu benutzen, zu übertragen und wiederzugeben (und zwar auch öffentlich), Bearbeitungen davon zu erstellen und zu verbreiten und dies alles in jedem digitalen Medium und zu jedem verantwortbaren Zweck, vorausgesetzt die Urheberschaft wird korrekt zum Ausdruck gebracht (die wissenschaftliche Gemeinschaft wird wie bisher die Regeln vorgeben, wie die Urheberschaft korrekt anzugeben ist und was eine verantwortbare Nutzung ist). Darüber hinaus dürfen zum persönlichen Gebrauch eine kleine Anzahl von Ausdrucken erstellt werden."

"Open Access" bedeutet demnach, dass nicht nur Preisbarrieren, sondern auch "permission barriers", die den freien wissenschaftlichen Austausch behindern, fallen sollen.

Am besten kann man sich auf den Internetseiten des Philosophen Peter Suber über die "Open Access"-Bewegung informieren - geben Sie einfach "Open Access News" in eine Suchmaschine ein, und Sie landen auf seinem Weblog, das tagesaktuell die neuesten Entwicklungen registriert.

Als juristische Konkretisierung können die sogenannten "Creative Commons"-Lizenzen genannt werden, die aus dem Umfeld der einflußreichen Anti-Copyright-Bewegung in den USA stammen, die gegen die Einschränkung der digitalen Freiheiten durch die mächtige Verwertungslobby und für eine reiche "Public Domain" kämpft. Ein weiteres wichtiges englisches Schlagwort lautet "Open Content": Offene Inhalte sind das auf Texte bezogene Äquivalent der sogenannten "Open Source"-Software, die ja, wie der Siegeszug von Linux gezeigt hat, durchaus in der Lage ist, kommerziellen Monopolisten wie Microsoft Paroli zu bieten.

Der Begriff "Commons" in "Creative Commons" bezieht sich auf das Gemeineigentum der traditionellen ländlichen Gesellschaft, weshalb man im Deutschen mitunter auch von "Digitaler Allmende" spricht.

Creative Commons-Lizenzen (CC-Lizenzen) sollen bestimmte Nutzungen für die Allgemeinheit freigeben. So stehen alle Artikel der "Public Library of Science"-Zeitschriften unter einer CC-Lizenz nach US-Recht zur Verfügung, die eine freie digitale Verwertung nach Maßgabe der folgenden drei Kriterien ermöglicht: "attribution" (also Urhebernennung), "derivative works" (Bearbeitungen also etwa Übersetzungen sind erlaubt), "commercial" (auch die gewerbliche Verwertung ist freigegeben). Andere CC-Lizenzen können Bearbeitungen oder kommerzielle Verwertungen ausschließen.

Wissenschaftliche Editionen sollen die Wissenschaft fördern und idealerweise allen Forschern und Forscherinnen und darüber hinaus auch allen interessierten Bürgern und Bürgerinnen zur Verfügung stehen. Das traditionelle System, das auf öffentlich finanzierte Forschungsstellen setzt, die Editionen erarbeiten, die von Verlagen nach kommerziellen Kriterien vermarktet und von wissenschaftlichen Bibliotheken der öffentlichen Hand erworben werden, ist zugegebenermaßen weit weniger von der Krise des wissenschaftlichen Publizierens betroffen als die naturwissenschaftlichen Fächer. Trotzdem erscheint es mir sinnvoll, nachdrücklich für die These dieses Referats zu werben, dass der "Nutzen des Edierens" erheblich größer wäre, wenn alle Editionen nach den Grundsätzen des "Open Access" frei im Internet zugänglich wären.

Auch im Bereich der Editionen gilt: mit Steuergeldern öffentlich finanzierte Forschung führt zu relativ teuren Verlagsprodukten, die von anderen öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen und Bibliotheken gleichsam zurückgekauft werden müssen. Die Erstellung der Druckvorlagen erfolgt heute normalerweise in den Institutionen selbst und nicht mehr in den Verlagen, deren Leistung sich bei Editionen im wesentlichen auf den Vertrieb beschränkt.

Die Forderung nach "Open Access" will keinen Forscher seiner finanziellen Einkünfte berauben. Es geht nur um wissenschaftliche Publikationen, für die die Autoren üblicherweise keinerlei Honorierung - außer vielleicht einer mickrigen Anzahl von Freiexemplaren - erwarten dürfen.

Auch geisteswissenschaftliche Bibliotheken sind von schmerzhaften Mittelkürzungen betroffen. Die meisten Forscher können sich heute keine umfangreichen Privatbibliotheken mehr leisten, und wer keinen Zugang zu einer großen und guten wissenschaftlichen Bibliothek hat, ächzt unter den vielfältigen Widrigkeiten der Informationsbeschaffung. Forscher in gut dotierten Institutionen können selbstverständlich tausende patristischer Werke, den Migne oder die Acta Sanctorum als Volltext durchsuchen, was eine neue Qualität der Recherche bedeutet. Das Forschungsproletariat in der Provinz muß aber entweder zu den Institutionen pilgern, wo elektronische Milch und Honig fließen, oder soziale Kontakte zu Kollegen aktivieren, die entsprechende Recherchen durchführen lassen können.

Verallgemeinert könnte man als Elite-Theorie der Wissensversorgung die Auffassung bezeichnen, dass exzellente Wissenschaft überwiegend an den gut dotierten Institutionen betrieben wird, die nach wie vor ausgezeichnete Bedingungen bei der Informationsversorgung garantieren können. Änderungen des traditionellen Systems in Richtung auf "Open Access" wären demnach unnötig, wenn in spezialisierten geisteswissenschaftlichen Elite-Forschungszentren - Institutes of Advanced Editing - ausreichende Arbeitsmöglichkeiten bestünden. In Österreich gäbe es dann eben nur einen einzigen, ausgezeichnet ausgestatteten Forschungsverbund in Wien mit der Akademie der Wissenschaften und Instituten der Universität, der herausragende Editionen erarbeiten würde. Wissenschaftler in ländlichen Gegenden wie Innsbruck oder Graz könnten auf einem sehr viel niedrigerem Niveau - vergleichbar dem der früheren Ostblockstaaten - weiterforschen und sich bei entsprechender Bewährung für die Aufnahme in die Wiener Zentren der Exzellenz qualifizieren.

Nichts gegen sinnvolle Synergie-Effekte, aber mir ist ein solches zentralistisches Modell der Wissenschaftsorganisation schlicht und einfach zu undemokratisch. Wissenschaft braucht Freiheit und Chancengleichheit. Monopole hinsichtlich der informationellen Ressourcen schaden dem wissenschaftlichen Fortschritt.

Wir brauchen eine neue Kultur des wissenschaftlichen Austauschs, die sich nicht länger von der herkömmlichen Dogmatik des sogenannten geistigen Eigentums, kodifiziert in den Urheberrechtsgesetzen, europäischen Urheberrechtsrichtlinien und internationalen Urheberrechtsabkommen fremdbestimmen läßt. Da gibt es etwa europaweit seit etwa zehn Jahren eine völlig verfehlte gesetzliche Regelung der "editio princeps", die kaum einem Editor bekannt ist und die von Urheberrechtlern ohne irgendwelche Kontakte zur Editionswissenschaft durchgesetzt wurde, angeblich zur Förderung des Editionswesens (vgl. §§ 70, 71 dt. UrhG). Aber haben wir schon jemals gehört, dass in der Schweiz, die nach wie vor keine solche gesetzliche Normierung kennt, die editorische Arbeit darniederliegt?

Editionen sollten wissenschaftliches Allgemeingut sein, das unter Wahrung der berechtigten Ansprüche der Editoren frei im Internet zugänglich sein sollte. Open Access würde es beispielsweise erlauben, fremde Editionen zu bearbeiten, etwa durch Auszeichnung mit XML. Nichtwissenschaftliche Gemeinschaftsprojekte wie die freie Internet-Enzyklopädie der Wikipedia, die teilweise schon beachtliche Qualität erreicht hat, könnten als Modell für kooperatives Online-Edieren dienen. Angesichts der Tatsache, dass wissenschaftliche Editionen im allgemeinen leider wenig karrierefördernd sind, könnte ich mir gut vorstellen, dass Editoren bereit wären, sich an Arbeitsgruppen zu beteiligen, die Editionen erarbeiten, in denen nicht jedes Jota mit einem individuellen Urheber verbunden ist und mit seinem Namen zitiert werden muß. In den Naturwissenschaften ist im übrigen Team-Arbeit sehr viel verbreiteter.

Editions-Texte auf verschiedenen dezentralen Servern könnten durch eine zentrale Volltextsuchmaschine erschlossen werden, die anders als allgemeine Internetsuchmaschinen auch speziellere, etwa phonetische Suchen ermöglichen würde.

Anders als das Edieren von Werken nach den Prinzipien von "Open Access" stellt die Erstellung von Editionen auf CD-ROM oder DVD kein wirklich zukunftsweisendes Modell dar.

Höchst problematisch ist die Frage der Haltbarkeit solcher Datenträger. Nach wenigen Jahrzehnten ist ein Umkopieren erforderlich, was nicht zuletzt lizenzrechtliche Fragen aufwirft. Es kann also durchaus passieren, dass private oder institutionelle Käufer schneller als ihnen lieb ist vor einem digitalen Scherbenhaufen stehen.

Bei Internetpublikationen etwa auf Hochschulschriftenservern kann man derzeit guten Gewissens davon ausgehen, dass die entsprechenden Rechenzentren tatsächlich die Langzeitverfügbarkeit auch im Fall von Katastrophen sicherstellen können. Diese institutionelle Garantie darf getrost jenen interessegeleiteten Argumentationen von Verlagsseite entgegengehalten werden, die in der traditionellen Distribution von gedruckten Büchern nach wie vor die beste Möglichkeit sehen, Wissensbestände für die Nachwelt zu sichern. Bei rein elektronischen Publikationen verzichten kommerzielle Verlage im übrigen auf solche Garantien und überlassen das Geschäft der Langzeitarchivierung den nationalen Pflichtexemplarbibliotheken.

Datenträger auf CD-ROM oder DVD weisen nicht selten spezielle Software proprietären Charakters auf, also solche, die nicht offenen Standards gehorcht. Dabei kann es schon Probleme bereiten, die auf dem Datenträger vorhandenen Informationen in eine institutsinterne digitale Sammlung zu übernehmen - von juristischen Problemen ganz zu schweigen.

Vielleicht am gravierendsten: Editionen auf CD-ROM oder DVD stellen im Vergleich zum allgemein zugänglichen World Wide Web "Insellösungen" dar, die nicht mit beliebigen Suchwerkzeugen serverübergreifend erschlossen werden können. Eine digitale Bibliothek der Editionen und Geschichtsquellen stiftet im frei zugänglichen Internet den größten Nutzen, da wissenschaftliche Nutzer weltweit Zugriff auf sie haben.

Kulturgutverwahrende Institutionen sollten daher ihre Schätze im Rahmen von Digitalisierungsprojekten (mehr zu ihnen) entweder selbst nach dem "Open Access"-Prinzip bereitstellen oder die kostenfreie Bereitstellung durch Dritte ohne Lizenzgebühren genehmigen. Es ist ein wissenschaftlicher Skandal, dass mit Steuergeldern finanzierte Bibliotheken ihr Kulturgut nicht frei der Wissenschaft zur Verfügung stellen, sondern kommerziell zu vermarkten trachten. Es gibt nicht wenige Bibliotheken, die Handschriftenabbildungen auf wissenschaftlichen Websites nur in verzerrter Form oder sehr niedriger Auflösung gestatten.

Es ist ein wissenschaftliches Eigentor, wenn bemerkenswerte mittelalterliche Handschriftenschätze der tschechischen Republik zwar digitalisiert online zur Verfügung stehen (memoria.cz) - aber nur gegen eine teure Jahresgebühr einsehbar sind (Kritik). Ich kenne keine westliche Bibliothek, die eine solche Lizenz erworben hat - die wissenschaftliche Handschriftenforschung ist einmal mehr Opfer einer zweifelhaften Kommerzgesinnung, die fälschlicherweise davon ausgeht, daß die relevanten anderen Forschungsinstitutionen über unbegrenzte finanzielle Ressourcen verfügen.

Abschließend möchte ich nochmals betonen: "Open Access" darf sich nicht nur auf aktuelle Zeitschriftenaufsätze beziehen. "Open Access" ist unter den gegenwärtigen Bedingungen der Wissenschaftsorganisation dringend erforderlich auch im Hinblick auf Kulturgut in Archiven, Bibliotheken und Museen sowie im Hinblick auf wissenschaftliche Quelleneditionen. Die im Rahmen solcher Editionen erstellten E-Texte sollten nach den Prinzipien des "Open Access" frei zugänglich im Internet zum Aufbau dezentraler Bibliotheken digitaler Texte und Editionen zur Verfügung stehen. Zugangsbarrieren jeglicher Art schaden der Forschung.

Anhang:
Materialien zu Open Access in diesem Weblog:
http://archiv.twoday.net/topics/Open+Access/

Klaus Graf: Wissenschaftliches E-Publizieren mit "Open Access" – Initiativen und Widerstände (2003)
http://www.zeitenblicke.historicum.net/2003/02/graf.htm
Auch gedruckt in dem Band "Elektronisches Publizieren & Open Access" (2004), Inhalt:
http://archiv.twoday.net/stories/189932/
KlausGraf meinte am 2004/06/01 14:46:
Erstes Feedback
http://rotula.blogger.de/stories/109578/

"Besonders wichtig erscheint mir auch der (teilweise den Vortrag ergänzende) Hinweis, dass es ja nicht nur darum gehen sollte, "fertige" Editionen im Internet zugänglich zu machen, sondern dass bereits eine möglichst umfassende Dokumentation des Arbeitsprozesses sinnvoll sein kann. Viele anspruchsvolle Editionsprojekte erfordern jahrelange Arbeit, die dann in ein fertiges Buch (oder eine Netzseite) mündet. Es kann doch aber nicht sein, dass in der jahrelangen Klausur der Editionsarbeit keine Materialien anfallen, die nicht auch schon im provisorischen Stadium für die Fachöffentlichkeit nützlich wären (Transskriptionen von Handschriften, eingescannte ältere Drucke oder Forschungsliteratur, ...). Das Online-Stellen von Materialien ermöglicht nicht nur, dass Projektmitarbeiter von überall her auf die gleichen Grundlagen zugreifen können (das wäre ja auch in einer zugangsbeschränkten Präsentation möglich), sondern auch, dass weitere Forscher die Materialien nutzen und zugleich wertvollen Input bieten, indem sie auf Fehler hinweisen, eigene Beiträge liefern, das Editionsprojekt in der wissenschaftlichen Diskussion halten."

Sehr d'accord! 
odilo antwortete am 2004/06/02 15:08:
Stimme absolut zu!
Dem ist voll zuzustimmen, denn was bringen Editionswerke, die jahrzehntelang zum Erscheinen brauchen, wirklich? Da kommen und gehen ja mehrere HistorikerInnengenerationen inzwischen wieder. Gerade das digitale Medium bietet eine ideale Plattform, Quellentexte in verschiedenen Stadien der Bearbeitung bereitzustellen. Eine Online-Edition muß in der ersten Version kein "Fontes"-Band sein, denn Änderungen und Ergänzungen lassen sich ja immer wieder einfügen. 
KlausGraf meinte am 2005/03/05 00:40:
Sunthaim ed. Oefele
Nun bei ALO
http://www.literature.at/webinterface/library/ALO-BOOK_V01?objid=14325&page=603&zoom=3&ocr= 
KlausGraf antwortete am 2006/07/14 23:32:
Weiteres zu Sunthaim
Die Babenberger-Genealogie liegt als E-Text der Inkunabel vor unter
http://de.wikisource.org/wiki/Der_l%C3%B6blichen_F%C3%BCrsten_und_des_Landes_%C3%96sterreich_Altherkommen_und_Regierung

Zu Sunthaim siehe auch:
http://de.wikipedia.org/wiki/Ladislaus_Sunthaym 
KlausGraf antwortete am 2007/10/14 19:51:
Vortrag zu Sunthaims Welfengenealogie
http://archiv.twoday.net/stories/4349225/ 
KlausGraf meinte am 2005/11/04 00:54:
Druckfassung ist erschienen
Siehe
http://archiv.twoday.net/stories/1118293/

Die hier als Preprint http://archiv.twoday.net/stories/230198/ vorgelegte Fassung wurde nur geringfügig geändert. Anm. 2 verweist auf den Mruck-Gersmann-Reader http://archiv.twoday.net/stories/189932/ Anm. 3 auf meinen Beitrag "E-Mediävistik im Spannungsfeld von Wirtschaftsinteressen und Informationsfreiheit" in: Mediaevistik und Neue Medien 2004, 41-47 Inhalt, Online-Preprint
http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg20555.html
http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg20554.html
Anm. 4 nennt das nachträglich bekanntgewordene Urteil des LG Magdeburg
http://jurix.jura.uni-sb.de/pipermail/urecht/Week-of-Mon-20040830/001711.html
Als Anhang sind 4 kommentierte Links beigegeben, zwei verweisen auf dieses Weblog, einer auf Subers Open Access News und einer auf
http://www.historicum.net/aktuell/openaccess.html

In gedruckten Publikationen kann die Druckfassung zitiert werden, wer sich im Internet informieren will, ist mit dem Preprint in ARCHIVALIA, der ja weiterführende Links aufweist, die in der Druckfassung fehlen, zuzüglich dieser Ergänzungen besser bedient. 
steffens80 (Gast) meinte am 2005/11/08 16:04:
Open Access fürs Archiv - DIALOG für Dokumentare?
Die Bestrebung jegliche wissenschaftliche Information im Internet frei verfügbar (und vorallem kostenlos) zugänglich zu machen ist zwar ein hehrer Anspruch doch in Zeiten knapper Kassen und zunehmendem Kostendruck kaum realisierbar. Zumal erschließt es sich mir nicht, warum Bibliothek und Archive für ihre Arbeit keinen entsprechenden finanziellen Beitrag des wissenschaftlichen Nutzers verlangen sollen. Gerade hier bietet sich die Möglichkeit Einnahmen zu erzielen, welche dann beispielsweise in entsprechende Projekte zur Digitalisierung/Restaurierung oder Aufbau/Pflege von Fachdatenbanken genutzt werden können. Gerade aus Sicht des Steuerzahlers halte ich es geradezu für eine Pflicht monetär nutzbare Bestände auch entsprechend einzusetzen. Eine Differenzierung zwischen Wissenschaftler und Studierenden wäre in finanzieller Hinsicht zu ziehen, um den Studierenden die Erstellung qualifizierter Arbeiten zu ermöglichen.
Um es überspitzt auszudrücken: Beim Zugriff auf Fachdatenbanken ob über GENIOS, DIALOG oder sonstige Hosts sind auch entsprechende Gebühren zu zahlen! Die Recherche, Aufbereitung, Digitalisierung etc. bedeutet für den Hostanbieter wie die Bibliothek oder das Archiv Kosten und im Kapitalismus (und den haben wir mit unserer sozialen Marktwirtschaft nun einmal) müssen Kosten ersetzt werden! Gegebenenfalls auch durch entsprechende Gelder für die Nutzung von Wissenschaftsinformationen.

Zudem sind diese Projekte angesichts sinkender Zuschüsse aus Steuergeldern für Bibliothek, Archive und Museen kaum refinanzierbar. Ohne die Einnahmen aus der Vermarktung der Bestände die Aktivitäten kaum durchführbar. Insofern sind die Institutionen die falsche Adresse für Kritik, sie reagieren nur auf aktuelle Entwicklungen. Auf die Höhe der Zuschüsse in Form von Steuergelder, welche je nach Betrag das Verlagen von Zahlungen für die Bestandsbenutzung/Nutzung von Digitialisaten unnötig machen würde, haben die Institutionen keinen Einfluß! Die Entscheidungsgewalt liegt bei der Exekutive in Berlin oder dem jeweiligen Lang/Kommune und diese Exekutive heißt nicht Bibliothek, Archiv oder Museum! 
Klaus Graf (Gast) antwortete am 2005/11/08 16:58:
Kapitalismus pur
Schön, wir kennen nun Ihre Ansicht. Ich persönlich lege keinen Wert darauf, sie weiter erläutert zu bekommen. 
 

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