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Martin Otto ging in der Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.08.2011, Nr. 183, S. 29 auf den "Arolser Kopienstreit" (Bremberger ./. ITS Arolsen) ein, der auch hier Thema war und mir auf der exklusiven Facebookgruppe Archivfragen eine giftige Replik von Arolsen-Archivar Karsten Kühnel einbrachte.

http://archiv.twoday.net/search?q=arolsen

Bremberger hat eine Presseinformation zum Fall geschrieben:

Schlussstrich unter Forschungen zu Zwangsarbeit und Holocaust!

Der Internationale
Suchdienst des Roten Kreuzes blockiert Recherchen und schiebt wieder einen Riegel vor.
Eine der bedeutendsten Sammlungen zu NS-Verbrechen erschwert zunehmend Recherchen zu
Zwangsarbeit und Holocaust. In den letzten Jahren behindert der Internationale Suchdienst mehr
und mehr die Arbeit von Historikern. Seit Anfang 2011 blockiert er eine Forschung im Auftrag des
Bezirksamts von Berlin-Neukölln zur NS-Geschichte Berlins. Die Forschungsbehinderungen
geschehen unter der Leitung des Roten Kreuzes, finanziert und unterstützt von der
Bundesregierung und unter Aufsicht von internationalen Diplomaten.

Der Internationale Suchdienst des Roten Kreuzes (ITS) im hessischen Bad Arolsen wird als eines der
größten Archive zu Holocaust und Zwangsarbeit bezeichnet. Jahrzehntelang war der Suchdienst für
die Forschung unzugänglich und wurde erst 2007 auf internationalen Druck geöffnet. Ein großer Teil
seiner Dokumente ist mittlerweile eingescannt und kann vor Ort am Bildschirm eingesehen werden.

Seit zwei Jahren bemüht sich der Suchdienst jedoch, diese Öffnung wieder rückgängig zu machen und
Forschungen zu erschweren, gar zu blockieren. Dies drückt sich vor allem darin aus, dass forschenden
Historikern die für eine Auswertung notwendigen Dokumentenkopien vorenthalten werden:
So wurden im Jahr 2009 mehrfach Kopien von vollständigen Listen verweigert – beispielsweise einer
Brandenburgischen Behörde, die für eine geplante Gedenktafel auf einem Friedhof die korrekten
Namen der dort beerdigten Zwangsarbeiter braucht.

Im Jahr 2010 gab sich der Suchdienst eine neue, ungeschriebene Regelung, wonach ein Forscher nur
noch 100 Kopien erhalten dürfe - Kopien aus den Vorjahren mitgerechnet. Mehrere Historiker
bekamen die für ihre Arbeit notwendigen Kopien nicht und mussten ihre Forschung einschränken
bzw. ihren Forschungsaufenthalt verlängern, was mit enormen Mehrkosten verbunden war.

Erst im Herbst 2010 veröffentlichte der Suchdienst eine Benutzerordnung, in der die Ausgabe von
Kopien geregelt und gleichzeitig eingeschränkt wird: „Die Herausgabe von Kopien ganzer
Aktenbestände oder Sammlungen ist nicht möglich.“

Im Januar 2011 wurden für eine Forschung im Auftrag des Bezirksamts Neukölln Kopien zur
Auswertung bestellt, bei denen es sich weder um „ganze Aktenbestände“ noch um „ganze
Sammlungen“ handelt. Seit mehr als einem halben Jahr verweigert der Suchdienst deren Herausgabe.
Um dies zu begründen, definierte der ITS zunächst Archivbegriffe willkürlich um, was in der
Archivwelt Kopfschütteln hervorrief (https://archiv.twoday.net/stories/16556128/).

Später argumentierte der Suchdienst, die Begriffe in seiner Benutzerordnung entsprächen nicht dem,
was Archivwelt, Forschung und Allgemeinheit darunter verstehen. Er erstellte im Nachhinein eigene
Definitionen (https://archiv.twoday.net/stories/25481910/). Damit erweckt er Zweifel an der Gültigkeit
des von ihm veröffentlichten Wortes. Der ITS steht unter der Leitung des Internationalen Komitees
vom Roten Kreuz, das allerdings darum besorgt sein sollte, dass keine Zweifel an seiner
Glaubwürdigkeit aufkommen.

Der Suchdienst behält sich in seiner aktuellsten Definition vom Juni 2011 vor, Forschern sämtliche
Kopien von Dokumenten, die der ITS als „selbständig erkennbare Schriftguteinheit“ betrachtet, zu
verweigert. Dies betrifft jedes einzelne Dokument, das für Historiker von Bedeutung sein kann.

Konsequenterweise hat der Suchdienst sämtliche Kopien für die Forschung zu Neukölln verweigert.
Damit blockiert er seit über einem halben Jahr erfolgreich Forschungen
· zur Firma Gaubschat, dem Hersteller der berüchtigten Gaswagen - mobile Gaskammern, in denen
über achtzigtausend Menschen vernichtet wurden,
· zur Separierung von polnischen Patienten im Krankenhaus Neukölln,
· zum Abtransport von arbeitsunfähigen Sowjetbürgern in das Sterbelager Blankenfelde,
· zu polnischen Widerstandskämpfern, die in das Neuköllner Gefängnis verschleppt wurden,
· zu Zwangsarbeit von vielen hundert Polen bei der Firma "National Krupp",
· zu Versuchen an Homosexuellen, für die bei einer Rudower Firma Heizspiralen bestellt wurden,
· zu zahlreichen bislang unbekannten Firmen, die in Neukölln Zwangsarbeiter beschäftigt hatten.

Die Forschungsergebnisse erlauben umfangreiche neue Erkenntnisse zum Thema Medizin und
Zwangsarbeit in Berlin. Sie erlauben nähere Informationen zur Geschichte des Holocaust und lassen
gleichzeitig die Geschichte der Zwangsarbeit in Neukölln in völlig neuem Licht erscheinen: So wird
sich allein die Zahl der bekannten Zwangsarbeiterlager im Bezirk um ein Vielfaches erhöhen.

Eine mögliche Angst des Suchdienstes, dass ihm nach Herausgabe der Kopien an den Forscher
Konkurrenz in Neukölln erwächst, ist unbegründet: Elektronische Kopien der Unterlagen des
Suchdienstes existieren beispielsweise in den USA, in Israel, in Luxemburg und Polen; wenigstens in
Washington sind sie für die Forschung uneingeschränkt zugänglich.

Die Forschungsbehinderung wäre lediglich ärgerlich und überdies auch peinlich, wenn es sich um eine
private Einrichtung handeln würde, die - aus welchen Gründen auch immer - eine Decke über die
Vergangenheit ausbreiten möchte.

Der Internationale Suchdienst des Roten Kreuzes hingegen
· steht unter der Leitung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Genf,
· steht unter der Aufsicht eines Internationalen Ausschusses, dem Regierungsmitglieder aus 11
Nationen (Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Israel, Italien, Luxemburg,
Niederlande, Polen, Großbritannien, USA) angehören (Der Ausschuss ist jedoch so geheim, dass
sogar die Bundesregierung dessen Mitglieder auf Anfrage nicht preisgibt, siehe:
http://www.ullajelpke.de/uploads/KA_17-5862_ITS_vorab.pdf ),
· ist finanztechnisch beim Bundesinnenministerium angesiedelt und wird mit 14 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt finanziert.

Damit sind sowohl das Rote Kreuz wie auch die Bundesregierung – das Innenministerium ebenso wie
das Außenministerium – und Diplomaten aus elf Regierungen an der Verhinderung der Forschung zu
Holocaust, Zwangsarbeit und Widerstand in Berlin beteiligt.

Zumindest das Außenministerium, der Internationale Ausschuss als auch das Rote Kreuz in Genf sind
darüber informiert und wurden gebeten, dafür zu sorgen, dass der Suchdienst seine eigenen Regeln
einhält. (siehe http://archiv.twoday.net/stories/25481967/). Sie haben die Forschungsblockade nicht
verhindert. All dies ist vollkommen unverständlich und sollte für die Öffentlichkeit auch nicht
hinnehmbar sein.

Nun ist sogar zu befürchten, dass der ITS seine willkürlichen Behinderungen der Forschung durch
Verweigerung von Arbeitskopien (die er derzeit noch in eklatanten Widerspruch zu seinen eigenen
Benutzerregelungen praktiziert) im Lauf des Jahres 2011 institutionalisiert. Damit würde - zumindest
in Deutschland - die Forschungsmöglichkeiten zu den Verbrechen des Nationalsozialismus um Jahrzehnte zurückgeworfen.

Presseinformation zu Forschungsblockaden durch den Internationalen Suchdienst. Bernhard Bremberger, 2.8.2010


Ich schließe mich der Kritik Brembergers hundertprozentig an.
vom hofe meinte am 2011/08/13 11:33:
Rechtsbruch wird institutionalisiert
Internet, Digitalisierung und technischer Fortschritt ermöglichen ein rasches Aufspüren von Quellen. In Bruchteilen von Sekunden kann so gut wie jeder zumindest herausfinden, wo sich diese befinden könnten. Diese technischen Möglichkeiten stellen für den Staat und parastaatliche Organisationen eine potentielle Gefahr dar. Sie könnten in Erklärungsnöte geraten.

Sollten diese Organisationen selbst in Unrechtshandlungen verstrickt sein, so werden rasch die Standardausreden "Aktenvernichtung", "mangelndes rechtliches Interesse" oder "Datenschutz" gezückt.

Im worst case verbleibt der Rechtsbruch. Denn dieser ist, wenn er in Form eines Gerichtsurteils verpackt wird, "noch" das geringere Übel. Geschieht der Rechtsbruch immer wieder ohne dass Sanktionen erfolgen, wird auch dieser eines Tages anerkannt. Es wird auch kein Hahn danach krähen, ob die FAZ mal einen kritischen Artikel verfasst (warum nicht online ?) oder Herr Dr. Graf oder ich diese Praxis anprangern.

Ministerien einschliesslich Justiz sind sich dessen voll bewusst.

Erst wenn gewalttätige "Explosionen" wie die in England eintreten, fassen sich die Politiker in dramatischer Pose an den Kopf.

Solange nichts passiert, werden Ministerien, Organisationen und Politiker munter weitermachen und Recht brechen.

Klarstellung:
Ich bin es ja gewohnt, dass der eine oder andere Kommentator nun ein Wort aus meinem Beitrag herauspickt und daraus eine bestimmte "Denke" ableiten möchte. Also:
Ich wünsche mir natürlich keine Gewaltaktionen und lehne sie ab. Aber eins ist klar. Solange sich keine breite Mehrheit findet, die Informationsvorenthaltungen und Vertuschung anprangert, werden sie uns alle weiterhin für dumm verkaufen.

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