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Die Südwestpresse hat weitere Details aufgedeckt. (Update zu:
http://archiv.twoday.net/stories/4688838/ )

KULTURGUT / Beim Verkauf des Mittelalterlichen Hausbuches von Schloss Wolfegg ging es nicht mit rechten Dingen zu

Die Landesregierung schön düpiert

Minister Pfister wusste seit August 2007 von dem Geschäft und gab erst mit Verspätung Alarm

Beim Verkauf des Mittelalterlichen Hausbuchs von Schloss Wolfegg ist die Landesregierung ganz schön an der Nase herumgeführt worden. Bei der millionenschweren Transaktion umging der Fürst die Landesbehörden. Lässt sich der Verkauf rückgängig machen?

RAIMUND WEIBLE BETTINA WIESELMANN

Noch am Mittwoch behauptete Bernd Mayer, Leiter der Kunstsammlungen auf Schloss Wolfegg, es sei "alles im Fluss". Und der promovierte Kustos erweckte den Eindruck, als ob noch keine Tatsachen geschaffen worden wären. Damit wollte er offenbar eine unangenehme Anfrage der SÜDWEST PRESSE abblocken. Mit der Wahrheit rückte er gegenüber der Öffentlichkeit erst gestern Vormittag heraus. Mayer bestätigte nun endlich auch gegenüber der Öffentlichkeit, dass sich das oberschwäbische Adelshaus von einem seiner wertvollsten Archivalien getrennt hat, dem Mittelalterlichen Hausbuch.

350 Jahre lang wurde dieses Werk, das mit künstlerischer Brillanz seltene Einblicke in das Alltagsleben der Menschen des 15. Jahrhunderts gibt, auf Schloss Wolfegg im Kreis Ravensburg aufbewahrt. Reichserbtruchsess (Verwalter der Reichsgüter) Maximilian Willibald (1604-1667), ein großer Sammler vor dem Herrn und Begründer des Kupferstichkabinetts auf Schloss Wolfegg, hatte die in Fragmenten vorliegende Handschrift von einem unbekannten Vorbesitzer erworben. Sie steht auf der Liste der nationalen Kulturgüter und gehört zu den Juwelen Baden-Württembergs.

Nun ist das Buch weg, so wie schon 2001 die Waldseemüller-Weltkarte, ein weiteres Glanzstück der Sammlungen auf Schloss Wolfegg. Die Weltkarte, auf der Kartograph Martin Waldseemüller als erster den vierten Kontinent mit dem Namen Amerika bezeichnete, war mit der notwendigen Genehmigung des Beauftragten der Bundesregierung an die Kongressbibliothek in Washington gegangen.

Wieder geht Kulturgut baden

Das Versteckspiel geht aber weiter. Mayer will nicht sagen, an welchen Ort das Hausbuch gewandert ist, und er will nicht sagen, wie der neue Besitzer heißt. "Über die Einzelheiten der Transaktion sowie die Identität des neuen Eigentümers wurde zum Schutz des Werkes Stillschweigen vereinbart", teilte er lediglich mit. Die Begründung "Schutz des Werks" ist als Vorwand leicht zu durchschauen. Vielmehr wird es so sein, dass der Erwerber nicht im Rampenlicht stehen will. Er hat sich Diskretion ausgebeten.

Nach Informationen der SÜDWEST PRESSE handelt es sich bei dem neuen Eigentümer, wie berichtet, um den öffentlichkeitsscheuen Ex-Bankier August Baron von Finck, ein Milliardär mit Wohnsitz im schweizerischen Thurgau. Wirtschaftsminister Ernst Pfister kennt den Namen des neuen Hausbuch-Eigentümers spätestens seit dem 15. Januar 2008. An jenem Tag, so war gestern überraschend aus seinem Ministerium zu hören, habe sich ihm der Vermittler des Hauses Waldburg-Wolfegg offenbart. Der Vermittler ist eine bekannte Figur im internationalen Kunsthandel: Christoph Graf Douglas. Der smarte, 60-jährige Adelige ist meist dabei, wenn es um Transaktionen wertvoller Kulturgüter aus deutschem Adelsbesitz geht. Als Ernst-August Prinz von Hannover sich von mehr oder weniger wertvollem Nippes aus seinem Schloss trennte, stand ihm der ehemalige Sothebys- Deutschland-Direktor zur Seite. Auch wenn es um Schätze aus dem Hause Fürstenberg in Donaueschingen oder aus dem Hause Baden ging, war Douglas stets zur Stelle. Und jetzt half er dem Wolfegger Fürsten Johannes, das Hausbuch zu klingender Münze zu verwandeln. 20 Millionen Euro sind im Gespräch, etwas mehr als das Doppelte, was der Waldseemüller-Transfer nach Amerika eingebracht hatte. Der Aachener Hochschul-Archivar Klaus Graf, der seit Jahren die Geschäfte des listigen Sachverständigen für Antiquitäten und Kunst beobachtet, redet aufgebracht von einer "erneuten Schurkentat" des alerten Grafen.

Der Sprecher des Wissenschaftsministeriums, Jochen Laun, drückt sich nicht so derb aus, aber er macht deutlich, dass die Transaktion nicht sauber über die Bühne gegangen ist. Bei dem Verkauf ist beispielsweise Paragraph neun des Bundesgesetzes zum Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung verletzt worden. Diese Vorschrift verlangt vom Besitzer der Preziose, dass er unverzüglich der obersten Landesbehörde, im Fall Baden-Württemberg dem Wissenschaftsministerium, mitzuteilen hat, wenn das Objekt an einen anderen Ort gebracht wird. Bei einer Ausfuhr ins Ausland sind, wie der Fall der Weltkarte zeigte, noch viel strengere Vorschriften zu beachten. Bei einem Verstoß drohen sogar bis zu drei Jahre Haft.

Das Land vorgeführt

Für das Hausbuch liegt zudem eine absolute Verfügungsbeschränkung vor. Es fällt unter den Fideikommiss (dabei geht es darum, eine Erbschaft unter behördlicher Aufsicht zusammenzuhalten), und deswegen hätten sich die Wolfegger vor Vertragsunterschrift vom Regierungspräsidium Tübingen als Denkmalbehörde eine Genehmigung einholen müssen. Das haben sie nicht getan. Graf schimpft: "Es geht ganz und gar nicht an, wie sich hier ein Adelshaus über geltendes Recht hinwegsetzt und das Land einmal mehr vorführt."

In den Amtsstuben der Ministerien gab es in den vergangenen Tagen fiebrige Recherchen zum Ablauf des Geschäfts. Inzwischen ist sicher: Schon im August 2006 gab es deutliche Anzeichen, dass Wolfegg sich von dem Hausbuch trennen will. Vermittler war eben Graf Douglas, der an das Land herantrat.

Damals bot er dem Frankenberg-Ministerium das Hausbuch zum Verkauf oder zum Tausch gegen vermarktbare Archivalien an. Ohne Erfolg. Staatssekretär Dietrich Birk lehnte das Angebot schriftlich ab. Ein hoher Beamter dazu: "Wir sind ja nicht auf dem arabischen Bazar." Ein anderer Beamter witzelte: "Jetzt weiß man, dass es nicht nur Geld- sondern auch Buchwäsche gibt."

Die schwächste Stelle

Die Landesregierung hat sich in der Hausbuch-Affäre wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Am wenigsten professionell handelte Wirtschaftsminister Ernst Pfister. Er erfuhr im August 2007 von dem Verkauf und sah offenbar keinen Grund, die anderen Landesbehörden sofort zu informieren, die in die Sache eingebunden sein müssen. Zielsicher hat Douglas wohl die schwächste Stelle in der Regierung ausgesucht, nach der Abfuhr vom Wissenschaftsministerium im August 2006.

Deswegen muss die Landesregierung nun auch Schelte von der Opposition einstecken. Für Helen Heberer, kulturpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, zeigt der Vorgang Parallelen "zu dem geschichtslosen Dilettantismus der Regierung im Umgang mit den badischen Kulturgütern". Sie verlangt Auskunft über die Verhandlungen zwischen dem Haus Wolfegg und dem Land. "Die Landesregierung muss lückenlos offenlegen, warum es ihr nicht gelang, einen Kauf- oder Tauschvertrag mit dem Adelshaus Waldburg-Wolfegg zu schließen.".

Wenn vor dem Verkauf nicht die notwendige Zustimmung eingeholt worden ist, dann ist die Rechtmäßigkeit des Vertrags in Zweifel zu ziehen. Auf die Frage der SÜDWEST PRESSE, ob sich das Ministerium nun darum kümmern wird, den Verkauf rückgängig zu machen und das Buch wieder ins Land zu holen, sagte Laun: "Man wird sich innerhalb der beteiligten Behörden abstimmen müssen, wie weiter zu verfahren ist."


Kommentar:

Ministerialdirektor Klaus Tappeser vom Wissenschaftsministerium wollte noch gestern Morgen keine Informationen über den Verbleib des Buches haben. Auch Landesamt-Chef Planck, mit dem ich vorgestern sprach, war offenbar nicht vom Wirtschaftsministerium ins Bild gesetzt worden.

Nun kennt man auch genauer die Chronologie der Kontakte: Wenn Graf Douglas im August 2006 den Tauschhandel vorschlug, dann war das vor dem Bekanntwerden des Baden-Deals Ende 2006. Alles spricht also dafür, dass er der Spiritus rector der schändlichen Idee ist, im Tausch gegen andere Kulturgüter Objekte aus staatlichen Sammlungen dem Markt zuzuführen.

Nicht besonders klar wird in dem Artikel, was es mit dem Fideikommiss auf sich hat. Instruktiv dazu ist die Lektüre des Beschlusses des Fideikommisssenats des (inzwischen aufgelösten) Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 27.10.2004 auf Wikisource.

"Ein Familienfideikommiss ist ein durch privates Rechtsgeschäft gebundenes Sondervermögen, das grundsätzlich unveräußerlich und unbelastbar ist, von bestimmten Familienmitgliedern nacheinander in einer von vornherein festgelegten Folgeordnung genutzt wird und dazu bestimmt ist, die wirtschaftliche Kraft und das soziale Ansehen einer Familie dauernd zu erhalten. Die Fideikommisse verdanken ihre Entstehung dem Wunsch der grundbesitzenden Familien, insbesondere des Adels, ihren Besitzstand geschlossen zu erhalten (Koehler-Heinemann, S. 67). Fideikommissvermögen wurde in der Regel unter dem Privileg einer herrschaftlichen Position geschaffen oder erworben."

Die Fideikommissauflösungsgesetzgebung nach 1918 und insbesondere das Fideikommissauflösungsgesetz vom 6.7.1938 behielt im öffentlichen Interesse die rechtlichen Bindungen bei. Das Gericht bemerkte, dass "Beschlüsse des OLG keine Beschränkungen bestimmen, die nicht schon vorher bestanden haben. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die vorher im Interesse der Familie bestehenden Beschränkungen nunmehr im öffentlichen Interesse aufrechterhalten wurden".

Die ehemalige Sonderrolle der Eigentümer rechtfertigt es nach Ansicht des Gerichts, ehemaliges Fideikommissvermögen anders zu behandeln als anderes Vermögen.

Die bayerische Entscheidung ist 1:1 auf den Wolfegger Fall übertragbar.

Die Beschlüsse des Fideikommissgerichts aus den 1950er Jahren über die Wolfegger Sammlungen sind formell und materiell rechtskräftig. Es ist auch keine wesentliche Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse eingetreten. Das betroffene Kulturgut ist wie damals schützenswert und schutzbedürftig. Die Beschlüsse sind auch nicht verfassungswidrig. Der angeordnete Genehmigungsvorbehalt beschränkt in zulässiger Weise Inhalt und Schranken des Eigentums, um wertvolles Kulturgut zu schützen. Dies ist vom Eigentümer entschädigungslos als Ausfluß der Sozialbindung des Eigentümers hinzunehmen.

Einen Antrag auf Aufhebung der Beschlüsse hat der Eigentümer nicht gestellt.

Die Aufhebung von Fideikommiss-Auflösungsrecht am 23.11.2007 hat keine Änderung bewirkt. Bestehende Rechte und Pflichte bleiben nach § 2 unberührt:
http://www.buzer.de/gesetz/7964/index.htm

Daraus folgt: Die fideikommissrechtlichen Beschränkungen sind nach wie vor zu beachten, der Verkauf ist ohne entsprechende Genehmigung nichtig.

Instruktiv nicht nur zur hessischen Rechtslage ist ein Auszug aus dem Kommentar zum hessischen Denkmalschutzrecht.

"Die im öffentlichen Interesse getroffenen Schutz- und Sicherungsmaßnahmen wirken auch gegenüber jedem Erwerber oder Besitzer des geschützten Kulturdenkmals (§ 7 Abs. 2 Satz 1 DV FidErIG)".

Bei Zuwiderhandlungen gegen Anordnungen der Genehmigungsbehörde kann der Eigentümer mit Geld- oder Haftstrafen (Erzwingungsstrafen) belegt werden (§ 7 Abs. 2 Satz 2 DV FidErIG).

In Bayern ließ vor Jahren das OLG Bamberg das Bibra'sche Archiv unter Polizeischutz ins Staatsarchiv Bamberg verbringen.

Das Reichsgesetzblatt von 1938 mit dem Text des damals beschlossenen Gesetzes ist online.

Zum Thema siehe auch:
http://www.jurawiki.de/FideiKommiss
http://archiv.twoday.net/search?q=fideikomm

KlausGraf meinte am 2008/02/09 16:21:
Zusatzinformationen der Stuttgarter Zeitung
"Nach Recherchen der Stuttgarter Zeitung hatte das Haus Waldburg-Wolfegg das Hausbuch im Sommer 2006 dem Wissenschaftsministerium zum Tausch für ausländische Handschriften aus der Württembergischen Landesbibliothek angeboten. Das Wissenschaftsministerium hatte Bedenken und lehnte ab. Im August 2007 teilte Fürst Johannes dem Wirtschaftsministerium lapidar mit, dass das Hausbuch nun an einen Privatmann in Bayern verkauft worden sei.

Im November informierte die Landesregierung das bayerische Wissenschaftsministerium. Dort ist nichts über den Käufer bekannt. Anfang des Jahres schaltete sich Wirtschaftsminister Ernst Pfister (FDP) ein. In einem Gespräch mit dem Vermittler des Geschäfts erfuhr er am 15. Januar den Namen des Käufers. Ein Gerücht besagt, dass es sich dabei um den Bankier, Industriellen und Milliardär August von Finck handeln soll. In der dortigen Hauptverwaltung gab man sich allerdings äußerst zugeknöpft: "Wir erteilen grundsätzlich keine Auskünfte über irgendwelche Angelegenheiten." (StZ, 9.2.2008) 
 

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