Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.04.2008, Nr. 83, S. 35
Was wurde aus dem Fürstenzubehör?
Eine Gegenmeinung zum badischen Kulturgüterstreit: Die Kommission des Landes hat keinen Begriff vom Funktionswandel der Besitzrechte im Prozess der Revolution.
Von Gerd Roellecke
Im "badischen Kulturgüterstreit" hat die baden-württembergische Landesregierung eine Kommission aus Juristen und Historikern beauftragt, die Eigentumsfragen zu klären. Sie hat jetzt ihr Gutachten veröffentlicht - aber nicht gedruckt. Sie hat ein Exemplar im Lesesaal des Generallandesarchivs Karlsruhe zur Einsichtnahme ausgelegt. Aber die Publikation als Buch wird nicht lange auf sich warten lassen, obwohl sie eine Beilegung des Streites erschweren dürfte.
[...]
Ob die "Pertinenz-Theorie" der Kommission die Gerichte überzeugt, ist nicht sicher. Dass Zubehör in der Regel das rechtliche Schicksal der Hauptsache teilt, ist zwar allen Juristen geläufig. Aber der Staat ist keine Sache, auch nicht im übertragenen Sinn, sondern ein lebendes System. Die Kommission verwendet viel Mühe darauf, die juristische und organisatorische Verselbständigung des Staates im Verhältnis zur Politik und zur Person eines Monarchen zu verdeutlichen. Aber dass der Staat als Organisation Rechte haben kann, klärt nicht, wie weit die Rechte reichen, also nicht das Eigentum an bestimmten Gegenständen. Für die Gutachtenfrage kommt es nicht auf die Selbständigkeit, sondern auf die Funktionen des Staates an. Zubehör sind danach alle Gegenstände, die den politischen Zwecken des Staates zu dienen bestimmt sind, um die Formulierung des Bürgerlichen Gesetzbuches aufzunehmen. Das Fürstengut oder die Hofausstattung diente jedoch weniger dem Unterhalt des Fürsten und mehr der monarchischen Legitimation.
Die Legitimationsfrage blendet das Gutachten aber gerade aus. Zum Beispiel hatte der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 die geistlichen und viele weltliche Herrschaften den größeren Reichsterritorien zugeschlagen. Bei den geistlichen Herrschaften fiel das fürstliche Vermögen dem übernehmenden Territorium zu, bei den weltlichen den standesherrlichen Familien. Diese offenkundige Ungleichbehandlung erklärt das Gutachten mit dem politischen Prinzip, dass die standesherrlichen Familien möglichst geschont werden sollten. Das mag sein. Aber dann muss man auch die Benachteiligung der geistlichen Herren politisch sehen und damit erklären, dass die katholische Kirche schwach war und als besonders reaktionär galt, und dann kann man aus der Säkularisation der geistlichen Herrschaften kein Argument dafür gewinnen, dass das Fürstengut dem Staat zufällt. Im Übrigen ist zu bemerken, dass sich das Haus Baden heute an genau der ehrwürdigen Zisterzienser-Reichsabtei Salem verschluckt, die es sich 1803 fröhlich angeeignet hat.
Das Privateigentum der SED
Ein ähnliches Problem stellte sich 1918 mit der Abdankung des Hauses Baden. Nach Ansicht der Kommission war damals die Hofausstattung vom Thronsessel über die Bibliothek bis zu den Kunstsammlungen Zubehör zum Amt des Monarchen. Sie diente der spezifischen Legitimation und damit einer Staatsaufgabe, indem sie den persönlichen Rang des Monarchen in traditioneller und kultureller Hinsicht betonte. Das war ihre Funktion. Deshalb fiel sie nach Meinung der Kommission mit dem Untergang der Monarchie an den Staat und wurde Staatseigentum. Und was machte die neue Republik Baden mit der Hofausstattung? Sollten sich jetzt die Minister der Volksregierung auf dem Thronsessel räkeln? Oder mit Gemälden und Kupferstichen auf die Bedeutung ihrer Persönlichkeit hinweisen?
Natürlich nicht. Die Hofausstattung hatte ihre Funktion als Legitimationsstückwerk verloren und war - Kulturgut, eine Ansammlung von Museumsstücken geworden. Die Markgrafen von Baden benötigten die Hofausstattung nicht mehr, weil sie nicht mehr regierten, und die Republik Baden benötigte sie nicht, weil sie nicht monarchisch legitimiert war. Jetzt entschied die in Wahlen formalisierte Zustimmung, und die hatte eben die Republik. Damit ist die Eigentumsfrage wieder offen. Wenn das Haus Baden den Zugriff auf das Fürstengut verloren hat, weil sich die Funktion des Gutes mit dem politischen Wandel gewandelt hat, kann das nicht bedeuten, dass jetzt die Republik den Zugriff erhält, denn die kann die Funktion nicht nutzen. Aus der funktionalen Betrachtung lässt sich kein Argument für den Verbleib des Eigentums gewinnen.
Natürlich kann man argumentieren, die badische Hofausstattung sei Kulturgut, gehöre der deutschen Geschichte und damit dem deutschen Volk. Da die Markgrafen indessen unstreitig am Anfang des achtzehnten Jahrhunderts zwar nicht als, aber wie ein Privateigentümer über ihr Fürstengut verfügen konnten, müsste man den Bedeutungswandel des Fürstengutes wie eine Enteignung betrachten - eine in mehreren Hinsichten wenig befriedigende Perspektive.
Die Kommission hätte den Untergang der badischen Monarchie auch mit dem Untergang der DDR vergleichen können. In beiden Fällen lag ein Wechsel im politischen System vor. In der DDR gab es vor 1990 so wenig privates Eigentum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches wie im politischen System der Markgrafschaft oder des Großherzogtums Baden. Nach 1918 musste man deshalb das politisch relevante Eigentum in Baden genauso neu sortieren wie nach der Wende in der DDR. Entscheidend waren die künftigen Aufgaben im neuen Staatswesen. Das Haus Baden wurde Kulturgut und die SED politische Partei in einem kapitalistischen Staat. Deshalb erhielt die SED mit der Wiedervereinigung plötzlich ein Privatvermögen, das sie vorher nie besessen hatte. Auch den "badischen Kulturgüterstreit" wird man in dieser Perspektive entscheiden müssen und nicht allein mit historischen Analysen klären können.
Gerd Roellecke ist emeritierter Ordinarius für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie der Universität Mannheim.
Irgendein stringentes Argument habe ich in dem Artikel nicht entdecken können. Man kann ihn getrost ebenso zu den Akten legen wie das wissenschaftlich minderwertige Gegengutachten der von Salem Bezahlten.
Leserbrief Ehrles, Direktor a.D. vom 12.4.2008 Bilddatei
Meine Stellungnahme zum Gutachten der BW-Expertenkommission:
http://archiv.twoday.net/stories/4567789/
Was wurde aus dem Fürstenzubehör?
Eine Gegenmeinung zum badischen Kulturgüterstreit: Die Kommission des Landes hat keinen Begriff vom Funktionswandel der Besitzrechte im Prozess der Revolution.
Von Gerd Roellecke
Im "badischen Kulturgüterstreit" hat die baden-württembergische Landesregierung eine Kommission aus Juristen und Historikern beauftragt, die Eigentumsfragen zu klären. Sie hat jetzt ihr Gutachten veröffentlicht - aber nicht gedruckt. Sie hat ein Exemplar im Lesesaal des Generallandesarchivs Karlsruhe zur Einsichtnahme ausgelegt. Aber die Publikation als Buch wird nicht lange auf sich warten lassen, obwohl sie eine Beilegung des Streites erschweren dürfte.
[...]
Ob die "Pertinenz-Theorie" der Kommission die Gerichte überzeugt, ist nicht sicher. Dass Zubehör in der Regel das rechtliche Schicksal der Hauptsache teilt, ist zwar allen Juristen geläufig. Aber der Staat ist keine Sache, auch nicht im übertragenen Sinn, sondern ein lebendes System. Die Kommission verwendet viel Mühe darauf, die juristische und organisatorische Verselbständigung des Staates im Verhältnis zur Politik und zur Person eines Monarchen zu verdeutlichen. Aber dass der Staat als Organisation Rechte haben kann, klärt nicht, wie weit die Rechte reichen, also nicht das Eigentum an bestimmten Gegenständen. Für die Gutachtenfrage kommt es nicht auf die Selbständigkeit, sondern auf die Funktionen des Staates an. Zubehör sind danach alle Gegenstände, die den politischen Zwecken des Staates zu dienen bestimmt sind, um die Formulierung des Bürgerlichen Gesetzbuches aufzunehmen. Das Fürstengut oder die Hofausstattung diente jedoch weniger dem Unterhalt des Fürsten und mehr der monarchischen Legitimation.
Die Legitimationsfrage blendet das Gutachten aber gerade aus. Zum Beispiel hatte der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 die geistlichen und viele weltliche Herrschaften den größeren Reichsterritorien zugeschlagen. Bei den geistlichen Herrschaften fiel das fürstliche Vermögen dem übernehmenden Territorium zu, bei den weltlichen den standesherrlichen Familien. Diese offenkundige Ungleichbehandlung erklärt das Gutachten mit dem politischen Prinzip, dass die standesherrlichen Familien möglichst geschont werden sollten. Das mag sein. Aber dann muss man auch die Benachteiligung der geistlichen Herren politisch sehen und damit erklären, dass die katholische Kirche schwach war und als besonders reaktionär galt, und dann kann man aus der Säkularisation der geistlichen Herrschaften kein Argument dafür gewinnen, dass das Fürstengut dem Staat zufällt. Im Übrigen ist zu bemerken, dass sich das Haus Baden heute an genau der ehrwürdigen Zisterzienser-Reichsabtei Salem verschluckt, die es sich 1803 fröhlich angeeignet hat.
Das Privateigentum der SED
Ein ähnliches Problem stellte sich 1918 mit der Abdankung des Hauses Baden. Nach Ansicht der Kommission war damals die Hofausstattung vom Thronsessel über die Bibliothek bis zu den Kunstsammlungen Zubehör zum Amt des Monarchen. Sie diente der spezifischen Legitimation und damit einer Staatsaufgabe, indem sie den persönlichen Rang des Monarchen in traditioneller und kultureller Hinsicht betonte. Das war ihre Funktion. Deshalb fiel sie nach Meinung der Kommission mit dem Untergang der Monarchie an den Staat und wurde Staatseigentum. Und was machte die neue Republik Baden mit der Hofausstattung? Sollten sich jetzt die Minister der Volksregierung auf dem Thronsessel räkeln? Oder mit Gemälden und Kupferstichen auf die Bedeutung ihrer Persönlichkeit hinweisen?
Natürlich nicht. Die Hofausstattung hatte ihre Funktion als Legitimationsstückwerk verloren und war - Kulturgut, eine Ansammlung von Museumsstücken geworden. Die Markgrafen von Baden benötigten die Hofausstattung nicht mehr, weil sie nicht mehr regierten, und die Republik Baden benötigte sie nicht, weil sie nicht monarchisch legitimiert war. Jetzt entschied die in Wahlen formalisierte Zustimmung, und die hatte eben die Republik. Damit ist die Eigentumsfrage wieder offen. Wenn das Haus Baden den Zugriff auf das Fürstengut verloren hat, weil sich die Funktion des Gutes mit dem politischen Wandel gewandelt hat, kann das nicht bedeuten, dass jetzt die Republik den Zugriff erhält, denn die kann die Funktion nicht nutzen. Aus der funktionalen Betrachtung lässt sich kein Argument für den Verbleib des Eigentums gewinnen.
Natürlich kann man argumentieren, die badische Hofausstattung sei Kulturgut, gehöre der deutschen Geschichte und damit dem deutschen Volk. Da die Markgrafen indessen unstreitig am Anfang des achtzehnten Jahrhunderts zwar nicht als, aber wie ein Privateigentümer über ihr Fürstengut verfügen konnten, müsste man den Bedeutungswandel des Fürstengutes wie eine Enteignung betrachten - eine in mehreren Hinsichten wenig befriedigende Perspektive.
Die Kommission hätte den Untergang der badischen Monarchie auch mit dem Untergang der DDR vergleichen können. In beiden Fällen lag ein Wechsel im politischen System vor. In der DDR gab es vor 1990 so wenig privates Eigentum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches wie im politischen System der Markgrafschaft oder des Großherzogtums Baden. Nach 1918 musste man deshalb das politisch relevante Eigentum in Baden genauso neu sortieren wie nach der Wende in der DDR. Entscheidend waren die künftigen Aufgaben im neuen Staatswesen. Das Haus Baden wurde Kulturgut und die SED politische Partei in einem kapitalistischen Staat. Deshalb erhielt die SED mit der Wiedervereinigung plötzlich ein Privatvermögen, das sie vorher nie besessen hatte. Auch den "badischen Kulturgüterstreit" wird man in dieser Perspektive entscheiden müssen und nicht allein mit historischen Analysen klären können.
Gerd Roellecke ist emeritierter Ordinarius für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie der Universität Mannheim.
Irgendein stringentes Argument habe ich in dem Artikel nicht entdecken können. Man kann ihn getrost ebenso zu den Akten legen wie das wissenschaftlich minderwertige Gegengutachten der von Salem Bezahlten.
Leserbrief Ehrles, Direktor a.D. vom 12.4.2008 Bilddatei
Meine Stellungnahme zum Gutachten der BW-Expertenkommission:
http://archiv.twoday.net/stories/4567789/
Ladislaus meinte am 2008/04/16 00:12:
"Die Hofausstattung hatte ihre Funktion als Legitimationsstückwerk verloren und war - Kulturgut, eine Ansammlung von Museumsstücken geworden." Das klingt griffig, ist aber ein total schiefes Bild. Es geht ja bei dem ganzen Streit nicht um ein paar silberne Lüster und ein, zwei Prunkpokale, einen Thronsessel und einen Hermelinmantel (den ganzen "Fürstennippes" hat das geschichtsvergessene Haus Baden ja schon längst verscherbelt), sondern z. B. um mittelalterliche Handschriften und bedeutende frühneuzeitliche Gemälde. Und die waren schon sehr lange vor 1919 Museumsstücke bzw. Gegenstände der Forschung und nicht "Legitimationsstückwerk". Die Reichenauer Handschriften dienten ja nicht als Coffetable-Books zum Beeindrucken von Untertanen und Fremdlingen und auch im übertragenen Sinn m. E. keinesfalls als Legitimationsinstrument. Das persönliche Eigentum an solchen Dingen war schon damals längst nur volksfernen Kleingeistern wie den badischen Herrschern wichtig, fast überall sonst waren solche Antiquitäten unzweifelhaft Eigentum der Nation.
KlausGraf meinte am 2008/04/25 13:04:
Raffelt gegen Roellecke
http://archiv.twoday.net/stories/4888252/