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Zwei Buchbesprechungen von mir, die jetzt in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins erschienen sind (mit Ergänzungen in Form von Links):

Elizabeth Harding und Michael Hecht (Hrsg.), Die Ahnenprobe in der Vormoderne. Selektion - Initiation - Repräsentation. Münster: Rhema 2011 (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496 Bd. 37). 434 S., zahlreiche Abb.

Der auf eine Tagung in Münster 2009 zurückgehende Sammelband enthält eine sehr umfangreiche und materialreiche “Einführung” durch die Herausgeber (S. 9-83), in der die drei Begriffe des Untertitels expliziert werden. Ahnenproben werden als Auswahlverfahren vorgestellt (“Selektion”), doch beschränkte sich ihre Rolle keineswegs darauf. Der Abschnitt “Initiation: Ahnenproben als Einsetzungsritual” (S. 37-44) thematisiert in innovativer Weise die rituellen Aspekte des Phänomens, indem er die öffentlichen Aufschwörungsakte würdigt. Ahnenproben dienten schließlich als “Repräsentation von Abstammung und Verwandtschaft” (S. 44) auf Bildzeugnissen und insbesondere in Funeralschriften.

Zu unpräzise wird die spätmittelalterliche Vorgeschichte der Ahnenprobe dargestellt. Die entsprechende Passage (S. 14-28) setzt mit dem Sachsenspiegel im 13. Jahrhundert ein, geht dann auf Belege aus dem Turnierwesen und den Rittergesellschaften des 15. Jahrhunderts ein und springt vom Hubertus-Orden zu einer Düsseldorfer Festlichkeit 1585. Eine ahistorische Betrachtungsweise, die Spätmittelalter und Frühe Neuzeit in einen Topf wirft, wird den Ahnenproben jedoch nicht gerecht.

Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts dominierte eindeutig die Vierahnenprobe. Strengere Anforderungen gab es vereinzelt bei den Domstiften: Basel forderte 1466 acht Ahnen (S. 198), Köln für die hochadeligen “Domgrafen” 1474 sogar 16 (Adlige Lebenswelten im Rheinland, 2009, S. 183). Turnier- und Rittergesellschaften, aber auch die Friedberger Burgmannen (S. 209), begnügten sich im 15. Jahrhundert mit vier Ahnen. So auch der jülich-bergische Hubertus-Orden 1476 (S. 18), wenngleich in seinem Heroldsbuch auch höhere Ahnenproben vertreten sind. So betrifft der letzte datierte Eintrag (1492) die 16 Ahnen eines Grafen von Hohenlohe (Krakau, ehemals Staatsbibliothek Berlin mgq 1479). Quellenkritisch nicht zulässig ist der exemplarische Verweis auf das Eptinger Familienbuch, das Ludwig von Eptingen zugewiesen wird: “Anlässlich seiner Teilnahme an einem Turnier in Mainz 1480 hielt er seine vier Ahnenwappen fest, im folgenden Jahr malte er im Kontext eines Heidelberger Turniers bereits acht Wappen auf, zu den Turnieren in Regensburg und Worms führte er je 16 Ahnenwappen für sich und für seine Ehrefrau an” (S. 16). Ich habe schon in meiner Rezension (ZGO 143, 1995, S. 609f.) der Ausgabe von Dorothea Christ 1992 Zweifel an der Authentizität der Quelle als spätmittelalterliches Zeugnis angemeldet. Sie ist zuallererst als Dokument aus dem frühen 17. Jahrhundert zu lesen. Wenngleich der Redaktor Materialien zum Turnierwesen aus der Zeit der Vierlande-Turniere verwenden konnte, liegt gerade bei den Ahnenproben der Verdacht nahe, dass diese nachträglich fingiert wurden. Selbst wenn man meine Skepsis nicht vollständig teilt, geht es nicht an, ein nur in einer frühneuzeitlichen Überlieferung fassbares Hausbuch ohne jedes Fragezeichen als Beleg aus dem Ende des 15. Jahrhundert zu werten.

Die Staatsbibliothek Berlin verwahrt eine zeitgenössische Beschreibung des Vierlandeturniers in Ingolstadt 1484 mit Wappen (mgo 107). Aufgrund von einigen von Kurt Heydeck freundlicherweise zur Verfügung gestellten Aufnahmen vermag ich jedoch nicht zu sagen, ob darunter auch Ahnenproben sind. Steffen Krieb hat auf die Erwähnung eines Bildteppichs mit Turnier-Thematik in der Flersheimer Chronik (1547), auf dem je acht Ahnen der Eheleute Friedrich und Margarethe von Flersheim turnierend dargestellt gewesen sein sollen, aufmerksam gemacht (in: Geschichte schreiben, 2010, S. 355). Friedrich von Flersheim starb 1473. Seine Gemahlin Margarethe von Randeck (gestorben 1489) könnte die Tapisserie während seiner Lebenszeit Friedrichs in Auftrag gegeben haben, oder als Witwe, jedenfalls aber vor Einsetzen der Vierlandeturniere 1479, da sie ihren Kindern “zu einer gedechtnus” das Turnierwesen während einer Zeit der Nichtausübung in Erinnerung rufen wollte. Einen sicheren Beweis, dass es dieses Turniertuch tatsächlich gegeben hat, stellt aber der Abschnitt in der sehr viel späteren Familienchronik nicht dar.

Übergangen werden die bedeutsamen Erhebungen zu Ahnenproben vor allem auf Grabdenkmalen im Rahmen der Sammlung der “Deutschen Inschriften” (DI) - es gibt nur einen kurzen Hinweis in der Fußnote 119 auf S. 45. Vergleichsweise früh findet sich in Worms eine Vierahnenprobe 1364 vor: Es handelt sich, so eine Auskunft von Rüdiger Fuchs (Mainz), “um die des Reimbold Bayer von Boppard (+1364) (= DI 29, Worms, Nr. 145, Wormser Domstift). Die nächsten mir bekannten in unserem Raum sind die Platte des Neffen (?) Reimbolds Heinrich Bayer von Boppard (+1377 = DI 2, Mainz, Nr. 49, Mainzer Domstift) und die des Rorich von Sterrenberg (+1380 = DI 2, Mainz, Nr. 50 – zusammen mit Nr. 60 = Heinrich Bayer von Sterrenberg, +1394, jeweils Mainzer Domstift). Das Ganze hat wohl etwas mit der Familie zu tun” (vgl. auch DI 29, Worms, S. XXXVII). Andere Regionen kennen sehr viel spätere Erstbelege für Vierahnenproben. Um nur einige Beispiele aus jüngeren südwestdeutschen Inschriftenbänden zu nennen: 1412 Grabplatte einer Truchsessin von Baldersheim in Waldmannshofen (DI 54, Mergentheim, Nr. 39); 1442 Grabplatte Hartmanns III. Ulner von Dieburg in Dieburg (DI 49, Darmstadt, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, Nr. 34; nur durch den Inschriftensammler Helwich überliefert ist eine Vierahnenprobe aus der gleichen Familie ebenfalls in Dieburg 1395, ebenda Nr. 14); um 1470 Gernsbacher Sakramentshäuschen (DI 78, Baden-Baden/Rastatt, Nr. 88); 1567 Grabplatte der Margretha von Rüppur in Leonberg (DI 47, Böblingen, Nr. 211).

An die Einleitung schließen sich einige Beiträge allgemeiner Natur (zu Verwandtschaft in der Vormoderne, Ahnenproben an Grabdenkmälern des lutherischen Adels, gedruckten Ahnentafeln und zur Handwerkerehre) und ein bunter Strauß von Fallstudien an. Es geht um Dom- und Damenstifte, um die Reichsburg/Ganerbschaft Friedburg, die kursächsische, kurkölnisch-herzoglich-westfälische und die geldrische Ritterschaft und um den Wiener Hof und die habsburgischen Territorien (unter besonderer Berücksichtigung der heutigen südlichen Niederlande). Die letzten drei Aufsätze verlassen Mitteleuropa, wenn sie den Johanniterorden auf Malta, Frankreich sowie die Rolle der “Blutsreinheit” in der neu-spanischen Casta-Gesellschaft des 18. Jahrhunderts in den Blick nehmen. Fast alle Beiträge sind gründlich auch aus archivalischen Quellen erarbeitet.

Für Südwestdeutschland ist vor allem die Studie von Kurt Andermann relevant, der sich anhand der größtenteils im Generallandesarchiv Karlsruhe verwahrten Überlieferung der Domkapitel von Speyer und Konstanz mit Gestalt und Inhalt der Ahnentafeln, den Zulassungsbedingungen und dem Probeverfahren befasst (S. 191-207).

Der Band, der die Forschung zum Thema Ahnenprobe ohne Zweifel auf eine neue Grundlage stellt, lässt den Wunsch nach einem im Internet zu realisierenden Verzeichnis der mitteleuropäischen Aufschwörungs-Quellen aufkommen.

Ein Lob verdienen die reiche Bebilderung, die Existenz englischer Zusammenfassungen und das abschließende Register der Personennamen. Man vermisst aber eine Bibliographie der in den Fußnoten aufgeführten, arg verstreuten Arbeiten zum Thema.

Druck: ZGO 162 (2014), S. 554-556

Zu Ahnenproben hier:

http://archiv.twoday.net/search?q=ahnenprobe

Mein Lexikonartikel Ahnenprobe in der Enzyklopädie der Neuzeit:

http://archiv.twoday.net/stories/6186936/

***

Martin Wrede, Ohne Furcht und Tadel - für König und Vaterland. Frühneuzeitlicher Hochadel zwischen Familienehre, Ritterideal und Fürstendienst. Ostfildern: Thorbecke 2012 (= Beihefte der Francia 75). 484 S.

Die Gießener Habilitationsschrift hat sich außerordentlich viel vorgenommen: Es geht um die Familiengeschichtsschreibung und genealogische Kultur hochadeliger Familien in Frankreich und Deutschland, um höfische Ritterorden, das Turnier in der frühneuzeitlichen Hofkultur und den Adels-Diskurs des 18. Jahrhunderts. Sie stützt sich auf ein ausgedehntes Studium archivalischer Quellen.

Für die Fallstudien des ersten Teils (“Adelshäuser imaginieren sich selbst”) wurde das Archiv des 1933 im Mannesstamm ausgestorbenen französischen Hauses La Trémoïlle (Paris, Archives Nationales) ausgewählt, “die faktisch einzige intakte Familienüberlieferung des französischen Hochadels” (S. 34). Die Häuser Arenberg und Croÿ sollen für den “belgischen” Hochadel repäsentativ sein. Reich ist auch die in Den Haag und Wiesbaden vorhandene Überlieferung des Hauses Nassau. Bereits diese Quellenauswahl erweckt Bedenken, da auch das “deutsche” Haus Nassau enge Beziehungen zu den Niederlanden hatte. Es geht also im Kern um westeuropäische Adelskultur, nicht etwa um einen Vergleich zwischen dem Alten Reich und Frankreich.

Knapp die Hälfte des Buchs (bis S. 227) ist dem ersten Teil zu Familienerinnerung und Geschichtsschreibung gewidmet. Mir leuchtet nicht ein, wieso der zweite Teil zum Ritterideal hinzugepackt werden musste. “Von Wert, Wandlungen und Beständigkeiten höfischer Ritterorden” - im Mittelpunkt stehen hier der burgundische, später habsburgische Orden vom Goldenen Vlies, die Orden des Königs von Frankreich und der Kreuzzugsplan des Herzogs Charles de Nevers, den er mit einem 1618 gegründeten Orden “Militia Christiana” fördern wollte. Lars Adler hat sich 2008 den Hoforden der Markgrafen von Baden gewidmet (vgl. ZGO 160, 2012, S. 680f.), ohne dass Wrede sich veranlasst sah, diese für das höfische Ordenswesen auch allgemein wichtige Studie eingehender zu Vergleichszwecken heranzuziehen. “Formen, Funktionen und Konjunkturen des Turniers in der Hofkultur der Frühen Neuzeit” - behandelt werden vor allem französische “carrousels” und ein Wiener Turnier (1560) und Rossballett (1667) der Habsburger.

Im letzten Kapitel gibt es Streiflichter zum Adels-Diskurs aus dem deutschen und französischen 18. Jahrhundert. Statt der naheliegenden Orientierung am Konzept des Rittertums findet man ein buntes Allerlei von Themen vor.

Auch Studien auf so modischen Feldern wie dem der Erinnerungskultur bedürfen einer klaren und stringenten Fragestellung und sollten sich nicht darauf beschränken, weitgehend deskriptiv Material auszubreiten. Wredes Interpretationen, vorgetragen in einer hochtrabenden und fremdwortgeschwängerten Sprache, plätschern dahin, ohne dass versucht wird, das Thema mit Thesen zu strukturieren. Die Resümees sind alles andere als konzis.

Die Erscheinungsformen des Rittertums seit dem 13. Jahrhundert werden geprägt durch die ständige Verschränkung von Kontinuität und Revitalisierung, schrieb ich 2004 im Artikel “Rittertum” [recte: Ritter] der Enzyklopädie des Märchens (Bd. 11, Sp. 710). Die damit verbundene Frage nach den Ritter-Renaissancen bzw. der “Ritterromantik”, die ich für das 15. Jahrhundert in einem Aufsatz (in: Zwischen Deutschland und Frankreich, 2002, S. 517-532) erörtert habe, wurde in der ebenfalls aus dem Gießener Erinnerungskulturen-Sonderforschungsbereich hervorgegangenen Dissertation von Barbara Hammes (Ritterlicher Fürst und Ritterschaft, 2011) für das Jahrhundert 1350-1450 untersucht. Bei Wrede kann in dieser Beziehung von methodischer Disziplin keine Rede sein: Er reflektiert nicht zusammenfassend über das Rittertum als Relikt und das Problem des Anachronismus und der historischen Distanz (oder gar über retrospektive Tendenzen, wie sie sich etwa im Schlossbau manifestierten), sondern belässt es bei punktuellen Beobachtungen, die nicht zusammengeführt werden. Der Begriffsgebrauch ist fahrlässig vage, beispielsweise “Rittertumsnostalgie” (S. 50 Anm. 42), “Distinktionserwerb durch Ungleichzeitigkeit” (S. 329), “Archaismus”, “Traditionalität”, “Musealisierung”, Nostalgie”, “romantische Erinnerungskultur” (so im Schlusskapitel “Adel zwischen Erinnerung und Erneuerung” S. 411-413).

Im Literaturverzeichnis vermisst man etliche Titel, darunter auch adelsgeschichtliche Standardwerke (z.B. Otto Brunners “Adeliges Landleben und europäischer Geist”) oder etwa die in einer Studie zum Ritterideal unverzichtbare Monographie von Andreas Wang zum Miles Christianus im 16. und 17. Jahrhundert. Das abschließende Personenregister wurde nachlässig erstellt.

Wredes Buch ist weit davon entfernt, als Grundlagenstudie zum Ritterideal der Frühen Neuzeit gelten zu können, auch wenn in ihm mit großem Fleiß schätzenswerte Bausteine zu diesem Thema zusammengetragen wurden.

Druck: ZGO 162 (2014), S. 593f.

Wrede kommt sehr viel besser weg in:

http://www.hsozkult.de/hfn/publicationreview/id/rezbuecher-19271

http://www.sehepunkte.de/2013/05/21972.html

http://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/fruhneuzeit-info/24-2013/ReviewMonograph335006578/

 

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