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Glaubt man einem Google-Screenshot, so gibt es ein deutsches Sprichwort:

Heute haben wir einen Feiertag, aber zu Castell mistet man die Ställ



Es scheint nach Franken zu gehören und auf den Stammsitz Castell (bei Kitzingen) der Fürstenfamilie zu verweisen. Man könnte annehmen, dass ein konfessioneller Gegensatz zwischen dem katholischen Hochstift Würzburg und der protestantischen Grafschaft Castell den Hintergrund der Redewendung bildet. Sie bezieht sich aber auf ein Schlachtengedenken [1] in Würzburg, nämlich auf den Cyriacustag, der in Erinnerung an die Schlacht bei Kitzingen 1266 "gefeiert" wurde, d.h. arbeitsfrei blieb. Das Sprichwort war offenkundig Teil der frühneuzeitlichen Erinnerungskultur der Stadt Würzburg und gehört zu den bislang völlig vernachlässigten Sprichwörtern mit historischer Sinnstiftung, die sich auf ein historisches Ereignis beziehen. Das bekannteste Beispiel ist das "Hornberger Schießen", wobei das ursprüngliche Ereignis in Vergessenheit geraten ist. [2] In Studien zur Erinnerungskultur wurde bislang übersehen: Auch das Sprichwort konnte (selten) ein Erinnerungsmedium sein.

Georg Tobias Pistorius nahm das Sprichwort "Heute haben wir einen feyertag, aber zu Castell mistet man die Ställ" 1715 in seine umfangreiche Sammlung von Rechts-Sprichwörtern auf. [3] Er bezog es auf die von ihm nach seiner Vorlage Ziegler 1269 datierte Cyriacusschlacht. Noch heute würden Bürger und Kleriker die feierliche Prozession mit dem Banner " das pannier" abhalten. Den wohl ältesten Beleg des Sprichworts liefert eine sehr frühe gedruckte adelsgeschichtliche Darstellung (in Latein) über die Grafen von Castell, die der Rothenburger Hieronymus Ziegler 1546 veröffentlichte. [4] Ziegler gibt das proverbium der Würzburger so wieder: "Hodie Herbipolensibus dies festus est, Castellensibus nefastus, et ater".



1741 druckte Wilhelm Friedrich Pistorius einen Text zur Geschichte der Grafen von Castell [5], den man nochmals als "Eines Anonymi genealogische Nachrichten von den Herren Grafen Castell" bei Johann Paul Reinhard 1760 findet [6]. Die Würzburger Geistlichen, so Pistorius, feiern jährlich ihren Sieg und verspotten die Grafen von Castell mit den Worten: "Heut haben wir einen Feyertag, aber zu Castell mistet man die Ställe".



Die genannten drei Quellen, Ziegler 1546 und die beiden Pistorius im 18. Jahrhundert, sichern ab, dass der Spottspruch gegen die Grafen von Castell in Würzburg tatsächlich gebräuchlich war.

Wie volkstümlich der Spruch war, lässt sich natürlich nicht sagen. Ihn für die einfachen Würzburger Bürger zu vereinnahmen, geht nicht an, aber man darf wohl annehmen, dass er zur "Folklore" der jährlichen Gedenkfeier am Cyriacus-Tag gehörte. Der älteste Beleg 1546 lässt es als unwahrscheinlich erscheinen, dass eine konfessionelle Spitze den Ursprung bildete, denn die Grafen von Castell führten erst 1546/41 die Reformation ein. Später kann man aber den konfessionellen Gegensatz durchaus mitgedacht haben.

Der durch den Reim Castell/Ställ in der deutschen Version prägnant formulierte Spruch wurde in der Frühen Neuzeit als Sprichwort wahrgenommen (schon 1546: proverbium), während wir ihn heute eher als lokalen Spottspruch einordnen würden. Streng genommen bezieht er sich nicht auf ein historisches Ereignis, sondern auf einen Feiertag, der dieses erinnert.

Eine lebendige Tradierung des Sprichworts noch im 19. Jahrhundert kann dagegen nicht belegt werden. Wanders großes Sprichwörterlexikon [7] hat es aus des Pistorius Rechtsprichwörtersammlung (1715 u.ö.), und das dürfte auch die Quelle für Simrocks Sprichwörtersammlung [8] gewesen sein. Dass es der castell-kundige Würzburger Archivar August Sperl in seinen Roman Richiza einbaute, verwundert nicht. [9]

Die Literatur zum Cyriakustag hat das "Sprichwort" bisher weitgehend ignoriert. [10] Die militärische Auseinandersetzung der Schlacht bei Kitzingen am 8. August 1266 wurde erst in der Tradition zur "großen Schlacht" stilisiert. Es handelt sich um einen Sieg der Koalition der Herren von Hohenlohe und der Würzburger Bürgerschaft mit der trimberg-sternbergischen Partei im Domkapitel während der Würzburger Sedisvakanzwirren. [11] Dass die Schlacht später überschätzt wurde, lag sicher auch am jährlichen festlichen Gedenktag in Würzburg und an dem bemerkenswerten Denkmal, das an sie erinnert: der Würzburger Kiliansfahne, auf deren Rückseite eine Inschrift die Schlacht nennt. Sie ist das älteste erhaltene deutsche Banner. Man nimmt an, sie stamme von einem Fahnenwagen (Karrasche). [12] Als Eigentum des historischen Vereins wurde das Kiliansbanner in die Liste des national wertvollen Kulturgutes eingetragen. [13]



Die Prozession am Cyriakustag ist schon 1314 belegt. Eine neue Prozessionsordnung 1381 schrieb vor, dass der Cyriakustag wie das Fest des Bistumspatrons Kilian zu begehen sei. [14] 1593 legte der Würzburger Bischof auf den Cyriakustag eine weitere Memorial-Prozession zum Andenken des Türkensiegs bei Sisak. [15]

Am Rande dieses wirkmächtigen Gedenktags, der im Zeichen des Zusammenwirkens von Geistlichkeit und Bürgerschaft stand [16], ist das 1546 erstmals bezeugte "Sprichwort" gegen die Castell entstanden, wobei natürlich der eigentliche Ursprung offen bleiben muss. War es Orts-Rivalität oder hatte jemand im Domkapitel eine Rechnung mit den Castell offen? In jedem Fall zündete der Spott, in Würzburg gehörte der Spottspruch mindestens vom 16. bis 18. Jahrhundert zu den Medien, die den Jahrtag umgaben (zu seinem Medien-Mix, würde Gerd Schwerhoff sagen [1]).

***

Anmerkungen

[1] Zum Thema Schlachtengedenken vgl. zuletzt die Hinweise in:
http://archiv.twoday.net/stories/1022465668/

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Hornberger_Schießen
[ http://archiv.twoday.net/stories/1022475402/ ]

Zu Sprichwörtern, die funktionieren, obwohl der Ursprung dunkel ist:

Klaus Graf: Sprichwörtliches: Bürger und Bauer scheidet nichts als ein Zaun und eine Mauer. In: Archivalia vom 10. Dezember 2014
http://archiv.twoday.net/stories/1022377321/

Zu den Sprichwörtern mit historischer Sinnstiftung:

Klaus Graf: Sprichwörtliches: Qualens Brudlacht. In: Archivalia vom 18. Mai 2013
http://archiv.twoday.net/stories/404100553/

Klaus Graf: Sprichwörtliches: Den Galgen sagt der Eichele. In: Archivalia vom 4. November 2009
http://archiv.twoday.net/stories/6026011/

Klaus Graf: Über den Ursprung der Sieben Schwaben aus dem landsmannschaftlichen Spott, in: Die Sieben Schwaben. Stereotypen. Ludwig Aurbacher und die Popularisierung eines Schwanks, hrsg. von Dorothee Pesch/Elisabeth Plößl/Beate Spiegel (= Schriftenreihe der Museen des Bezirks Schwaben 48), Oberschönenfeld 2013, S. 15-17, 20-23, 27-31 (zum Sprichwort: Es geht dir wie den Schwaben vor Lucka)

Seilers Sprichwörterkunde 1922, S. 30-35 ist wohl die umfangreichste Darlegung zum Thema:
http://archive.org/stream/deutschesprichw00seiluoft#page/30/mode/2up

[3] http://diglib.uibk.ac.at/ulbtirol/content/pageview/330300
https://books.google.de/books?id=xnVXAAAAcAAJ&pg=RA1-PA72

[4] https://books.google.de/books?id=daR18XrrbfMC&pg=PT14

[5] https://books.google.de/books?id=A_pdAAAAcAAJ&pg=PA241

Der in der Anm. ** hergestellte Bezug auf Ausführungen Tentzels führt in die Irre. Tentzel nennt an der Stelle zwar die Grafen von Castell, hat aber nichts zum Sprichwort.
https://books.google.de/books?id=bVoPAAAAYAAJ&&pg=PA919

Zur frühneuzeitlichen Rezeptionsgeschichte der Cyriacus-Schlacht gehört der von Pistorius S. 240 Anm. ** erwähnte angebliche alte Stein zu Rotenburg am Main [!] mit lateinischer Gedenkinschrift.

[6] https://books.google.de/books?id=aPhKAAAAcAAJ&pg=PA195

[7] Wander 1867
http://www.zeno.org/nid/20011577673

[8] Simrock 1846:
https://books.google.de/books?id=cAs-AAAAIAAJ&pg=PA108

Aus Pistorius hat es Reuss im Serapeum 1852
https://books.google.de/books?id=Gd5JAAAAcAAJ&pg=PA117

Auch die Erwähnung in "Würzburg und seine Umgebungen" (²1871)
https://books.google.de/books?id=JWxHAAAAYAAJ&pg=PA167
hat sicher literarischen Ursprung.

[9] http://gutenberg.spiegel.de/buch/richiza-8017/25
http://hdl.handle.net/2027/njp.32101067518454?urlappend=%3Bseq=293 (US)

Romanhafte Züge hat auch Sperls Abschnitt zur Cyriacus-Schlacht mit Erwähnung des Sprichworts in seinem Castell-Buch von 1908:
http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/content/pageview/1911932

Über Sperl:
http://archiv.twoday.net/search?q=august+sperl

[10] Das gilt auch für meinen Schlachtengedenken-Aufsatz 1989, S. 85
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:25-opus-54165

Allerdings hat Friedrich Pfister in seiner Studie zur Kiliansfahne 1952/53 (erneut 1976
https://books.google.de/books?hl=de&id=JDeFAAAAIAAJ&q=castell+würzburg ) die Passage aus Reinhard zitiert.

Einige neuere Arbeiten mit Erwähnungen des Würzburger Gedenkens am Cyriacus-Tag:

Frantisek Graus: Der Heilige als Schlachtenhelfer, in: Festschrift für Helmut Beumann zum 65. Geburtstag (1977), S. 337 Anm. 42
http://www.mgh-bibliothek.de//dokumente/a/a080998.pdf

Michael Mitterauer, in: Der Kampf um das Gedächtnis (1997), S. 39
https://books.google.de/books?id=i6dEhk64uTYC&pg=PA39
Wieder in: Derselbe: Dimensionen des Heiligen (2000), S. 153
https://books.google.de/books?id=MQRs2LyejPkC&pg=PA153

Andrea Löther: Prozessionen in spätmittelalterlichen Städten (1999), S. 38

Hartmut Kühne: Ostensio Reliquiarum (2000), S. 298
https://books.google.de/books?id=9pu2d2mWXJkC&pg=PA298

Dieter J. Weiß, in: Die oberdeutschen Reichsstädte und ihre Heiligenkulte (2005), S. 12
https://books.google.de/books?id=A-psZgnGp4AC&pg=PA12

[11] Knapp dazu Wendehorst 1969
http://personendatenbank.germania-sacra.de/books/view/12/27

Ausführlicher Gerd Zimmermann: Die Cyriakus-Schlacht bei Kitzingen (8.8.1266) in Tradition und Forschung, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 27 (1967), S. 417-425
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00048794/image_437

Weitere Literatur auch im Handbuch der bayerischen Geschichte 3/1: Geschichte Frankens (3. Auflage 1997), S. 557
https://books.google.de/books?id=kTO9EZTZHBAC&pg=PA557

Zur einflussreichen Darstellung des Lorenz Fries siehe die Edition: Lorenz Fries: Chronik der Bischöfe von Würzburg 742-1495 Bd. 2 (1994), S. 179-181 mit weiterer Literatur.

Veraltete Fries-Ausgaben:

Ludewig
http://franconica.uni-wuerzburg.de/ub/54a1012054/pages/54a1012054/656.html

Ausgabe 1848
https://books.google.de/books?id=ZGtHAAAAYAAJ&pg=PA362

Digitalisat der Handschrift der UB Würzburg
http://franconica.uni-wuerzburg.de/ub/fries/pages/fries/474.html

Leider ist die grundlegende Darstellung von Wilhelm Füßlein: Zwei Jahrzehnte würzburgischer Stifts-, Stadt- und Landesgeschichte (1926), obwohl gemeinfrei, nicht online. Sein Aufsatz in der HZ 1926 hat eine andere Ausrichtung, steht aber jetzt zur Verfügung:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fuesslein_wuerzburg_hz.pdf

Wenig erhellend ist der Wikipedia-Artikel:
https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=W%C3%BCrzburger_Bischofsstreit&oldid=143681411

[12] So Otfried Neubecker im RDK 1973 mit Abb. 12
http://www.rdklabor.de/wiki/Fahne_(milit%C3%A4risch)

Farbabbildung auf der Website des Mainfränkischen Museums:
http://mainfraenkisches-museum.de/sammlung/stadtgeschichte/kiliansbanner.html

Populärer Überblick von Marianne Erben im Frankenland 1998
http://frankenland.franconica.uni-wuerzburg.de/login/data/1996_28.pdf

Zur Inschrift die Deutschen Inschriften:
https://books.google.de/books?id=XEJmAAAAMAAJ&q=cyriacus+prozession+würzburg

Nach Fries wurde das Banner im Dom öffentlich aufgehängt, nur am Jahrtag darf man folgern. Eine Quelle von 1808 spricht dagegen von acht Tagen:
https://books.google.de/books?id=w75DAAAAcAAJ&pg=RA1-PA535

[Ebenso schon Franz Oberthür in seinem Taschenbuch 1795, S. 68
http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10021804_00110.html

Die Stelle wies freundlicherweise das Stadtarchiv Würzburg nach und übermittelte einen Scan.]

Das hängende Banner im Bild bei Gropp:
https://books.google.de/books?id=mGtUAAAAYAAJ&pg=PA42

[13] http://www.kulturgutschutz-deutschland.de/DE/3_Datenbank/Kulturgut/Bayern/02639.html?nn=1003270&block=AllesDruckversion

[14] Zimmermann S. 423. Die Ordnung von 1381 bei Friedrich Anton Reuß: Das Cyriakus-Panier (1844), S. 12f.
https://books.google.de/books?id=TetQAAAAcAAJ

Zur Prozession siehe auch die Angaben zum Ablauf bei Wendehorst 1989
http://personendatenbank.germania-sacra.de/books/view/36/246

[15] Wendehorst 2001
http://personendatenbank.germania-sacra.de/books/view/54/63

[16] Zimmermann S. 425: "Manifestation des Miteinanders von Stift und Stadt".

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