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Bei Heinrich Handelmann (Topographischer Volkshumor, 1866, S. 42) erscheint als Nr. 151 "Qualens Brudlacht" als "alte sprichwörtliche Redensart" für ein schweres Unglück. Sie wird zurückgeführt auf einen verheerenden Brand 1445 bei einer Bauernhochzeit in Quaal bei Segeberg.

http://books.google.de/books?id=RsJCAAAAcAAJ&pg=PA42

Hat sich diese Redensart über 400 Jahre in der Mündlichkeit erhalten?

Die Lübecker Ratschronik meldet das Unglück zu 1446 vergleichweise ausführlich:

http://archive.org/stream/diechronikenderdtstaedteLuebeck30/DieChronikenDerDeutschenStaedteVom14.BisIns16.JahrhundertVolume30#page/n103/mode/2up

Mehr als 180 Opfer habe der Brand auf einer Bauernhochzeit in Quaal bei Segeberg gefordert. Braut und Bräutigam und einigen anderen Gästen sei durch einen kleinen Ausgang die Flucht gelungen.

Diese Nachricht wurde von anderen Chroniken aufgenommen und weiterverbreitet. Dass Braut und Bräutigam nackt entkommen seien, sagt erst das Chronicon Slavicum (bis 1485)

http://books.google.de/books?id=bojTAAAAMAAJ&pg=PA194 (ed. Laspeyres, S. 194-197)
Zur Quelle:
http://www.geschichtsquellen.de/repOpus_01193.html

Seit 1492 steht die Nachricht auch gedruckt zur Verfügung, nämlich in der Cronecken der Sassen:

http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00025661/image_511

Lateinische Chroniknotiz im Formelbuch Christians von Geren:

http://archive.org/stream/dielbeckerberge00brungoog#page/n573/mode/2up

Im 16. Jahrhundert berichtet der Goslarer Chronist Hans Geismar von der Katastrophe:

http://books.google.de/books?id=6G0eAAAAMAAJ&q=dorpe+quale

Der 5. Auflage von Deeckes Lübischen Sagen (Quellennachweise S. 457) entnehme ich, dass die Geschichte auch Eingang in die handschriftlichen Stadtchroniken fand (Heinrich Rhebein 446; Detleff Dreyer 375). Erstausgabe 1852 ("Die Qualische Hochzeit"):

http://de.wikisource.org/wiki/Die_Qualische_Hochzeit

Die Darstellung ist am Ende dramatisiert: Nur Bräutigam und Braut seien entkommen.

Als mögliche Hauptquelle Deeckes kann man die in den Nachweisen nicht genannte "Wandalia" des Albert Krantz ansprechen, der erstmals von einem früheren Sprichwort etwas sagt.

http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10143510_00396.html (Köln 1519)
http://books.google.de/books?id=q25EAAAAcAAJ&hl=de&pg=PA278 (Frankfurt am Main 1575, Buch XII, Kapitel 12)
http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/content/pageview/1597931 (nach Krantz: Chronik des Lambert Alard, gest. 1672, ed. Westphalen)

Über Krantz gelangte die Kunde des Ereignisses in die frühneuzeitliche Exempel- und Kompilationsliteratur, deren (hier: katholische) Autoren es als "Exemplum" gegen das Tanzen verwerteten.

Zu den Anti-Tanz-Exempeln vielleicht am instruktivsten meine Seite:

http://de.wikisource.org/wiki/Die_Mordgrube_zu_Freiberg

Was bei Google Books (bzw. über die OCR) auf Anhieb auffindbar ist, ist sicher keine vollständige Liste der Belege:

http://books.google.de/books?id=N40_AAAAcAAJ&pg=PA842 (Flores exemplorum, 1616, katholisch)

http://books.google.de/books?id=_JVMAAAAcAAJ&pg=PA420 (Lorenzo Stramusoli 1699, katholisch)

http://books.google.de/books?id=OTs_AAAAcAAJ&pg=PA190 (Gervasius Bulffer OSB 1776)

Verräterisch ist die Vergangenheitsform hinsichtlich des Sprichworts bei Krantz, die sich in der Holsteiner Chronik des Johannes Petersen wiederholt: "ist ein Sprichwort entstanden, Qualer Brutlacht, das man lange zeit gebraucht so jemand unglück begegnete".

http://books.google.de/books?id=Kn9MAAAAcAAJ&pg=PT199 (Frankfurt am Main 1557)
http://books.google.de/books?id=MNNSAAAAcAAJ&pg=PT149 (1599)
http://books.google.de/books?id=-EoWAAAAYAAJ&pg=PA1032 (Grässes Preussisches Sagenbuch nach der Ausgabe 1599)

Christianis Geschichte (Bd. 4, 1779, S. 318), die das falsche Quaal in Holstein nennt (zum richtigen in der heutigen Gemeinde Rohlstorf siehe OpenStreetMap
http://www.openstreetmap.org/index.html?minlon=10.3734502792358&minlat=53.9615287780762 ), hat: "Der Ausdruck: Eine Qualensche Hochzeit, ward zum landüblichen Ausdruck, dadurch man irgend ein großes Unglück oder einen betrübten Zufall anzudeuten pflegte".

http://hdl.handle.net/2027/njp.32101074629153?urlappend=%3Bseq=342

Eine Fußnote in den Nordalbingischen Studien 3 (1846) S. 106 spricht ebenfalls von einem lange in Schwange gewesenen Sprichwort:

http://books.google.de/books?id=mddCAAAAcAAJ&pg=PA106

Von daher ist Johannes von Schröders Topographie 1841, die den Ort ebenfalls falsch zuweist, nicht beweiskräftig, wenn sie ohne zeitliche Relativierung von einem Sprichwort "Qualens Brudlacht" weiß.

http://books.google.de/books?id=vdwwAAAAYAAJ&pg=PA248
http://books.google.de/books?id=sWUTAQAAMAAJ&pg=RA1-PA69 (US, Oldekop 1908: ehemals!)
[= http://archive.org/stream/topographiedesh01oldegoog#page/n208/mode/2up ]

Wie ist nun dieser Befund zu bewerten? Fassbar ist seit dem 15. Jahrhundert eine vergleichsweise reiche schriftliche Überlieferung, die in jedem Fall den Schluss nahelegt, dass Mündlichkeit und Schriftlichkeit sich bei der Traditionsbildung um die Hochzeit von Quaal 1446 durchdrungen haben. Selbst für das 19. Jahrhundert gibt es keinen hinreichend eindeutigen Nachweis einer mündlichen Verbreitung. Bei Handelmanns eingangs zitierter Arbeit, die Volksgut sammelte, sollte man das Adjektiv "alte" nicht überlesen. Das Sprichwort war wohl schon zur Zeit von Krantz nicht mehr in Gebrauch. Man wird also schließen dürfen, dass die lokale Katastrophe von 1446, die überregionales Aufsehen erregte und über Lübecker Quellen in die gedruckte und ungedruckte Schriftlichkeit Eingang fand, einige Jahrzehnte als Exempel-Sprichwort für ein großes Unglück im regionalen Sprachgebrauch präsent blieb. Alle späteren Bezeugungen des Sprichworts dürften nach jetzigem Kenntnisstand auf schriftliche Fassungen zurückgehen. Die Sagenbücher und Deecke stützten sich ebenfalls nicht auf mündliche Überlieferung, sondern exzerpierten gelehrte Werke. Als Beleg für eine 400 Jahre überbrückende Sprichwort-Tradition ist daher "Qualens Brudlacht" nicht geeignet. Aber als frühes Beispiel für die vergleichsweise seltenen "historischen" Sprichwörter, die aus einem historischen Ereignis hervorgegangen sind (siehe Seilers Sprichwörterkunde 1922
http://archive.org/stream/deutschesprichw00seiluoft#page/30/mode/2up ), verdient sie durchaus Aufmerksamkeit.

#forschung

Ich widme diesen Beitrag als Pfingstgabe den Wikipedianern Concord und Kresspahl.
 

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