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Heute erhielt ich einen Hinweis auf den Katalog 136 des Kölner Auktionshauses Venator & Hanstein

http://www.venator-hanstein.de/kataloge/aktuelle-kataloge/katalog-136/

Am 25. September 2015 sollen Stücke aus der Bibliothek des 1922 wiederbegründeten Zisterzienserklosters Himmerod in der Eifel unter den Hammer kommen. Es heißt auf der Website dazu:

Reich ist das Angebot ‚Alte Drucke‘ an Inkunabeln aus dem Kölner beziehungsweise rheinischen Raum. Einige dieser Titel stammen aus dem Kloster Himmerod, das sich von alten Buchbeständen trennt. Darunter sind Werke von Caesarius von Heisterbach, Albertus Magnus, ein Sammelband mit 3 Kölner Inkunabeln und andere Frühdrucke. Herausragend in diesem Bestand ist die Pergamenthandschrift ‚Glossatura maior super epistolas Pauli apostoli‘ des Petrus Lombardus. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurde der Text wohl in der Diözese Trier geschrieben und mit großen romanischen Initialen versehen (30.000 €).

Im PDF des Katalogs gibt es ein Registerstichwort Himmerod:

http://venator-hanstein.de/assets/Pdfkataloge/Katalog_136.pdf

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Abtei sich von höchst schützenswertem Kulturgut trennt, nämlich von Resten der HISTORISCHEN Klosterbibliothek, die offenbar Eingang in die kaum bekannte Büchersammlung des heutigen Konvents gefunden haben. Die einzige mittelalterliche Handschrift des Klosters, die jetzt als Nr. 708 zum Verkauf steht, wurde 1952 für die Abtei erworben.

Petrus Lombardus: Glossatura maior super epistolas Pauli apostoli. Mittelrhein od. Diözese Trier (?), 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts. Lateinische Handschrift auf Pergament. 335 Bll. (30.000 Euro)

Ein Sammelband Nr. 698 mit altem Besitzvermerk aus Himmerod enthält sogar eine Inkunabel von 1478 - dem GW ist der Standort Himmerod unbekannt! Die Inkunabel Nr. 680 wurde 1597 für Himmerod erworben. Ebenfalls alter Himmeroder Besitz: die Schedel-Chronik Nr. 700. Laut Register soll auch die Caesarius-Inkunabel Nr. 669 mit lateinischer Handschrift (!) angebunden aus Himmerod stammen (das Register führt etliche Stücke auf, in deren Beschreibung von Himmeroder Provenienz nichts steht). Ein alter Besitzvermerk verweist nicht auf Himmerod - womöglich sind einige Stücke wie die Handschrift im Handel erworben worden. Laut Register ebenfalls aus Himmerod: ein Sammelband mit drei Kölner Inkunabeln Nr. 698. Macht nicht weniger als sieben Inkunabel-Titel!



Die Bestätigung, dass die Abtei verantwortlich ist, gibt am Telefon der Bibliothekar des Klosters Pater Ignatius, dessen Durchwahl mir die Klosterpforte ohne weiteres gibt. "Das ist unsere Entscheidung, das wir das tun wollen", sagt er mir. Als Begründung führt er an: Weder können wir die Bücher angemessen aufbewahren noch präsentieren und es gibt auch kein explizites wissenschaftliches Interesse an ihnen. Weitere Auskünfte will er nicht geben, und woher ich überhaupt seine Durchwahl hätte. Von der Telefonzentrale! "Denen werd ich was erzählen!"

Der Abt Dr. Johannes Müller, dessen Durchwahl Pater Ignatius mir gibt, geht nicht an seinen Anschluss. In Fulda erreiche ich Frau Dr. Sorbello Staub von der Arbeitsgemeinschaft-Katholisch-Theologischer Bibliotheken Landesgruppe Rheinland-Pfalz, die mir wortreich versichert, dass man den Ordensbibliotheken nichts vorschreiben könne, und selbst in den Diözesen hätte die Durchsetzung der Richtlinien zu den Altbeständen durch Publikation in den Amtsblättern vielerorts keine Priorität. Sie sagt aber, dass es auf der Verbandstagung morgen in Berlin eine Krisensitzung geben werde und ich eine Presseerklärung erhalten würde (wenn sich die AG denn überhaupt traut, öffentlich Stellung zu nehmen, möchte ich ergänzen). Sie bittet daher abzuwarten.

Es geht um die "Regeln für den Umgang mit bibliothekarischem Altbestand"

http://www.akthb.de/altbestandskommission.html
http://archiv.twoday.net/stories/16585490/
http://archiv.twoday.net/stories/453138938/
http://archiv.twoday.net/stories/444874674/
usw.

Diesen Regeln schlägt aus meiner Sicht die jetzt anstehende Himmeroder Verscherbelung ins Gesicht.

Gab es Kontakte zu den Altbestandsbibliotheken in Trier, wo sich ja die größten Reste der historischen Klosterbibliothek Himmerods befinden sollen? In der Stadtbibliothek ist Professor Embach erst nächste Woche wieder da.

Im Landesbibliothekszentrum RLP habe ich auf Anhieb auch kein Glück, aber freundlicherweise ruft mich die Leiterin Frau Dr. Gerlach aus ihrem Urlaub zurück. Sie habe von der Causa erst kurz vor der Veröffentlichung des Katalogs vor etwa zweieinhalb Wochen erfahren. Man werde alles tun, dass die Handschrift in öffentlichen Besitz gelange. Fragen nach dem Kulturgutschutzgesetz weicht sie aus. Siehe dazu

http://archiv.twoday.net/stories/1022464331/

Es wird deutlich, dass die frühneuzeitliche Provenienz Himmerod gegenüber der mittelalterlichen Handschrift kaum Chancen hat, auch wenn Gerlach zur Causa Himmerod beteuert: "Wir nehmen das nicht auf die leichte Schulter". Man bemühe sich nach Kräften um eine Lösung.

Informationen zum Altbestand der heutigen Klosterbibliothek habe ich im Netz auf die Schnelle nicht gefunden. Es gibt keinen Eintrag im Handbuch der historischen Buchbestände, und auch die Handschrift ist im Handschriftencensus Rheinland-Pfalz nicht erfasst.

Die Literatur zur Klosterbibliothek versammelt

http://www.cistopedia.org/index.php?id=8378

Zu den in alle Welt verstreuten mittelalterlichen Handschriften des bis 1802 bestehenden Klosters forschte vor allem Ambrosius Schneider OCist (1911-2002). Er würde sich wohl im Grab umdrehen!

Ein Text aus seiner Feder in Bearbeitung:

http://abteihimmerod.de/abtei-zisterzienser-kloster-himmerod_eifel-mosel/abtei/abtei-kloster/zisterzienser/scriptorium-abtei-himmerod/

Zur mittelalterlichen Klosterbibliothek siehe auch

http://www.klosterlexikon-rlp.de/eifel-ahr/grosslittgen-kloster-himmerod/archivalien-und-literatur.html

Schneiders Aufsatz von 1952 mit Liste der damals ermittelten Handschriften im Bulletin der Rylands-Library:

https://www.escholar.manchester.ac.uk/uk-ac-man-scw:1m2017

Erst gestern erwähnte ich das hochrangige Speculum virginum aus Himmerod, heute in Baltimore und auch online einsehbar:

http://archiv.twoday.net/stories/1022473555/

Der Trierische Volksfreund, die lokale Tageszeitung, hat von den Verkäufen noch nichts mitbekommen. Er weist aber auf eine aktuelle Ausstellung hin.

Die Ausstellung "Reichtum durch Armut" zur Geschichte des Zisterzienserklosters Himmerod ist von Freitag, 11. September (Vernissage um 17 Uhr), bis zum 31. Januar in der Städtischen Galerie im Alten Rathaus in Wittlich, Neustraße 2, zu sehen.
http://www.volksfreund.de/nachrichten/region/kultur/Kultur-Ausstellung-Reichtum-durch-Armut-Aufstieg-und-Fall-der-Zisterzienserabtei-Himmerod;art764,4311388

2011 musste das Kloster Insolvenz anmelden

http://www.swr.de/landesschau-rp/erfolgreicher-neustart-nach-der-insolvenz-kloster-himmerod-sieht-positiv-in-die-zukunft/-/id=122144/did=13957088/nid=122144/8ochx8/index.html

soll sich aber dank eines Freundeskreises auf dem Weg der Besserung befinden. Gern hätte ich den Vorsitzenden Dr. Thomas Simon zu den Verkäufen befragt, aber nur die Mailbox ist verfügbar.

Soweit ein vorläufiger erster Bericht, aber auch weitere Stellungnahmen würden nichts an meiner Bewertung ändern, dass es sich um einen dicken fetten Skandal im Bereich der katholischen Altbestandsbibliotheken handelt und um einen klaren Verstoß gegen die "Regeln" zum Umgang mit Altbeständen, die für alle Mitgliedsinstitutionen der AKthB unbedingt verbindlich sein sollte - Publikation im Amtsblatt oder durch die Ordensoberen (die Zisterzienser sind ja ein exemter Orden) hin oder her.

Unabhängig davon, wie die Stücke aus der historischen Klosterbibliothek in das Eigentum der heutigen Zisterzienserabtei gelangt sind, handelt es sich um einen als GESCHICHTSQUELLE schützenswerten Ensemble-Rest, den ich als Kulturdenkmal bezeichnen möchte, nämlich als Sachgesamtheit, "an deren Erhaltung und Pflege oder wissenschaftlicher Erforschung und Dokumentation aus geschichtlichen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder städtebaulichen Gründen ein öffentliches Interesse besteht" (§ 3 Denkmalschutzgesetz RLP). Es geht also nicht nur um die eine mittelalterliche Handschrift, sondern um die Reste der frühneuzeitlichen Klosterbibliothek.

Wahrscheinlich hätte man ohne größere finanziellen Einbußen - die hochinteressante Dissertationensammlung Nr. 193 ist gerade einmal mit 300 Euro angesetzt! - für das marode Kloster in Zusammenarbeit mit dem Land Rheinland-Pfalz oder anderen Geldgebern (Stiftungen) eine gute Lösung erzielen können, die den schützenswerten Altbestand der Klosterbibliothek als Gesamtheit in eine öffentlich zugängliche Bibliothek überführt. Wenn man denn in Ruhe und ohne Zeitdruck schutzorientiert verhandelt hätte! Es hätte mit Sicherheit andere, sozialverträgliche Wege gegeben, Geld aus der Klosterbibliothek zu erwirtschaften. Eigentum verpflichtet - aber offenbar nicht die Himmeroder Zisterzienser!

Es ist eine Ungeheuerlichkeit, wie die Eifel-Abtei sich so von ihrer Tradition verabschiedet und kaltschnäuzig die Zerstreuung der in ihrer Bibliothek bisher sorgsam bewahrten Bände aus der historischen Klosterbibliothek durch das Auktionshaus Venator & Hanstein (das natürlich keine Skrupel kennt) veranlasst. War es nicht schlimm genug, dass die kostbaren mittelalterlichen Handschriften in alle Welt versprengt wurden? Wer so mit Kulturgut umgeht, verdient keinen Cent öffentlichen Zuschuss etwa bei Baumaßnahmen oder in anderen Kontexten! Alle Freunde zisterziensischer Kultur (zu denen ich mich zähle) können nur den Kopf schütteln, mit welcher Dreistigkeit man sich in Himmerod über die kircheninternen Bemühungen um einen Kulturgutschutz - siehe z.B.

http://www.vatican.va/roman_curia/pontifical_commissions/pcchc/documents/rc_com_pcchc_19940319_biblioteche-ecclesiastiche_en.html -

hinwegsetzt. Pfui Teufel!

Nachtrag: Aus Himmerod. Eine Festgabe ... (1972), S. 35: Die neue Bibliothek kam durch Schenkungen und Käufe zusammen, sie zählte damals ca. 35.000 Bände.

https://pbs.twimg.com/media/CO99fm1WUAEpL1u.jpg

Eine Zuschrift per Mail:

kann man gegen diese Zerschlagung etwas unternehmen?

Ich bin selbst (passives) Mitglied im Förderverein der Abtei
und bin zutiefst entsetzt über dieses Vorgehen.

Ich hab einen Brief an die Abtei und an den Förderverein geschrieben,
in dem ich auch androhe, meine Mitgliedschaft aufzukündigen.
Das wird natürlich nichts bewirken, aber ich kann so etwas ja auch nicht so einfach hinnehmen.
Ich bin mal gespannt, ob ich überhaupt eine Antwort erhalten werde.


Update:
http://archiv.twoday.net/stories/1022476053/

Annelen Ottermann (Gast) meinte am 2015/09/15 22:37:
Wissensraum Klosterbibliothek: wir sind gefragt!
Großer Dank an KG!
Gerade wenn, wie Sorbello-Staub feststellt, Ordensbibliotheken in ihrer Entscheidung autark sind, sollten wir Altbestandsbibliothekare und Provenienzforscher, Ordenshistoriker, Kultur-, Buch- und Bibliothekswissenschaftler schnell und deutlich mit unserem Protest hör- und sichtbar werden und Sand ins Getriebe streuen, damit nicht geräuschlos passiert, was alle jetzt oder später merken!
Der viel berufene '"Wissensraum Klosterbibliothek" verliert spätestens mit Aktionen wie dem jetzt begonnenen Verkauf von Stücken entscheidende Konturen. Ihn zu erhalten, muss in unser aller Interesse liegen. Ausverkauf in private Hände ist gleichbedeutend mit dem Ende aller Zugänglichkeit. Dislozierung in öffentliche Bibliotheken kann dagegen durch virtuelle Zusammenführung über die Provenienzerschließung teil-kompensiert werden.
Das sollten wir anstreben, wenn der Verbleib am monastischen Ursprungsort nicht möglich ist.
Wer startet eine open petition?? 
Christoph Wilmer (Gast) meinte am 2015/09/15 23:13:
Öffentlichkeit herstellen
Danke sehr für die erschütternde Information. Da rühmt sich die Abtei medienwirksam, Wanderwege zur Erschließung der Kulturlandschaft auszuweisen und verscherbelt dann still und heimlich mit dem kaum wiederbringlichen Kulturgut gleich einen zentralen Bestandteil der eigenen Identität. Ich werde tun was ich kann, damit es wenigstens öffentlich bekannt wird. 
Klaus Dieter (Gast) meinte am 2015/09/17 11:18:
Zuständig?
Ist da nicht die Bibliothek des Bischöflichen Priesterseminars in Trier zuständig? 
Anderer Gast (Gast) meinte am 2015/09/25 19:01:
http://www.swr.de/landesschau-aktuell/rp/koblenz/kloster-himmerod-wertvolle-bibliothek-kommt-unter-den-hammer/-/id=1642/did=16211616/nid=1642/6jm95k/index.html 
 

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