Allgemeines
Architekturarchive
Archivbau
Archivbibliotheken
Archive in der Zukunft
Archive von unten
Archivgeschichte
Archivpaedagogik
Archivrecht
Archivsoftware
Ausbildungsfragen
Bestandserhaltung
Bewertung
Bibliothekswesen
Bildquellen
Datenschutz
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
null

 
In der Germania 37 (1892) publizierte der Nassauische Privatgelehrte FWE Roth, hier kein Unbekannter

http://archiv.twoday.net/search?q=fwe+roth
https://de.wikisource.org/wiki/Ferdinand_Wilhelm_Emil_Roth

"Mittheilungen" zu acht Handschriften (S. 282-287) und zu 35 Druckwerken (S. 287-295), wobei letztere sich nach Roths Angaben in seinem Besitz befanden. Nur um die Handschriften soll es hier gehen.

http://www.archive.org/stream/germania37pfeiuoft#page/282/mode/2up

Nr. I ist ein Pergamentfragment des 14. Jahrhunderts mit diätetischen Monatsregeln, die Roth abdruckt (S. 282f.). Es befand sich angeblich als Makulatur in einem "Drucke der Pfarrbibliothek zu Bingen". Außer Roth hat dieses Stück anscheinend niemand zu Gesicht bekommen, der Handschriftencensus sagt:

"Das Fragment ist nach Auskunft von Brigitte Pfeil (Erfurt) zur Zeit (Juni 2008) nicht auffindbar; eine Suche wird vor allem dadurch erschwert, daß Roth keinerlei Angaben zum Trägerband macht ("An einem Drucke der Pfarrbibliothek zu Bingen befindet sich auf den Deckeln verklebt ...")."
http://www.handschriftencensus.de/7777

Nr. II, eine Seuse-Handschrift ( 'Büchlein der ewigen Weisheit'), ist heute Hs. 45 der Mainzer Martinus-Bibliothek (ehemals Seminarbibliothek).

http://www.handschriftencensus.de/24136
http://www.hss-census-rlp.ub.uni-mainz.de/mz-mb-hs-45

Roth gibt kurze Textproben, wie üblich wenig zuverlässig, soweit die Angaben des Handschriftencensus RLP eine Überprüfung zulassen.

Nr. III, eine Handschrift des gleichen Werks in der gleichen Bibliothek, scheint ein Phantom zu sein, denn eine solche zweite Seuse-Handschrift existiert nicht. Der Census RLP und der Handschriftencensus erklären sie für vermutlich identisch mit Hs. 45.

http://www.handschriftencensus.de/24139

Vielleicht hat Roth zweimal Notizen zu der Handschrift angefertigt und diese versehentlich auf zwei Handschriften bezogen.

Nr. IV ist in der gleichen Bibliothek heute Hs. 35, ein wohl in Bayern entstandenes deutsches Gebets- und Betrachtungsbüchlein für eine Frau von 1513.

http://www.handschriftencensus.de/24135
http://www.hss-census-rlp.ub.uni-mainz.de/mz-mb-hs-35

Nr. V ist das Andachtsbuch (15. Jahrhundert) ebenda Hs. 131.

http://www.handschriftencensus.de/24137
http://www.hss-census-rlp.ub.uni-mainz.de/mz-mb-hs-131

Nr. VI ist der angebliche Tauler-Sammelband in Roths Besitz, auf den ich gleich zurückkomme.

Nr. VII wurde 2010 von Gisela Kornrumpf für den Handschriftencensus analysiert:

"Aufbewahrungsort Privatbesitz F. W. E. Roth, Geisenheim (am Rhein), ohne Sign. [verschollen]
Codex 84 Blätter
Beschreibstoff Papier
Inhalt a) Heinrich Seuse: 'Büchlein der ewigen Weisheit', Kap. 21, mit anderer Einleitung, als Sterbebüchlein
b) 'Sendbrief gegen den Geist der Lästerung', mit Zitaten aus Johannes Klimakos: 'Scala paradisi' [s. Ergänzender Hinweis 1]
c) Marienlied, 9 paargereimte Vierzeiler (Inc. Ave Maria du reine mayd, / Du bist mit tugent wol bekleid) [s. Ergänzender Hinweis 2]
Blattgröße Oktav
Schriftraum unbekannt
Spaltenzahl unbekannt
Zeilenzahl unbekannt
Entstehungszeit 15. Jh.
Schreibsprache wohl md., Lied (Nachtrag?) ostobd.
Abbildung ---
Literatur
F. W. E. Roth, Mittheilungen, in: Germania 37 (1892), S. 282-295, hier S. 286f. (Abschnitt 1, Nr. VII), mit Abdruck des Liedes. [online]
Nigel F. Palmer, Johannes Klimakos, in: 2VL 11 (2004), Sp. 775-777, hier Sp. 777 (mit dieser Hs.).
Archivbeschreibung ---
Ergänzender Hinweis 1) Die beiden ersten Texte auch in Privatbesitz Karl Helm, Gießen/Marburg, ohne Sign.; der zweite Text auch in Trier, Stadtbibl., Hs. 813/1343 8°. Möglicherweise enthält die Hs. noch weitere Texte ohne Überschrift (nur diese zitiert Roth).
2) Das Marienlied ist ein wenig bearbeiteter Auszug aus Wackernagel, Kirchenlied 2, 1867, Nr. 739 (S. 568f.)."

http://www.handschriftencensus.de/22792

Der Seuse-Text wird von Roth nicht identifiziert. Er könnte ihn aus einer Seuse-Handschrift oder unidentifiziert aus einer ihm zugänglichen anderen Handschrift entnommen haben, vorausgesetzt, er beschrieb nicht tatsächlich eine eigene Handschrift, sondern erfand eine solche. Die Trierer Handschrift war ihm leicht zugänglich. Sie stammt aus St. Matthias in Trier und ist online einsehbar.

http://stmatthias.uni-trier.de/?l=n&s=suche&k_id=366
Digitalisat

Aus dem Anfangsteil konnte Roth leicht die Überschrift zurechtbasteln: wider den Geist der Lästerung aus dem heiligen Vater und Lehrer Johannes Climacus in dem Buch von den dreißig Staffeln. Die verschollene Helm'sche Handschrift hat wie Roth "geyst der lesterunge", siehe die Akademiebeschreibung:

http://www.bbaw.de/forschung/dtm/HSA/700387070010.html

Denkbar ist, dass Roth die Handschrift kannte, die später dem Gießener Professor Karl Helm gehörte und erstmals von Spamer 1909

http://www.archive.org/stream/beitrgezurgesc34halluoft#page/376/mode/2up

erwähnt wird. In ihr hätte Roth auch den Seuse-Text finden können.

Die 36 Verse Marienlied, die Roth S. 286f. edierte, sind ein stark gekürzter Auszug aus einem [oft] Heinrich Laufenburg Laufenberg zugeschriebenen Lied, das Philipp Wackernagel 1867 aus dem bairischen Cgm 858 abgedruckt hatte.

https://books.google.de/books?id=pwNBAAAAcAAJ&pg=PA568

Zum Cgm 858 siehe den Katalog von Karin Schneider
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0046_a678_jpg.htm
und
https://books.google.de/books?id=Gqf0oOOB2QkC&pg=PA477

Die wenigen Abweichungen zu ergänzen, hätte den ja mit mittelhochdeutschen Texten vertrauten Roth nicht überfordert. Hätte Roth den Text fabriziert, würde das auch die von Kronrumpf mit "wohl md., Lied (Nachtrag?) ostobd." angedeutete Mischung der Schreibsprachen erklären. Es wäre ihm dann nicht gut gelungen, die bairischen Formen seiner Vorlage in die ihm vertraute Schreibsprache des 15. Jahrhunderts in seiner Heimat zu übersetzen.

Wie alle (Bibliotheks-)Handschriften Roths ist auch diese nie mehr aufgetaucht, eine Überprüfung daher nicht möglich. An archivalischen Amtsbüchern aus dem Besitz von Roth, die heute noch greifbar sind, kenne ich nur das Eltviller Oberamtsbuch:

http://www.rheingau-genealogie.de/goebel.htm

Die Annahme einer Fälschung liegt für mich nahe (nach allem, was ich von Roth weiß), ist aber nicht zwingend.

Nr. VIII sind lateinische "Epigramma" aus dem Dreißigjährigen Krieg, die Roth in nicht näher bezeichneten "Rheingauer Acten" vorgefunden haben will und die er wie die 1891 mitgeteilten Gedichte der Hand des Hattenheimer Ratsschreibers [Vinzenz] Birckenstock (Roth vertraut) zuweist.

Mitteilung in der Germania 1891:
http://www.archive.org/stream/germania36pfeiuoft#page/178/mode/2up

Die Nummern I und II hat Carl Blümel in seiner Darstellung der maccaronischen Poesie wiederabgedruckt (vgl. S. 13f.):

https://archive.org/stream/diefloiaundande00blgoog#page/n51/mode/2up

Das "Pancketum Leopoldinum" ist eine Bearbeitung des "Pancketum Caesareum" und wird von Hs. 205 der Mainzer Martinus-Bibliothek überliefert. Siehe die Erschließung im Handschriftenarchiv:

http://www.bbaw.de/forschung/dtm/HSA/700386260027.html

Analog zu meinen Darlegungen zu Roths Umgang mit diesem Sammelband

http://archiv.twoday.net/stories/603123975/

möchte ich annehmen, dass er das Stück nicht aus "Rheingauer Acten", sondern aus dem Mainzer Sammelband kannte. Roths 1899 gegebener Hinweis in der Vorstellung des Mainzer Sammelbands "Gedruckt abweichend" in der Germania 1891

http://www.archive.org/stream/JahrbuchFuerGeschichteSpracheUndLiteraturElsass-lothringens14-16#page/n721/mode/2up

dürfte auch hier der Verschleierung dienen. Man muss seine Wiedergabe des Pancketum Leopoldinum natürlich mit der Mainzer Handschrift vergleichen, aber es erscheint bereits jetzt unwahrscheinlich, dass Roth den gleichen seltenen Text einmal in Rheingauer Akten und dann nochmals in der Mainzer Handschrift auffand. Ob sich auch Nr. VIII der Mitteilungen von 1892 in der Mainzer Handschrift vorfinden, bleibt zu prüfen.

Besonders deutlich scheint mir eine Fälschung Roths in der Germania 1892, S. 285, nämlich die Erfindung des Sammelbands mit Schriften Taulers Nr. VI. Es handelt sich nach Roth um eine Quarthandschrift auf Papier im Umfang von 140 Blättern. Roth gibt Überschrift und auch den Textbeginn der vier Bestandteile in einer Art Phantasie-Schreibsprache (niederdeutsch?).

Mutmaßliche Zutaten des Machwerks:

- Titel des Halberstädter Taulerdrucks 1523
- Berliner mgq 1134 oder eine detaillierte Beschreibung desselben

Ziemlich wörtlich findet sich der Titel des niederdeutschen Tauler-Drucks von 1523 in Nr. 1 wieder:

Eyn vaste fruchtbar und nutlicke predige to eyne rechte christlycken levende. Beginnt: Het chrystliche levende etc.

Roth hat vielleicht eine Beschreibung in der Art von

https://books.google.de/books?id=nf4CAAAAMAAJ&q="fruchtbar+"nutlick"

benutzt, bei denen die Kürzungsstriche für eyen(m) rechte(n) fehlten. Auch passt weder das "Het" noch das "chrystliche" sprachlich. Der Textbeginn erforderte keine zusätzliche Anstrengung, wobei "Das christliche Leben" als Predigtanfang für mich nicht unbedingt spätmittelalterlich klingt.

Leider liegt der Katalog des Antiquariats Rosenthal von ca. 1889, den der Handschriftencensus zum mgq 1134 anführt, nicht online vor.

http://www.handschriftencensus.de/11948

Es handelt sich um eine Handschrift von 1490 aus dem Dominikanerinnenkloster St. Katharina in Augsburg.

http://www.manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31252427,T
Degering:
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0603b_b196_jpg.htm

Nr. 2 bei Roth gibt die Überschrift des ersten Stücks der Handschrift Ein gutte predig von dem hayligen gaysst in der Form Eyn gute predige van dem heyligen geysst. Passend zur Halberstädter Sprachform von Nr. 1 hätte es natürlich hilligen o.ä. heißen müssen. Der Textbeginn bezieht sich aber nicht auf diese Predigt, sondern auf das auch als Taulers Bekehrung bekannte 'Meisterbuch' (der einzige wirkliche Bezug dieser Roth-Handschrift zu Tauler), das die Berliner Handschrift ab Bl. 16r überliefert. Edition:

http://archiv.ub.uni-marburg.de/eb/2011/0443/view.html (S. 2).

Nr. 3 ist abgeleitet von Bl. 97v der Berliner Handschrift:

Ain nutze gute kurtze regel, dar innen sich ain ieclicher mensch billich vben sol vnd sein leben darnach richten.

Ich hab gemacht ein recht gedicht,
Als mich Jhesus hat bericht


Bei Roth: Eyn gute nutze reygel, darynne sich ayn yeclicher mensche reychten sal. Anfang: Ich have gemaycht ayn recht gedichte, Alsse mych Got hayt berychte etc.

Sprachlich befremdet das "have".

Durch diesen Text wurde ich überhaupt erst auf die Berliner Handschrift aufmerksam. Die christliche Lebensregel ist sonst nachgewiesen im Cgm 784, Bl. 280r-280av (um 1458, aus Scheyern)

http://pik.ku-eichstaett.de/6992/

und in Salzburg, Stiftsbibl. St. Peter, Cod. a II 2, Bl. 87v-90r (1471/89, aus St. Peter). Eventuell nennt Hohmann, Th., Discretio spirituum, Diss. Würzburg 1972, Würzburg 1975, S. 32f. weitere Textzeugen (so zumindest Karin Schneiders Katalog zu Cgm 784), aber sehr viele andere dürfte es nicht geben.

Nr. 4 scheint zusammengebastelt aus dem Anfang von Marquard von Lindaus Eucharistietraktat (ebenfalls in der Berliner Handschrift vertreten). Da mir die Ausgabe von Hofmann 1960 nicht zur Hand ist, stütze ich mich auf Hurter 1842 (ihn konnte Roth kennen):
https://archive.org/stream/daszwlfjhrigemn00maurgoog#page/n13/mode/2up
und die Handschriftendigitalisate
Cgm 215
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00064857/image_262
und Cpg 66
http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg66/0007

Audi filia et vide et inclina aurem tuam. Ach eywige weyssheyt - das ist der Textbeginn des Eucharistietraktats. Aber nun driftet Roth ab, denn es soll sich ja um ein Gedicht handeln (von mir in Versen dargestellt).

Ach eywige weyssheyt so haymeclich,
wye ist dyn hercz so milt,
wye dyne munt so liebelich,
wye dyne lyb so usserwylt etc.


Der Traktat steuerte dazu bei: "Ach ewige Weisheit ... so heimlich, wie ist dein Herz so mild". Der Reim milt/usserwylt erstaunt. Noch erstaunlicher ist, dass Google die Formen "haymeclich" und "usserwylt" überhaupt nicht in einem anderen Text nachweist. Mit "heymeclich" wäre Roth besser gefahren, und usserwylt (auserwählt) müsste im Niederdeutschen "uterwelt" heißen!

Weder der Buchtitel von 1523 als Überschrift einer Predigthandschrift des 15. Jahrhunderts noch die Vergewaltigung des Eucharistietraktats nehmen für die Authentizität der Handschrift Roths ein. Es würde mich wundern, könnte jemand Roths dreiste Bricolage in diesem Fall "retten", aber ich übergebe das Szepter gern den Philologen, die die sprachlichen Aspekte - anders als ich - fundiert behandelt könnten.

Wenn wir gerade dabei sind, können wir auch noch Roths Minneredenhandschrift ("mittelhochdeutscher Sammelband von Predigten") kurz besprechen, die er in der Germania 1892, S. 63f. vorstellte.

http://www.archive.org/stream/germania37pfeiuoft#page/62/mode/2up

Siehe
http://www.handschriftencensus.de/9391

Roth sagt zwar nicht explizit, dass es sich um seine eigene Handschrift handelt, aber man darf dies wohl annehmen.

Roth nennt selbst als weitere Überlieferung der von ihm als "Lieder" missverstandenen Texte die (heute) Wiesbadener und Würzburger Handschrift. Er dürfte auch hier die Wiesbadener (damals Idsteiner) Handschrift sprachlich etwas verändert haben, um mit einem neuen Textzeugen zu prunken.

Zur Wiesbadener Handschrift
http://www.handschriftencensus.de/7174
Anfrage Friedemanns
https://archive.org/stream/archivfrdasstu11brauuoft#page/452/mode/2up
Beschreibung Friedemanns
http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10017752_00085.html

Zur Würzburger
http://www.handschriftencensus.de/6747
Kellers Beschreibung
http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/content/pageview/208215
Siehe
http://www.bibliothek.uni-wuerzburg.de/sondersammlungen/handschriften_und_alte_drucke/handschriften/register/ (unverständlich, dass die UB Würzburg den Aufsatz Thurns zu den Dominikanerhandschriften nicht ins Netz stellt und damit eine wichtige Lücke schließt!)
"Die sechs Kronen" ed. Keller
http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10737689_00616.html

Beide eng zusammengehörige mittelrheinische Handschriften beschreibt ausführlich Ridder 1991
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-53567

Friedemann zufolge war der ehemalige Besitzer der Wiesbadener Handschrift "Wynneck burger zu Mentz" - heute ist der entsprechende Eintrag nicht mehr vorhanden. Für Eberhard Windeck vom Diemerstein (nicht der Chronist Eberhard Windeck/e!) ist 1435 die Namensform Wynneck belegt.

https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/CYKN2B7JLIFF4UJOIOSSWTLRZSNMPUYF

Hat sich Roth gedacht: Wenn es zwei Handschriften mit den gleichen Texten gibt, schadet eine dritte auch nichts? In jedem Fall kann die Germanistik auf diese Handschrift Roths getrost verzichten.

Fazit: Bei dem "Tauler-Sammelband" scheint es mir eindeutig, dass Roth ihn erfunden hat, um mit seinen Bibliotheks-Schätzen einmal mehr anzugeben. Bei Nr. VII und der Minnereden-Handschrift bezweifle ich ebenfalls die Existenz dieser Handschriften, aber zwingend ist dieser Schluss nicht. Ein in Vorbereitung befindlicher Beitrag zu Roth als Fälscher

[ http://archiv.twoday.net/stories/1022477029/ ]

wird jedoch dafür plädieren, bei nicht mehr überprüfbaren Quellen, die Roth verwertet hat, die Beweislast für ihre Echtheit auf denjenigen zu verlagern, der sie für authentisch hält (Beweislastumkehr).

Nachträge: Für das kleine Gutachten im Kommentar zu Nr. VI, das meine Vermutung bestätigt, danke ich Prof. Seelbach. Danke auch den anderen Kommentatoren.

Alles, was Roth für VI, 2-4 brauchte, lieferte der Katalog Nr. 65 von Rosenthal unter Nr. 1116.

https://archive.org/details/RosenthalKatalog65

Roth hat den Gedankenstrich des Katalogs zwischen den ersten beiden Texten (Heiliggeistpredigt und Taulers Bekehrung) übersehen und beide zusammengezogen.

Auch für VII lieferte dieser Katalog die Vorlage (abgesehen vom Marienlied, das Roth aus anderer Quelle hinzufügte), denn die beim Antiquariat Rosenthal 1898 von Helm erworbene Handschrift ist Nr. 437 im Katalog 65. "Ein gude lere wyder d. geyst der lesterunge uss dem heylge Vatter vnd lerer Johannes climacus, in dem buch v. Drissig staffeln" im Katalog ist zusammengezogen aus den Formulierungen der Handschrift zu Anfang des Textes, hat aber wohl Roth als Vorlage gedient. Vor diesem Hintergrund möchte ich die Authentizität auch von Nr. VII als erschüttert ansehen.

***

Zu Fälschungen in Archivalia:
http://archiv.twoday.net/stories/96987511/

#forschung

Balázs J. Nemes (Gast) meinte am 2015/09/29 15:45:
Nur eine kleine Korrektur: Das von Wackernagel unter den Liedern von Heinrich Laufenberg (nicht Laufenburg!) abgedruckte Lied Nr. 739 wurde diesem tatsächlich zugeschrieben. Allerdings ist diese Zuschreibung (anders als von weiten Teilen der Forschung angenommen) durch keine Handschrift verbürgt, vgl. Das lyrische Oeuvre von Heinrich Laufenberg in der Überlieferung des 15. Jahrhunderts. Untersuchungen und Editionen (ZfdA Beiheft 22), Stuttgart 2015, S. 19. 
KlausGraf antwortete am 2015/09/29 15:57:
Vielen Dank!
Was sagen Sie denn sonst zu meinen Überlegungen, insbesondere zur Schreibsprache und zur Existenz der Handschriften? 
Balázs J. Nemes (Gast) antwortete am 2015/09/30 11:06:
Zu Nr. VII: Auch wenn das von Roth gebotene Textmaterial wenig hergibt, wird man wg. der Parallelüberlieferung "wohl" (Kornrumpf) davon ausgehen dürfen, dass a) und b) westmd. sind (vgl. in diesem Zusammenhang auch Nachtrag 2 zur Hs. Privatbesitz Karl Helm, Gießen (später Marburg), ohne Sign. http://www.handschriftencensus.de/22791). Schlagende westmd. Merkmale vermag ich beim dritten Text, dem Lied (c), nicht zu erkennen, dafür aber deutliche ostobd. (so auch Kornrumpf). Daher bin ich bei diesem einen Text skeptisch, ob die Annahme einer Fälschung berechtigt ist, zumal es sich um einen "Nachtrag" (Kornrumpf) handeln kann (Roth teilt selbst mit: "Am Ende steht nachstehendes deutsches Marienlied"). 
Ulrich Seelbach (Gast) antwortete am 2015/09/30 12:28:
Schreibsprache nicht Mitteldeutsch
Die Schreibsprache der beiden ersten Texte in Nr. VII können durchaus zum Lied passen (Diphthongierung nicht gänzlich durchgeführt). Auf keinen Fall sind die Texte mitteldeutsch (weder west- noch ost-). Das 15. Jh. ist ein langer Zeitraum, daher passen die bairischen Merkmale zu den Monophthongen, der weitgehend durchgeführten Diphthongierung und der Diphthongwandel (ou > au) am ehensten zum Nordbairischen. 
KlausGraf antwortete am 2015/09/30 16:59:
Vielen Dank
Mehr würde mich freilich interessieren, was die Experten zu meinen Ausführungen zu Nr. VI ("Tauler") zu sagen haben. 
Ulrich Seelbach (Gast) antwortete am 2015/10/03 13:29:
Schreibsprache von Nr. VI Tauler fiktives Niederdeutsch
Es handelt sich bei den unter Nr. VI genannten Titeln und Incipits um ein geradbrechtes fiktives Niederdeutsch. Die ay-Schreibungen gibt es im Niederdeutschen überhaupt nicht (hayligen, ayn, mayster, ayner, ways). Mangelhaft umgesetzt bzw. aus lautverschobenen Formen gebildet sind Hybride wie chrystliche, nutze, sich, yedlicher, gemaycht, hercz, liebelich, lyb, mych, berychte. So etwas kommt in niederdeutschen Texten gar nicht vor. Diphthongierte Formen (Niederdeutsch ist bekanntlich von der nhd. Diphthongierung nicht betroffen) wie ways (= wîse), weyssheyt (= wîsheyt)sind ebenfalls unmöglich. Der Wortschatz ist dann dementsprechend ebenfalls verdächtig: Statt haymeclich wäre hemelik, statt wye ein wu, statt usserwylt ein utvorkorn, utvorkaren, statt gute ein gude, statt ich have ein ich hebbe zu erwarten. Die Formen ich und jaire sind zwar im Westfälischen möglich, dazu passen aber die anderen, vom Lübischen abgeguckten nordniederdeutschen Formen nicht. Die Sprache ist eindeutig ein schlecht gemachtes Konstrukt und die Handschrift samt deren Inhalt eine Fiktion. 
 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma