Adelsarchive - zentrale Quellenbestände oder Curiosa?, hrsg. von Andreas Hedwig und Karl Murk. Marburg : Hessisches Staatsarchiv Marburg 2009 (Schriften des Hessischen Staatsarchivs Marburg 22). 235 S. 28 EUR.
Inhaltsverzeichnis:
http://scans.hebis.de/22/20/40/22204087_toc.pdf
Hinweis:
http://archiv.twoday.net/stories/6127719/
Dass die Adelsgeschichte Konjunktur hat, darf als bekannt gelten. Die in den Händen der ehemals adeligen Geschlechter verbliebenen Archivalien sind, wie allgemein bekannt ist, alles andere als Curiosa, sondern zentrale Quellenbestände. Damit ist die im Titel des zu besprechenden Bandes gestellte Frage eindeutig beantwortet.
Der Sammelband, Ertrag einer Marburger Tagung am 30. Mai 2008, stellt die derzeit wichtigste Veröffentlichung zur Adelsarchivpflege dar. Er besteht aus einem Aufsatzteil und einem opulenten Bildteil mit 54 Farbabbildungen, der als Katalog zur Marburger Adelsausstellung 2008 bezeichnet wird. Dass ihm weder ein Register beigegeben ist noch eine Bibliographie zur Adelsarchivpflege ist wenig erfreulich. Unbefriedigend ist auch die Gliederung des Bandes, die Zusammengehöriges auseinanderreißt.
Nach drei einleitenden Beiträgen (Hedwig, Franke, Dallmeier) folgen Studien zur regionalen Archivpflege. Gegen Ende des Bandes gibt es noch zwei Aufsätze zum Quellenwert der Adelsarchive für die Fragestellungen der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (Franke) und der Kulturgeschichte (Marburg).
Während Rückert die baden-württembergische Adelsarchivpflege darstellt, ist Bayern nur mit einem mäßig hilfreichen Artikel über Adelsarchivalien in der Landesausstellung "Adel in Bayern" (2008) vertreten. Verständlicherweise widmen sich mehrere Autoren den hessischen Verhältnissen: Heinemann stellt die Erschließungsprojekte von Greiffenklau zu Vollrads und Schütz von Holzhausen (beide im Wiesbadener Sprengel) vor, wohingegen zu den Marburger Projekten von Berlepsch und Schenck zu Schweinsberg Ausführungen von Arndt sowie von Freiin zu Berlepsch vorliegen. Heide und Dieter Wunder würdigen die Adelslandschaft Hessen.
Die führende Adelsarchivpflege des LWL-Archivamtes behandelt Teske, während Langbrandtner (Landschaftsverband Rheinland) das dem Zeitraum 1750-1850 gewidmete Adelsforschungsprojekt vorstellt. Zu den Flächenländern Rheinland-Pfalz (mit Saarland), Niedersachsen und Schleswig-Holstein gibt es keine eigenen Studien.
Drei Aufsätze thematisieren die schwierige Lage in den neuen Bundesländern: Höroldt schildert die Herausforderungen der Adelsarchivpflege nach Bodenreform und EALG, Brübach geht auf sächsische Erschließungsprojekte (von Einsiedel, von Schönberg, von Loeben) ein. Aus Benutzersicht behandelt Jandausch die Adelsarchive in Mecklenburg-Vorpommern.
Dass sich Archivalia immer wieder (in der Kategorie Herrschaftsarchive) kritisch mit der Situation und den Problemen der Adelsarchive befasst hat, wird in dem Sammelband gewürdigt, indem Archivalia an drei Stellen zitiert wird: S. 15 Anm. 6 von Franke zu den Problemen des Büdinger Archivs, S. 19 Anm. 9 von Dallmeier zur Analyse der personellen Strukturen der deutschen Adelsarchive (2007) und S. 31 Anm. 23 von Dallmeier zum Verkauf des Familienarchivs Bylandt-Rheydt.
Franke und Dallmeier sprechen die erheblichen Probleme der Adelsarchivpflege offen an, aber natürlich darf man eine schonungslose Analyse des weitgehenden Versagens der deutschen Bundesländer bei der Adelsarchivpflege nicht von ihnen erwarten.
Dass seit 2003 eines der wichtigsten Archive für den pfälzisch-nordwürttembergischen Raum, das Archiv der Fürsten von Leiningen zu Amorbach, für die Benutzung geschlossen ist, ist ein Skandal, der erkennen lässt, wie klein die Lobby der Landesgeschichte ist, wenn es um herausragende Quellenbestände geht. Es ist vor allem die schändliche Weigerung der bayerischen Archivverwaltung, die Betreuung zu übernehmen, in Verbindung mit der nicht weniger schändlichen Verantwortungslosigkeit der Eigentümerfamilie, die sich jahrzehntelang einen hauptamtlichen Archivar leistete, die einer vernünftigen Lösung im Wege steht.
Adelsarchive brauchen Schutz und sie müssen auch genutzt werden können. Für den Schutz wird die Kulturgutliste als ausreichend angesehen, aber das ist Unsinn. Alle erhaltenswerten Adelsarchive müssen in das Denkmalbuch des jeweiligen Landes eingetragen werden, was unter anderem bedeutet, dass in Nordrhein-Westfalen das Gesetz geändert werden muss, das die Eintragung von Archiven als bewegliche Denkmäler verhindert. Und es müssen in alle Landesdenkmalgesetze Formulierungen eingebracht werden, die auch die Nutzung der Archivalien durch die Allgemeinheit regeln. § 25a des rheinland-pfälzischen Denkmalpfleggesetzes ist da ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, wenn es in Absatz 2 heißt: "Die Denkmalschutzbehörden können auf Antrag der Landesarchivverwaltung bei Unterlagen von bleibendem Wert, die bewegliche Kulturdenkmäler und vor mehr als 30 Jahren entstanden sind, darüber hinaus einen besonderen kulturellen Wert haben oder für die Wissenschaft von besonderer Bedeutung sind und die im Eigentum von natürlichen oder juristischen Personen des bürgerlichen Rechts stehen, die Anordnung treffen, daß sie vorübergehend bis zu einem Jahr zur wissenschaftlichen oder archivfachlichen Bearbeitung von öffentlichen Archiven in Besitz genommen werden, wenn zu besorgen ist, daß diese Unterlagen einer angemessenen archivischen Nutzung entzogen werden sollen. Die Rechte Betroffener und Dritter auf Persönlichkeitsschutz sind dabei zu wahren. Sind Unterlagen in ihrer Erhaltung gefährdet, kann auch angeordnet werden, daß sie in öffentlichen Archiven verwahrt werden, bis die Eigentümer die erforderlichen Vorkehrungen zu ihrer Erhaltung getroffen haben."
Dies schließt eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Eigentümern nicht aus. Archive brauchen eine archivfachliche Betreuung. Allerdings ist nicht mehr damit zu rechnen, dass Adelsfamilien sich hauptamtliche Archivare womöglich mit einer Archivausbildung leisten. Wenn die Eigentümer nicht den Weg der Schenkung oder des Depositums gehen wollen (wobei Deposita immer rechtlich problematisch sind), muss alles dafür getan werden, dass entweder Gemeinschaftseinrichtungen, die das Vertrauen des Adels genießen (am besten funktioniert das Westfalen und auch im Rheinland), für die Betreuung des Archivguts zuständig sind oder Archivare des öffentlichen Archivwesens (Staatsarchivare, Kreisarchivare, Stadtarchivare). Da es sich um zentrale Quellenbestände handelt, müssen finanzielle Ressourcen zusammengetragen werden, um dauerhaft eine akzeptable Adelsarchivpflege sicherstellen zu können. Beispielesweise könnte man eine Stiftung denken, in die Eigentümer und öffentliche Hand sowie Stiftungen Gelder einzahlen und die sich auf auf Fundraising, womöglich auch auf Crowdfunding stützen könnte.
Wenn es gute Kontakte zum Adels gibt, dann müssen Archivare diese auch nutzen, um die nicht weniger wichtigen Adelsbibliotheken zu retten. Nur mit allergrößtem Abscheu kann ich die widerlichen Aussagen von Ulrike Höroldt S. 68f. lesen, die für Sachsen-Anhalt die "problemlose Rückgabe" von Stücken aus Adelsbibliotheken, die in den Dienstbibliotheken gelandet sind, als vertrauensbildende Maßnahme beschreibt. Auch wenn es sich um Einzelstücke handelt, so sind es Mosaiksteine zu einer Kulturgeschichte des Adels, die sorgsam dokumentiert werden müssen.
Dass die Archivare in den neuen Bundesländern, wo der kostenlose Nießbrauch nach dem EALG 2014 endet, die richtigen Schritte ergreifen, um die wertvolle Gutsarchivüberlieferung für die Öffentlichkeit zu sichern, möchte ich bezweifeln. Sie werden wohl genauso versagen wie ihre Kollegen im Westen.
Inhaltsverzeichnis:
http://scans.hebis.de/22/20/40/22204087_toc.pdf
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http://archiv.twoday.net/stories/6127719/
Dass die Adelsgeschichte Konjunktur hat, darf als bekannt gelten. Die in den Händen der ehemals adeligen Geschlechter verbliebenen Archivalien sind, wie allgemein bekannt ist, alles andere als Curiosa, sondern zentrale Quellenbestände. Damit ist die im Titel des zu besprechenden Bandes gestellte Frage eindeutig beantwortet.
Der Sammelband, Ertrag einer Marburger Tagung am 30. Mai 2008, stellt die derzeit wichtigste Veröffentlichung zur Adelsarchivpflege dar. Er besteht aus einem Aufsatzteil und einem opulenten Bildteil mit 54 Farbabbildungen, der als Katalog zur Marburger Adelsausstellung 2008 bezeichnet wird. Dass ihm weder ein Register beigegeben ist noch eine Bibliographie zur Adelsarchivpflege ist wenig erfreulich. Unbefriedigend ist auch die Gliederung des Bandes, die Zusammengehöriges auseinanderreißt.
Nach drei einleitenden Beiträgen (Hedwig, Franke, Dallmeier) folgen Studien zur regionalen Archivpflege. Gegen Ende des Bandes gibt es noch zwei Aufsätze zum Quellenwert der Adelsarchive für die Fragestellungen der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (Franke) und der Kulturgeschichte (Marburg).
Während Rückert die baden-württembergische Adelsarchivpflege darstellt, ist Bayern nur mit einem mäßig hilfreichen Artikel über Adelsarchivalien in der Landesausstellung "Adel in Bayern" (2008) vertreten. Verständlicherweise widmen sich mehrere Autoren den hessischen Verhältnissen: Heinemann stellt die Erschließungsprojekte von Greiffenklau zu Vollrads und Schütz von Holzhausen (beide im Wiesbadener Sprengel) vor, wohingegen zu den Marburger Projekten von Berlepsch und Schenck zu Schweinsberg Ausführungen von Arndt sowie von Freiin zu Berlepsch vorliegen. Heide und Dieter Wunder würdigen die Adelslandschaft Hessen.
Die führende Adelsarchivpflege des LWL-Archivamtes behandelt Teske, während Langbrandtner (Landschaftsverband Rheinland) das dem Zeitraum 1750-1850 gewidmete Adelsforschungsprojekt vorstellt. Zu den Flächenländern Rheinland-Pfalz (mit Saarland), Niedersachsen und Schleswig-Holstein gibt es keine eigenen Studien.
Drei Aufsätze thematisieren die schwierige Lage in den neuen Bundesländern: Höroldt schildert die Herausforderungen der Adelsarchivpflege nach Bodenreform und EALG, Brübach geht auf sächsische Erschließungsprojekte (von Einsiedel, von Schönberg, von Loeben) ein. Aus Benutzersicht behandelt Jandausch die Adelsarchive in Mecklenburg-Vorpommern.
Dass sich Archivalia immer wieder (in der Kategorie Herrschaftsarchive) kritisch mit der Situation und den Problemen der Adelsarchive befasst hat, wird in dem Sammelband gewürdigt, indem Archivalia an drei Stellen zitiert wird: S. 15 Anm. 6 von Franke zu den Problemen des Büdinger Archivs, S. 19 Anm. 9 von Dallmeier zur Analyse der personellen Strukturen der deutschen Adelsarchive (2007) und S. 31 Anm. 23 von Dallmeier zum Verkauf des Familienarchivs Bylandt-Rheydt.
Franke und Dallmeier sprechen die erheblichen Probleme der Adelsarchivpflege offen an, aber natürlich darf man eine schonungslose Analyse des weitgehenden Versagens der deutschen Bundesländer bei der Adelsarchivpflege nicht von ihnen erwarten.
Dass seit 2003 eines der wichtigsten Archive für den pfälzisch-nordwürttembergischen Raum, das Archiv der Fürsten von Leiningen zu Amorbach, für die Benutzung geschlossen ist, ist ein Skandal, der erkennen lässt, wie klein die Lobby der Landesgeschichte ist, wenn es um herausragende Quellenbestände geht. Es ist vor allem die schändliche Weigerung der bayerischen Archivverwaltung, die Betreuung zu übernehmen, in Verbindung mit der nicht weniger schändlichen Verantwortungslosigkeit der Eigentümerfamilie, die sich jahrzehntelang einen hauptamtlichen Archivar leistete, die einer vernünftigen Lösung im Wege steht.
Adelsarchive brauchen Schutz und sie müssen auch genutzt werden können. Für den Schutz wird die Kulturgutliste als ausreichend angesehen, aber das ist Unsinn. Alle erhaltenswerten Adelsarchive müssen in das Denkmalbuch des jeweiligen Landes eingetragen werden, was unter anderem bedeutet, dass in Nordrhein-Westfalen das Gesetz geändert werden muss, das die Eintragung von Archiven als bewegliche Denkmäler verhindert. Und es müssen in alle Landesdenkmalgesetze Formulierungen eingebracht werden, die auch die Nutzung der Archivalien durch die Allgemeinheit regeln. § 25a des rheinland-pfälzischen Denkmalpfleggesetzes ist da ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, wenn es in Absatz 2 heißt: "Die Denkmalschutzbehörden können auf Antrag der Landesarchivverwaltung bei Unterlagen von bleibendem Wert, die bewegliche Kulturdenkmäler und vor mehr als 30 Jahren entstanden sind, darüber hinaus einen besonderen kulturellen Wert haben oder für die Wissenschaft von besonderer Bedeutung sind und die im Eigentum von natürlichen oder juristischen Personen des bürgerlichen Rechts stehen, die Anordnung treffen, daß sie vorübergehend bis zu einem Jahr zur wissenschaftlichen oder archivfachlichen Bearbeitung von öffentlichen Archiven in Besitz genommen werden, wenn zu besorgen ist, daß diese Unterlagen einer angemessenen archivischen Nutzung entzogen werden sollen. Die Rechte Betroffener und Dritter auf Persönlichkeitsschutz sind dabei zu wahren. Sind Unterlagen in ihrer Erhaltung gefährdet, kann auch angeordnet werden, daß sie in öffentlichen Archiven verwahrt werden, bis die Eigentümer die erforderlichen Vorkehrungen zu ihrer Erhaltung getroffen haben."
Dies schließt eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Eigentümern nicht aus. Archive brauchen eine archivfachliche Betreuung. Allerdings ist nicht mehr damit zu rechnen, dass Adelsfamilien sich hauptamtliche Archivare womöglich mit einer Archivausbildung leisten. Wenn die Eigentümer nicht den Weg der Schenkung oder des Depositums gehen wollen (wobei Deposita immer rechtlich problematisch sind), muss alles dafür getan werden, dass entweder Gemeinschaftseinrichtungen, die das Vertrauen des Adels genießen (am besten funktioniert das Westfalen und auch im Rheinland), für die Betreuung des Archivguts zuständig sind oder Archivare des öffentlichen Archivwesens (Staatsarchivare, Kreisarchivare, Stadtarchivare). Da es sich um zentrale Quellenbestände handelt, müssen finanzielle Ressourcen zusammengetragen werden, um dauerhaft eine akzeptable Adelsarchivpflege sicherstellen zu können. Beispielesweise könnte man eine Stiftung denken, in die Eigentümer und öffentliche Hand sowie Stiftungen Gelder einzahlen und die sich auf auf Fundraising, womöglich auch auf Crowdfunding stützen könnte.
Wenn es gute Kontakte zum Adels gibt, dann müssen Archivare diese auch nutzen, um die nicht weniger wichtigen Adelsbibliotheken zu retten. Nur mit allergrößtem Abscheu kann ich die widerlichen Aussagen von Ulrike Höroldt S. 68f. lesen, die für Sachsen-Anhalt die "problemlose Rückgabe" von Stücken aus Adelsbibliotheken, die in den Dienstbibliotheken gelandet sind, als vertrauensbildende Maßnahme beschreibt. Auch wenn es sich um Einzelstücke handelt, so sind es Mosaiksteine zu einer Kulturgeschichte des Adels, die sorgsam dokumentiert werden müssen.
Dass die Archivare in den neuen Bundesländern, wo der kostenlose Nießbrauch nach dem EALG 2014 endet, die richtigen Schritte ergreifen, um die wertvolle Gutsarchivüberlieferung für die Öffentlichkeit zu sichern, möchte ich bezweifeln. Sie werden wohl genauso versagen wie ihre Kollegen im Westen.
KlausGraf - am Donnerstag, 23. August 2012, 23:14 - Rubrik: Herrschaftsarchive