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Sammelhandschrift mit Verserzählungen
Nr. 1973

Verserzählungen Märenhandschrift. - Sammelhandschrift mit drei mittelhochdeutschen Versnovellen auf Pergament. Süddeutschland (bairischer Sprachstand), späteres 13. Jahrhundert. Blattgr. 7,5:5,5 cm, Schriftraum ca. 6,5:4,5 cm. 19-25 Zeilen. Sehr kleine frühgotische Minuskel von einer Hand in brauner Tinte, Versanfänge rot gestrichelt, zahlr. rote Schlängellinien als Zeilenfüller. Mit 3 zweizeiligen roten Lombarden zu Beginn der Dichtungen, am Schluß jeweils rote Subskriptionen des Schreibers. 16 nn. Bll. (2 Quaternionen). Zeitgenössischer oder wenig späterer flex. Pergamentumschlag (Koperteinband) mit seitlichem Überschlag, ohne Schließband (Schlitze dafür vorhanden); Heftfaden der 1. Lage erneuert, Umschlag etwas nachgedunkelt, berieben u. mit Wurmspuren.
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Einzigartige, der Forschung unbekannte und vollständige Sammelhandschrift aus dem späten 13. Jahrhundert. Enthält drei mittelhochdeutsche Versnovellen ("Mären"), von denen bisher nur weitaus spätere Textzeugen bekannt waren. In allen drei Texten scheint der ursprüngliche Versbestand sowie der Sprachstand der hochhöfischen Epik auf, während die bisher bekannten Überlieferungen sämtlich inhaltliche Ausschweifungen, Zusätze und Umschreibungen veralteter Wörter in modernerer, frühneuhochdeutscher Sprache aufweisen. Außergewöhnlich ist auch das sehr kleine Format der Handschrift, das in der Mären- und Legendenüberlieferung des Mittelalters sonst nicht belegt ist. Die frühgotische Minuskel ähnelt den Schriften der bekannten mittelhochdeutschen Epenhandschriften, z.B. der Pergamenthandschrift des "Parzival" in der Bayerischen Staatsbibliothek (Cgm 19). Der Umschlag besteht aus einem Ausschnitt aus einer einseitig beschriebenen Privaturkunde, auf der nur noch wenige Wörter zu lesen sind, das darin erwähnte "Ingolstat" bestätigt jedoch immerhin die bayerische Herkunft der Urkunde und des Bändchens. Bei der Neuheftung wurden die Doppelblätter der 1. Lage vertauscht, die Handschrift ist in richtiger Folge zu lesen: Bl. 1, 4, 2, 3-6, 7, 5, 8.
I. 'Studentenabenteuer A' (Bl. 1r-8v). Mittelhochdeutsche Märendichtung in Reimpaarversen. Anfang: "Man sagt daz gut ge sellschaft/ Hab wol brüderlich ie craft...", Subskription: "Explicit..." (Rest nicht zu entziffern). 472 Verse. - Vgl. Verfasserlexikon IX, 461-464 (mit weiterer Literatur); Ausgabe: W. Stehmann, Die mittelhochdeutsche Novelle vom Studentenabenteuer (Berlin 1909). - Die pikante Erzählung berichtet von zwei Studenten, die in Paris die Universität besuchen wollen, und variiert das auch aus Boccaccios "Decamerone" und Chaucers "Canterbury Tales" bekannte Motiv des Bettentauschs. Bislang war sie nur in drei wesentlich jüngeren Handschriften sowie einem Fragment aus der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts bekannt (Dresden, Landesbibl. = heute SLUB, Mscr. M 68; Innsbruck, Landesmuseum Ferdinandeum, Cod. FB 32001; Wien, Österr. Nationalbibl., Cod. 2885; ehem. Nikolsburger Fragment I.208, heute in Salzburg, Inst. für Germanistik), die von W. Stehmann kritisch ediert wurden.
II. 'Der Ritter und die Magd namens Maria' (Bl. 9r-14r). Mittelhochdeutsche Marienlegende in Reimpaarversen. Anfang: "Ejn ritter der siten phlack/ Daz er vil selten ver lack...", Subskription: "Detur pro penna scriptori pulchra puella". 218 Verse. - Nicht im Verfasserlexikon. - Die Mirakelerzählung stammt aus dem Umkreis des 1. Buchs (Marienleben) des im 13. Jahrhundert unter dem Einfluß des Deutschen Ordens verfaßten 'Passionals', das ähnliche Marienreimdichtungen mit Anklang an die weltliche, erotisch bestimmte Märenliteraturgattung aufweist. Sie berichtet von der keuschen Liebe eines Ritters zu einer armen Wirtstochter namens Maria. Nachdem der Ritter in einem Turnier zu Ehren der hl. Jungfrau stirbt, wächst auf seinem Grab ein Bäumlein, auf dessen Blättern "Ave Maria" zu lesen ist. Die Wirtstochter gesteht ihre Liebe zu dem Toten und wird in ein Kloster geführt, wo sie - nah bei dem dorthin umgebetteten Ritter - bis zu ihrem Tod Gott und Maria dient. Als Subskription fügte der Schreiber der frommen Legende einen auch aus vielen anderen Handschriften bekannten Hexameter an ("Man möge dem Schreiber für seine Arbeit ein schönes Mädchen geben"). Eine in der Nationalbibliothek Wien (Cod. 2677) aufbewahrte Sammelhandschrift enthält eine spätere (um 1320/30) Version der Dichtung (Bl. 26-27), weitere Handschriften sind nicht bekannt, auch eine Druckausgabe existiert offenbar nicht.
III. 'Die zwei Beichten A' (Bl. 14r-16r). Mittelhochdeutsche Märendichtung in Reimpaarversen. Anfang: "Ejn man vor einem walde saz/ In daucht im war ninder baz...", Subskription: "Finito libro... a magistro/ Est sine virtute..." (Rest nicht zu entziffern). 80 Verse (dazu Vers 36a doppelt eingetragen). - Vgl. Verfasserlexikon X, 1615 f. u. H. Fischer, Studien zur deutschen Märendichtung (Tübingen 1968), Nr. 12; krit. Ausgabe in H. Niewöhner, Neues Gesamtabenteuer I, Nr. 9. - Zwei Eheleute nehmen sich gegenseitig die Beichte ab. Nachdem die Frau dem Mann gesteht, sich mit mehreren Männern, darunter auch einem Pfaffen, eingelassen zu haben, beichtet ihr der Gatte, daß er einmal die Hand der Magd berührt habe - worauf er von seiner Frau gezüchtigt wird. Bisher waren nur drei sehr viel jüngere Handschriften der Dichtung bekannt (Karlsruhe, Landesbibl., ehem. Cod. Donaueschingen 104 ['Liedersaal-Handschrift'] u. Cod. K 408; Wien, Österr. Nationalbibl., Cod. 3027). Alle drei Textzeugen werden auf das 15. Jahrhundert datiert und bieten einen abweichenden und z.T. wesentlich erweiterten Textbestand.
Bis auf kleinere Insektenfraßlöcher, Wasserflecken u. -ränder altersgemäß sehr gut erhalten, rote Tinte bei Subskriptionen u. Zeilenfüllern stellenw. abgerieben. Die erste Lage wurde unsachgemäß neu geheftet, dabei die Bll. wie oben beschrieben vertauscht, Bl. 4/5 jetzt lose. Schlußblatt verso mit zeitgenössischer oder wenig späterer Federzeichnung eines nach links sitzenden nackten Teufels (?) mit Tierohren und einer Schelle (?) in der Hand sowie 5 waagerechten kurzen Einschnitten (je ca. 1 cm).



(W)

Update:
http://www.handschriftencensus.de/23619

Die Hs. ging zurück. Ich hätte das Bild von Reiss abspeichern und auf Commons laden sollen, dann hätten wir jetzt wenigstens eine Abbildung online.

Nachtrag: Die Handschrift, Berlin, Staatsbibl., mgo 1430, ist online.
 

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