Allgemeines
Architekturarchive
Archivbau
Archivbibliotheken
Archive in der Zukunft
Archive von unten
Archivgeschichte
Archivpaedagogik
Archivrecht
Archivsoftware
Ausbildungsfragen
Bestandserhaltung
Bewertung
Bibliothekswesen
Bildquellen
Datenschutz
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
null

 
http://www.fr-online.de/kultur/archiv-stralsund-verschleudert-sein-erbe,1472786,20843730.html

[auch in der Berliner Zeitung:

http://www.berliner-zeitung.de/kultur/archiv-stralsund-verschleudert-sein-erbe,10809150,20843730.html ]

Ein guter Artikel von Nikolaus Bernau, den ich im folgenden kommentiere.

Stralsund an der Ostsee war einst Hansestadt und fast zwei Jahrhunderte lang Hauptstadt von Schwedisch-Pommern, entsprechend bedeutend ist das Stadtarchiv. Entstanden seit dem 17. Jahrhundert als Archiv des Rats, bewahrt es reiche Bestände an Urkunden, Bildern und Büchern. Eine Sammlung, die jetzt zum Zentrum eines Skandals geworden ist.

Es wird gleich zu Anfang deutlich, dass die Gymnasialbibliothek und die Archivbibliothek Teil eines großartigen archivischen Ensembles sind.

Am 5. Juli beschloss nämlich das Stadtparlament, wesentliche Buchbestände des Archivs zu verkaufen. Etwa 2500 Titel mit rund 6000 Bänden, von denen viele aus dem 17. und 18. Jahrhundert stammen. Die Sitzung fand nicht öffentlich statt. Mitte Oktober wurde der rührige Wissenschaftliche Archivar der TU Aachen, Klaus Graf, auf den Vorgang aufmerksam. Er initiierte inzwischen eine Unterschriftenliste gegen den Verkauf und mobilisierte die Fachverbände. Denn in der Archivsatzung steht eindeutig: „Das Archiv- und Bibliotheksgut ist Kulturgut und unveräußerlich.“

Es heißt zwar RWTH und nicht TU Aachen, aber das ist egal. Statt Unterschriftenliste wäre Internetpetition passender gewesen, aber dieses neumodische Teufelszeug ist ja mit Gratismentalität durchseucht.

Die Stralsunder Stadtarchivarin hat von Oberbürgermeister Alexander Bedrow (CDU) Anweisung erhalten, nur noch den Pressesprecher Peter Koslik sprechen zu lassen. Auch der sagt, er dürfe nichts sagen außer, dass die Käufer auf Vertraulichkeit bestanden hätten. Daher die nichtöffentliche Sitzung, daher werde auch die Verkaufssumme nicht bekannt gegeben.

Bevor der Maulkorb verhängt wurde, war Koslik gesprächiger. Der Ostseezeitung teilte er mit, es habe sich um nur um „einen Teil“ der einstigen Bibliothek des Städtischen Gymnasiums gehandelt, die seit 1945 im Archiv lagere, aber nicht katalogisiert sei und nur „minimale regionalgeschichtliche Bedeutung“ habe. Es handele sich vor allem um „unterrichtsbegleitende“ sprachwissenschaftliche und theologische Bücher, nicht aber um wichtige Pommeranica.


Die Stadt kann nicht hergehen, zunächst der Presse Auskünfte zu geben, dann aber eine Informationssperre zu verhängen. Ich halte das für rechtswidrig und habe daher Klage eingereicht:

http://archiv.twoday.net/stories/202637268/

Durch Geschenke gewachsen

Schon diese Aussagen wären skandalös genug. Ist doch die Stralsunder Gymnasiums-Bibliothek eine der ältesten erhaltenen deutschen Bildungssammlungen gewesen, wie der Archivars-Verband in seiner Protestnote festhält, über Jahrhunderte durch Geschenke der Bürger und Ankäufe gewachsen. Es handelt sich auch nicht um „Teile“ dieses Bestandes, sondern, wie Klaus Graf ausrechnete, um mehr als 90 Prozent. Auch ist er im 2004 erschienenen bundesweiten „Handbuch der historischen Buchbestände“ eindeutig als Teil des Stadtarchivs verzeichnet, fällt also unter das Verkaufsverbot.


VdA:
http://archiv.twoday.net/stories/202635163/

Meine Rechnung:

http://archiv.twoday.net/stories/202637191/

Vor allem aber zeigt der Blick auf die aktuell im Internet stehenden Angebote des Antiquars Peter Hassold: Es handelt sich keineswegs nur um Reclam-Heftchen für Schüler. Viele Titel, oft prachtvoll illustriert, verweisen auf die engen Verbindungen Pommerns nach Mecklenburg, Dänemark und Schweden, Bekanntmachungen des Stockholmer Hofes sind darunter, aber auch Rarissima, die bisher auf keiner Auktion gehandelt worden sind. Sogar Bücher, die von den Autoren handschriftlich der Stadt und ihrem Gymnasium gewidmet wurden, sind zu finden, ebenso Bestände der bedeutenden Löwenschen Sammlung. Selbst wenn, was bisher nicht einmal von der Stadt behauptet wurde, diese Bestände in Stralsund doppelt vorhanden gewesen sein sollten: Die Landesbibliothek in Schwerin hätte solche Pommeranica sicherlich gerne erworben, dort fehlen sie nämlich.

Ausgezeichnete Zusammenfassung der Sachlage!

Die Verkäufer haben es sogar unterlassen, die Eigentumsstempel in den Büchern ungültig zu machen. Es kann also in Zukunft weder unterschieden werden zwischen Beständen, die gestohlen wurden, und solchen, die verkauft wurden. Und hat die Stadt inzwischen den Antiquar aufgefordert, mit den möglicher Weise rechtswidrigen Verkäufen aufzuhören? Stadtsprecher Koslik: Kein Kommentar.

Gutes Argument!

Übrigens: Der Oberbürgermeister schmückte sein Vorzimmer noch vor wenigen Monaten mit Beständen aus der Archivbibliothek. Wohl, weil die Ledereinbände nett anzusehen sind.

Siehe dazu meine Kritik von 2004:

http://archiv.twoday.net/stories/283655/

***

Dieser Beitrag ist Treffer Nr. 100 von

http://archiv.twoday.net/search?q=stralsund

Gut 80 beziehen sich davon auf den jetzigen Skandal

 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma