Der folgende unveröffentlichte archivrechtliche Beitrag geht auf ein Schreiben vom 4. Dezember 1991 an das Auswärtige Amt zurück und betrifft die damalige wie heutige Benutzungsordnung des Politischen Archivs (Direktverlinkung nicht möglich). Der Beitrag wird unverändert (ohne Brief-Formalien) veröffentlicht. Die Argumentation entspricht nach wie vollständig meinen Auffassungen. Die verwandte Frage, ob Genehmigungsvorbehalte bei der Edition von Texten aus Handschriftenbibliotheken zulässig sind, wurde von Bibliotheksjuristen 1994/5. verneint, siehe die Beiträge im
Bibliotheksdienst
Zu Genehmigungsvorbehalten siehe ergänzend
http://de.wikipedia.org/wiki/Genehmigungsvorbehalt
http://archiv.twoday.net/stories/11200/
Siehe auch den Beitrag "Kopie der Kopie" (Original: 1989)
http://archiv.twoday.net/stories/2478252/
Meines Erachtens ist das Politische Archiv des Auswärtigen Amts
nicht berechtigt, grundsätzlich die Veröffentlichung
vollständiger Aktenstücke im Wortlaut von der Zustimmung des
Auswärtigen Amts abhängig zu machen (§ 6 Abs. 2
Benutzungsordnung).
1. Berechtigung aufgrund gesetzlicher Ermächtigung?
Bei der Benutzungsordnung handelt es sich um eine
Verwaltungsvorschrift nach Art. 86 GG, da sie nicht die
Voraussetzungen von Art. 80 GG für eine Rechtsverordnung des
Bundes erfüllt. Sie kann auch nicht als sonstige
Rechtsvorschrift gelten, da sie erst nachträglich in einer
Fachzeitschrift mit dem Vermerk "unveröffentlicht"
veröffentlicht wurde und somit von einer Verkündigung nicht
ausgegangen werden kann. Insbesondere liegt keine Ermächtigung
durch das Bundesarchivgesetz (BArchG) vor.
2. Verstoß gegen das Zensurverbot Art. 5 I S. 3 GG
Bei der Bestimmung handelt es sich um ein Verbot mit
Erlaubnisvorbehalt, durch das die behördliche Vorprüfung einer
Meinungsäußerung bewirkt wird. Daß auch Veröffentlichungen von
Schriftstücken unter dem Schutz der Meinungsfreiheit stehen, hat
jüngst das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hervorgehoben
(Beschl. vom 12.04.1991 NJW 1991 S. 2339 [Az.: 1 BvR 1088/88]). Die Hervorhebung der
Editionstätigkeit des Politischen Archivs durch Pretsch (Der
Archivar 1990, Sp. 597-599) unterstreicht die Bedeutung von
Editionen für die wissenschaftliche Aufarbeitung der
Vergangenheit. Als "Schrankenschranke" untersagt das
Zensurverbot des GG jede Vorzensur.
3. Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit
Da nicht nur wissenschaftliche Editionen von der Bestimmung
betroffen sind, ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5
I GG) der Prüfung zugrundezulegen, ob die Bestimmung
verfassungswidrig ist. Da eine gesetzliche Ermächtigung für
einen solchen Eingriff nicht besteht, ist dies zu bejahen.
4. Keine Befugnis aufgrund Anstaltrechts
Aus dem Zweck eines Archivs ist die Bestimmung nicht abzuleiten.
"Eine Regelung der Benutzungsordnung, die den Benutzer über das
vom Anstaltszweck her notwendige Maß hinaus belastet, ist
rechtswidrig und unwirksam" (Salzwedel in Erichsen/Martens,
Allg. VerwR, 8. A., 1988, S. 471). Die Bereitstellung von
Archivgut schließt in der Regel "die Erlaubnis ein, archivierte
Schriften ganz oder auszugsweise zu veröffentlichen und zu
verbreiten, da der Archivbenutzer in vielen Fällen nur zu dem
Zweck Einsicht in Archivalien nimmt, diese als historische
Quellen zu zitieren und der Öffentlichkeit bekannt zu machen"
(Dörffeldt, Der Archivar 1968, Sp. 228f.). Beispielsweise kennt
auch die als Rechtsverordnung erlassene Benutzungsordnung der
Staatsarchive in Baden-Württemberg keinen entsprechenden
Genehmigungsvorbehalt. Die Landesarchivdirektion Baden-Württemberg teilte dazu ergänzend mit: "Die
Landesarchivdirektion geht davon aus, daß eine besondere
Zustimmung zu einer Edition nicht erforderlich ist.
Einschränkungen der Nutzung - und dazu könnte theoretisch auch
ein Editionsverbot gehören, etwa bei gesperrten Unterlagen -
müssen bei der Genehmigung des Nutzungsantrags festgelegt
werden" (Schreiben vom 20.07.1990).
5. Abschließende Regelung im Bundesarchivgesetz
Die Benutzung von Archivgut des Bundes, das älter als 30 Jahre
ist und sich nicht im Gewahrsam des Bundesarchivs befindet, also
auch das Archivgut des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts,
ist in § 5 Abs. 1-7 BArchG abschließend geregelt worden. Da der
Bürger aus dem Gesetz nicht ersehen kann, daß sein Grundrecht
der freien Meinungsäußerung durch das grundsätzliche Verbot,
ohne Zustimmung des Archivs Aktenstücke im Vollabdruck zu
veröffentlichen, beeinträchtigt wird, widerspricht die Regelung
der Benutzungsordnung dem vom Bundesgesetzgeber vorgegebenen
Grundsätzen.
6. Stark begrenzte Zulässigkeit von Auflagen
Auf die Zulassung zur Benutzung des Politischen Archivs besteht
gemäß § 5 Abs. 8 i.V. mit § 5 Abs. 1 BArchG ein gesetzlicher
Anspruch. Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt der Zulassung, zu denen auch Auflagen rechnen, sind somit nach § 36 Abs. 1 VwVfG
nur zulässig, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen sind
oder wenn sie sicherstellen sollen, daß die gesetzlichen
Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt werden. Der hier
besprochene Genehmigungsvorbehalt ist eine solche Auflage.
Als Rechtsvorschrift kommt nur das BArchG in Betracht. Die
amtliche Begründung sieht Auflagen zur Benutzung nur bei § 5
Abs. 7 vor. Die Entscheidung darüber wird in der Begründung zu
§ 5 Abs. 8 ausdrücklich der aufbewahrenden Behörde zugestanden.
Doch wird man davon ausgehen dürfen, daß auch Auflagen, die
sicherstellen, daß ein Versagungsgrund für die Zulassung zur
Benutzung von Unterlagen gemäß § 5 Abs. 6 BArchG nicht gegeben
ist, gemäß § 36 Abs. 1 VwVfG zulässig sind.
Nur in diesen eng begrenzten Fällen steht dem Politischen Archiv
die Befugnis zu, nach § 3 Abs. 3 Satz 2 der Benutzungsordnung
die Genehmigung mit Auflagen zu erteilen, vom Benutzer die
Befolgung der Benutzungsordnung und der
Durchführungsvorschriften und eine Haftungsfreistellung gemäß §
3 Abs. 4 Benutzungsordnung zu verlangen. Wird die Zulassung zur
Benutzung außer in den geannten Fällen von diesen
Voraussetzungen abhängig gemacht, so widerspricht das § 5 Abs.
8 BArchG und ist rechtswidrig.
7. Die Auflage ist ungeeignet
§ 5 Abs. 7 BArchG gilt für besonders sensible Unterlagen,
während § 5 Abs. 6 BArchG besonders schwerwiegende Fälle erfaßt,
in denen nach Ablauf der Sperrfrist eine Offenlegung des
Archivguts nicht erfolgen kann. Nach Allgemeinem
Verwaltungsrecht muß die Auflage geeignet und erforderlich sein.
Bejaht man die Erforderlichkeit, so stellt man fest, daß die
Eignung verneint werden muß. Da eine sinngemäße Wiedergabe des
Inhalts oder eine auszugsweise Edition, die nach der
Benutzungsordnung zulässig sind, die zu schützenden Daten in
gleicher Weise wie eine Edition im Volltext an die
Öffentlichkeit bringen, kann der Zweck, der mit der
Einschränkung nach dem vom Gesetzgeber in § 5 BArchG
vorgegebenen Programm verfolgt werden soll, nur durch ein
Verwertungsverbot, das nicht auf die Form der Präsentation
(Edition) abstellt, erreicht werden. Damit ergibt sich zwingend,
daß der Editionsvorbehalt auch in den Fällen, in denen
Nebenbestimmungen prinzipiell möglich sind, unzulässig ist. Es
stellt sich daher die Frage nach dem eigentlichen Zweck der
Regelung. Hierzu ist das Allgemeine Verwaltungsrecht zu
verlassen.
8. Keine Eigentümerbefugnisse
Das Archivgut des Politischen Archivs ist eine öffentliche Sache
und steht von daher unter öffentlichrechtlichem Regime. Für die
Wahrnehmung von Eigentümerbefugnissen durch die Bundesrepublik
Deutschland bleibt somit kein Raum. Ausschlaggebend ist einzig
und allein die Widmung, die hinsichtlich der Nutzung durch die
Allgemeinheit durch das BArchG erfolgt ist.
9. Kein Immaterialgüterrecht an gemeinfreien Werken
Die Nutzung des geistigen Eigentums, das im Archivgut des
Politischen Archivs verkörpert ist, hat der Bundesgesetzgeber
abschließend im Urheberrechtsgesetz geregelt. Ist die
Schutzfrist gemäß § 64 UrhG abgelaufen, so steht das Archivgut
der Allgemeinheit in zivilrechtlicher Hinsicht ohne
Beschränkungen zur Verfügung. Das von öffentlichen Sammmlungen
ohne Rechtsgrundlage reklamierte Recht, die Edition von Texten
in ihrem Eigentum zu genehmigen oder zu versagen, steht mit
unserer Rechtsordnung nicht im Einklang.
Ein öffentlichrechtliches Ausschließungsrecht, das Editionen von
Archivgut dem Politischen Archiv vorbehält, ist als
"Forschungsprotektionismus" mit Art. 5 GG grundsätzlich nicht zu
vereinbaren. Ich darf darauf hinweisen, daß die Bestimmung der
GGO I, wonach bei der Veröffentlichung von Akten aus jüngerer
Zeit zu prüfen ist, ob die Veröffentlichung dem Bundesarchiv zu
überlassen ist (§ 80), bei der Novellierung ersatzlos gestrichen
wurde.
Einer der angesehensten Bibliotheksjuristen, der ehemalige
Leiter der Bibliothek des Bundesgerichtshofs, Dr. Hildebert
Kirchner führt zu der Frage aus: "Eine Genehmigungspflicht für
Editionen von Handschriften oder von Teilen derselben läßt sich
nicht begründen. Was die Bibliothek verwahrt, ist als Erbe der
Menschheit Gemeingut. Jeder Gelehrte nimmt die Fackel auf, die
ein anderer entzündet hat, und gibt sie weiter. Auch fehlerhafte
Editionen kann und darf die Bibliothek nicht verhindern, das ist
nicht ihr "Geschäft". Jedwede Reglementierung ist der Bibliothek
verwehrt. Sie darf daher auch niemandem Exklusivrechte
einräumen. Sie muß vielmehr jedwedem die gleichen Zugangschancen geben" (Brief vom 23.10.1991).
Zu den gesetzlich zugewiesenen Aufgaben des Politischen Archivs
gehört es jedenfalls nicht, Wissenschaftler oder Publizisten an
der Veröffentlichung von Aktenstücken zu hindern und damit in
den vor staatlichen Eingriffen zu schützenden Freiraum der
Wissenschaft und Forschung (Art. 5 III GG) einzudringen. Eine
staatliche "Qualitätskontrolle" von Editionen ist ebenso
verfassungswidrig wie eine Praxis, die einzelne Wissenschaftler
oder Institutionen bevorzugt und somit den Gleichheitssatz
verletzt.
Da Benutzern des Bundesarchivs eine vergleichbare Verpflichtung
zum Einholen der Editionsgenehmigung nicht obliegt (Auskunft des
Benutzungsreferenten) und aus dem BArchG, wie ausgeführt, auch
nicht zu entnehmen ist, verstößt das Politische Archiv gegen die
im Innenausschuß des Deutschen Bundestages am 09.11.1987 (BT-DS
11/1215) geäußerte Erwartung des Parlaments, daß die
Benutzungsordnung des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts
entsprechende Regelungen des Bundesarchivs übernehmen wird.
10. Keine Wahrnehmung urheberrechtlicher Befugnisse
Fragen der Abgrenzung von Archivbenutzungsrecht und Urheberrecht
sind äußerst schwierig, von der Rechtssprechung noch nicht
entschieden und von der archivfachlichen und der juristischen
Diskussion noch nicht zur Kenntnis genommen worden.
Zu den Aufgaben des Politischen Archivs gehört es nicht, über
den allgemeinen Hinweis über die Wahrung fremder Urheberrechte
und besondere Vorkehrungen im Einzelfall hinaus, fremde
Geschäfte zu führen und Urheberrechte Dritter durch
öffentlichrechtliche Verbote zu gewährleisten.
Hinsichtlich des urheberrechtlich noch geschützten Schriftguts
gehe ich davon aus, daß die der Bundesrepublik Deutschland als
Dienstherr und Arbeitgeber übertragenen urheberrechtlichen
Befugnisse auf privatrechtlicher Grundlage nicht unbeschränkt
ausgeübt werden können. Die volle Privatautonomie ist der
öffentlichen Hand versperrt, sie wird überlagert und modifiziert
von öffentlichrechtlichen Normen und Zwecksetzungen
(Verwaltungsprivatrecht). Als solche Norm ist wiederum das
BArchG anzusetzen, das eine möglichst freie Zugänglichkeit des
Archivguts für die Öffentlichkeit voraussetzt. In Verbindung mit
dem Gleichheitssatz bleibt somit für eine besondere,
privatrechtlich begründete Befugnis, die Veröffentlichung von
Archivgut zu genehmigen oder zu versagen, kein Raum.
Darüberhinaus wird man annehmen dürfen, daß die Wahrnehmung
urheberrechtlicher Befugnisse hinsichtlich des Archivgut des
Bundes nach § 5 Abs. 8 BArchG im Interesse der Rechtsgleichheit
an der Praxis des Bundesarchivs zu orientieren hat. Das
Bundesarchiv schließt jedoch implizit die Genehmigung,
Schriftstücke zu veröffentlichen, in die Benutzungsgenehmigung
ein.
Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß sich keine
Anhaltspunkte für die Rechtmäßigkeit der besprochenen Regelung
ergeben haben.
Bibliotheksdienst
Zu Genehmigungsvorbehalten siehe ergänzend
http://de.wikipedia.org/wiki/Genehmigungsvorbehalt
http://archiv.twoday.net/stories/11200/
Siehe auch den Beitrag "Kopie der Kopie" (Original: 1989)
http://archiv.twoday.net/stories/2478252/
Meines Erachtens ist das Politische Archiv des Auswärtigen Amts
nicht berechtigt, grundsätzlich die Veröffentlichung
vollständiger Aktenstücke im Wortlaut von der Zustimmung des
Auswärtigen Amts abhängig zu machen (§ 6 Abs. 2
Benutzungsordnung).
1. Berechtigung aufgrund gesetzlicher Ermächtigung?
Bei der Benutzungsordnung handelt es sich um eine
Verwaltungsvorschrift nach Art. 86 GG, da sie nicht die
Voraussetzungen von Art. 80 GG für eine Rechtsverordnung des
Bundes erfüllt. Sie kann auch nicht als sonstige
Rechtsvorschrift gelten, da sie erst nachträglich in einer
Fachzeitschrift mit dem Vermerk "unveröffentlicht"
veröffentlicht wurde und somit von einer Verkündigung nicht
ausgegangen werden kann. Insbesondere liegt keine Ermächtigung
durch das Bundesarchivgesetz (BArchG) vor.
2. Verstoß gegen das Zensurverbot Art. 5 I S. 3 GG
Bei der Bestimmung handelt es sich um ein Verbot mit
Erlaubnisvorbehalt, durch das die behördliche Vorprüfung einer
Meinungsäußerung bewirkt wird. Daß auch Veröffentlichungen von
Schriftstücken unter dem Schutz der Meinungsfreiheit stehen, hat
jüngst das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hervorgehoben
(Beschl. vom 12.04.1991 NJW 1991 S. 2339 [Az.: 1 BvR 1088/88]). Die Hervorhebung der
Editionstätigkeit des Politischen Archivs durch Pretsch (Der
Archivar 1990, Sp. 597-599) unterstreicht die Bedeutung von
Editionen für die wissenschaftliche Aufarbeitung der
Vergangenheit. Als "Schrankenschranke" untersagt das
Zensurverbot des GG jede Vorzensur.
3. Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit
Da nicht nur wissenschaftliche Editionen von der Bestimmung
betroffen sind, ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5
I GG) der Prüfung zugrundezulegen, ob die Bestimmung
verfassungswidrig ist. Da eine gesetzliche Ermächtigung für
einen solchen Eingriff nicht besteht, ist dies zu bejahen.
4. Keine Befugnis aufgrund Anstaltrechts
Aus dem Zweck eines Archivs ist die Bestimmung nicht abzuleiten.
"Eine Regelung der Benutzungsordnung, die den Benutzer über das
vom Anstaltszweck her notwendige Maß hinaus belastet, ist
rechtswidrig und unwirksam" (Salzwedel in Erichsen/Martens,
Allg. VerwR, 8. A., 1988, S. 471). Die Bereitstellung von
Archivgut schließt in der Regel "die Erlaubnis ein, archivierte
Schriften ganz oder auszugsweise zu veröffentlichen und zu
verbreiten, da der Archivbenutzer in vielen Fällen nur zu dem
Zweck Einsicht in Archivalien nimmt, diese als historische
Quellen zu zitieren und der Öffentlichkeit bekannt zu machen"
(Dörffeldt, Der Archivar 1968, Sp. 228f.). Beispielsweise kennt
auch die als Rechtsverordnung erlassene Benutzungsordnung der
Staatsarchive in Baden-Württemberg keinen entsprechenden
Genehmigungsvorbehalt. Die Landesarchivdirektion Baden-Württemberg teilte dazu ergänzend mit: "Die
Landesarchivdirektion geht davon aus, daß eine besondere
Zustimmung zu einer Edition nicht erforderlich ist.
Einschränkungen der Nutzung - und dazu könnte theoretisch auch
ein Editionsverbot gehören, etwa bei gesperrten Unterlagen -
müssen bei der Genehmigung des Nutzungsantrags festgelegt
werden" (Schreiben vom 20.07.1990).
5. Abschließende Regelung im Bundesarchivgesetz
Die Benutzung von Archivgut des Bundes, das älter als 30 Jahre
ist und sich nicht im Gewahrsam des Bundesarchivs befindet, also
auch das Archivgut des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts,
ist in § 5 Abs. 1-7 BArchG abschließend geregelt worden. Da der
Bürger aus dem Gesetz nicht ersehen kann, daß sein Grundrecht
der freien Meinungsäußerung durch das grundsätzliche Verbot,
ohne Zustimmung des Archivs Aktenstücke im Vollabdruck zu
veröffentlichen, beeinträchtigt wird, widerspricht die Regelung
der Benutzungsordnung dem vom Bundesgesetzgeber vorgegebenen
Grundsätzen.
6. Stark begrenzte Zulässigkeit von Auflagen
Auf die Zulassung zur Benutzung des Politischen Archivs besteht
gemäß § 5 Abs. 8 i.V. mit § 5 Abs. 1 BArchG ein gesetzlicher
Anspruch. Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt der Zulassung, zu denen auch Auflagen rechnen, sind somit nach § 36 Abs. 1 VwVfG
nur zulässig, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen sind
oder wenn sie sicherstellen sollen, daß die gesetzlichen
Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt werden. Der hier
besprochene Genehmigungsvorbehalt ist eine solche Auflage.
Als Rechtsvorschrift kommt nur das BArchG in Betracht. Die
amtliche Begründung sieht Auflagen zur Benutzung nur bei § 5
Abs. 7 vor. Die Entscheidung darüber wird in der Begründung zu
§ 5 Abs. 8 ausdrücklich der aufbewahrenden Behörde zugestanden.
Doch wird man davon ausgehen dürfen, daß auch Auflagen, die
sicherstellen, daß ein Versagungsgrund für die Zulassung zur
Benutzung von Unterlagen gemäß § 5 Abs. 6 BArchG nicht gegeben
ist, gemäß § 36 Abs. 1 VwVfG zulässig sind.
Nur in diesen eng begrenzten Fällen steht dem Politischen Archiv
die Befugnis zu, nach § 3 Abs. 3 Satz 2 der Benutzungsordnung
die Genehmigung mit Auflagen zu erteilen, vom Benutzer die
Befolgung der Benutzungsordnung und der
Durchführungsvorschriften und eine Haftungsfreistellung gemäß §
3 Abs. 4 Benutzungsordnung zu verlangen. Wird die Zulassung zur
Benutzung außer in den geannten Fällen von diesen
Voraussetzungen abhängig gemacht, so widerspricht das § 5 Abs.
8 BArchG und ist rechtswidrig.
7. Die Auflage ist ungeeignet
§ 5 Abs. 7 BArchG gilt für besonders sensible Unterlagen,
während § 5 Abs. 6 BArchG besonders schwerwiegende Fälle erfaßt,
in denen nach Ablauf der Sperrfrist eine Offenlegung des
Archivguts nicht erfolgen kann. Nach Allgemeinem
Verwaltungsrecht muß die Auflage geeignet und erforderlich sein.
Bejaht man die Erforderlichkeit, so stellt man fest, daß die
Eignung verneint werden muß. Da eine sinngemäße Wiedergabe des
Inhalts oder eine auszugsweise Edition, die nach der
Benutzungsordnung zulässig sind, die zu schützenden Daten in
gleicher Weise wie eine Edition im Volltext an die
Öffentlichkeit bringen, kann der Zweck, der mit der
Einschränkung nach dem vom Gesetzgeber in § 5 BArchG
vorgegebenen Programm verfolgt werden soll, nur durch ein
Verwertungsverbot, das nicht auf die Form der Präsentation
(Edition) abstellt, erreicht werden. Damit ergibt sich zwingend,
daß der Editionsvorbehalt auch in den Fällen, in denen
Nebenbestimmungen prinzipiell möglich sind, unzulässig ist. Es
stellt sich daher die Frage nach dem eigentlichen Zweck der
Regelung. Hierzu ist das Allgemeine Verwaltungsrecht zu
verlassen.
8. Keine Eigentümerbefugnisse
Das Archivgut des Politischen Archivs ist eine öffentliche Sache
und steht von daher unter öffentlichrechtlichem Regime. Für die
Wahrnehmung von Eigentümerbefugnissen durch die Bundesrepublik
Deutschland bleibt somit kein Raum. Ausschlaggebend ist einzig
und allein die Widmung, die hinsichtlich der Nutzung durch die
Allgemeinheit durch das BArchG erfolgt ist.
9. Kein Immaterialgüterrecht an gemeinfreien Werken
Die Nutzung des geistigen Eigentums, das im Archivgut des
Politischen Archivs verkörpert ist, hat der Bundesgesetzgeber
abschließend im Urheberrechtsgesetz geregelt. Ist die
Schutzfrist gemäß § 64 UrhG abgelaufen, so steht das Archivgut
der Allgemeinheit in zivilrechtlicher Hinsicht ohne
Beschränkungen zur Verfügung. Das von öffentlichen Sammmlungen
ohne Rechtsgrundlage reklamierte Recht, die Edition von Texten
in ihrem Eigentum zu genehmigen oder zu versagen, steht mit
unserer Rechtsordnung nicht im Einklang.
Ein öffentlichrechtliches Ausschließungsrecht, das Editionen von
Archivgut dem Politischen Archiv vorbehält, ist als
"Forschungsprotektionismus" mit Art. 5 GG grundsätzlich nicht zu
vereinbaren. Ich darf darauf hinweisen, daß die Bestimmung der
GGO I, wonach bei der Veröffentlichung von Akten aus jüngerer
Zeit zu prüfen ist, ob die Veröffentlichung dem Bundesarchiv zu
überlassen ist (§ 80), bei der Novellierung ersatzlos gestrichen
wurde.
Einer der angesehensten Bibliotheksjuristen, der ehemalige
Leiter der Bibliothek des Bundesgerichtshofs, Dr. Hildebert
Kirchner führt zu der Frage aus: "Eine Genehmigungspflicht für
Editionen von Handschriften oder von Teilen derselben läßt sich
nicht begründen. Was die Bibliothek verwahrt, ist als Erbe der
Menschheit Gemeingut. Jeder Gelehrte nimmt die Fackel auf, die
ein anderer entzündet hat, und gibt sie weiter. Auch fehlerhafte
Editionen kann und darf die Bibliothek nicht verhindern, das ist
nicht ihr "Geschäft". Jedwede Reglementierung ist der Bibliothek
verwehrt. Sie darf daher auch niemandem Exklusivrechte
einräumen. Sie muß vielmehr jedwedem die gleichen Zugangschancen geben" (Brief vom 23.10.1991).
Zu den gesetzlich zugewiesenen Aufgaben des Politischen Archivs
gehört es jedenfalls nicht, Wissenschaftler oder Publizisten an
der Veröffentlichung von Aktenstücken zu hindern und damit in
den vor staatlichen Eingriffen zu schützenden Freiraum der
Wissenschaft und Forschung (Art. 5 III GG) einzudringen. Eine
staatliche "Qualitätskontrolle" von Editionen ist ebenso
verfassungswidrig wie eine Praxis, die einzelne Wissenschaftler
oder Institutionen bevorzugt und somit den Gleichheitssatz
verletzt.
Da Benutzern des Bundesarchivs eine vergleichbare Verpflichtung
zum Einholen der Editionsgenehmigung nicht obliegt (Auskunft des
Benutzungsreferenten) und aus dem BArchG, wie ausgeführt, auch
nicht zu entnehmen ist, verstößt das Politische Archiv gegen die
im Innenausschuß des Deutschen Bundestages am 09.11.1987 (BT-DS
11/1215) geäußerte Erwartung des Parlaments, daß die
Benutzungsordnung des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts
entsprechende Regelungen des Bundesarchivs übernehmen wird.
10. Keine Wahrnehmung urheberrechtlicher Befugnisse
Fragen der Abgrenzung von Archivbenutzungsrecht und Urheberrecht
sind äußerst schwierig, von der Rechtssprechung noch nicht
entschieden und von der archivfachlichen und der juristischen
Diskussion noch nicht zur Kenntnis genommen worden.
Zu den Aufgaben des Politischen Archivs gehört es nicht, über
den allgemeinen Hinweis über die Wahrung fremder Urheberrechte
und besondere Vorkehrungen im Einzelfall hinaus, fremde
Geschäfte zu führen und Urheberrechte Dritter durch
öffentlichrechtliche Verbote zu gewährleisten.
Hinsichtlich des urheberrechtlich noch geschützten Schriftguts
gehe ich davon aus, daß die der Bundesrepublik Deutschland als
Dienstherr und Arbeitgeber übertragenen urheberrechtlichen
Befugnisse auf privatrechtlicher Grundlage nicht unbeschränkt
ausgeübt werden können. Die volle Privatautonomie ist der
öffentlichen Hand versperrt, sie wird überlagert und modifiziert
von öffentlichrechtlichen Normen und Zwecksetzungen
(Verwaltungsprivatrecht). Als solche Norm ist wiederum das
BArchG anzusetzen, das eine möglichst freie Zugänglichkeit des
Archivguts für die Öffentlichkeit voraussetzt. In Verbindung mit
dem Gleichheitssatz bleibt somit für eine besondere,
privatrechtlich begründete Befugnis, die Veröffentlichung von
Archivgut zu genehmigen oder zu versagen, kein Raum.
Darüberhinaus wird man annehmen dürfen, daß die Wahrnehmung
urheberrechtlicher Befugnisse hinsichtlich des Archivgut des
Bundes nach § 5 Abs. 8 BArchG im Interesse der Rechtsgleichheit
an der Praxis des Bundesarchivs zu orientieren hat. Das
Bundesarchiv schließt jedoch implizit die Genehmigung,
Schriftstücke zu veröffentlichen, in die Benutzungsgenehmigung
ein.
Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß sich keine
Anhaltspunkte für die Rechtmäßigkeit der besprochenen Regelung
ergeben haben.
KlausGraf - am Donnerstag, 3. August 2006, 17:51 - Rubrik: Archivrecht