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Berlin, 14. 06. 2011

Offener Brief:

Soll ein würdiger Gedenk-, Lern-und Forschungsort an und zu „Asozialen“ weiter verhindert werden? Setzen Sie sich gegen das Vergessen und Verschweigen ein!

Sehr geehrte Abgeordnete des Bundestages sowie des Berliner Abgeordnetenhauses, Sehr geehrte Bezirksverordnete des Bezirkes Lichtenberg,

Am gestrigen 13. Juni vor 73 Jahren fand die „Aktion Arbeitsscheu Reich“ statt, die einen weiteren Beitrag zur Radikalisierung der „Erhaltung und Reinigung des deutschen Volkskörpers“ leisten sollte und einen Wendepunkt im Umgang mit den „Gemeinschaftsfremden“ einleitete.

„Massiv griff zunächst einmal die Gestapo, dann nachhaltig die Kriminalpolizei ein, letztere im Rahmen der 'vorbeugenden Verbrechensbekämpfung'.
Etwa zehntausend männliche „Asoziale“ wurden im Sommer 1938 binnen weniger Wochen in die Konzentrationslager verschleppt. …

Bereits wenige Wochen nach den Massenverhaftungen vom Sommer 1938 war die Verhängung von Vorbeugungshaft gegen „Asoziale“ in das normale, routinemäßige Verwaltungshandeln vieler Kommunen integriert. Wohlfahrtsämter drängten die Polizeibehörden geradezu zur Verhaftung von „Asozialen“1.
Begleitet war dieser Prozess von Gesetzesverschärfungen, -änderungen bzw. Neufassungen sowie wechselnden Zuständigkeiten und Deportationen in Konzentrationslager bzw. andere sogenannte Anstalten.

Die „Aktion Arbeitsscheu Reich“ steht somit symptomatisch für die Legalisierung und verstärkte Radikalisierung einer Politik der Ausgrenzung von sogenannten sozialen Randgruppen durch Stigmatisierung und Kriminalisierung. Betroffene waren zum Beispiel Obdachlose, Bettler_innen, Prostituierte, Homosexuelle, Sinti und Roma, die u. a. als „Unangepasste“, „Unwerte“ bzw. Wolfgang Ayaß, „Gemeinschaftsfremde“, Materialien aus dem Bundesarchiv, Koblenz 1998, Einleitung „Minderwertige“, „Unnütze“, „Arbeitsunwillige“ oder „Volks-bzw. Gemeinschaftsfremde“ gebrandmarkt wurden.

Unter den Nazis bedeutete dies für Zehntausende der als „Asoziale“ stigmatisierten Menschen Verfolgung, Sterilisation, Ingewahrsamnahme bis hin zur Zwangsarbeit und Ermordung in Konzentrationslagern.
Die Nichtanerkennung als Opfer des Nazi-Regimes sowie die bis heute fehlende Rehabilitierung und Entschädigung aber auch die Nichtaufarbeitung dieses Unrechts stellt für uns eine nachträgliche Erniedrigung der Betroffenen dar. Zu dem wird so in skandalöser Art und Weise eine nachträgliche Legitimierung der Verfolgung und Ermordung sogenannter Asozialer suggeriert.

Das Areal der ehemaligen Rummelsburger Arbeitshäuser steht symptomatisch für eine ganze Reihe authentischer Orte von Naziverbrechen, an denen die Erinnerung in den letzten Jahren durch Privatisierung und Kommerzialisierung entsorgt wurde. Nicht nur die frischen Fassaden täuschen über ihre Geschichte hinweg. Während z.B. das "ANDERE HAUS VIII" an der Rummelsburger Bucht aus der Nutzung des Areals als Gefängnis in der DDR-Zeit Kapital zu schlagen versucht, erinnert nichts an den Naziterror an diesem Ort. So z.B. auch nicht: an die sowjetischen Zwangsarbeiter_innen. Mädchen und jungen Frauen die nachts eingepfercht und tagsüber in die anliegenden Fabriken der IG Farben oder nach Oberschöneweide getrieben wurden.

Dieses Parallelgedenken stellt einen Versuch dar, die Singularität der Verbrechen des Naziregimes zu leugnen, zu relativieren und zu bagatellisieren Eine Gleichsetzung des Naziregimes mit der DDR lehnen wir aber an jedem Ort und zu jeder Zeit ab! Sowohl Völkermord als auch der Vernichtungskrieg der Nazis waren ein einmaliger Zivilisationsbruch, und jeder Versuch der Relativierung und Verharmlosung ist ein geschichtsrevisionistischer Vorstoß, dem wir uns entgegenstellen.

Sonst übertönt das Schweigen über Unrecht und Mord der Nazis auch weiterhin das Schreien der Gefolterten im „Raum der Stille“ des etwas anderen Hauses VIII. (s. Anhang, Historiker Thomas Irmer zu den Arbeitshäusern)
Ihrem Raum der Stille, des Verschweigens und Vergessens wollen wir unser vernehmliches Gedenken entgegensetzen und fordern gerade an diesem authentischen Ort darüber hinaus eine Erinnerungs-und Lernstätte zu Kontinuitäten und Brüchen sozialer Ausgrenzung mit Schwerpunkt zur "Verfolgung und Ermordung sogenannter Asozialer durch das Nazi-Regime“.
In Form eines Dokumentations-, Studien-und Forschungszentrum sowie einer Begegnungsstätte wäre dies möglich. Bitte unterstützen Sie uns dabei!

„Danksagung“ oder „Wem nutzt die Verhinderung des Gedenkens und der Aufarbeitung?“

Wir wollen heute alljenen unseren „Dank“ aussprechen, die so unermüdlich die Anerkennung der als „Asoziale“ durch die Nazis Verfolgten und Ermordeten als „spezifische“ Opfer des Nazi-Regimes blockiert, eine Aufarbeitung als Unrecht und somit eine Rehabilitierung und Entschädigung verhindert haben bzw. noch verhindern. Immerhin ist es u.a. auch dadurch gelungen systemisch bedingte Ausgrenzungsmechanismen beizubehalten bzw. zu modifizieren ohne, dass die kapitalistische Verwertungslogik in Frage gestellt oder Rassismus in der Mitte der Gesellschaft thematisiert werden musste.

Und wer keinen ökonomischen Wert (Mehrwert) für die „weiße Mehrheitsgesellschaft“ darstellt, hat sowieso weder eine Lobby noch viel Solidarität zu erwarten. Die Beibehaltung des Stigmas „asozial“ bzw. synonym dazu die Zuschreibung als „unwert“, „unnütz“ „minderwertig“ und „gemeinschaftsfremd“ oder heute verstärkt als „integrationsunwillig“ bzw., „Integrationsunfähig“ fördert außerdem die Selbststigmatisierung und Entsolidarisierung der Betroffenen auch untereinander. Ein geschlossener Widerstand ist also größtenteils auch hier nicht zu erwarten. Schließlich will verständlicherweise ja niemand dazu gehören oder als Letzter das Licht ausmachen.

Sollte da, wo bereits vorhandenes Unrecht den Nährboden für Naziverbrechen vorbereitete, der Zusatz „spezifische“ vor Nazi-Verbrechen deren Anerkennung als Opfer sowie eine Rehabilitierung und Entschädigung unmöglich machen? Und … Veränderungen in der Gesetzgebung des Nazi-Regimes sowie eine damit einhergehende Radikalisierung der Politik bis hin zur Ermordung so genannter Asozialer bewusst ignoriert werden?

Aus dieser Perspektive erscheint es ja möglich und scheinbar notwenig, auch weiterhin einen Gedenk-, Lern-und Forschungsort sowie eine Rehabilitierung und Entschädigung zu verhindern, um das Unrecht nicht als solches in der Öffentlichkeit zu enttarnen sowie mögliche Rückschlüsse auf Kontinuitäten und Brüche nicht zuzulassen.
Immerhin haben damals sowohl Kommunen wie auch Wohlfahrtsverbände etc. ebenfalls von den Gesetzen und Verordnungen sowie dem geringen Entgelt für die geleistete Zwangsarbeit durch Arbeitshausinsass_innen profitiert und daran entscheidend mitgewirkt. Nun sollte man zwar nicht behaupten, dass wir uns auf dem Weg zurück in die braune Vergangenheit befinden -und damit die Verbrechen der Nazis verharmlosen. Das ganz sicher nicht. Aber auch der Möglichkeit, Kontinuitäten sozialer bzw. rassistisch motivierter Ausgrenzung aufzuzeigen bzw. zu analysieren, soll wohl scheinbar rechtzeitig der Boden entzogen und das Stigma „asozial“ historisch entkontextualisiert werden.

Sehr geehrte Damen und Herren,
Die Zeit ist günstig! In kaum einer Krise seit 1945 ist es Teilen der Politik, Gesellschaft und Medien erfolgreicher gelungen, die Ursachen gesellschaftlicher Fehlentwicklungen auf die Betroffenen selbst abzulenken sowie soziale Probleme zu individualisieren und Rassismus geschickt kultur-religiös oder ethnisch zu ummanteln bzw. zu verschleiern. Feindbilder scheinen wieder mehrheitsfähig, Sanktionen und Zwangsmaßnahmen öffentlich legitimierbar. Es ist wieder möglich geworden, die Zuschreibung von negativen Eigenschaften auf ganze Teile von Bevölkerungsgruppen vorzunehmen, ohne dass mit ernsthaften Konsequenzen zu rechnen ist. Endlich können wir aussprechen, was wir schon lange wussten.

Das verdanken wir denjenigen, die u.a. Thilo Sarrazin so geschickt in Stellung gebracht und des „deutschen Volkes Meinungsfreiheit“ wiederhergestellt haben. Unter diesem Deckmantel lässt sich Rassismus gut verstecken oder gar den Kritiker_innen in die Schuhe schieben. Sarrazin dabei als Opfer einer schon Jahrzehnte lang währenden „Meinungsdiktatur“ zu inszenieren und seine Kritiker_innen als -wie im rechten Sprachgebrauch üblich -„Gutmenschen“ zu diskreditieren, war nicht nur ein cleverer Schachzug, sondern bot vielen auch die Möglichkeit, sich zu solidarisieren und ihren eigenen Vorurteilen und Ängsten zu frönen.

Auch die „Integrationsdebatte“ hat einmal mehr deutlich gemacht, wer sich hier wem unterzuordnen hat, um Deutschland vor dem Untergang durch „Geburtenrückgang und gleichzeitige „Überfremdung durch Migration und Zuwanderung“ zu bewahren. Gut, dabei zu wissen, dass dem Glücksversprechen „Integration“ nicht gleich die Zugehörigkeit zu uns „Deutschen“ folgen wird. Sonst würde sich Deutschland womöglich doch noch abschaffen, dann aber durch erfolgreiche „Integration“ von „Nützlichen“ und „Angepassten“. Das dabei allein das Versprechen für Ausgegrenzte ausreicht, um sich gegenüber anderen Ausgegrenzten zu entsolidarisieren, ist dabei ein scheinbar glücklicher Umstand des Prinzips „Teile und Herrsche“. Zu groß ist offensichtlich die Verlockung auf die Aussicht, dazugehören zu dürfen.

Dies nutzen verstärkt in jüngster Zeit insbesondere Rechtspopulist_innen und Rassist_innen nicht nur neuer menschenfeindlicher Kleinstparteien, sondern auch aus den etablierten Parteien. Getroffen wird sich unter dem Deckmantel von „Islamkritik“, der Abwehr einer „Islamisierung“ sowie der „Überfremdung“ durch Zuwanderung und „unnütze Flüchtlinge“ in unsere Sozialsysteme. Als hilfreich erweisen sich dabei aber auch die Konstruktion eines „Kampfes der Kulturen“, einer Bedrohung des christlichen Abendlandes oder das Wiederauflebenlassen des Diskurses um eine angebliche deutsche Leitkultur, geschmückt mit sogenannten christlichen Werten.

Die Konstruktion von „Sozialschmarotzer_innen“ und „Sozialhilfebetrüger_innen“ mal mit und mal ohne Bezug auf die Herkunft und/ oder Religion hat dagegen schon länger eine unrühmliche Tradition. Und das auch nicht erst seit Sarrazins rassistischen Ausfällen mit Versatzstücken aus der Rassenhygiene und Eugenik der Nazis, die durch seinen mehrmaligen Nichtausschluss aus der SPD eine nachträgliche öffentliche Legitimation erhielten.

Es ist nicht notwendig, Äußerungen von heutigen Vertreter_innen aus Politik, Medien oder Gesellschaft oder von Thilo Sarrazin unter der Berücksichtigung jeweils herrschender gesellschaftspolitisch veränderter Rahmenbedingungen und Entwicklungen mit denen u.a. des NS-Reichsinnenministers Frick von 1933 zu vergleichen (s. Anlage). Kontinuitäten dürften Ihnen auch so auffallen. Die Bedrohungskulisse zur Polarisierung der Gesellschaft und zum Schüren von Ängsten vor der Abschaffung des „deutschen Volkes“ im Allgemeinen, die Konstruktion der Notwendigkeit eines „Wir Nützlichen“ gegen die „Anderen Unnützen“ und die Gefahr eines sozialen Abstieg des Einzelnen im Speziellen ähneln sich nicht zufällig.

Wohin dies führt, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob sich Geschichte wiederholen kann. Nicht offen dagegen ist für uns die Tatsache, dass die Ursachen sozialer Probleme niemals durch eine „Law and Order“-Politik, einen ständig ausgebauten Sicherheits-und Überwachungsstaat, verbunden mit den fortgesetzten und sich verschärfenden Einschränkungen von Bürger_innenrechten durch Sanktions-und Zwangsmaßnahmen, behoben werden können. Dies dient lediglich der Verschleierung der Ursachen und der Tarnung der Profiteur_innen, die die bestehenden Macht-und Herrschaftsverhältnisse mit der der weiteren Profitmaximierung von einigen Wenigen sichern wollen. Reichtum benötigt immer Armut und die kapitalistische Verwertungslogik immer Ausgrenzung und Sündenböcke. Dies lehrt uns die Geschichte aber auch die Ergebnisse der sich verschärfenden Verteilungskämpfe.

Auch deshalb bitten wir Sie, die Forderung nach der längst überfälligen Anerkennung der Verfolgung und Ermordung sogenannter Asozialer als Verbrechen des Naziregimes sowie nach Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer zu unterstützen. Viele der Überlebenden sind schon gestorben. Geben sie ihnen nachträglich sowie den noch Lebenden jetzt ihre Würde und ihr Gesicht zurück! Darüber hinaus kann nur ein würdiger Gedenk-, Lern-und Forschungsort die Aufarbeitung der Geschichte sozialer Ausgrenzung bis heute leisten und das Schicksal der Opfer umfassend aufarbeiten. Auf authentische Orte der Nazi-Verbrechen kann dabei nicht verzichtet werden, und die Rummelsburger Arbeitshäuser bieten sich dafür an. Deshalb muss eine Privatisierung der restlichen zwei noch nicht verkauften Teile der Arbeitshäuser so lange gestoppt werden, bis eine Einigung dazu erzielt sowie alle nachvollziehbaren Spuren der Verbrechen gesichert wurden. Der Arbeitskreis „Marginalisierte ­gestern und heute“ wird sich mit aller zur Verfügung stehenden Kraft für diesen Ort einsetzen.

Es wird Zeit, dass auch die Bundesregierung und der Berliner Senat selbstständig ihre historische Verantwortung erkennen und ihr gerecht werden! Wir begrüßen das bisherige Engagement der BVV in Lichtenberg für eine Gedenktafel. Darüber hinaus wird das Bezirksamt Berlin-Lichtenberg ersucht, über eine Gedenktafel hinaus, die der differenzierten und wechselhaften Geschichte dieses Ortes nicht umfassend gerecht werden kann, alle Bemühungen für eine Gedenk-, Lern-und Forschungsort auf dem Gelände der Rummelsburger Arbeitshäuser zu unterstützen und die Privatisierung zu stoppen.

Sehr geehrte Abgeordnete des Bundestages sowie des Berliner Abgeordnetenhauses, Sehr geehrte Bezirksverordnete des Bezirkes Lichtenberg, Sehr geehrte Leser_innen dieses Offenen Briefes,
es bleibt uns nicht mehr viel Zeit, bis die letzten Erinnerungen an die Verbrechen an den sogenannten Asozialen ökonomisch verwertet und aus der Geschichte von Nazi-Verbrechen getilgt sind.

Bisher gibt es keinerlei Gedenkzeichen in ganz Deutschland und kaum Bemühungen aus der Politik zur Aufarbeitung dieses Unrechts. Der Arbeitskreis „Marginalisierte -gestern und heute“ wird deshalb am 22. Juni, einen Tag vor der nächsten Lichtenberger BVV-Sitzung, eine thematische „antifaschistische Open-End-Filmnacht“ ab 20.00 Uhr auf dem zum Verkauf stehenden ehemaligen Friedhof der Rummelsburger Arbeitshäuser durchführen. Am darauf folgenden Tag werden wir versuchen, unser Anliegen in der Einwohner_innenfragestunde der BVV-Sitzung vorzutragen.

Wir bitten Sie daher, unser Anliegen, die Anerkennung als Opfer des Nazi-Regimes, ihre Rehabilitierung und Entschädigung sowie die Schaffung eines würdigen Gedenk-, Lern-und Forschungsortes mit Ihrer Unterschrift zu unterstützen und gleichzeitig Gesicht gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung zu zeigen. Ihre Unterschrift senden Sie bitte bis zum 22. Juni 2011 an marginalisierte@yahoo.de

Niemand ist „asozial“!
Mit freundlichen Grüßen AK „Marginalisierte-gestern und heute“ c/o Dirk Stegemann

Historisches:
I. Gesetze/Dienstvorschriften
Reichsinnenminister Dr. Wilhelm Frick betonte in seiner Rede am 28. Juni 1933 auf der ersten Sitzung des Sachverständigenbeirats für Bevölkerungs-und Rassenpolitik in Berlin2:
„Nach den Berechnungen des Statistischen Reichsamtes ist das deutsche Volk bei seiner heutigen Geburtenziffer nicht mehr imstande, sich aus eigener Kraft zu erhalten, … . Unser Volk geht unweigerlich einer starken Überalterung und Vergreisung entgegen. … Es kommt hinzu, dass gerade oft schwachsinnige und minderwertige Personen eine überdurchschnittlich große Fortpflanzung aufweisen. … Das bedeutet aber, dass die begabtere wertvolle Schicht von Generation zu Generation abnimmt und in wenigen Generationen nahezu völlig ausgestorben sein wird, damit aber auch Leistung und deutsche Kultur. … trotz der vorhandenen Arbeitslosigkeit die Gefahr der Zuwanderung von Fremdstämmigen im Osten besteht. … In Berlin allein sind im Jahre 1930 etwa 4000 Zugewanderte aus dem Osten eingebürgert, von denen die meisten fremdstämmig, zum großen Teil Ostjuden waren. Neben der bedrohlich zunehmenden erbbiologischen Minderwertigkeit müssen wir in gleichem Maße die fortschreitende Rassenmischung und Rassenentartung unseres Volkes mit Sorge verfolgen …, wir müssen es als eine Verletzung der christlichen und sozialen Nächstenliebe ansehen, wenn wir trotz der gewonnenen Erkenntnisse es weiter zulassen, dass Erbkranke einen Nachwuchs hervorbringen, der unendliches Leid für sie selbst und die Angehörigen in dieser und den kommenden Generationen bedeutet. … Ausmerze und Auslese … .“

Fünf Jahre später hieß es in einer Dienstvorschrift des Berliner Oberbürgermeisters Dr. Julius Lippert an die Bezirksbürgermeister (Berlin, 29. März 1938)3:
㤠8 Allgemeine Rechtsgrundlage
Solange ein Bewahrungsgesetz nicht erlassen ist, sind alle Handhaben der geltenden Gesetze, die zur Verwirklichung der Bewahrungsaufgabe dienen können, rechtsschöpferisch anzuwenden. Zu diesem Zweck ist mit allen in Betracht kommenden Stellen, insbesondere mit dem Polizei-und Justizbehörden, zielbewusst und eng zusammenzuarbeiten. …

§ 13 Polizeiliche Bewahrung
Asoziale können nach § 14 des preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes mit Zustimmung der Polizei zwangsweise bewahrt werden, wenn nicht ihre gesicherte Unterbringung in polizeilichen Einrichtungen oder anderen Anstalten erforderlich ist.

§ 14 Strafrechtliche Bewahrung
Asoziale, die sich durch Landstreichen, gewerbs-oder gewohnheitsmäßiges Betteln, Trunk, Spiel, Müßiggang, Unzucht, Arbeitsscheu oder Obdachlosigkeit nach § 361 Ziffer 3 bis 8 StGB strafbar machen, sind bei der Polizei oder bei der Amtanwaltschaft anzuzeigen. In der Anzeige ist die Anordnung der Arbeitshausunterbringung nach § 42 d StGB anzuregen und aufgrund der für die Asozialenmeldung nach § 2 ermittelten Umstände zu begründen.

§ 15 Bewahrungsvollzug
Die Bewahrung wird im Städtischen Arbeits-und Bewahrungshaus Berlin-Rummelsburg, Hauptstraße 8, und seinen Zweigabteilungen sowie in den vom Landeswohlfahrts-und Jugendamt zugelassenen Bewahrungseinrichtungen der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege vollzogen, die Wolfgang Ayaß, „Gemeinschaftsfremde“, Materialien aus dem Bundesarchiv, Koblenz 1998, S. 6 ff. 3 Wolfgang Ayaß, „Gemeinschaftsfremde“, Materialien aus dem Bundesarchiv, Koblenz 1998, S. 120 ff. zwangsweise Bewahrung nach §§ 11, 12, 13, 14 Absatz 1 und 2 ausschließlich im Städtischen Arbeits­und Bewahrungshaus und seinen Zweigabteilungen. … Nach der Entlassung ist mindestens für die Dauer eines Jahres die vorbeugende Überwachung nach § 6 auszuüben. Soweit die Bewahrung im Städtischen Arbeits-und Bewahrungshaus oder einer seiner Zweiganstalten erfolgt. Sind die Unterstützungsvorgänge an den Bezirksbürgermeister des Verwaltungsbezirks Lichtenberg … abzugeben, der die Sachbearbeitung übernimmt.“
Weitere knapp drei Jahre danach finden sich im Erlass des Berliner Oberbürgermeisters Ludwig Steeg an die Bezirksbürgermeister (Berlin, 13. Januar 1941) die „Regelung der Bewahrung „Asozialer“ in Berlin unter Einbeziehung der Einweisung in Konzentrationslager und Jugendschutzlager“4 sowie die Zuständigkeiten von Bezirksbürgermeistern, Wohlfahrtsämter und der Kriminalpolizei.
II. Der Historiker Thomas Irmer betonte in seiner Rede am Gedenktag für die Opfer der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ am 13. Juni 2010 zu den Arbeitshäusern Rummelsburg sinngemäß:
Die Nationalsozialisten konnten zwar auf einen bestehenden Diskurs der Ausgrenzung zurückgreifen, dieser wurde aber unvergleichlich radikalisiert und im weiteren Verlauf auch spezifisch rassistisch aufgeladen. Neu war in der Zeit des Nazi-Regimes, in welchem Umfang und Radikalität die Nazis unmittelbar nach der Machtübernahme gegen Menschen vorgingen, die nicht „integriert“ waren, nicht „integriert“ werden sollten oder sich nicht „integrieren“ wollten. Neu war auch, das Anfang 1934 die gesetzlichen Bestimmungen, die zu einer Einweisung in Arbeitshäuser führen konnten, grundlegend geändert wurden: Seit dem 1. Januar 1934 konnten Gerichte und nicht mehr die Landespolizeibehörden, eine Einweisung in Arbeitshäuser anordnen, und zwar auf unbestimmte Zeit. In der Folgezeit stieg die Zahl der Insassen in den Arbeitshäusern umfangreich an. In Rummelsburg stieg die Zahl der Insassen von Mitte 1934 bis Mitte 135 von 932 auf 1.191 Personen an. Ende 1939 waren hier bis zu 2.000 Menschen inhaftiert. 1937 war in anderer Hinsicht ein entscheidendes Jahr in der Geschichte des Arbeitshauses während der NS-Zeit: So wurden in dem Jahr auch alle jüdischen Insassen von den anderen isoliert. Außerdem wurden Sonderabteilungen für Homosexuelle und sogenannte ‚psychisch Abwegige’ eingerichtet.
Rummelsburg wurde dann in den Folgejahren immer mehr zu einer Verwahranstalt für ältere Obdachlose, Bettler und Prostituierte. Von den nachweisbar über 1.000 Insassen, die zwischen 1933 und 1945 hier in Rummelsburg starben und anschließend auf dem damaligen städtischen Armenfriedhof in Marzahn bestattet wurden, war die Mehrzahl über 50 Jahre alt. Bisher gibt es keine Erkenntnisse darüber, ob bzw. welchen Zusammenhang es zwischen ihrem Tod und den Lebensbedingungen hier in Rummelsburg gab. Bekannt ist aber, dass viele von ihnen zeitweise im Fadenkreuz von Gutachtern des NS-Euthanasieprogramms standen: Anfang 1942 wählte eine Gutachter-Kommission mehr als dreihundert Rummelsburger Insassen nach Aktenlage zur Tötung aus, bei weiteren 700 sprach sich mindestens ein Gutachter ebenfalls für deren Tötung aus. Diese Pläne wurden jedoch nicht vollstreckt.
Während des Krieges war der „Alltag“ der Insassen von Rummelsburg zunehmend durch Zwangsarbeit bestimmt. Sie wurden in innerbetrieblichen Werkstätten wie z.B. in einer Großwäscherei oder in 20 sogenannten Stadtkommandos außerhalb des Arbeitshauses u.a. zur Straßenreinigung oder auf den Rieselfeldern eingesetzt. Hervorzuheben ist hier, dass kommunale Arbeitgeber hier ein großer Nutznießer der Zwangsarbeit der Insassen des Arbeitshauses Rummelsburg waren.
4 Wolfgang Ayaß, „Gemeinschaftsfremde“, Materialien aus dem Bundesarchiv, Koblenz 1998, S. 111 "


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