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Jürgen Wolf und Klaus Klein schrieben in den Listen MEDIAEVISTIK und Diskus:

> Der heutigen Ausgabe der Rhein-Neckar-Zeitung (20.9.2006)
> entnehme ich unter der Überschrift "Hilft ein Superdeal
> dem Haus Baden aus der Klemme?", daß z.Zt. Gespräche
> stattfinden zwischen dem Land Baden-Württemberg und dem
> Haus Baden über die Veräußerung von Teilen "der
> Handschriftensammlung der Badischen Bibliothek".
>
> Weiß jemand der Listenteilnehmer etwas über diese
> "Handschriftensammlung der Badischen Bibliothek", für die
> laut Zeitungsbericht "etwa 70 Millionen Euro auf dem
> freien Markt zu erlösen" sind? - Um die
> Handschriftenbestände der Badischen Landesbibliothek in
> Karlsruhe kann es sich ja wohl nicht handeln.

Eine kleine Suche bei Google News und das Raetsel ist auf betroffen machende Weise geloest:

In der Heidenheimer Neuen Presse http://digbig.com/4myty lesen wir:

"Fast immer liegen Peter Michael Ehrles Schätze im Tresor. Selten kann man einige in Ausstellungen bewundern, keine hundert Experten im Jahr dürfen sie, wissenschaftliches Interesse vorausgesetzt, berühren: Es geht um die alten Handschriften, die der Direktor der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe wie seinen Augapfel zu hüten hat. Die Vorstellung, dass vielleicht schon bald nicht nur das Stundenbuch des Markgrafen Christoph I. von Baden (1490), das Evangelistar aus St. Peter (um 1200) oder Lektionare von der Klosterinsel Reichenau aus dem zehnten Jahrhundert verkauft werden könnten, schien Ehrle gestern noch aus aller Welt zu sein. Nur gerüchteweise hatte der Bibliotheksdirektor bisher davon gehört, dass es ein ganz neues Interesse an den Beständen seines Hauses gibt. Von Details freilich wusste er bis gestern nichts. Kein Wunder. Während man sich in Karlsruhe auf den Festakt zum 200. Jahrestag der Erhebung Badens zum Großherzogtum am kommenden Sonntag mit Festredner Ministerpräsident Günther Oettinger und Prinz Bernhard von Baden vorbereitet, geht es hinter den Kulissen um etwas ganz anderes: Wie kann dem hochverschuldeten Adelshaus aus der Klemme geholfen, dessen einzig verbliebener Sitz, Schloss Salem am Bodensee, auf Dauer erhalten, der Verkauf wertvoller Gemälde und anderer Kunstgegenstände verhindert und ein seit Jahrzehnten schwelender Rechtsstreit zwischen dem Land und dem Haus für immer ausgeräumt werden? Unter größter Geheimhaltung bereiten das Land und das Haus Baden einen Deal vor, der allen Interessen gerecht werden soll. Die Quadratur des Kreises ist er gleichwohl nicht: Gewissermaßen geopfert werden Teile der Handschriftensammlung der Badischen Bibliothek. Ziel ist es, wie aus bestens unterrichteten Kreisen zu erfahren war, etwa 70 Millionen Euro auf dem freien Markt zu erlösen. Mit bis zu 30 Millionen Euro sollen die finanziellen Altlasten des Hauses Baden bedient werden. Der Rest soll in eine Stiftung Schloss Salem gesteckt werden. [...] Seit Jahr und Tag gibt es, anders als im Fall anderer Adelshäuser, zwischen Land und dem Haus Baden unterschiedliche Ansichten über die rechtlich korrekte Besitzzuordnung bedeutender Teile badischer Kunstschätze. Das als strittig eingeschätzte Volumen beläuft sich auf mehrere hundert Millionen Euro. Betroffen davon sind große Teile der Handschriften, aber auch Gemälde, die zum Bestand der Staatlichen Kunsthalle gehören. Um sich über Verkäufe sanieren zu können, soll das Adelshaus dem Land sogar mit einem Prozess gedroht haben. [...] Der Rechtsstreit könne zugunsten des Landes ausgehen - aber auch nicht. Wird der Deal wie vorgesehen vertraglich abgewickelt, ist der Rechtsstreit zugunsten des Landes beendet. Alle verbleibenden badischen Kulturgüter gehen in den Besitz des Landes oder der Stiftung über, darunter auch wertvolle Gemälde in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe (Cranach, Hans Baldung Grien). "Im Einvernehmen wird geregelt, was verkauft wird". Bibliotheksdirektor Ehrle ist überzeugt: Wenn 70 Millionen Euro erlöst werden, "müssen aus dem vom Haus Baden reklamierten Bestand "alle Spitzenstücke und mehr weg. Die Sammlung wäre zerstört."
BETTINA WIESELMANN

Zu den genannten Spitzenstuecken:
http://www.blb-karlsruhe.de/blb/blbhtml/2006/blb-geschichte.php

Dort auch die bisherige Lesart der Eigentumsverhaeltnisse: "Die Großherzogliche Hofbibliothek wurde 1872 aus der Hofverwaltung gelöst und dem badischen Innenministerium unterstellt. Durch diese "Verstaatlichung" wurde auch der Aufgabenbereich der neuen Großherzoglichen Hof- und Landesbibliothek erweitert. [...] Nach dem Ende der Monarchie (1918) wurde die Großherzogliche Hof- und Landesbibliothek in Badische Landesbibliothek umbenannt und dem Kultusministerium unterstellt."

Ich kann mich nicht erinnern, dass anlaesslich des skandaloesen Verkaufs des Kulturguts des Hauses Baden im Jahr 1995 die Zugehoerigkeit von Kulturgut, das sich ausserhalb des in Salem und Baden-Baden und evtl. auf anderen Besitzungen befindlichen Privateigentums des Hauses Baden befindet, als strittig thematisiert wurde. Massgeblich ist insoweit das im Badischen Gesetzesblatt vom 9. April 1919 veroeffentliche Gesetz (das mir jetzt nicht vorliegt).

Angesichts der ungeheuerlichen Aussicht, dass Spitzenstuecke der Badischen Landesbibliothek im Handel landen wird man neben der Erzeugung politischen Drucks auf die Politiker, den dreisten Anspruechen des Hauses Baden nicht nachzugeben, an den Schutz herausragender Einzelstuecke durch das Gesetz gegen Abwanderungen deutschen Kulturgutes und geschlossener Ensembles nach dem baden-wuerttembergischen Denkmalschutzgesetz ins Auge fassen muessen. In der Vergangenheit (Hofbibliothek Donaueschingen, Baden-Auktion 1995 usw.) hat sich das Denkmalamt als zahnloser Tiger erwiesen. Betroffene Wissenschaftler koennten versuchen, unter Berufung auf Art. 5 GG eine Klagebefugnis vor einem Verwaltungsgericht abzuleiten, da Denkmaeler Sachen und Sachgesamtheiten sind, die unter anderem aus wissenschaftlichem Interesse bleibend erhalten werden. Ansonsten steht die Forschung einmal mehr fassungslos da und staunt, was gierige (Ex-)Eigentuemer und willfaehrige Politiker alles zur Disposition stellen koennen.
belafinster meinte am 2006/09/20 16:57:
Wären die Handschriften schon digitalisiert worden und ins Netz gestellt worden, hätten Forscher weiterhin auch noch Zugriff auf die Texte. Spricht m.E. für noch größere Digitalisierungskampagnen. 
Ladislaus meinte am 2006/09/20 17:14:
Wenn das Haus Baden "seine" in redlicher jahrhundertelanger Arbeit erworbenen Kunstschätze wieder will, soll es sie gerne haben. Aber dafür auch die Staatsverschuldung Baden-Württembergs (so ca. 43 Mrd) übernehmen. Meinetwegen auch nur die vom badischen Landesteil (das dürften dann so ca. 40 Mrd. sein... SCNR).

Dass hiesige Lokal- und Regionalpolitiker alles, aber auch alles tun würden, um irgendeinem Adelskretin nur recht schön in den Allerwertesten zu kriechen und vielleicht gar mal zu einer schönen Hochzeit o. ä. eingeladen zu werden, ist ja hinlänglich bekannt. Und die derzeitige Ausstellung in Sigmaringen zeigt ja sehr schön, dass die intellektuelle Redlichkeit da sehr gerne an der Garderobe abgegeben wird (da lernt man dann, dass die oberschwäbischen Adeligen allesamt Widerstandskämpfer gegen das Dritte Reich waren oder dass die Donaueschinger Fürstenbergs großartige Mäzene sind.) Und von den örtlichen Medien (der Polit- und Adelshofschranze SWR und der gräflich Waldburgischen Schwäbischen Zeitung) ist auch nicht viel zu erwarten.

Wie gesagt, das kennt man ja. Aber diese Geheimpläne machen einen dann doch fassungslos. Vielleicht sollte man sich in Baden alter liberaler Tugenden besinnen und doch mal einen Aufstand anzetteln – und in Salem vielleicht schon mal zur Warnung eine Guillotine aufstellen. 
cubist meinte am 2006/09/20 19:47:
Schade, dass der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926 letztlich am Desinteresse der Bevölkerung gescheitert ist -- dabei gab es damals noch gar kein gebührenfinanziertes und volksverblödendes "ZDF Royal" ... . 
KlausGraf meinte am 2006/09/20 23:00:
Kein Halten mehr
Volker Bauermeister kommentierte in der Badischen Zeitung vom 20. September 2006:
[...] Die Rede
ist hier von nicht weniger als einem kulturellen Sündenfall. Und das
bedenklichste ist, dass dieser Kasus symptomatisch ist.
Tabubrüche häufen sich in jüngster Zeit. Der Stuttgarter
Rechnungshof forderte schon, die Sammlungsbestände der
Staatsgalerie anzugreifen; die Geldnot legt es nah und macht es
leicht, sich so zu äußern. Und republikweit mehren sich
unterdessen die Verkäufe aus Museen. Da geht, scheint´ s, eine
Schleuse auf. Und man kann das Bedenken des Deutschen
Kulturrats nur teilen: Wenn es so weiter geht, wird es bald "kein
Halten mehr geben" .
 
KlausGraf meinte am 2006/09/21 13:38:
Deal auf Kosten der Wissenschaft
Badisches Adelshaus verkauft Kulturerbe

Wertvolle Handschriften sollen feilgeboten werden - Das Land lässt sich auf einen Handel ein

STUTTGART. Die Landesregierung hat sich mit dem badischen Markgrafenhaus auf den Verkauf wertvoller Handschriften aus der Landesbibliothek Karlsruhe verständigt. Deren Direktor Peter Michael Ehrle befürchtet den Verlust "unersetzlichen Kulturguts".

Von Reiner Ruf

Bei den Handschriften handelt es sich um die markgräfliche Sammlung, die bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht. Zu den Prunkstücken gehört das Stundenbuch des Markgrafen Christoph I. von Baden, das um das Jahr 1490 in Paris entstanden ist. Gleiches gilt für das reich mit Miniaturen und Gold ausgestattete Gebetbuch der Markgräfin Susanna von Brandenburg-Ansbach-Kulmbach, das 1520 in Augsburg geschaffen wurde. Nach Angaben des Karlsruher Bibliotheksdirektors Ehrle umfasst die markgräfliche Sammlung etwa 3600 Handschriften.

Dazu zählt auch Klostergut, das 1803 im Zuge der Säkularisation an das Haus Baden überging. Aus diesem Fundus der deutschen Kulturgeschichte stechen Handschriften aus dem Kloster Reichenau hervor, die aus dem 10. Jahrhundert stammen, darunter die "Gesta Witigowonis" des Purchard von Reichenau aus dem Jahr 995. Der Bibliothekschef Peter Michael Ehrle spricht von Kunstwerken "von europäischem Rang". Jetzt droht der Verkauf ins Ausland.

Finanznot treibt das Haus Baden zu dieser Aktion, nicht zum ersten Mal. Vor einem Jahrzehnt erregten die Badener Aufsehen mit der Versteigerung des Inventars im Schloss Baden-Baden. Nun hoffen sie auf einen Erlös von 70 Millionen Euro. Mit einem Teil des Geldes soll die Sanierung der Schlossanlage Salem am Bodensee bezahlt werden. Der Sitz der Familie ist in den vergangenen Jahren unter hohem finanziellem Aufwand wieder hergerichtet worden.

Allerdings ist das Haus Baden nicht frei in seinem Handeln. In offenbar langwierigen Verhandlungen "auf höchster Ebene" haben die Badener zu einem Arrangement mit der Landesregierung gefunden. Der Besitz der Handschriften sowie weiterer Kunstwerke und Kulturgüter ist zwischen beiden Seiten schon seit Jahrzehnten umstritten. Die Adelsfamilie wie auch das Land erheben Anspruch darauf. Letztlich geht es darum, ob die Kulturgüter mit der Auflösung des Großherzogtums Baden 1918/1919 an den Staat fielen - oder in der Familie verblieben. Dieser Frage widmeten sich bereits eine ganze Reihe von juristischen Gutachtern. Die Antworten fallen aber noch nicht eindeutig genug aus, als dass sich die Landesregierung auf eine gerichtliche Klärung einlassen wollte. Strittig ist nicht nur, wer nun Eigentümer der Handschriften ist. Auch um andere Kunstwerke und Kulturgüter wird gefeilscht. Prinz Berhard von Baden nennt die so genannte Türkenbeute, Waffen- und Münzsammlungen sowie Gemälde. Der Gesamtwert der Kunstwerke und Kulturgüter beläuft sich nach seinen Worten auf 250 bis 300 Millionen Euro - inklusive der Handschriften. Die Vereinbarung sieht Folgendes vor: Das Land erlaubt der Adelsfamilie, 70 Millionen Euro aus dem Verkauf der Handschriften aus der Landesbibliothek Karlsruhe zu schlagen. Zunächst werden die Handschriften in die Stiftung Schloss Salem eingebracht, um dann auf dem internationalen Kunstmarkt angeboten zu werden. Im Gegenzug verzichten die Badener auf Ansprüche auf den großen Rest des Kunst- und Kulturbesitzes. Die seien dann "ein für alle Mal beim Land", sagt Bernhard von Baden. Das Staatsministerium wollte zunächst nur Gespräche zwischen der Regierung und dem Haus Baden bestätigen. Am Nachmittag sollte die CDU-Fraktion informiert werden. Der Landtag muss noch zustimmen.

Peter Michael Ehrle, der Direktor der Landesbibliothek, saß derweil erkennbar schockiert in seinem Karlsruher Büro. Die Handschriften, sagt Ehrle, "wären um ein Haar ins Weltkulturerbe aufgenommen worden". Nach den Berechnungen der Landesbibliothek müsste die gesamte alte Sammlung verkauft werden, um auf den gewünschten Erlös von 70 Millionen Euro zu kommen.

Ehrle befürchtet, dass die Bücher an Privatleute ins Ausland wandern. "Das wäre ein unermesslicher Verlust für die Wissenschaft." Außerdem gehören die Handschriften zu dem wenigen, was nach einem Luftangriff im September 1942 vom alten Bestand der Bibliothek übrig blieb. 
KlausGraf meinte am 2006/09/21 14:14:
Wird die gesamte Sammlung verkauft?
Aus der Süddeutschen von heute (Auszug)
" Die
Landesregierung will den Nachfahren der Markgrafen und Herzöge nun
erlauben, die in der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe verwahrte
Handschriftensammlung zu verkaufen und mit dem geschätzten Erlös von 70
Millionen Euro die Kosten für die Renovierung des im Familienbesitz
befindlichen Schlosses Salem am Bodensee zu begleichen. Der Rest soll in
eine Stiftung fließen, mit der man den Unterhalt des zum Teil als Internat
genutzten Schlosses finanzieren will. In den nächsten Monaten muss der
Landtag der Einigung noch zustimmen.Peter Ehrle, der Direktor der Badischen
Landesbibliothek, sagt auf Anfrage, er habe bisher nur gerüchteweise von
der Einigung erfahren; mit ihm selber habe noch niemand gesprochen. Ein
Verkauf bedeute aber eine "Katastrophe für ganz Europa". Die betroffene
Sammlung von Handschriften umfasst etwa 3600 Einzelstücke, darunter das
älteste Zeugnis markgräflichen Buchbesitzes, das um 1490 in Paris
entstandene Stundenbuch des Markgrafen Christoph I. von Baden, und die
Schriften des Klosters Reichenau, die eigentlich in das Weltkulturerbe
hätten aufgenommen werden müssen. Sie gehen bis ins 9. Jahrhundert zurück
und illustrieren in ganzen Bilderzyklen das Neue Testament, das Leben Jesu
und die Evangelien. Ehrle hält sie für unersetzlich. "Sie verkaufen doch
auch nicht den Kölner Dom, lassen ihn in Japan wieder aufbauen und sagen,
wir haben ja noch Fotos davon."Die großherzogliche Hofbibliothek, aus der
die Handschriften stammen, wurde 1872 aus der Hofverwaltung herausgelöst
und dem badischen Innenministerium unterstellt. Rechtsnachfolger ist nun
das Land Baden-Württemberg. Die Besitzverhältnisse wurden aber offenbar nie
abschließend geklärt. Vor einigen Jahren drohte das Haus Baden einen
Verkauf gerichtlich durchsetzen zu wollen. Weil sich das Land nach einigen
Rechtsgutachten seiner juristischen Position offenbar nicht sicher war,
arbeitete man an einem Kompromiss, dem nun die Handschriften zum Opfer
fallen könnten. Die Politik sieht darin wahrscheinlich den Weg des
geringsten Widerstandes: Schriften lagern in Magazinen, sind der
Öffentlichkeit weitgehend entzogen und erbringen keinen Erlös aus
Eintrittsgeldern.Im Gegenzug sollen andere Kunstgegenstände, auf die das
Haus Baden ebenfalls Ansprüche erhoben hatte, in den Besitz des Landes
übergehen." 
 

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