Sollte man angesichts der aktuellen Debatte um Museumsverkäufe (siehe etwa http://archiv.twoday.net/stories/2897008/ ), die aus Anlass des Krefelder Monets und der glücklicherweise verhinderten Handschriftenverkäufe aus der Badischen Landesbibliothek (mit der ministeriellen Aufforderung zu mehr "Profilbildung" in den Museen) geführt wird, nicht erwarten, dass ein Stadtmuseum und ein Museumsverein sich des Themas mit äußerster Sensibilität annehmen und vor dem Tabubruch zurückschrecken? Nichts da, ausgerechnet meine Heimatstadt Schwäbisch Gmünd, der ich mich nach wie vor eng verbunden fühle, wird eine alte Zinnfiguren-Sammlung versteigern lassen.
Alles weitere entnehme man dem folgenden offenen Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Schwäbisch Gmünd.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
als heute der Rundbrief des Gmünder Museumsvereins e.V., unterzeichnet vom 1. Vorsitzenden Ulrich Fischer, im Briefkasten lag, traute ich meinen Augen nicht, als ich die folgende Passage las:
"Bei der letzten Mitgliederversammlung [im Oktober] hatte ich Ihnen unter anderem erläutert, dass der Verein die Zinnfigurensammlung unseres Museums zur Verwendung übernehmen wolle. Dies ist inzwischen geschehen, und die wesentlichen Teile wurden einem Spezialisten für Zinnfiguren in Nürnberg übergeben. Dieser wird die erste Hälfte der Sammlung, die insgesamt aus 30.000 bis 35.000 Stück besteht, Ende März 2007 versteigern lassen; den Rest später. Er erwartet einen guten Erlös, der voll unserem Museum zu Gute kommen wird." Angekündigt wird ein Verkauf von ca. 3000 zurückbehaltenen Figuren für lokale Interessenten am 16./17. Dezember im Museum.
Ich habe sofort mit der Leiterin des Museums Frau Dr. Gabriele Holthuis telefoniert und meine Empörung zum Ausdruck gebracht. Zugleich habe ich sie gebeten, Herrn Fischer zu übermitteln, dass ich mit sofortiger Wirkung unter Protest aus dem Museumsverein austrete. Es ist mir nicht gelungen, umfassende Informationen von Frau Holthuis zu erhalten. Auf die Frage, in welcher Form die Zinnfigurensammlung im Museum dokumentiert war, erklärte sie, diese Frage sei inquisitorisch. Nachdem ich ihr bestätigt hatte, dass mich die ganze Sache nichts angehe, sah ich mich genötigt, das Gespräch zu beenden.
Der Gedanke, dass meine geliebte Heimatstadt Schwäbisch Gmünd, der ich einen wesentlichen Teil meiner wissenschaftlichen Arbeit als Historiker gewidmet habe (ablesbar an unzähligen Publikationen, zuletzt im Sammelband über Dominikus Debler), in dieser Weise ein wohlbegründetes Tabu bricht, lässt mich emotional nicht kalt. Hier geht es um den Kern des Kulturauftrags von Archiven, Bibliotheken und Museen. Als Archivar, tätig in Aachen, kann ich nur aufgebracht reagieren, wenn eine historische Museums-Sammlung in einem Auktionshaus landet.
Tag für Tag dokumentiere und kommentiere ich in dem Weblog ARCHIVALIA http://archiv.twoday.net den Stand des Karlsruher Kulturgutdebakels, und auch dieser offene Brief ist dort nachzulesen. Mehrfach haben Vertreter der Museumsverbände in der Presse oder bei Interviews unterstrichen, dass Museumsbestände nicht zur Disposition der klammen Stadtkämmerer und Finanzminister stehen. Sie finden Materialien zur Diskussion unter
http://archiv.twoday.net/stories/2897008/
Es spricht für sich, dass die Museumsleiterin sich nicht sofort auf das Positionspapier des Museumsbundes 2004 und die ICOM-Richtlinien zur Abgabe von Sammlungsgut beziehen konnte, auf die ich sie ansprach.
Ich kann es Ihnen nicht ersparen, aus diesen Richtlinien, die für das fachliche Arbeiten in deutschen Museum die gültige Leitlinie darstellen, zu zitieren. Sie finden Sie unter
http://www.icom-deutschland.de/docs/positionspapier.pdf
"Der Auftrag der Museen und ihrer für die Sammlungen verantwortlichen Träger gilt damit der Bewahrung des kulturellen Erbes in ihren Sammlungen. Vor diesem Hintergrund geht es grundsätzlich darum, Sammlungen zu erhalten und auszubauen. Die Objekte der musealen Sammlungen sind bewusst und endgültig dem Wirtschaftskreislauf entzogen, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und sie für nachfolgende Generationen zu bewahren. Die Abgabe von Sammlungsgut kann dementsprechend nur ausnahmsweise und unter geregelten Voraussetzungen erfolgen, die diesem Auftrag nicht widersprechen. Dieser Grundsatz gilt für alle Museumstypen und alle Museumssparten und ist weltweit verbindlich festgelegt im „Code of Ethics for Museums“ des Internationalen Museumsrates (ICOM)."
Aufgrund des Telefonats mit der Museumsleiterin habe ich keinerlei Anhaltspunkte davon auszugehen, dass diesen Richtlinien Rechnung getragen wurde.
Ich habe zu dem Themenkomplex, da ich mich mit Zinnfiguren nicht auskenne, noch ein ergänzendes Telefonat mit dem Leiter des Nürnberger Spielzeugmuseums Dr. Helmut Schwarz geführt. Dieser erklärte, ein Verkauf auf dem Wege der kommerziellen Versteigerung könne nur als "allerletzter Notnagel" in Betracht kommen. Er hoffe, dass er nie in Verlegenheit kommen werde, Sammlungsbestände in dieser Weise zu veräußern.
Ich kenne die Gmünder Zinnfiguren-Sammlung nicht und habe nie von ihrer Existenz gehört. Auch war ich bei der Mitgliederversammlung im Oktober nicht anwesend, sonst hätte ich damals bereits protestiert.
Es handelt sich um eine historische Sammlung durchaus beträchtlichen Umfangs (im Museumskontext wohl als "Sammlung mittlerer Größe" einzuschätzen), die im Jahr 1930 von einem Privatsammler dem Museum geschenkt wurde. Die Figuren stammen aus der traditionellen Nürnberger Firma Heinrichsen.
Die Sammlung ist über 75 Jahre alt, sie hat schon von daher einen gewissen Altertumswert. Würde es sich nur um wertlosen "Erster-Weltkriegs-Schrott" mit riesigen Schlachtenszenen handeln, so könnte nicht die Rede davon sein, dass der Spezialist einen "guten Erlös" erwartet. 100 "Feldgraue" sind schon für unter 20 Euro zu haben.
Ich zitiere nochmals aus dem Schreiben von Herrn Fischer: "Bitte beachten Sie, dass Zinnfiguren kein Kinderspielzeug sind, sondern liebevoll handbemalte Kunstgewerbegegenstände, die mindestens 80 bis 120 Jahre alt sind und von einer ernsthaften Sammlergemeinde zum Teil hoch bezahlt werden. Dementsprechend sind einzelne Figurengruppen in Originalverpackung relativ teuer".
Bei dem guten Erlös wird man also an einen Betrag von weit über 1000 Euro zu denken haben. Damit fällt das auf dem Markt angebotete Konvolut unter die Kategorie B des Positionspapiers (Versicherungswert über 1000 Euro), für die verbindlich geregelt wurde:
"Die fachlich verantwortliche Museumsleitung - in Abstimmung mit der Trägerinstitution - wählt die entsprechenden Objekte aus und schlägt eine Ausgliederung vor. Die Entscheidung im Sinne eines gutachterlichen Votums darüber wird durch eine externe Kommission getroffen, der ausdrücklich kein Angehöriger des betroffenen Museums und auch kein Angehöriger der jeweiligen Trägerinstitution angehört. Für die Objekte nach Kategorie b ist eine „kleine Kommission“ zu bilden, die sich aus drei Fachleuten aus dem Museumsbereich zusammensetzt; diese „kleine Kommission“ wird jeweils im Einzelfall zusammengerufen und ihre Zusammensetzung variiert je nach Museumskategorie und je nach regionalem Standort des Museums."
Zwar sprach Frau Holthuis davon, dass sie die Entscheidung nicht allein getroffen habe, aber ich denke nicht, dass es zur zwingend gebotenen Einsetzung einer externen Kommission gekommen ist.
Auch wenn bei einer Diskussion im Wissenschaftsausschuss des Landtags das Positionspapier als "überbürokratisch" kritisiert wurde ( http://archiv.twoday.net/stories/2843831/ ), so war man sich dort doch über die Notwendigkeit einer Expertenkommission einig.
Keine Museumsleiterin, kein Stadtkämmerer und kein Museumsverein hat das Recht, den traditionellen Bewahrensauftrag der Museen aufs Spiel zu setzen - und wenn es sich auch "nur" um Zinnfiguren handelt, die ja keine Unikate darstellen.
Es ist sinnvoll, dass unabhängiger Sachverstand in einem transparenten und fairen Verfahren beteiligt wird.
Es ist genauso sinnvoll, bei historischen Museumssammlungen die Öffentlichkeit zu beteiligen, auf deren Hilfe und Unterstützung jedes Museum angewiesen ist.
Wieso hat man die zum Verkauf vorgesehenen Stücke nicht ausgestellt, so wie man den Krefelder Monet ausgestellt hat, um den Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit zu geben, sich ein eigenes Bild zu machen, ob die Zinnfigurensammlung tatsächlich alter Ramsch ist, der Schwäbisch Gmünd ohne Schaden verlassen kann?
Es gibt eine ganze Reihe von Zinnfigurenmuseen, die teilweise als touristische Attraktionen ihres Standorts gelten. Wurde überhaupt geprüft, ob eine touristische Nutzung in Gmünd außerhalb des Museums in Betracht kommt? Mit 30.000-35.000 Figuren wäre die Sammlung sicher groß genug, um sie wenigstens teilweise auszustellen.
Und selbst wenn sie nicht ins Sammlungskonzept eines modernen Stadtmuseums passt: Wo kann ich die "schriftlich formulierte() und langfristig fortzuschreibende(), verbindlichen()
SAMMLUNGSKONZEPTION für das betreffende Museum" einsehen, die von den genannten Richtlinien als Voraussetzung für jede Abgabe von Sammlungsgut betrachtet wird?
Stadtmuseen sind ihrer Geschichte nach meistens "Heimatmuseen", und der heute belächelte Rumpelkammercharakter war ihnen inhärent. Eine große Zinnfigurensammlung auch ohne lokalen Bezug wurde 1930 offenbar als Bereicherung des Museums gesehen. Auch wenn sie wohl nie ausgestellt wurde, ist die Teil doch Zeugnis der Sammlungsgeschichte des Schwäbisch Gmünder Museums, sie spiegelt nur als Ganzes den (womöglich militaristischen) Zeitgeist der Jahre, in denen sie der Sammler vor 1930 zusammengetragen hat.
Die Reaktion von Frau Holthius auf die nur zu berechtigte Frage nach der Form der Dokumentation lässt erwarten, dass eine hinreichende museumsgeschichtliche Aufarbeitung der Sammlung (etwa anhand umfangreicher Fotos der Zinnfiguren-Gruppen) nicht mehr möglich sein wird.
Wenn keine ausreichende Dokumentation vorhanden ist, ist es auch sinnlos, andere Museen zu kontaktieren, da diese nur über etwas entscheiden können, was sie anhand von Beschreibungen und Fotos beurteilen können. Offenbar hat man zwar andere Museen kontaktiert. Dass aber das Germanische Nationalmuseum angefragt wurde, zeigt nur, dass hier keinerlei Fachwissen vorhanden war, denn Museumsfachleute wissen, dass eine solche Anfrage angesichts des Umfangs der Bestände des GNM aussichtslos war.
Wieso wurde nicht die Möglichkeit einer Dauerleihgabe an ein Zinnfiguren-Spezialmuseum erwogen?
Rechtfertigt die Aussicht auf einen "guten Erlös", den man angesichts der kommunalen Finanzengpässe natürlich gut gebrauchen kann, den traditionellen Auftrag des Bewahrens über Bord zu werfen?
Ich bin also durchaus nicht der Ansicht, dass die Sammlung auf Biegen und Brechen in den Magazinen des Städtischen Museums verbleiben müsste. Aber ich sehe keine verantwortungsvolle Prüfung der Frage, die dem Stand der öffentlichen und der museumsfachlichen Debatte auch nur im entferntesten gerecht wird.
Eine Auktion, bei der andere Museen die Gebühren des Versteigerers tragen müssen, ist immer der schlechteste Weg, sich einer solchen Sammlung verantwortungsbewusst zu entledigen. Auktionen zerstreuen gewachsene Sammlungen!
Der hier gewählte Weg sendet für die Bürgerinnen und Bürger ein denkbar schlechtes Signal aus. Zwar konnten offenbar keine Nachfahren des Schenkers mehr ermittelt werden, und irgendeine besondere Auflage hat er wohl nicht gemacht - aber heisst das, dass alles zur Disposition steht, was für die Nachwelt bewahrt werden soll, nur weil Zinnfiguren in Stadtmuseen aus der Mode gekommen sind? Wissen wir wirklich, dass der Sammler mit der Zerstreuung seiner liebevoll zusammengetragenen Sammlung einverstanden gewesen wäre? Muss man nicht auch ohne ausdrücklichen Vertrag annehmen, dass ein Stifter ein Museum bedenkt, weil er annimmt, dass sein Geschenkt dort gut und vor allem dauerhaft aufgehoben ist? Ist es nicht im Gegenteil so, dass man bei älteren Schenkungen grundsätzlich annehmen muss, dass mit der Annahme des Geschenks die stillschweigende Zusicherung verbunden war, die Sammlung als Ganzes zu bewahren?
Wenn Bürgerinnen und Bürger sehen, dass unmodern gewordene Sammlungsteile eines Stadtmuseums verscherbelt werden, sind sie dann wirklich motiviert, generöse Stiftungen zu machen?
Wer kann wirklich die Hand dafür ins Feuer legen, dass in ökonomisch weniger angespannten Zeiten dereinst der Verkauf der Zinnfigurensammlung ebenso bedauert werden wird, wie wir heute entsprechende Museums-Fehlentscheidungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bedauern?
Ich bin nicht der Ansicht, dass es sinnvoll war, aus den Gemeindeordnungen den Passus über den Genehmigungsvorbehalt bei der Veräußerungen von Gegenständen mit wissenschaftlichen, künstlerischem oder geschichtlichen Wert zu streichen. Im vorliegenden Fall und bei allen vergleichbaren Verkäufen aus Museen würde ich mir wünschen, dass eine Aufsichtsbehörde den Verkauf kontrolliert und dass auch Verbände über ein Verbandsklagerecht im Einzelfall die Veräußerung von offenkundig Erhaltenswertem verhindern könnten.
Wenn ich recht sehe, hat das Museum (wohl unentgeltlich) das Eigentum dem Museumsverein übertragen hat, der die Vermarktung übernimmt. Da die Sammlung städtisches Eigentum war, kann ich nicht erkennen, dass bei dieser Konstruktion der Vorschrift von § 92 Gemeindeordnung BW, wonach Vermögensgegenstände "nur zu ihrem vollen Wert veräußert werden" dürfen, Rechnung getragen wurde. Die Kommune kann sich der Geltung der Haushaltsgrundsätze nicht dadurch entziehen, dass sie Verkäufe von Museumsgut an einen privaten Verein "outsourct".
Museen sind keine modischen Ausstellungsbetriebe, die das abstoßen dürfen, was gerade nicht en vogue ist. Museen sind "Sacharchive" mit unveräußerlichen Beständen, aber eingebunden in ein Netz fachlicher Kooperationen. Es muss durchaus möglich sein, Bestände zwischen Museen auszutauschen oder in jeder Hinsicht Wertloses zu entsorgen. Museen müssen aber auch in Zukunft die stillschweigende Vereinbarung mit Schenkern einhalten, dass Geschenktes nicht verkauft und geschlossene Sammlungen nicht zerstreut werden, dass sie dem Kulturgut und sei es auch so bescheiden wie eine Zinnfigurensammlung bleibend schützende Obhut gewähren.
Abgaben von Museumsgut sind nur dann verantwortbar, wenn sie mindestens nach den Vorgaben von ICOM und der Museumsverbände und in Absprache mit diesen erfolgen. Und es ist den Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen, sich mit ihren Meinungen an einem transpartenten und ernsthaften Dirskurs zu beteiligen.
Ich werde mir daher erlauben, die örtliche Presse und die Museumsverbände zu informieren.
Ich bin bei aller rationalen Argumentation gegen Abgaben von Museumsgut entsetzt darüber, wie leichtfertig und unsensibel hier eine historische Sammlung des Stadtmuseums dazu benutzt werden soll, Haushaltslöcher des Museums zu stopfen.
Ich habe eine Reihe von kritischen Fragen gestellt und wäre Ihnen, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister dankbar, wenn Sie mir eine zufriedenstellende Antwort darauf geben könnten.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Dr. Klaus Graf
Alles weitere entnehme man dem folgenden offenen Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Schwäbisch Gmünd.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
als heute der Rundbrief des Gmünder Museumsvereins e.V., unterzeichnet vom 1. Vorsitzenden Ulrich Fischer, im Briefkasten lag, traute ich meinen Augen nicht, als ich die folgende Passage las:
"Bei der letzten Mitgliederversammlung [im Oktober] hatte ich Ihnen unter anderem erläutert, dass der Verein die Zinnfigurensammlung unseres Museums zur Verwendung übernehmen wolle. Dies ist inzwischen geschehen, und die wesentlichen Teile wurden einem Spezialisten für Zinnfiguren in Nürnberg übergeben. Dieser wird die erste Hälfte der Sammlung, die insgesamt aus 30.000 bis 35.000 Stück besteht, Ende März 2007 versteigern lassen; den Rest später. Er erwartet einen guten Erlös, der voll unserem Museum zu Gute kommen wird." Angekündigt wird ein Verkauf von ca. 3000 zurückbehaltenen Figuren für lokale Interessenten am 16./17. Dezember im Museum.
Ich habe sofort mit der Leiterin des Museums Frau Dr. Gabriele Holthuis telefoniert und meine Empörung zum Ausdruck gebracht. Zugleich habe ich sie gebeten, Herrn Fischer zu übermitteln, dass ich mit sofortiger Wirkung unter Protest aus dem Museumsverein austrete. Es ist mir nicht gelungen, umfassende Informationen von Frau Holthuis zu erhalten. Auf die Frage, in welcher Form die Zinnfigurensammlung im Museum dokumentiert war, erklärte sie, diese Frage sei inquisitorisch. Nachdem ich ihr bestätigt hatte, dass mich die ganze Sache nichts angehe, sah ich mich genötigt, das Gespräch zu beenden.
Der Gedanke, dass meine geliebte Heimatstadt Schwäbisch Gmünd, der ich einen wesentlichen Teil meiner wissenschaftlichen Arbeit als Historiker gewidmet habe (ablesbar an unzähligen Publikationen, zuletzt im Sammelband über Dominikus Debler), in dieser Weise ein wohlbegründetes Tabu bricht, lässt mich emotional nicht kalt. Hier geht es um den Kern des Kulturauftrags von Archiven, Bibliotheken und Museen. Als Archivar, tätig in Aachen, kann ich nur aufgebracht reagieren, wenn eine historische Museums-Sammlung in einem Auktionshaus landet.
Tag für Tag dokumentiere und kommentiere ich in dem Weblog ARCHIVALIA http://archiv.twoday.net den Stand des Karlsruher Kulturgutdebakels, und auch dieser offene Brief ist dort nachzulesen. Mehrfach haben Vertreter der Museumsverbände in der Presse oder bei Interviews unterstrichen, dass Museumsbestände nicht zur Disposition der klammen Stadtkämmerer und Finanzminister stehen. Sie finden Materialien zur Diskussion unter
http://archiv.twoday.net/stories/2897008/
Es spricht für sich, dass die Museumsleiterin sich nicht sofort auf das Positionspapier des Museumsbundes 2004 und die ICOM-Richtlinien zur Abgabe von Sammlungsgut beziehen konnte, auf die ich sie ansprach.
Ich kann es Ihnen nicht ersparen, aus diesen Richtlinien, die für das fachliche Arbeiten in deutschen Museum die gültige Leitlinie darstellen, zu zitieren. Sie finden Sie unter
http://www.icom-deutschland.de/docs/positionspapier.pdf
"Der Auftrag der Museen und ihrer für die Sammlungen verantwortlichen Träger gilt damit der Bewahrung des kulturellen Erbes in ihren Sammlungen. Vor diesem Hintergrund geht es grundsätzlich darum, Sammlungen zu erhalten und auszubauen. Die Objekte der musealen Sammlungen sind bewusst und endgültig dem Wirtschaftskreislauf entzogen, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und sie für nachfolgende Generationen zu bewahren. Die Abgabe von Sammlungsgut kann dementsprechend nur ausnahmsweise und unter geregelten Voraussetzungen erfolgen, die diesem Auftrag nicht widersprechen. Dieser Grundsatz gilt für alle Museumstypen und alle Museumssparten und ist weltweit verbindlich festgelegt im „Code of Ethics for Museums“ des Internationalen Museumsrates (ICOM)."
Aufgrund des Telefonats mit der Museumsleiterin habe ich keinerlei Anhaltspunkte davon auszugehen, dass diesen Richtlinien Rechnung getragen wurde.
Ich habe zu dem Themenkomplex, da ich mich mit Zinnfiguren nicht auskenne, noch ein ergänzendes Telefonat mit dem Leiter des Nürnberger Spielzeugmuseums Dr. Helmut Schwarz geführt. Dieser erklärte, ein Verkauf auf dem Wege der kommerziellen Versteigerung könne nur als "allerletzter Notnagel" in Betracht kommen. Er hoffe, dass er nie in Verlegenheit kommen werde, Sammlungsbestände in dieser Weise zu veräußern.
Ich kenne die Gmünder Zinnfiguren-Sammlung nicht und habe nie von ihrer Existenz gehört. Auch war ich bei der Mitgliederversammlung im Oktober nicht anwesend, sonst hätte ich damals bereits protestiert.
Es handelt sich um eine historische Sammlung durchaus beträchtlichen Umfangs (im Museumskontext wohl als "Sammlung mittlerer Größe" einzuschätzen), die im Jahr 1930 von einem Privatsammler dem Museum geschenkt wurde. Die Figuren stammen aus der traditionellen Nürnberger Firma Heinrichsen.
Die Sammlung ist über 75 Jahre alt, sie hat schon von daher einen gewissen Altertumswert. Würde es sich nur um wertlosen "Erster-Weltkriegs-Schrott" mit riesigen Schlachtenszenen handeln, so könnte nicht die Rede davon sein, dass der Spezialist einen "guten Erlös" erwartet. 100 "Feldgraue" sind schon für unter 20 Euro zu haben.
Ich zitiere nochmals aus dem Schreiben von Herrn Fischer: "Bitte beachten Sie, dass Zinnfiguren kein Kinderspielzeug sind, sondern liebevoll handbemalte Kunstgewerbegegenstände, die mindestens 80 bis 120 Jahre alt sind und von einer ernsthaften Sammlergemeinde zum Teil hoch bezahlt werden. Dementsprechend sind einzelne Figurengruppen in Originalverpackung relativ teuer".
Bei dem guten Erlös wird man also an einen Betrag von weit über 1000 Euro zu denken haben. Damit fällt das auf dem Markt angebotete Konvolut unter die Kategorie B des Positionspapiers (Versicherungswert über 1000 Euro), für die verbindlich geregelt wurde:
"Die fachlich verantwortliche Museumsleitung - in Abstimmung mit der Trägerinstitution - wählt die entsprechenden Objekte aus und schlägt eine Ausgliederung vor. Die Entscheidung im Sinne eines gutachterlichen Votums darüber wird durch eine externe Kommission getroffen, der ausdrücklich kein Angehöriger des betroffenen Museums und auch kein Angehöriger der jeweiligen Trägerinstitution angehört. Für die Objekte nach Kategorie b ist eine „kleine Kommission“ zu bilden, die sich aus drei Fachleuten aus dem Museumsbereich zusammensetzt; diese „kleine Kommission“ wird jeweils im Einzelfall zusammengerufen und ihre Zusammensetzung variiert je nach Museumskategorie und je nach regionalem Standort des Museums."
Zwar sprach Frau Holthuis davon, dass sie die Entscheidung nicht allein getroffen habe, aber ich denke nicht, dass es zur zwingend gebotenen Einsetzung einer externen Kommission gekommen ist.
Auch wenn bei einer Diskussion im Wissenschaftsausschuss des Landtags das Positionspapier als "überbürokratisch" kritisiert wurde ( http://archiv.twoday.net/stories/2843831/ ), so war man sich dort doch über die Notwendigkeit einer Expertenkommission einig.
Keine Museumsleiterin, kein Stadtkämmerer und kein Museumsverein hat das Recht, den traditionellen Bewahrensauftrag der Museen aufs Spiel zu setzen - und wenn es sich auch "nur" um Zinnfiguren handelt, die ja keine Unikate darstellen.
Es ist sinnvoll, dass unabhängiger Sachverstand in einem transparenten und fairen Verfahren beteiligt wird.
Es ist genauso sinnvoll, bei historischen Museumssammlungen die Öffentlichkeit zu beteiligen, auf deren Hilfe und Unterstützung jedes Museum angewiesen ist.
Wieso hat man die zum Verkauf vorgesehenen Stücke nicht ausgestellt, so wie man den Krefelder Monet ausgestellt hat, um den Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit zu geben, sich ein eigenes Bild zu machen, ob die Zinnfigurensammlung tatsächlich alter Ramsch ist, der Schwäbisch Gmünd ohne Schaden verlassen kann?
Es gibt eine ganze Reihe von Zinnfigurenmuseen, die teilweise als touristische Attraktionen ihres Standorts gelten. Wurde überhaupt geprüft, ob eine touristische Nutzung in Gmünd außerhalb des Museums in Betracht kommt? Mit 30.000-35.000 Figuren wäre die Sammlung sicher groß genug, um sie wenigstens teilweise auszustellen.
Und selbst wenn sie nicht ins Sammlungskonzept eines modernen Stadtmuseums passt: Wo kann ich die "schriftlich formulierte() und langfristig fortzuschreibende(), verbindlichen()
SAMMLUNGSKONZEPTION für das betreffende Museum" einsehen, die von den genannten Richtlinien als Voraussetzung für jede Abgabe von Sammlungsgut betrachtet wird?
Stadtmuseen sind ihrer Geschichte nach meistens "Heimatmuseen", und der heute belächelte Rumpelkammercharakter war ihnen inhärent. Eine große Zinnfigurensammlung auch ohne lokalen Bezug wurde 1930 offenbar als Bereicherung des Museums gesehen. Auch wenn sie wohl nie ausgestellt wurde, ist die Teil doch Zeugnis der Sammlungsgeschichte des Schwäbisch Gmünder Museums, sie spiegelt nur als Ganzes den (womöglich militaristischen) Zeitgeist der Jahre, in denen sie der Sammler vor 1930 zusammengetragen hat.
Die Reaktion von Frau Holthius auf die nur zu berechtigte Frage nach der Form der Dokumentation lässt erwarten, dass eine hinreichende museumsgeschichtliche Aufarbeitung der Sammlung (etwa anhand umfangreicher Fotos der Zinnfiguren-Gruppen) nicht mehr möglich sein wird.
Wenn keine ausreichende Dokumentation vorhanden ist, ist es auch sinnlos, andere Museen zu kontaktieren, da diese nur über etwas entscheiden können, was sie anhand von Beschreibungen und Fotos beurteilen können. Offenbar hat man zwar andere Museen kontaktiert. Dass aber das Germanische Nationalmuseum angefragt wurde, zeigt nur, dass hier keinerlei Fachwissen vorhanden war, denn Museumsfachleute wissen, dass eine solche Anfrage angesichts des Umfangs der Bestände des GNM aussichtslos war.
Wieso wurde nicht die Möglichkeit einer Dauerleihgabe an ein Zinnfiguren-Spezialmuseum erwogen?
Rechtfertigt die Aussicht auf einen "guten Erlös", den man angesichts der kommunalen Finanzengpässe natürlich gut gebrauchen kann, den traditionellen Auftrag des Bewahrens über Bord zu werfen?
Ich bin also durchaus nicht der Ansicht, dass die Sammlung auf Biegen und Brechen in den Magazinen des Städtischen Museums verbleiben müsste. Aber ich sehe keine verantwortungsvolle Prüfung der Frage, die dem Stand der öffentlichen und der museumsfachlichen Debatte auch nur im entferntesten gerecht wird.
Eine Auktion, bei der andere Museen die Gebühren des Versteigerers tragen müssen, ist immer der schlechteste Weg, sich einer solchen Sammlung verantwortungsbewusst zu entledigen. Auktionen zerstreuen gewachsene Sammlungen!
Der hier gewählte Weg sendet für die Bürgerinnen und Bürger ein denkbar schlechtes Signal aus. Zwar konnten offenbar keine Nachfahren des Schenkers mehr ermittelt werden, und irgendeine besondere Auflage hat er wohl nicht gemacht - aber heisst das, dass alles zur Disposition steht, was für die Nachwelt bewahrt werden soll, nur weil Zinnfiguren in Stadtmuseen aus der Mode gekommen sind? Wissen wir wirklich, dass der Sammler mit der Zerstreuung seiner liebevoll zusammengetragenen Sammlung einverstanden gewesen wäre? Muss man nicht auch ohne ausdrücklichen Vertrag annehmen, dass ein Stifter ein Museum bedenkt, weil er annimmt, dass sein Geschenkt dort gut und vor allem dauerhaft aufgehoben ist? Ist es nicht im Gegenteil so, dass man bei älteren Schenkungen grundsätzlich annehmen muss, dass mit der Annahme des Geschenks die stillschweigende Zusicherung verbunden war, die Sammlung als Ganzes zu bewahren?
Wenn Bürgerinnen und Bürger sehen, dass unmodern gewordene Sammlungsteile eines Stadtmuseums verscherbelt werden, sind sie dann wirklich motiviert, generöse Stiftungen zu machen?
Wer kann wirklich die Hand dafür ins Feuer legen, dass in ökonomisch weniger angespannten Zeiten dereinst der Verkauf der Zinnfigurensammlung ebenso bedauert werden wird, wie wir heute entsprechende Museums-Fehlentscheidungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bedauern?
Ich bin nicht der Ansicht, dass es sinnvoll war, aus den Gemeindeordnungen den Passus über den Genehmigungsvorbehalt bei der Veräußerungen von Gegenständen mit wissenschaftlichen, künstlerischem oder geschichtlichen Wert zu streichen. Im vorliegenden Fall und bei allen vergleichbaren Verkäufen aus Museen würde ich mir wünschen, dass eine Aufsichtsbehörde den Verkauf kontrolliert und dass auch Verbände über ein Verbandsklagerecht im Einzelfall die Veräußerung von offenkundig Erhaltenswertem verhindern könnten.
Wenn ich recht sehe, hat das Museum (wohl unentgeltlich) das Eigentum dem Museumsverein übertragen hat, der die Vermarktung übernimmt. Da die Sammlung städtisches Eigentum war, kann ich nicht erkennen, dass bei dieser Konstruktion der Vorschrift von § 92 Gemeindeordnung BW, wonach Vermögensgegenstände "nur zu ihrem vollen Wert veräußert werden" dürfen, Rechnung getragen wurde. Die Kommune kann sich der Geltung der Haushaltsgrundsätze nicht dadurch entziehen, dass sie Verkäufe von Museumsgut an einen privaten Verein "outsourct".
Museen sind keine modischen Ausstellungsbetriebe, die das abstoßen dürfen, was gerade nicht en vogue ist. Museen sind "Sacharchive" mit unveräußerlichen Beständen, aber eingebunden in ein Netz fachlicher Kooperationen. Es muss durchaus möglich sein, Bestände zwischen Museen auszutauschen oder in jeder Hinsicht Wertloses zu entsorgen. Museen müssen aber auch in Zukunft die stillschweigende Vereinbarung mit Schenkern einhalten, dass Geschenktes nicht verkauft und geschlossene Sammlungen nicht zerstreut werden, dass sie dem Kulturgut und sei es auch so bescheiden wie eine Zinnfigurensammlung bleibend schützende Obhut gewähren.
Abgaben von Museumsgut sind nur dann verantwortbar, wenn sie mindestens nach den Vorgaben von ICOM und der Museumsverbände und in Absprache mit diesen erfolgen. Und es ist den Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen, sich mit ihren Meinungen an einem transpartenten und ernsthaften Dirskurs zu beteiligen.
Ich werde mir daher erlauben, die örtliche Presse und die Museumsverbände zu informieren.
Ich bin bei aller rationalen Argumentation gegen Abgaben von Museumsgut entsetzt darüber, wie leichtfertig und unsensibel hier eine historische Sammlung des Stadtmuseums dazu benutzt werden soll, Haushaltslöcher des Museums zu stopfen.
Ich habe eine Reihe von kritischen Fragen gestellt und wäre Ihnen, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister dankbar, wenn Sie mir eine zufriedenstellende Antwort darauf geben könnten.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Dr. Klaus Graf
Ladislaus meinte am 2006/12/10 13:27:
Ich besitze ein paar minder wichtige "Kulturgüter", aber wenigstens doch ziemlich interessante historische Quellen, die ich eigentlich beizeiten einem staatlichen Museum oder Archiv stiften wollte. Das lass ich aber nun sein, denn zum Aufbessern des Steuersäckels ist das Zeug durchaus nicht gedacht. Und dauerhaft der Öffentlichkeit widmen kann man so etwas heute besser durch Scannen und veröffentlichen im Internet, denn die staatlichen Institutionen in diesem meinem Bundesland verbergen ihre Schätze, verlangen horrende Gebühren für Kopien und Veröffentlichungen und verhökern sie schließlich gar noch nach Gusto.
KlausGraf meinte am 2013/04/23 01:57:
Nachtrag
Die zuständige Kommunalaufsicht schrieb mir am 28. September 2007:"Nach unserem Kenntnisstand bestehen die Teile der Sammlung offenbar vollständig oder zumindestens überwiegend aus Zinnfiguren der Nürnberger Fa. Heinrichsen, die um 1900 der weltgrößte Hersteller von Zinnfiguren war und täglich ca. 25.000 Figuren produzierte. Die Themen sind - wie häufig bei Zinnfiguren - diverse Schlachten der Weltgeschichte vom Altertum bis zum 1. Weltkrieg sowie Szenen aus der Kolonialgeschichte.
Für uns ergeben sich keine Hinweise auf eine besondere wissenschaftliche, künstlerische oder heimatgeschichtliche Bedeutung und auf eine besondere Beziehung zum Kulturbereich des Landes.
Eine Eintragung in das Denkmalbuch als Kulturdenkmal kam also nicht in Frage. Nur in diesem Falle bedarf eine Entfernung von Einzelsachen aus der Sammlung einer Genehmigung.
Beim "Code of Ethics for Museums" des Internationalen Museumsrates (IOCM) handelt es sich um eine Selbstbindungsrichtlinie. Ein evtl. Verstoß gegen diese Empfehlungen zieht keine Konsequenzen nach sich.
Der Erlös aus der Veräußerung soll dem Museum zugutekommen und soll dazu verwendet werden, Museumsgut zu restaurieren oder Sammlungsbestände zu ergänzen. Für eine Veräußerung unter Wert ergeben sich keine Anhaltspunkte.
Die Vorgehensweise der Stadt Schwäbisch Gmünd ist nicht zu beanstanden.
Wir entschuldigen uns für die lange Bearbeitungsdauer. Aufgrund der für uns nicht alltäglichen Thematik war es aber unabdingbar hierzu fachliche Stellungnahmen einzuholen."