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ist ein Beitrag von Armin Schlechter, Leiter der Abteilung Handschriften und Alte Drucke der Universitätsbibliothek Heidelberg, betitelt, der bereits 2002 in der Heidelberger Hauszeitschrift "Theke" erschien (Ausgabe (2002), S. 35-38, http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/3131 ). Es handelt sich um die Druckfassung eines Vortrags auf dem 5. Tübinger Symposium 'Handschriften, Alte Drucke' vom 28.-30.10.02 im Heinrich-Fabri-Institut der Universität Tübingen in Blaubeuren.

Schlechter führt aus:

"Im Falle der Inkunabeln, von Handschriften abgesehen, ist die Erschließungsform der Exemplarbeschreibung unstrittig, die in dem einzelnen Codex nicht ein letztlich austauschbares Stück einer Druckauflage sieht, sondern ein Unikat, das in diesem Punkt mit einer Handschrift vergleichbar ist. Exemplarspezifische Besonderheiten kommen auch den Büchern nach 1500 zu, doch sind diese Merkmale von abnehmender Dichte. Nach 1600 nimmt beispielsweise die Quote wertvoller Einbände oder aber auch die Zahl der Stücke, die mit reichen Marginalien versehen sind, deutlich ab. Auf der anderen Seite sind Bücher bis in 18. Jahrhundert zu einem großen Teil provenienztragend. Wahrscheinlich zeigen die Produkte des 16. Jahrhunderts nicht erheblich weniger Besitzeintragungen als die Inkunabeln. Die Hauptbesonderheit der Drucke nach 1500 ist, im Vergleich zu Handschriften und Inkunabeln, die Mächtigkeit der Überlieferung. Sie ist ganz zweifellos ein Hauptproblem bei einer durchgreifenden Tiefenerschließung des Materials. (...)

Die statistische Benutzung des Alten Buches ist, im Vergleich zu moderner Studienliteratur, vergleichsweise gering, liegt aber wohl höher als bei Handschriften und Inkunabeln. Alles in allem ist die Benutzungsfrequenz aber kein Parameter, über den sich das Alte Buch in seinem Wert befriedigend definieren lässt. Ein möglicher Gegenbegriff wäre die Musealität, der von bibliothekarischer Seite aber eher gefürchtet wird, will man sich doch keineswegs als Buchmuseum definieren.

(...) Zumindest im deutschsprachigen Süden geht die Fülle der Überlieferung des Alten Buches auf gewachsene Bibliotheksstrukturen zurück; als entscheidendes historisches Ereignis, das zum Übergang großer Büchermengen in öffentliche Einrichtungen geführt hat, ist die Säkularisation geistlicher Institute zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu nennen. Schon allein aufgrund ihrer Menge handelt es sich bei Handschriften und Inkunabeln nur um vergleichsweise geringe Anteile einer historischen Büchersammlung, die als Einzelstücke natürlich per se einen erheblich höheren Erkenntniswert haben als Drucke späterer Zeit. Daraus folgt aber auch, daß in Abgrenzung hierzu die zahlenmäßig weit größere Überlieferung nach 1500 in einem viel höheren Maß die historische Bibliothek selbst in ihrem Eigenwert repräsentiert.
Das Alte Buch nach 1500 zeigt also in der Summe einen fallenden Exemplarwert, aber gleichzeitig aufgrund seiner Mächtigkeit einen viel höheren Ensemblewert, um einen Begriff aus der Denkmalpflege zu verwenden, der beispielsweise die historische Altstadt meint, die sich aus einer Summe schützenswerter Gebäude zusammensetzt. Der Begriff Ensemble bezeichnet beispielsweise die oft großen Anteile an Klosterbibliotheken, die auf eine oder aber mehrere Bibliotheken in heute öffentlicher Hand verteilt worden sind. In keinem Fall sind diese historischen Sammlungen vollständig überliefert, da es zu Verlusten schon in der Säkularisationszeit, durch Kriegseinwirkungen oder aber historische Dublettenverkäufe bis ins 20. Jahrhundert gekommen ist. Trotz seines immanenten Teilcharakters läßt das Material, das sich erhalten hat, Rückschlüsse auf die gewachsene, nicht mehr existente Bibliothek zu. Dies gilt zum einen für den Exemplarbereich, vor allem im Bereich der Personalprovenienzen, die verschiedene vorgängige Büchersammlungen erkennen lassen. Diese früheren Sammlungen sind entweder außerhalb der Institution zu verorten und wurden dann auf verschiedenen Wegen übernommen, oder aber sie entstanden schon von vornherein in der Institution selbst als Privatsammlung beispielsweise eines Konventualen. Dies gilt aber auch für die inhaltliche Seite, die die fachliche, geistes- und kulturgeschichtliche Ausrichtung einer historischen Bibliothek erkennen lässt.

Bücher mit Exemplareigenschaften gehören zur Quellengattung der "Überreste". Gemeinsam ist ihnen, daß sie meist nur Bruchstücke ursprünglich größerer Bestände darstellen. Daher überliefern historische Büchersammlungen trotz aller Verluste Vergangenes nicht von vornherein schlechter als andere Quellengruppen, die in ihrem Entstehen und teilweisen Untergang ähnlichen Bedingungen unterworfen sind.

Armin Schlechter führt dann mit Bezug auf die Diskussion um Eichstätt aus:

"Der Ensemblebegriff hat sich im wissenschaftlichen Bibliothekswesen allerdings noch nicht durchgesetzt. Schlagendes Beispiel dafür sind die Auseinandersetzungen von Klaus Graf zu diesem Themenkomplex, zuletzt mit der UB Eichstätt, die offensichtlich provenienztragende sogenannte Dubletten aus dem Besitz von Kapuzinerbibliotheken verkauft hat. Während man die Auflösung von gewachsenen Privatbibliotheken wie in Donaueschingen letztlich nicht verhindern kann, ist es aus meiner Sicht tatsächlich verwunderlich, welche Rolle der längst überholte Dublettenbegriff im wissenschaftlichen Bibliothekswesen immer noch spielen kann. Inwieweit sich angesichts leerer öffentlicher Kassen solches vielleicht auch noch an anderer Stelle wiederholen mag, läßt sich nicht sagen."

Als Beispiel für ein Buchensemble stellt Schlechter dann die Bibliothek von Wendelin Fabri an, die in den Büchersammlungen von Salem aufgegangen ist und sagt abschließend: "Der vorliegende, erhaltene Anteil an seiner Büchersammlung liefert also als Ensemble historische Erkenntnisse zu seiner Person, die aus anderen Quellen nicht zu gewinnen wären, und wird damit selbst zur geistesgeschichtlichen Quelle. Beispiele dieser Art ließen sich beliebig vermehren." Und weiter:

"Alte Drucke lassen sich also in zwei Kategorien scheiden:
- historisch gewachsene Bestände, die aufgrund von Provenienzmerkmalen oder aber archivischer Überlieferung (in Form von Säkularisationsaktem oder ähnlichem) einer bestimmten vorgängigen Institution oder Person zuweisen lassen,
- andere Bestände, denen diese Eigenschaften fehlen, die beispielsweise als Einzelstücke über die Jahre hinweg zur Komplettierung der Sammelschwerpunkte der Bibliothek erworben worden sind.

Ein Ensemblewert und damit ein besonderer kulturgeschichtlicher Überlieferungswert kommt nur den Beständen der ersten Kategorie zu. Sie sind als auch historische Zeugnisse mit einem Quellenwert, der über die inhaltliche Ebene des einzelnen Buches weit hinausreicht, in besonderem Maße schützenswert, da sie, in Gegensatz zu nicht provenienztragendem Material, unikal und unersetzlich sind.

Die Nutzung des Ensemblewerts für die kulturelle Definition der Bedeutung des Alten Buches stößt allerdings auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Dies liegt in erster Linie daran, daß bei der Übernahme der Säkularisationsbestände im 19. Jahrhundert die einzelnen Werke als beliebig verwertbares Material betrachtet wurden, das ohne Zusammenhang mit seiner Herkunft im großen Topf des Hauptbestandes unterging. Voraussetzung für die Definition eines oder mehrerer Ensembles innerhalb der Altbestände ist mithin die Sichtung am Regal, die bei kleineren Bibliotheken noch zu leisten ist, einen bei größeren Beständen, wie in Heidelberg, aber doch vor einige Probleme stellt, von Archivalienstudien ganz zu schweigen. Bei dieser Sichtung wären in einem ersten Schritt die Provenienzen zu erfassen ... Damit wäre aber immerhin die Grundlage für die weitere Arbeit mit dem Bestand gegeben."

Für die weitergehende Erschließung böten sich zum einen Exemplarkataloge an, wie es sie bspw. für elsässische Bibliotheken gebe, zum anderen

"die Erarbeitung eines Provenienzkatalogs, der nur das Material erfassen würde, das sich zu Ensembles zusammenfassen ließe. Auf der Basis dieser Quellengattung wären insbesondere die Personalprovenienzen näher zu erläutern und mit anderen historischen Zeugnissen zu den Personen zu verbinden. Fernziel dieser Erschließung könnte eine Topographie historischer Bibliotheken einer bestimmten Region oder eines Bundeslandes über Bibliotheksgrenzen hinweg sein, die weit über das hinausginge, was das 'Handbuch der historischen Buchbestände' leisten konnte.

Der kulturelle Überlieferungswert des Alten Buches läßt sich primär inhaltlich, im zweiten Schritt auf der Exemplarebene definieren. Zu dem, was ein Buch als Medium überliefern soll, treten die historischen Zeugnisse seiner Exemplargeschichte, die es letztlich zu einem archäologischen Objekt werden lassen. Über der Ebene des einzelnen Exemplares ist dann das Ensemble angesiedelt, das die historisch zusammengehörigen Anteile gewachsener Bibliotheken zusammenfaßt. Diesen Ensembles kommt für die Geistes- und Kulturgeschichte ein hoher Quellenwert zu, der mit dem Quellenwert anderer historischer Überlieferungsträger durchaus vergleichbar ist. Aus dieser Eigenschaft unikaler, vor allem für die Landesgeschichte wichtiger Überlieferung läßt sich eine besondere Schutzwürdigkeit dieser Bestände ableiten. Voraussetzung hierfür ist aber, und das kann nur jede Bibliothek vor Ort mit nicht unerheblichem Personaleinsatz selbst leisten, daß diese Bestände überhaupt namhaft gemacht und als Ensembles definiert werden. Zu erwarten, daß dies von der Wissenschaft geleistet wird, ist sicher kein Weg, da ihr schon aus konservatorischen Gründen der Weg in die Magazine versperrt ist."


Der Vortrag schließt sich an seinen Aufsatz "Die Bibliothek als Sammlung" (in: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte 24 (1999), S. 67-78. Zum gleichen Thema auch F. Heinzer, "Bestände von Regionalbibliotheken als Quellen wissenschaftlicher Forschung", in: Regionalbibliotheken in Deutschland, Frankfurt/M. 2000, S. 56, und Klaus Graf, Oberschwäbische Adelsbibliotheken : Zeugnisse der geistigen Welt ihrer Besitzer. - In: Adel im Wandel : Oberschwaben von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. - Ostfildern : Thorbecke, 2006, Bd. 2, S. 751 - 762 (Beitrag zum Katalogband der Sigmaringer Adelsausstellung), online unter
http://eprints.rclis.org/archive/00006246/
 

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