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Leider hat sich die Erkenntnis, dass es sich bei dem Heidelberger Turnierbuch Jost Pirckhammers um eine Fälschung des 19. Jahrhunderts handelt, nicht hinreichend in der Forschung herumgesprochen. Die durchaus ansprechend illuminierte Handschrift befindet sich im Stadtarchiv Heidelberg (Signatur: H Nr. 106) und ist inzwischen online im Portal der Universitätsbibliothek Heidelberg zu bewundern:

http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/stahd_h106

(Mein herzlicher Dank gilt meinem Kurskollegen Dr. Peter Blum vom Stadtarchiv Heidelberg, der hochwertige Reproduktionen anfertigen ließ, und der UB Heidelberg, insbesondere Frau Effinger, die sich bereit erklärte, das Digitalisat öffentlich zugänglich zu machen.)

Der Haßmersheimer Pfarrer Hermann Wirth publizierte 1868 in seinem "Archiv zur Geschichte der Stadt Heidelberg" (1. Jg. Heft IV, S. 214-246) zwei Beschreibungen des Heidelberger Turniers.

http://books.google.de/books?id=v85DAAAAYAAJ&pg=PA214

Zunächst diejenige aus dem 1530 erstmals gedruckten Turnierbuch des Herolds Georg Rüxner, wobei er die Ausgabe von 1532 zugrunde legte (Digitalisat Dilibri; Erstausgabe 1530), dann die "Thurnirbuchordnung von Pirckhammer anno 1486". Wer die Handschrift jetzt online durchblättert, läuft Gefahr, sich über den unkritischen Pastor zu mokieren, der eine für den einigermaßen mit spätmittelalterlichen Handschriften Erfahrenen doch recht offenkundige Fälschung für authentisch ansah.

Das Stück hatte der Begründer der Heidelberger städtischen Altertümersammlung Albert Mays über den bekannten Händler Nikolaus Trübner von einem Londoner Antiquar im August 1868 für eine wohl nicht unbeträchtliche Summe erworben und später der Stadt Heidelberg mit seinen Sammlungen testamentarisch vermacht.

In seinen Quellen zur Geschichte des Heidelberger Schlosses (1882) erklärte schon Marc Rosenberg das Stück "entschieden" in einer Fußnote als "eine Fälschung" (S. 78 Anm. 2):

http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/rosenberg1882/0091

Der Heraldiker Theodor Wilckens (1839-1926) nahm sich in den Mannheimer Geschichtsblättern 8/9 (1900), Sp. 184-187 das Werk vor und formulierte sein Ergebnis schon in der Überschrift: Das "Heidelberger Thurnierbuch und Ordnung des Jost Pirckhammer" von 1486 eine Fälschung. Online:

http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2012/1824

Am 21. Mai 1895 hatte der Berliner Verein "Herold" Gelegenheit, das Original zu prüfen. Wilckens gibt das Gutachten wieder, das die Fälschung erweist. Der nach Ansicht des Vereins in den 1840er Jahren wirkende Fälscher habe ein Pergament des 18. Jahrhunderts wiederverwendet. Es wäre einen Versuch wert, das Palimpsest mit modernen naturwissenschaftlichen Methoden zu durchleuchten.

Als Textquelle wird natürlich das Rüxnersche Turnierbuch ausgemacht. Das Porträt Kurfürst Philipps stamme aus einem Porträtbuch von Jost Amman.

Mundus vult decipi. Einmal in der Welt, ist Pirckhammers Turnierbuchordnung als authentische Geschichtsquelle offenbar unausrottbar. Und Wilckens Fälschungsnachweis, obwohl mehrfach bibliographisch registriert (ZGO, Jahresberichte, Deutsche Geschichtsblätter) wurde übersehen. Ich denke nicht, dass man Historikern sorgfältige Arbeitsweise attestieren kann, die auf eine quellenkundliche Überprüfung des Textes trotz offenkundig dubioser Aussagen verzichtet haben.

"1486: das Heidelberger Thurnierbuch und Ordnung des Jost Pirckhammer erscheint" So der Heidelberger Geschichtsverein in seiner Zeittafel
http://www.s197410804.online.de/Zeiten/1400.htm
Besonders pikant: Auf der Literaturseite des gleichen Angebots wird auch der Aufsatz von Wilckens aufgeführt, der doch schon im Titel sagt, dass es sich um eine Fälschung handelt:
http://www.s197410804.online.de/Literatur/litmta.htm

Eugen Hillenbrand verwies in seinem Aufsatz zum Offenburger Turnier (ZGO 1983, S. 274) ohne weiteres auf den zweiten von Wirth edierten Bericht (also auf Pirckhammer). Thomas Zotz hat in seinem einflussreichen Aufsatz zum städtischen Turnierwesen die Fälschung leider auch für bare Münze genommen (S. 478):

http://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a097856.pdf

Über Zotz gelangten Pirckhammers 400 Bürger im Harnisch in eine Fußnote von von Anja Hagen/Heinz Krieg (in: Spätmittelalter am Oberrhein. Aufsatzbd., 2002, S. 421).

Als authentische Quelle verwertete Pirckhammers Turnierbuch Andreas Ranft in seinen "Adelsgesellschaften" 1994:
http://books.google.de/books?id=E4UWAQAAIAAJ&q=pirckhammer

Martina Backes äußerte zwar 1992 Skepsis (die Handschrift sei eine Fälschung des 19. Jahrhunderts), verzichtete aber auf Heranziehung der maßgeblichen Darstellung von Wilckens.

http://books.google.de/books?id=RrFbAAAAMAAJ&q=thurnirbuchordnung

Zuletzt ging Franz Niehoff dem Fälscher auf den Leim (2009):

http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/2131/

Weitere Fälschungen vom gleichen Meister?

Abschließend berichtet Wilckens noch über eine von der Hand des gleichen Fälschers stammende Handschrift, die dem Verein Herold in der Vorstandssitzung vom 1. Dezember 1896 vorgelegt wurde. Sie war aus der französischen Provinz mit dem Nachlass eines Künstlers nach Paris gelangt und dort von einem Antiquar erworben worden. Es ist mir nicht gelungen, eine Spur dieses Manuskripts zu finden. Vielleicht wurde es ja auch von dem unglücklichen Käufer vernichtet.

Es enthielt: ein Verzeichnis der Ulmer Patrizier und deren Wappen von 1613, "Theatrum virorum memorandorum" (Georg von Frundsberg, Franz von Sickingen, Ulrich von Hutten u.a.), "Georgen von Frondsbergs Excercir-Regula nach jetzigem
Erfordernis eingerichtet durch Everardum Weihermann
Ulmensem". Es war mit vielen Abbildungen reich geschmückt. (Everard Weihermann ist sicher eine Fiktion.)

Es ist mir gelungen, ein mutmaßliches weiteres Stück aus der Fälscherwerkstatt aufzufinden. Ich habe es allerdings nicht selbst eingesehen, doch lässt die Katalog-Beschreibung deutlich genug erkennen, dass ein enger Zusammenhang mit der Machart der beiden bisher erwähnten Codices besteht. Es handelt sich um das Ms. 2387 der BNU Strasbourg im Umfang von 63 Blatt:

http://archive.org/stream/cataloguegnr47fran#page/504/mode/2up

Das Straßburger illustrierte Manuskript beginnt mit einer Beschreibung des Heidelberger Turniers, das ebenso wie bei Pirckhammer fälschlich in das Jahr 1482 gesetzt wird. Auch hier hat ein Diener von Ritter Hans von Seckendorf die Feder ergriffen, nur heißt er nicht Jost Pirckhammer, sondern Andres Zimmermann junior. Es folgen offenbar erfundene Texte, die inhaltlich dem zweiten Stück mit dem Ulmer Geschlechterverzeichnis nahestehen. Soweit es sich nicht um bekannte Persönlichkeiten handelt (Heinz Dompnig zu Breslau, Georg von Frundsberg) finde ich zu den weiteren genannten Personen mit dem Internet keine Anhaltspunkte, dass es sie jemals gegeben hat: Ritter Carius von Füssach, Goldschmied Johann Zimmermann, Christoph Pfanzelt, Maler in Roggenburg 1536.

Womöglich kann ich noch ein weiteres Falsum aus der gleichen Werkstatt namhaft machen. Es muss als verschollen gelten. Ich habe den Eintrag in: Romances of chivalry, European literature, French books with engravings, rare Americana from the library of John B. Stetson, Jr., Philadelphia, Pennsylvania. American Art Association, Anderson Galleries (Firm), April 17, 1935-April 18, 1935, S. 131f. Nr. 225 auf Commons zugänglich gemacht:

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Turnierbuch_1511.jpg

Das Hauptwerk der illustrierten Handschrift ist ein "protocollum" des Turniers anlässlich von Herzog Ulrichs Hochzeit 1511. Dieses Turnier hat es ohne Zweifel gegeben. Dort turnierten zwei Bayernherzöge miteinander (siehe Max Tewes in: Ritterwelten im Spätmittelalter , 2009, S. 42 nach dem Hofkleiderbuch Cgm 1951, Bl. 8r, das online ist:

http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00016005/image_19 ).

Die Quellen zur Hochzeit Herzog Ulrichs stellten Stälin (IV, S. 81 Anm. 1) und jüngst Gerhard Raff, Hie gut Württemberg allewege, 3. Aufl. 1994, S. 478f. zusammen. Die sehr viel spätere lateinische Festbeschreibung von Jakob Frischlin ist online:
http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz312522533

Von einem Turnierprotokoll konnte ich aber keine Spur finden. Das zweite Stück des Bandes soll ein Turnierbuch des Anton von Yffan, der als Maximilians Turniermeister durchaus bekannt ist, sein. Das dritte schließlich verweist doch recht deutlich auf die bisherigen Falsa: Kurze Relation über Franz von Sickingen von Johann Yfanenschmit Maler "Discip. Burgkmayers". Über diesen Yfanenschmidt (oder Pfanenschmit?) ist nichts herauszubringen. Dass er als Schüler des berühmten Burgkmair bezeichnet wird verweist auf die Rolle der Augsburger Malers Burgkmair für die Verbreitung von Turnierbüchern Maximilians. Siehe die Beschreibung Marianne Reuters:

http://codicon.digitale-sammlungen.de/inventiconCod.icon.%20403.html

Franz von Sickingen gehört zu jenen Persönlichkeiten, mit deren Prominenz der Fälscher Kunden anlocken wollte. Und auch den Malern war der Fälscher besonders gewogen: Pirckhammer nennt sich Maler, Pfanzelt (in der Straßburger Handschrift) ist Maler.

Aufgrund der wenigen Angaben des Verkaufskatalogs ist ein Urteil schwierig, aber ich möchte in der Handschrift definitiv eine Fälschung sehen und aufgrund der dargestellten Bezüge dem gleichen Fälscher wie Pirckhammers Turnierbuch zuweisen.

Später, nach Reuter nach 1882, datiert eine weitere Handschrift, die offenbar in den gleichen Kontext fiktiver Turnierbücher gehört. Möglicherweise stammt auch sie von unserem Fälscher. Ich gebe Marianne Reuter das Wort, deren Aufsatz "Rondo" mir leider nicht zugänglich war:

"Ein später Nachläufer unserer Turnierfolge ist Cod.icon. 402 32 Blatt starken Kartons (36 x 27 cm) mit 16 in Deckfarben mit Gold und Silber ausgeführten Bildseiten, Titel- und Widmungsblatt. Die Hs unbekannter Provenienz gibt sich im Widmungsblatt als von Hans Burgmayrer Maller für Herrn Fridericus Pfalzgraue bey Rhein ... (Friedrich III., Kurfürst von der Pfalz 1515-1576) angefertigt aus, signiert HB (gemeint Hans Burgkmair d.J.) und datiert 1559 . Neun Illustrationen stimmen zwar mit Cod.icon. 403 sowie SIG [Sigmaringen, Hofbibliothek Hs. 63, KG] überein, alternierend mit Kopien nach dem »Freydal«-Zyklus (Kaiser Maximilians I. autobiographischem Turnierbuch; siehe dazu Cod.icon. 398 ). Die letzte Illustration biedermeierlich gewandeter Herrschaften beim Ring- und Apfelstechen Bl. 30r legt jedoch zusammen mit der märchenhaft anmutenden Besitzgeschichte auf den Vorsatzblättern und dem altertümelnden Einband die Vermutung nahe, daß es sich um ein romantisches Elaborat handelt, dessen konkreten Vorlagen im Einzelnen nachzugehen wäre (Reuter, Rondo 2010 : S. 77 f. mit Abb. 8)."
http://codicon.digitale-sammlungen.de/inventiconCod.icon.%20403.html

Ob es sich um einen einzigen Fälscher handelt (so Wilckens für die dem "Herold" gezeigten Stücke) oder um eine Werkstatt mit mehreren Personen? Auch wenn zwei Handschriften anscheinend nicht mehr vorhanden sind, könnte man das Heidelberger Stück mit dem Straßburger und dem Münchner vergleichen. Ziemlich eindeutig erscheint mir der inhaltliche Zusammenhang des Straßburger Manuskripts mit dem Heidelberger. Deutliche Beziehungen weist auch das Turnierprotokoll 1511 zu den anderen Werken des Fälscher-Meisters auf, während es gut denkbar ist, dass der Münchner Cod. icon. 402, der ja anscheinend sehr viel später datiert, nur als Bestandteil einer größeren Gruppe "romantischer" Turnierbuch-Fiktionen mit den anderen in Verbindung steht. Ich lege der Kunstgeschichte jedenfalls nahe, den "Fälscher von Pirckhammers Turnierbuch" (so mein Vorschlag eines Notnamens) eingehend zu untersuchen und nach weiterem Material zu vergleichbaren Fälschungen/Fiktionen Ausschau zu halten.

In Archivalia sind diese Ermittlungen jedenfalls, wie ich meine, eine spannende Bereicherung zu den Beiträgen über Fälschungen:

http://archiv.twoday.net/stories/96987511/

Zum Heidelberger Vierlandeturnier 1481 und seinen Quellen:
http://archiv.twoday.net/stories/96991891/
http://archiv.twoday.net/stories/120175110/ (Bildquellen)

#forschung

Archivversion:
http://www.webcitation.org/6IU9qBbLj

 

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