Allgemeines
Architekturarchive
Archivbau
Archivbibliotheken
Archive in der Zukunft
Archive von unten
Archivgeschichte
Archivpaedagogik
Archivrecht
Archivsoftware
Ausbildungsfragen
Bestandserhaltung
Bewertung
Bibliothekswesen
Bildquellen
Datenschutz
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
null

 
Hat nun das Denkmalschutzgesetz die Erwartungen der Öffentlichkeit erfüllt? Ist das Landesamt mit ihm ein entscheidendes Stück vorangekommen bei seiner zentralen Aufgabe – dem Schutz und der Pflege der Denkmäler im Land? Hat die bayerische Denkmalpflege durch dieses Gesetz, das im Parlament große Zustimmung fand, ihre optimale Form erhalten – nach fast siebzig Jahren kontinuierlicher Pionierarbeit, aber auch ständig wiederkehrender Probleme, Schwächen, Anfälligkeiten?

Noch vor zwanzig Jahren hätte ich diese Frage unbedenklich bejaht. Heute zögere ich. Schuld sind nicht etwa Unzulänglichkeiten im Vollzug, die ließen sich leicht beheben – schuld ist die schleichende, in jüngster Zeit kaum noch verdeckte Aushöhlung des Gesetzes. Wie soll sich ein Gesetz bewähren, dem man gar keine Bewährungschance mehr gibt? Seit 1990 wurde massiv in die Systematik eingegriffen. 1994 entfiel der Devolutiveffekt, ein Kernstück des Denkmalschutzgesetzes: das Einvernehmen zwischen Unteren Denkmalschutzbehörden und Denkmalfachbehörden musste nicht mehr hergestellt werden; das Interesse der Allgemeinheit wurde verhängnisvoll geschwächt. Seither werden Interessenkollisionen – die in der Denkmalpflege etwas ganz Natürliches sind – in einer zunehmenden Zahl von Fällen nicht mehr aufgelöst: die Räder drehen sich zwar weiter, aber sie greifen nicht mehr ineinander.

Sodann erlebte das Landesamt einen Stellen- und Mittelabbau ohnegleichen: in den 1990er Jahren wurden 8%, nach 2004 erneut 10% Personal eingespart – bei gleichzeitiger Erhöhung der nur durch vermehrte und geschulte Kräfte zu lösenden Aufgaben, etwa der Verkürzung der Fristen für denkmalfachliche Stellungnahmen auf vier Wochen. Endlich wurden auch die verfügbaren Mittel für die Denkmalpflege seit 1990 ständig gekürzt – im laufenden Jahr 2006 erneut um nicht weniger als um die Hälfte! Der jüngste Anschlag auf den Denkmalschutz ist ein – vom Ministerrat bereits gebilligter – Gesetzentwurf zur Verwaltungsvereinfachung: er sieht vor, dass künftig die Gutachten des Landesamtes für Denkmalpflege wegfallen sollen, die vor jeder Abbruchgenehmigung eingeholt werden müssen, und dass ein Antrag auf Abbruch eines Gebäudes automatisch genehmigt ist, wenn sich ein Gemeinde-, Stadt- oder Kreistag nicht binnen acht Wochen nach dem Eingang mit ihm befasst. – Angesichts derartiger Vorhaben fragt man sich, ob der Denkmalschutz, die Denkmalpflege in Bayern in der Regierungsspitze überhaupt noch Freunde haben. Die Fakten sprechen eine andere Sprache – sie machen die unablässige Beschwörung des „Standorts Bayern“ in Sonntagsreden immer unglaubwürdiger.

Die Demontage der Denkmalpflege – denn eine solche ist es! – hat mehrere Ursachen. Da ist einerseits der Ruf nach Verwaltungseinfachung, den man gut verstehen kann – jeder, der bei der Erledigung seiner Geschäfte von Pontius bis Pilatus laufen muss und sich im administrativen Gestrüpp manchmal wie der Buchhalter Wanninger vorkommt, wird das nachvollziehen können. Da ist weiterhin das Bestreben, die Instanzen „vor Ort“ zu stärken – auch dies begreiflich angesichts der vielfältigen Entmachtung der Selbstverwaltung durch immer striktere und detailliertere Weisungen „von oben“. Aber kann dies den Rückzug des Staates aus zentralen Bereichen seiner Verantwortung rechtfertigen? Hat der „schlanke Staat“ – den alle wollen – nicht zwei Seiten, muss er nicht ein Doppeltes tun: sich einerseits aus Überflüssigem und Angeschwemmtem, aus wuchernden Beteiligungen, zuständigkeitsverwischenden „Gemeinschaftsaufgaben“ zurückziehen (die Föderalismusreform war ein Schritt in die richtige Richtung!) – um anderseits den schmaler gewordenen Kernbereich seiner Aufgaben umso entschiedener wahrnehmen zu können?

Nun, Denkmalschutz und Denkmalpflege gehören für ein Land wie Bayern zum Kernbereich staatlicher Aufgaben. Denn es geht hier um die Identität des Landes – darum, dass Bayern so bleibt, wie es ist, nämlich ein von vielen Menschen im In- und Ausland hochgeschätztes Land. Dass es so bleibt, wie es ist, kommt aber nicht von selbst. Es ist kein Elementarereignis, kein Naturwunder. Es bedarf der staatlichen Sorge, der Zusammenarbeit von Bürgern und Behörden, der fachlichen Sicherung – und im Notfall auch der hoheitlichen Eingriffe. So wie Bildung nicht denkbar ist ohne die Schulpflicht und das Zusammenleben der Menschen nicht ohne rechts- und sozialstaatliche Normen, so kommt auch die Kultur eines Landes nicht ohne sichernde Institutionen, ohne staatliche Entscheidungen aus.

Es wäre mir lieber, ich könnte am Schluss einer Rede über hundert Jahre bayerischer Denkmalpflege freundlichere Töne anschlagen – doch „die Verhältnisse, sie sind nicht so“. Wenn man sieht, wie Bayern in den siebziger Jahren, was den Schutz der gebauten Umwelt anging, noch in der europäischen Liga mitspielte und für viele Länder ein Vorbild war, dann kann einen der unmittelbar drohende Abstieg in die Regionalliga – wofern die geschilderten Tendenzen anhalten – nur mit Bitterkeit erfüllen. Ich kann daher alle Verantwortlichen nur eindringlich zur raschen Umkehr, zur tätigen Reue mahnen: Was gegenwärtig geschieht, ist der großen Tradition Bayerns als eines Kulturstaats nicht würdig!

Denkmäler sind immer gefährdet. Muss man nicht heute sagen: Sie passen nicht in unsere bequeme, schnellebige Zeit; sie entsprechen nicht den modernen, von uns allen akzeptierten Wohn- und Arbeitsformen, nicht den Vorstellungen von einer Gesellschaft, in der alle gleich sind, und oft auch nicht den Bedürfnissen der Wirtschaft? Muss man nicht sagen: Was wir brauchen, sind Arbeitsplätze, Produktion, Konsum, Einrichtungen für Massenkultur und Freizeit?

Aber was wären wir ohne Denkmäler? Sie sind das sichtbarste Erkennungszeichen für ein Land und für den Einzelnen. Sie machen uns unsere Geschichte bewusst, führen uns das Leben früherer Epochen vor Augen. Die Denkmäler sind das, was unseren Städten und Dörfern, unserem Land Schönheit, Anziehungskraft und Unverwechselbarkeit verleiht. Sie sind die Dokumente des Fleißes, des Erfindungsreichtums anderer Zeiten. Sie lassen uns vergangene Ordnungen erkennen und schärfen unseren Blick für die wechselnden Formen menschlichen Zusammenlebens – auch diejenigen der künftigen Gesellschaft. Sollten sie uns in einer Zeit, die vom Wertewandel spricht und nach Grundwerten fragt, nicht kostbar und unersetzlich sein?


Aus:
Ansprache von Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Hans Maier, Staatsminister a. D. anlässlich des Kolloquiums
„Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege – Bilanz nach 100 Jahren“
vom 12.-14. Oktober 2006 in der Pinakothek der Moderne
http://www.gesellschaft-fuer-archaeologie.de/mat/events/hmaier.html

Siehe auch
http://archiv.twoday.net/stories/3560241/
 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma