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Winfried Klein, Die Domänenfrage im deutschen Verfassungsrecht des 19.
Jahrhunderts (= Schriften zur Verfassungsgeschichte Bd. 78). Berlin:
Duncker & Humblot 2007. 242 S., Brosch. EUR 69,80

Rezension erschienen in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 155 (2007), S. 606-608

Selten erlebt ein Doktorand, dass seine Erstlingsarbeit politischen
Zündstoff birgt. Als im Herbst 2006 das ungeheuerliche Vorhaben der
baden-württembergischen Landesregierung, die Handschriftenschätze der
Badischen Landesbibliothek zur Finanzierung einer Vereinbarung mit dem
Haus Baden zu verwenden, Handschriftenforscher und Öffentlichkeit weit
über Baden hinaus empörte, meldete sich in der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung nicht nur der Doktorvater des Autors, der Heidelberger Jurist
und Kulturgut-Spezialist Reinhard Mußgnug, zu Wort (am 29. September
2006). Auch Klein selbst durfte dort am 5. Oktober 2006 darlegen, wie
haltlos die Ansprüche der ehemals regierenden Dynastie sind. Ein
Auszug aus seiner Dissertation liegt dem Aufsatz „Eigentum und
Herrschaft. Grundfragen zum Rechtsstatus der Handschriften der
Badischen Landesbibliothek" in dem von Peter Michael Ehrle und Ute
Obhof herausgegebenen Sammelband „Die Handschriftensammlung der
Badischen Landesbibliothek" (Gernsbach 2007, S. 127-144) zugrunde. Die
potentielle Brisanz der Studien Kleins war den nach wie vor
unbeschränkt Verfügungsberechtigten über das im Generallandesarchiv
verwahrte Badische Familienarchiv klar: Sie verweigerten ihm,
ungewöhnlich genug, die Benutzungserlaubnis!

Über die Domänenfrage hat man im 19. Jahrhundert viel Tinte vergossen.
Selbstverständlich standen sich bei dem Verfassungskonflikt um die
Frage, wem das in den Domänen organisierte Eigentum gehöre, keine
gleichberechtigten Parteien gegenüber. Die Monarchen konnten zwar
nicht alle, aber doch viele Spielregeln diktieren. Begleitet wurde das
machtpolitische Ringen um die Zuweisung der Domänenerträge und die
Reichweite des ständischen Budgetrechts von der staatstheoretischen
Reflexion über den Staat als Rechtspersönlichkeit. Klein skizziert
zunächst in straffer und prägnanter Darstellung die Problemlage, um
sich im umfangreichen Mittelteil seiner Untersuchung drei Fallstudien
zuzuwenden, die auch auf der Grundlage archivalischer Quellen
erarbeitet wurden. Außer dem Großherzogtum Baden werden das
Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach und das Herzogtum
Sachsen-Meiningen in den Blick genommen.

Dem Großherzogtum Baden widmen sich die Seiten 81 bis 114. Im
Mittelpunkt steht die Genese der Regelung in § 59 der
Verfassungsurkunde von 1818, wonach die Domänen „unstreitiges
Patrimonialeigentum des Regenten und seiner Familie" seien (S. 93).
Klein konnte sich auf Weechs „Geschichte der Badischen Verfassung" von
1868 stützen, hat aber auch Archivalien aus dem Bestand 48 und dem
Nachlass von Carl Friedrich Nebenius ergänzend herangezogen. Der
Großherzog Carl vermochte sich mit seiner Forderung, dass die Domänen
als „Familien-Privat-Gut" angesehen werden sollten (S. 95), nicht
durchzusetzen. Als was sie denn dann gelten sollten, darüber haben
sich die badischen Juristen des 19. Jahrhunderts immer wieder
gestritten. Neben der Frage des Domäneneigentums erörtert Klein auch
die badische Haushaltsverfassung, wobei ihm vor allem die gedruckten
Verhandlungen der Ständeversammlungen als Quelle dienen (S. 102-110).
Vergleichsweise kurz wird auf die Revolution von 1918 und die
anschließende Vermögensauseinandersetzung eingegangen (S. 110-112).

Kleins klar und schlüssig argumentierende Studie ist ein wertvoller
Beitrag zu einem wichtigen verfassungs- und rechtshistorischen Thema.
Kritische Punkte fallen kaum ins Gewicht. Eine lückenlose und
erschöpfende Heranziehung aller relevanten Literatur wird man bei
einem in den letzten Jahren kaum behandelten Sujet nicht erwarten
dürfen. So vermisst man etwa Otmar Jung: Die Fundierung der sozialen
Republik mißlingt. Das Exempel des Streits um das Kammergut zwischen
dem Freistaat Braunschweig und dem ehemaligen Herzog (von der
Novemberrevolution bis zur Volksbewegung zur Fürstenenteignung 1926),
in: Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte 78 (1997), S.
189-225, der S. 218 auf das Urteil des Reichsgerichts vom 27. Mai 1932
(RGZ 136, S. 211 ff.) hinweist, in dem klar ausgesprochen wurde, dass
„nach gemeinem deutschen Privatfürstenrecht [...] das Domänenvermögen
(Kammergut) im Unterschied von den ein reines Privateigentum
darstellenden Schatull- oder Kabinettsgütern schon zur Zeit des alten
Deutschen Reichs den landesfürstlichen Familien nur als Zubehör der
Landeshoheit" gehörte, „so daß es ihnen im Zweifel nur so lange
zustand, als sie die Herrschaft im Staat innehatten" (S. 222).

Dass Klein korrekt mit dem Aufsatz von Hannelore Schneider, die 1993
in der Festschrift für Hans Eberhardt den Meininger Domänenstreit
dargestellt hatte, umgeht, wird man bezweifeln dürfen. Man erwartet
ihn eigentlich bei den vereinzelten Untersuchungen zur Domänenfrage,
die S. 17 aufgelistet werden. Der Meininger Abschnitt beginnt auf S.
149, doch die erste Fußnote, die Schneider zitiert, steht erst auf S.
176. „Unklar und mehrdeutig" findet Klein S. 169 einen Gesetzentwurf
von 1848, „unklar und mehrdeutig" fand ihn aber bereits Schneider (S.
434). Wer wie Klein Pionierarbeit auf selten beackertem Feld leistet,
hätte die Souveränität aufbringen müssen, der von historischer Seite
vorgelegten Vorarbeit mit mehr Respekt zu begegnen.

Leider ist das Register viel zu lückenhaft. In ihm fehlt
beispielsweise der Nationalökonom Johann von Helferich (1817-1897),
der im Literaturverzeichnis unidentifiziert als N.N. Helferich
auftaucht. Die drei Sätze, die Klein dem heute noch beeindruckenden
Aufsatz Helferichs S. 97 widmet, werden diesem beileibe nicht gerecht.

Auf die Problematik der Sammlungen und des im großherzoglichen
Hausfideikommiss vereinigten Mobiliarvermögens geht Klein nicht ein.
Ergänzend sei auf diverse Einträge des Weblogs ARCHIVALIA
(https://archiv.twoday.net) und die Ausführungen von Karl von Salza und
Lichtenau, Die Lehre von Familien, Stamm- und
Geschlechts-Fideicommissen, nach den Grundsätzen des gemeinen
deutschen Privatrechts und mit Rücksicht auf die Abweichungen der
einzelnen Particularrechte, Leipzig 1838, S. 22 ff. aufmerksam
gemacht. Die beim Wechsel der Dynastie beim Lande bleibenden
Kronfideikommisse haben die gleiche Mittellage zwischen Staat und
Dynastie wie das Domänenvermögen. Bleibt zu hoffen, dass im Zuge der
Auseinandersetzung mit den Ansprüchen des Hauses Baden auch für das
Familienarchiv im Generallandesarchiv eine Lösung gefunden wird, die
es jedem Wissenschaftler ermöglicht, dem bislang unerforschten
Fideikommissvermögen und den hausgesetzlichen Normen der Markgrafen
und Großherzöge von Baden nachzuspüren.

Klaus Graf
 

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