Zeitgewinn im Streit um das "Mittelalterliche Hausbuch": Der Käufer gibt das Kulturgut vorerst an das Fürstenhaus Waldburg-Wolfegg zurück (Südwestpresse, 23.02.2008, Roland Muschel)
Kurz vor Ende der für gestern Nacht gesetzten Frist hat sich die Fürstenfamilie zu Waldburg-Wolfegg über ihre Anwälte beim Wissenschaftsministerium gemeldet - mit einer Erklärung, die den Streit um die Rechtmäßigkeit des Verkaufs des wertvollen "Mittelalterlichen Hausbuchs" von 1480 erst einmal entspannt: Danach gibt der Erwerber - eine Name wird nicht genannt, es soll sich dabei aber um den Münchner Milliardär August von Finck handeln - das Kulturgut an die Familie Waldburg-Wolfegg zurück, bis zur Klärung der Rechtsfragen. Damit ist der Streit erst einmal vertagt, vor allem muss er nicht vor Gericht ausgefochten werden.
"Ich halte das für einen vernünftigen Schritt", sagte Wissenschaftsminister Peter Frankenberg (CDU) am Abend der SÜDWEST PRESSE. "Jetzt können wir die strittigen Punkte in Ruhe klären."
Die Landesregierung hatte den vom Kunsthändler Christoph Graf Douglas eingefädelten Verkauf des kulturhistorisch wertvollen Hausbuchs, für das 20 Millionen Euro geflossen sein sollen, für unwirksam erklärt, da sich das Adelshaus dafür keine Genehmigung vom Regierungspräsidium Tübingen eingeholt hatte. Bis gestern Mitternacht hatte Frankenberg Aufklärung über den Verbleib des Werks verlangt, das auf der Liste der nationalen Kulturgüter unter der Nummer 01404 eingetragen ist. Wäre es im Ausland gelandet, hätte die Regierung am Montag die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Denn ein nicht genehmigter Verkauf eines auf der Liste des nationalen Kulturguts stehenden Gegenstands steht unter Strafe. Darauf wollten es Erwerber und Verkäufer offenbar nicht anlegen.
Trotzdem haben Regierung und Adelshaus weiterhin unterschiedliche Rechtsauffassungen. Nach Meinung der Ministerien darf das Fürstenhaus das reich illustrierte Hausbuch auch im Inland nur mit Zustimmung des Regierungspräsidiums Tübingen verkaufen. Die Anwälte der Familie Waldburg-Wolfegg indes bezweifeln sowohl das Veto- als auch das Vorkaufsrecht des Landes, das das Oberlandesgericht Stuttgart 1956 in einem Beschluss festgeschrieben hat. In diesen Fragen, kündigten Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium gestern an, werde man "unverzüglich" ein Gespräch mit den Beteiligten anberaumen.
Der Verkauf des Werks, das die spätmittelalterliche Lebenswelt in Texten und Zeichnungen zeigt und von Experten als "hochbedeutend" eingestuft wird, steht damit weiter im Raum. Den früher von Graf Douglas, Ex-Deutschland-Chef des Auktionshauses Sothebys, geäußerten Vorschlag, das Hausbuch gegen veräußerungsfähige Akten des Landes zu tauschen, hatte das Wissenschaftsministerium abgelehnt. Bei den kolportierten 20 Millionen Euro für den Erwerb des Hausbuchs dürfte es dem Land jedoch schwer fallen, sein Vorkaufsrecht in Anspruch zu nehmen. Dass der Kulturgüter-Streit mit dem Haus Baden ebenfalls noch nicht endgültig geklärt ist, macht eine Lösung politisch nicht einfacher.
Die Süddeutsche Zeitung (Verkauft? Verworren: Die Hausbuch-Affäre in Baden-Württemberg, SZ 23.02.2008, Nr. 46, S. 13) schreibt:
"Der Verkauf war physisch offenbar vollzogen, ein Eintrag in die Kulturgüterliste des Freistaates stand bevor."Rainer Ruf (Stuttgarter Zeitung, 23.02.2008, Nr. 46, S. 8) schreibt unter der Überschrift "Der Streit ums Hausbuch ist nicht zu Ende":
Allerdings wird der Streit um das auf 20 Millionen Euro taxierte Hausbuch nach der Rückkehr nach Wolfegg kein Ende finden. In dem Anwaltsschreiben wird die denkmalschutzrechtliche Aufsicht des Landes über das Hausbuch in Frage gestellt. Diese Aufsicht leitet sich aus einem Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart aus dem Jahr 1956 ab, in welchem dem Land auch ein Vorkaufsrecht eingeräumt wird.Auch der SWR bekundet "Freude über Rückkehr von kostbarem Hausbuch". Zitiert wird auch Ehrle. Der Leiter der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe, Peter Michael Ehrle, hält den privaten Verkauf von landesgeschichtlich bedeutenden Kulturgütern für grundsätzlich bedenklich. Nach seiner Ansicht müssten wesentlich mehr herausragende Kunstwerke auf die nationale Kulturgutliste gesetzt werden, als dies bisher der Fall ist. Zwar könne nicht jedes Kulturgut auf der Schutzliste stehen, es müsse aber ein Weg gefunden werden, um zumindest den Privatverkauf von wirklichen Raritäten wie das Hausbuch außer Landes zu verhindern. "Wer ohne Befreiung von gesetzlichen Auflagen wichtige Kulturgüter privat verkauft, handelt falsch", betonte Ehrle.
Das Mittelalterliche Hausbuch war Bestandteil des früheren Familienfideikommisses des Hauses Waldburg-Wolfegg. Dabei handelt es sich um eine Verfügungsbeschränkung über Teile des Familieneigentums. Mit dem OLG-Beschluss wurde die Verfügungsbeschränkung durch eine öffentlich-rechtliche Aufsicht abgelöst. Danach bedarf der Verkauf des Buches der staatlichen Zustimmung. Die Mitteilung der Anwälte ist ein klares Anzeichen dafür, dass die Adelsfamilie diese Fessel abstreifen will.
vgl. auch die Pressemitteilung
"Wissenschaftsministerium und Wirtschaftsministerium zum Mittelalterlichen Hausbuch: Hausbuch kehrt zurück nach Baden-Württemberg" des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst vom 23.02.2008.
Im Streit um den Verkauf des Mittelalterlichen Hausbuchs haben sich weder das Land noch das Haus Wolfegg mit Ruhm bekleckert
Das Rätselraten über den Verbleib des Mittelalterlichen Hausbuchs aus Schloss Wolfegg hat gestern ein Ende genommen. Das Buch kehrt vorerst zurück nach Oberschwaben, doch der Streit dauert an.
Von Reiner Ruf
Im Mai 2006 wendet sich der Kunsthändler Christoph Graf Douglas an den Ministerpräsidenten Günther Oettinger wegen des Verkaufs des kostbaren Mittelalterlichen Handbuchs aus dem Besitz der oberschwäbischen Adelsfamilie Waldburg-Wolfegg. Der Wert des Buchs wird auf 20 Millionen Euro taxiert. Oettinger verweist Graf Douglas an das Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Der Ministerpräsident erinnert sich später an das Gespräch mit den Worten, Graf Douglas komme "alle paar Jahre, um für ein Adelshaus zu verhandeln".
Der Kunsthändler Douglas bleibt hartnäckig und schlägt der Landesregierung ein Tauschgeschäft vor: das Adelshaus Waldburg-Wolfegg überlässt das Hausbuch dem Land, wenn dieses im Gegenzug aus eigenen Beständen Kulturgüter herausrückt, welche das Adelshaus auf dem Kunstmarkt verkaufen kann, ohne wie im Fall des Hausbuchs auf rechtliche Beschränkungen Rücksicht nehmen zu müssen, die aus dem staatlichen Kulturgüterschutz resultieren.
Staatssekretär Dietrich Birk (CDU) aus dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst lehnt das Tauschgeschäft im August 2006 in einem Brief an Douglas ab. Dabei erinnert er den Kunsthändler daran, dass das Hausbuch einer zweifachen Verfügungsbeschränkung unterliegt; nach dem Kulturgüterschutzgesetz des Bundes ist ein Verkauf im Inland meldepflichtig. Eine Veräußerung ins Ausland bedarf demnach ausdrücklich einer staatlichen Genehmigung. Unabhängig davon unterliegt das Hausbuch nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart aus dem Jahr 1956 der Aufsicht des Regierungspräsidiums Tübingen. In dem Beschluss heißt es unter Ziffer vier: "Rechtliche Verfügungen über die genannten Werke sind ohne Zustimmung des Staatlichen Amtes für Denkmalpflege in Tübingen unwirksam."
Woher aber kommt diese Auflage? Das Hausbuch gehörte zum Fideikommiss des Hauses Waldburg-Wolfegg. Dabei handelte es sich um jenen Teil des Familieneigentums, der nicht verkauft oder auf andere Weise geschmälert werden durfte, sondern geschlossen von Generation zu Generation weitervererbt wurde. Diese Nutzungsbeschränkung wurde nach der Auflösung der Adelsfideikommisse durch eine öffentlich-rechtliche Verfügungskontrolle abgelöst. Damit ist jeglicher Verkauf des Buches genehmigungspflichtig. Außerdem besitzt das Land ein Vorkaufsrecht, das es innerhalb eines Monats geltend machen kann, sobald das Adelshaus einen Kaufvertrag mit einem Dritten vorlegt.
Im August 2007 informiert Fürst Johannes zu Waldburg-Wolfegg den Amtschef des Stuttgarter Wirtschaftsministeriums, Hans Freudenberg, in einem Schreiben, dass er das Buch an eine Privatperson mit Wohnsitz in Bayern veräußert habe. Er nennt weder den Namen des Käufers noch teilt er mit, wo sich das Buch befindet. Auch legt er keinen Kaufvertrag vor, was er tun müsste, um das Land in die Lage zu versetzen, gegebenenfalls sein Vorkaufsrecht auszuüben. Das Schreiben des Adligen bleibt allerdings drei Monate im Wirtschaftsministerium liegen, obgleich die Ministerialbürokratie nach dem im Jahr 2006 geplatzten Verkauf mittelalterlicher badischer Handschriften um die Brisanz eines solchen Geschäfts wissen müsste. Im Oktober 2007 erhält auch das Ministerium für Wissenschaft und Kunst von dem Verkauf des Hausbuchs Kenntnis - allerdings durch den Hinweis einer Privatperson.
Am 21. November 2007 wendet sich dann erstmals das Regierungspräsidium Tübingen an die Waldburg-Wolfegg"sche Hauptverwaltung mit der Bitte um Informationen über den Verbleib des Hausbuchs. Zugleich macht die Behörde darauf aufmerksam, dass ein heimlicher Verkauf unwirksam sei. Für ein Gespräch stehe man zur Verfügung. Am 2. Januar 2008 weist das Regierungspräsidium erneut auf die fideikommissrechtliche Verfügungsbeschränkung hin und bittet das Adelshaus, doch endlich zu antworten.
Am 15. Januar bezeichnet Graf Douglas gegenüber Wirtschaftsminister Ernst Pfister (FDP) den in München gebürtigen Unternehmer August von Finck als Käufer des Buchs. Finck ist Erbe des privaten Bankhauses, das er 1990 an die britische Barclays Bank verkaufte. Der mehrfache Milliardär investierte danach in andere Geschäftsfelder, die er unter anderem von Schloss Weinfelden im Schweizer Kanton Thurgau aus leitet.
Am 7. Februar schreibt Pfister an Graf Douglas und bittet diesen um weitere Aufklärung. Zugleich setzt Pfister eine erste Frist bis 15. Februar. Vor Fristablauf meldet sich Fürst Waldburg-Wolfegg telefonisch beim Amtschef des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, Klaus Tappeser. Im Ministerium heißt es danach, der Adlige habe angegeben, mit den Rechtsverpflichtungen, die sich aus dem Verkauf ergäben, nicht vertraut zu sein. Dafür findet er in der Landesregierung kein Verständnis, hatte das Adelshaus doch wenige Jahre zuvor die sogenannte Waldseemüllersche Weltkarte mit Genehmigung der Bundesregierung nach Washington verkauft. Diese Karte unterlag denselben Verfügungsbeschränkungen wie das Hausbuch; es wird ebenfalls in dem OLG-Beschluss aus dem Jahr 1956 genannt. Der Verkauf des Hausbuchs ist also weder für die Landesregierung noch für das Adelshaus eine Premiere.
In der Regierung heißt es nach dem Anruf von Fürst Waldburg-Wolfegg, man fühle sich an der Nase herumgeführt. Das Adelshaus versuche, "die Regeln trickreich zu umgehen". "Jetzt aber", sagt ein Regierungsmitglied, "sind wir aufgewacht." Außerdem wird darauf hingewiesen, dass ein nicht genehmigter Verkauf ins Ausland Strafverfolgung nach sich ziehe. Bei einem Verkauf ins Inland, der entgegen den Bestimmungen des Kulturgüterschutzgesetzes nicht gemeldet wird, liege eine Ordnungswidrigkeit vor. Nach Auskunft des Regierungspräsidiums Tübingen kann in solchen Fällen ein Zwangsgeld von bis zu 25 000 Euro eingetrieben werden.
Das Adelshaus macht geltend, die bayerische Regierung über den Verkauf informiert zu haben. Aus der Stuttgarter Regierung verlautet, es gebe "in Bayern keinen offiziellen Vorgang, der uns mitgeteilt wurde". Der namhaft gemachte Beamte im Münchner Wissenschaftsressort berichte lediglich von "abstrakten Gesprächen". Außerdem handle es sich bei der Meldepflicht um eine Bringschuld des Verkäufers. Im Fall einer Veräußerung müsse das Hausbuch auf der Liste der nationalen Kulturgüter in der Abteilung Baden-Württemberg ausgetragen werden, um anschließend in der bayerischen Sektion der Liste verzeichnet zu werden. Dem Adelshaus wird eine Nachfrist bis 22. Februar gesetzt - Regierungsmitglieder sprechen von einem Ultimatum. Kurz vor Ablauf der Frist melden sich die Anwälte der Familie Waldburg-Wolfegg - und stellen die denkmalschutzrechtliche Aufsicht des Landes in Frage.
In einem Stichwort "Prachthandschrift" geht die StZ kurz auf Inhalt und Entstehungsgeschichte ein.
Das Mittelalterliche Hausbuch taucht erstmals im Jahr 1677 im Inventar der waldburg-wolfeggschen Fideikommissbibliothek auf, die auf Graf Max Willibald zurückgeht. 330 Jahre befand sich das Buch im Besitz des Adelshauses, bis es Fürst Johannes von Walburg-Wolfegg im vergangenen Juli verkaufte - nach allem, was man bisher weiß, an den Unternehmer August von Finck.
Entstanden ist die Handschrift um das Jahr 1480, wahrscheinlich im Auftrag eines reichen Stadtbürgers. Es verdankt sich "jenen patrizischen Kreisen, die sich unternehmerisch betätigten und im Berg-, Hütten-, Münz- und Kriegswesen engagiert waren", schreibt Gundolf Keil in dem einschlägigen Artikel im Verfasserlexikon "Die deutsche Literatur des Mittelalters".
Das Hausbuch vereinigt einen bunten Themenstrauß, der die spätmittelalterliche Lebenswelt in Texten und vor allem wunderschönen, zum Teil kolorierten Zeichnungen zeigt. Die Darstellungen reichen vom Wappen des unbekannten Auftraggebers über ritterliche Turnierszenen und kriegstechnische Zeichnungen bis zur Bildbeschreibung der Bergwerkstechnik. (...)
Die Texte widmen sich der Kupferverhüttung, der Gedächtniskunst und vielen anderen Bereichen des spätmittelalterlichen Lebens bis hin zur medizinischen Behandlung von Verstopfung. (...)
Eine Faksimile-Ausgabe des Handbuchs kann im Handschriftenlesesaal der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart eingesehen werden. Dazu gibt es auch einen Begleitband, in dessen Vorwort Johannes Erbgraf zu Waldburg-Wolfegg schreibt: "Das Mittelalterliche Hausbuch ist seit dem 17. Jahrhundert ein wohlgehüteter Schatz in Wolfegg."
Der Historiker Casimir Bumiller porträtiert in einem ausführlichen Aufsatz das von der historischen Forschung bisher "eher stiefmütterlich behandelte" oberschwäbische Adelsgeschlecht des Hauses Waldburg-Wolfegg, das "eher zu den Stillen im Land" gehöre.
(...) Das Haus Wolfegg geht zurück auf eine welfisch-staufische Ministerialenfamilie, deren Stammsitz die im 12. Jahrhundert erbaute Waldburg war. Im Jahr 1200 erwarb das Geschlecht Wolfegg, 1306 Trauchburg und 1337 Zeil, um nur seine späteren Hauptsitze zu nennen. 1429 fand eine Teilung in drei Linien statt, von denen nur die Georgische bis heute lebt. Die reichsgeschichtlich bekannteste Gestalt dieser Linie war Georg III. Truchsess von Waldburg (1488-1531), der durch die Niederschlagung des Bauernkriegs von 1525 als "Bauernjörg" in die Geschichte eingegangen ist. Die Georgische Linie teilte sich 1595 in die Häuser Waldburg-Zeil und Waldburg-Wolfegg. 1628 wurde das Haus in den Grafenstand erhoben.
In Max Willibald von Waldburg-Wolfegg (1604-1667) tritt uns jener kaiserliche Generalfeldmarschall-Leutnant und (seit 1650) kurbayerische Statthalter der Oberpfalz entgegen, der zum Begründer der Wolfegger Kunstsammlungen geworden ist. Der Diplomat betätigte sich seit 1644 als kunstsinniger Sammler grafischer Kostbarkeiten, die bis heute in dem von seinem Vater Heinrich 1580 errichteten Renaissanceschloss Wolfegg verwahrt werden. Graf Max Willibald erklärte in seinem Testament von 1667 seine Bücher, Kupferstiche und Zeichnungen zum unveräußerlichen Fideikommissbestand, der geschlossen vererbt werden sollte.
Schon in den Wirren der napoleonischen Zeit ließen sich die drei Linien des Hauses Waldburg 1803 mit großem finanziellem Aufwand in den Reichsfürstenstand erheben. Sie hofften mit dieser Rangerhöhung der napoleonischen Flurbereinigung zu entgehen - vergebens, denn im Jahr 1806 fielen die Territorien des Hauses an Württemberg. Während sich Fürst Max Wunibald von der Zeiler Linie politisch massiv gegen den Untergang seines souveränen Hauses wehrte, herrschte bei den Wolfeggern eine resignierte Zurückhaltung. Friedrich Fürst zu Waldburg-Wolfegg (1808-1871) tat sich als Förderer des oberschwäbischen Schützenwesens hervor. Sein Enkel Maximilian (1863-1950) betätigte sich als Präsident des Württembergischen Pferdezuchtvereins. Beim Katholikentag in Ulm 1901 ließ er sich als "Wahrer der katholischen Zusammengehörigkeit" vernehmen, der seinen konservativen Katholizismus gegen die "destruktive Strömung der Jetztzeit" setzte.
Bumiller konstatiert, die Hinwendung des Hauses Waldburg zum strengen katholischen Glauben oberschwäbischer Couleur im 19. und 20. Jahrhundert sei der Grund, weshalb der oberschwäbische Adel bis heute eine Art paternaler "Herrschaft" oder zumindest Meinungsführerschaft ausüben kann. Der Verlust feudaler Herrschaftsrechte wurde durch Großgrundbesitz und finanzielle Entschädigungen kompensiert. Friedrich Fürst zu Waldburg-Wolfegg hatte schon 1847 erkannt, dass künftig nur "Adel mit Grundbesitz und Capitalvermögen mächtig seyn" werde. Für die "Bauernbefreiung", also die Ablösung der alten bäuerlichen Abgaben und Zehnten ab etwa 1830 wurde beispielsweise der Fürst von Waldburg-Wolfegg mit 712 000 Gulden entschädigt, die zum Teil in neuen Grundbesitz flossen., schreibt Bumiller. Bumiller analysiert nüchtern, dass heute neben Land- und Forstwirtschaft, Industriebeteiligungen und Immobiliengeschäften auch der Kunstbesitz des Adels einen Teil seiner Portfoliostruktur bilde, womit der Adel letztlich in der bürgerlichen Gesellschaft angekommen sei. Um die Dächer der gewaltigen Schlossanlagen zu sanieren, werde dann eben auch schon mal ein millionenteures Kunstobjekt entgegen dem Auftrag der Ahnen zur Disposition gestellt. Die bürgerliche Kritik an der "Ausverkaufstendenz" des Adels sei daher nicht ganz frei von Widersprüchen und Scheinheiligkeit.
Die heutigen Konflikte auf dem Feld des Umgang mit adligem Kulturgut resultierten wesentlich daher, dass der Staat 1806 und 1918, aber auch zu anderen Zeitpunkten versäumt habe, klare Regelung über das nationale Interesse an den privaten Kunstsammlungen des Adels zu formulieren. Daraus resultierten die geradezu grotesken Verrenkungen unserer Landesregierung in den Verhandlungen mit dem Haus Baden, die der Beobachter als kulturpolitische Bankrotterklärung wahrnehmen müsse.
Im Falle des mittelalterlichen Hausbuches aus Wolfegg scheine die Sache aber klarer zu liegen, der Verkauf dürfte nicht rechtmäßig gewesen sein. Bumiller zieht als Fazit:
Der ideale Eigentümer dieses Buches ist das Land Baden-Württemberg. Das Land muss in diesem Sinne auf den Fürsten zugehen, und alle Historiker, Kulturschaffenden und kulturell Interessierten sind aufgefordert, mit öffentlichem Druck auf diese Lösung hinzuwirken.("Das oberschwäbische Adelsgeschlecht gehört eher zu den Stillen im Land" / Von Casimir Bumiller, StZ 22.02.2008, Nr. 45, S. 6, Volltext online)
Christoph Graf Douglas äußerte sich in der gleichen Ausgabe der StZ erstmals im Gespräch mit Wolfgang Messner zur Hausbuchaffäre. Zu den Hintergründen der Veräußerung erfährt man dabei aber kaum etwas.
Graf Douglas gibt zu Protokoll, er finde es lächerlich, dass man ihn angreife, er würde die Kunst durch Verkauf verinternationalisieren. Wenn man die Hintergründe kenne, wisse man, wie sehr er sich stets bemüht habe, die Kunst im Land zu behalten. Er habe "furchtbar darum gekämpft, dass die Handschriften und die Graue Passion von Holbein dem Älteren der Fürstenbergischen Sammlung vom Land gekauft werden. Bei der Bibliothek ist es mir leider nicht gelungen."
Auf die Frage "Was waren die Gründe, warum das Land beim Hausbuch nicht zugegriffen hat?" antwortet Graf Douglas:
"Möglicherweise ein Mangel an Emotion und Leidenschaft. Für die Kunst und die Natur braucht man beides. Der jetzige Käufer hat für seine Entscheidung ungefähr vier Minuten gebraucht."
Messner versäumt es leider, Graf Douglas nach seinen Motiven für das skandalöse Tauschgeschäft zu fragen, dass er der Landesregierung vorgeschlagen hatte: Hausbuch gegen Handschriften aus den Beständen der Württembergischen Landesbibliothek, die das Adelshaus auf dem Kunstmarkt verkaufen könnte, ohne wie im Fall des Hausbuchs auf rechtliche Beschränkungen Rücksicht nehmen zu müssen, die aus dem staatlichen Kulturgüterschutz resultieren. Gerne würde man auch wissen, auf welche Handschriften der WLB der Kunsthändler eigentlich sein Auge geworfen hatte.
Den MP Oettinger, der sinngemäß gesagt haben soll, er käme alle paar Jahre angedackelt und wolle ihm irgendetwas vom Hochadel andrehen, bescheidet er kühl,
"Gut, wenn er es so will, dann komme ich eben nicht mehr. Ich verhandle ja nicht nur mit dem Ministerpräsidenten Oettinger. Wenn mir jemand etwas zu veräußern gibt, und das Objekt hat in irgendeiner Form mit der betreffenden Landesgeschichte zu tun, dann ist es meine Aufgabe, es zuerst dem Land anzubieten. Wenn ich Ministerpräsident eines solchen Landes wäre, würde ich mich darüber furchtbar freuen. Denn ich würde mein ganzes Ziel daran setzen, mein Land als Kulturland zu definieren."
In dieser Beziehung sehne er sich "ein bisschen nach dem Herrn Teufel zurück", der in seiner bescheidenen Art sehr viel von der Landesgeschichte kenne. Er wisse nicht, warum das Land keine Kunst und Kulturgüter des Adels mehr erwerben wolle. Das hänge immer davon ab, wie stark sich der Kultusminister engagiere und wie sehr der Ministerpräsident interessiert sei. Er werde dem Land aber trotzdem weiter Kunstwerke anbieten, "weil ich einfach die Verpflichtung dazu habe. Ich bin dem Land und der Kunst verpflichtet, nicht so sehr der Politik."
Douglas sieht sich selbst als "fanatischen Kunstliebhaber", dass er auch als "Berater, Vermittler und Veräußerer und Käufer von Kunst" agiere, sei kein Widerspruch:
Gewisse Deutschen haben die Ansicht, man dürfe mit Kunst kein Geld verdienen. Diese Haltung kommt aus einem verklemmten Puritanismus heraus. Wir hätten gar nichts, wenn es die Vermittler und Händler nicht gäbe und ab und zu einen irren oder fanatischen König wie Ludwig I. oder Ludwig II. von Bayern oder auch in Preußen Friedrich den Großen. Der hat teilweise Unsummen für Kunst ausgegeben, und zwar über Händler, sonst hätte er sie gar nicht bekommen.
Die Badischen Kulturgüter gehören nach Douglas' Ansicht "hundertprozentig dem markgräflichen Haus".
Das ist eine Erkenntnis, die ich nach langer Beschäftigung mit dem Thema gewonnen habe. Ich habe immer gesagt, dass diese Dinge in Karlsruhe bleiben müssen. Ich habe auch darauf gedrungen, dass der Besitzstand geklärt wird. Das markgräfliche Haus hat übrigens nie behauptet, man solle diese Dinge veräußern, sondern man solle das alles in einer Stiftung zusammenfassen, in die auch Salem hineingehört.
Zur Kritik, mit seiner Berufung in die "Zähringer-Stiftung" habe man "den Bock zum Gärtner gemacht":
Ich habe stets betont, dass ich dagegen bin, dass irgendeine Handschrift, ein Buch, ein Objekt, die irgendwann einmal als Bestandteil der Zähringer-Stiftung definiert wurden, veräußert werden sollen. Alleine die Vorstellung, dass eine frühmittelalterliche Handschrift aus der Reichenau aus der badischen Landesbibliothek Karlsruhe verschwinden könnte, ist furchtbar. In bin immer noch betrübt, dass diese Handschrift überhaupt die Reichenau verlassen hat. Viele dieser wunderbaren Bücher dämmern in tiefen Kellern dahin, werden nie das Tageslicht sehen und auch von niemand betrachtet werden, außer von einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern. Eine Bibliothek aber muss atmen und leben und Bücher müssen gesehen werden.
Kommentar: Die inneren Widersprüchen im Selbstbild des Christoph Graf Douglas sind unübersehbar - auf der einen Seite der emphatische Anspruch, dem Land und der Kunst verpflichtet zu sein, auf der anderen Seite der fanatische Kunstliebhaber und -händler, der es nicht ertragen kann, dass Handschriften "in tiefen Kellern dahindämmern" und der ganz offensichtlich den Kick braucht, den die eigene Kennerschaft im nebenbei auch lukrativen und publicityträchtigen Verkehr mit einer illustren Gemeinschaft von zahlungskräftigen Kennern und Liebhabern bringt.
Die systematischen Versuche, im Tausch gegen andere Kulturgüter Objekte aus staatlichen Sammlungen dem Markt zuzuführen, im Fall des Hausbuchs wie auch im Falle der Handschriften der Badischen Landesbibliothek und die Parallelität dieser Ereignisse jedenfalls sprechen für sich. Der Kunsthändler hat sich dadurch im Land gründlich diskreditiert, auch wenn er dies bestreitet und selbst nicht wahrhaben will.
Zu Christoph Graf Douglas vgl. auch"Graf Douglas als Roßtäuscher", http://archiv.twoday.net/stories/4026791/ ,
"Graf Douglas weist Vorwürfe zurück", http://archiv.twoday.net/stories/3332005/;
weiteres unter http://archiv.twoday.net/search?q=graf+douglas
Keine Sorge, Graf Douglas dürfte genügend eigene Millionen haben, gerade weil er vermittelt. Die handelsüblichen Provisionen betragen 24%. Die Expressionisten-Sammlung des Textilindustriellen Ahlers hat er zusammen mit David Nash (New York) für 100-120 Mio. DM aber "auf Vorrat" gekauft, nicht nur vermittelt (vgl. art. Das Kunstmagazin, Heft 4/2001), die Sammlung spätmittelalterlicher Gemälde aus dem Haus Fürstenberg ging für 50 Millionen EUR an den Industriellen Reinhold Würth, der damit sein eigenes Museum bestückte (ebd., Heft 1/2005). Da bleibt genug hängen.
Und dass er "von den Kulturguthütern wirklich nicht zu fürchten sei", ist wohl ein gefährlicher Irrtum, gerade in Hinblick auf adligen Kunst- und Buchbesitz und wohl auch hinreichend durch die Fakten widerlegt, vgl. die zitierte Dokumentation von Klaus Graf, insbesondere archiv.twoday.net/stories/4026791/ und archiv.twoday.net/stories/2835338/
Die Stuttgarter Zeitung illustriert den Artikel übrigens mit einem allerliebsten Charakter-Porträt des grimmig-verschlagen dreinblickenden Graf Douglas mit Trachtenhut und Trachtenanzug vor seinem Hofgut Dauenberg bei Stockach.
Licht ins Dunkel dieser mysteriösen Hausbuch-Affaire bringt jetzt eine Enthüllung der Südwestpresse (s.o., Artikel vom 23.02.), die erfahren hat, dass es gar keine Handschriften waren, auf die der Graf sein Auge geworfen hatte. Viel schlimmer:
Den früher von Graf Douglas, Ex-Deutschland-Chef des Auktionshauses Sothebys, geäußerten Vorschlag, das Hausbuch gegen veräußerungsfähige Akten des Landes zu tauschen, hatte das Wissenschaftsministerium abgelehnt."Jetzt will er schon unsere Akten verhökern !!!" - nein, diesmal war der geschäftstüchtige Graf eindeutig zu weit gegangen, da waren sich die Beamten im Wissenschafts- und Finanzministerium ausnahmsweise einig. Zwar versuchte Justizminister Ulrich Goll im Kabinett wieder sein Bonmot von dem "alten Papier, das im Keller liegt" anzubringen, aber Wissenschaftsminister Peter Frankenberg fand das diesmal überhaupt nicht witzig ...
Graf Douglas verwahrt sich gegen die "lächerlichen Anschuldigungen"; er wirft dem Ministerium einen "Mangel an Emotion und Leidenschaft" vor:
"Viele dieser wunderbaren Akten dämmern in tiefen Kellern dahin, werden nie das Tageslicht sehen und auch von niemand betrachtet werden, außer von einer kleinen Gruppe von Archivaren. Ein Archiv aber muss atmen und leben und Akten müssen gesehen werden."Eine Stellungnahme aus der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg war bis Redaktionsschluss nicht zu erhalten.