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Seit einigen Tagen bin ich sehr aufgebracht darüber, wie Open-Access-Anhänger mit der journalistischen Enthüllung von John Bohannon in Sachen Qualitätssicherung bei Open Access umgehen. Statt die Botschaft ernst zu nehmen, prügeln sie auf den Boten ein, obwohl dieser höchst unangenehme Befunde an den Tag gebracht hat.

Siehe schon
http://archiv.twoday.net/stories/498221367/
und die Zitate auf
http://archivalia.tumblr.com/tagged/openaccess (dort auch Materialien zur Aufnahme des Bohannon-Stücks)

Ulrich Herbs Machwerk
http://www.heise.de/tp/artikel/40/40056/1.html
stößt leider in das gleiche Horn, auch wenn es erfreulicherweise einiges Material zu gravierenden Schwächen des traditionellen Publikationswesens und zu möglichen Konsequenzen aus der Causa enthält.

1. Bohannons Artikel ist (Wissenschafts)-Journalismus, kein wissenschaftlicher Artikel

Das war von Anfang an klar, er wurde in der News-Sektion publiziert und enthält (leider) keine Literaturangaben oder Nachweise.

Link zum Artikel:
http://www.sciencemag.org/content/342/6154/60.full

Trotzdem hat er wichtige Ergebnisse erbracht. Mit den Worten von Stevan Harnad, der ja in den letzten Jahren seine Stimme immer wieder gegen Gold OA erhoben hat:

"But the basic outcome is probably still solid: Fee-based Gold OA has provided an irresistible opportunity to create junk journals and dupe authors into feeding their publish-or-perish needs via pay-to-publish under the guise of fulfilling the growing clamour for OA:"
Kommentar zu
http://news.sciencemag.org/scientific-community/2013/10/live-chat-exploring-wild-west-open-access

2. Bohannon verhielt sich nicht unethisch

Wiederholt wurde ihm dieser Vorwurf gemacht bis hin zum Vorwurf, er sei ein Straftäter (criminal). Wenn ich aber eine Autowerkstatt für einen Verbrauchertest beurteile, muss ich ebenfalls mit Täuschungen arbeiten. Um Mindeststandards von Qualitätssicherung zu überprüfen, muss man zwingend mit einem Fake-Paper arbeiten.

Auch die weiteren Täuschungen (Fake-Identitäten mit afrikanischen Namen, erfundene Institutionen, künstliche Verschlechterung des Englisch) waren absolut vernünftig.

3. Das Fehlen einer Kontrollgruppe entwertet seine Ergebnisse nicht

Wenn ich einen Artikel über Tibet schreibe, habe ich nicht die Pflicht, den Rest der Welt als Kontrollgruppe einzubeziehen. Richtig ist: Bohannon hat nicht gezeigt, dass OA schlechter ist als das traditionelle Zeitschriftenwesen.

Ich denke aber persönlich schon, dass es einen OA-spezifischen Sumpf ("Wild-West", womöglich eher "Wild-Ost") gibt, zu dem es keine annähernd gleich große Entsprechungen im traditionellen Verlagswesen gibt.

Versetzen wir uns für einen Augenblick in die Lage eines unseriösen indischen Geschäftsmanns, der mit Zeitschriften das schnelle Geld machen will. Was wird er wählen? Einen traditionellen Verlag, der angesichts der Attraktivität von OA in seinem Land eher schlecht angesehen ist. Der Verlag muss Vertrauen aufbauen, sich einen Impact-Faktor erarbeiten. Die Ergebnisse sind kaum sichtbar, wieso sollten Autoren in größerem Umfang bereit sein, dafür Geld zu zahlen?

Überdies wäre ein unmittelbarer Vergleich schwierig gewesen, da traditionelle Zeitschriften sehr viel längere Zeiträume für die Bearbeitung von Einreichungen brauchen.

4. Die Konzentration auf Zeitschriften mit Artikelgebühren ist legitim

Man sollte doch wirklich nicht so tun, dass bei der (wissenschafts-)politischen Diskussion über Gold OA etwas anderes im Vordergrund stünde als das Geschäftsmodell "Autor zahlt" (richtiger: Institution zahlt). Die Flaggschiffe der OA-Bewegung (PLoS, BMC), aber auch der hochlukrative, aber dubiose Hindawi-Verlag verlangen nicht geringe Artikelgebühren.

Die in letzter Minute aus der Auswertung Bohannons ausgegliederten Journals mit "Submission fees" haben nur einen Nischencharakter.

5. Die Auswahl der Zeitschriften vermittelt einen zutreffenden Einblick in das Gesamtbild des OA-Publizierens in einem bestimmten Bereich

Da es keine Gesamtliste der OA-Zeitschriften gibt, war es aus meiner Sicht absolut vernünftig, sich für die eher guten auf das DOAJ zu stützen und für die übrigen auf Bealls List.

Noch weniger zu diskutieren ist die Ausgliederung der nicht-englischen Zeitschriften.

6. Die gesamte Korrespondenz Bohannons ist vorbildlich transparent dokumentiert.

http://scicomm.scimagdev.org/

Auch Eisen hat in der unten verlinkten Diskussion zugegeben, dass es sich um eine wertvolle Datenbasis handelt.

7. Das DOAJ ist zurecht diskreditiert

"Unfortunately, for journals on DOAJ but not on my list, the study found that 45% of them accepted the bogus paper, a poor indicator for scholarly open-access publishing overall." (Beall)

Das DOAJ ist keine wissenschaftliche Datensammlung, was man schon daran sieht, dass ohne Dokumentation - also intransparent - in der letzten Zeit über 300 Zeitschriften stillschweigend aus dem Verzeichnis entfernt wurden. Die "Annalen der chemischen Forschung" sind leider immer noch drin.

8. Bealls Liste ist ebenfalls keine wissenschaftliche Datensammlung

Mir waren bisher die Angriffe Bealls auf die OA-Anhänger 2012 entgangen:

http://www.the-scientist.com/?articles.view/articleNo/32426/title/Predatory-Publishing/

Beall diskreditiert seine im Ansatz wertvolle Recherche, durch unsachliche Angriffe gegen OA.

Es ist völlig unwissenschaftlich, eine Liste zu unterhalten, in der nicht für jedes einzelne Journal belegt wird, welche der Aufnahmekriterien erfüllt sind.

Ich habe den Eindruck, die OA-Community hat Beall die "Drecksarbeit" machen lassen, ihn dafür auch mal gelobt, aber ihn auch allein gelassen.

Es wäre dringend an der Zeit, unabhängig von Beall und dem DOAJ eine möglichst umfassende Liste mit möglichst vielen empirischen Daten zu OA-Zeitschriften zu erstellen, auf deren Grundlage eine Bewertung erfolgen könnte.

Herb hat übrigens auf meinen Gedanken einer Zertifizierung von OA-Zeitschriften hingewiesen.

9. Es sollte mehr Transparenz und mehr Open Review bei der Qualitätssicherung geben

Es gibt durchaus Zeitschriften bei denen das Offenlegen des Begutachtungsprozesses funktioniert:

http://www.nature.com/emboj/journal/v32/n19/index.html
via http://archiv.twoday.net/stories/11573817/

10. Das Scam-OA-Problem hängt wesentlich mit der ungerechten Wissensordnung in dieser einen Welt zusammen

Scam-OA ist wesentlich ein Dritte-Welt-Phänomen. So sehr es wichtig ist, die unseriösen Geschäftemacher zu bekämpfen, so sehr sollte man aber auch nicht übersehen, den Blick auf die Autoren zu richten, die in solchen Journals publizieren. Wir brauchen da erheblich mehr Empirie, etwa Umfragen. Haben sie womöglich die nicht ganz unberechtigte Furcht, dass sie als Dritte-Welt-Wissenschaftler in den westlichen Zeitschriften nicht wirklich gute Chancen haben? Wenn sie OA publizieren wollen, wieso dann nicht den leichten Weg gehen und Journals nehmen, die aus der eigenen Region stammen und keine womöglich übertriebenen Qualitätsanforderungen stellen?

11. Wir sollten als Open-Access-Advokaten aufhören, auf Bohannon herumzuhacken und stattdessen uns den unbequemen Wahrheiten stellen, die er herausgefunden hat.

Amen.

Zarathustra (Gast) meinte am 2013/10/21 10:12:
Graf'sches "Machwerk"
Schade, dass der differenzierte Beitrag eines geschätzten Kollegen einführend gleich als "Machwerk" diffamiert wird -- sonst hätte ich diesen Artikel vielleicht sogar mit Interesse zuende gelesen. So fällt das Gesagte aber direkt auf seinen Verfasser zurück: "An ihren Worten sollt ihr sie erkennen!" (Amen!) 
 

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