Allgemeines
Architekturarchive
Archivbau
Archivbibliotheken
Archive in der Zukunft
Archive von unten
Archivgeschichte
Archivpaedagogik
Archivrecht
Archivsoftware
Ausbildungsfragen
Bestandserhaltung
Bewertung
Bibliothekswesen
Bildquellen
Datenschutz
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
null

 
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/29/29637/1.html

Auszug: Trotz Beschlagnahme: Alle Rechtsfragen offen

Obwohl das bayerische Finanzministerium Urheberrechte am Völkischen Beobachter und am Angriff beansprucht, ist bisher noch nicht einmal klar, von welchen Personen diese genau stammen sollen. Dazu schweigt die Staatsregierung nicht nur gegenüber der Presse, sondern auch gegenüber dem Albertas-Verlag. Und im Gegensatz zu Adolf Hitler, der ein Haus am Obersalzberg hatte, lässt sich beim Autor und Herausgeber Joseph Goebbels kein offensichtlicher Wohnortbezug zu Bayern erkennen – womit auch offen bleibt, wie die Staatsregierung durch die Artikel 15 des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 sowie eine Direktive des alliierten Kontrollrats an seine Urheberrechte gekommen sein will. Ungeklärt ist bisher ebenfalls, ob lediglich Urheberrechte aus von Hauptbelasteten selbst verfassten Texten beansprucht werden, oder ob man der Herausgeberschaft von Joseph Goebbels eine Schöpfungshöhe zubilligen will, die bis zu 70 Jahre nach dem Tode währende Rechte generiert hat.

Dadurch, dass das Finanzministerium keine Namen nennt, lässt es offen, welche Urheberrechte von Autoren des Eher-Verlages seiner Ansicht nach bei ihm ruhen. Aus diesem Grund ist auch der verbreitete Glaube, dass der Verbotsspuk am 1. Januar 2016 ohnehin ein Ende habe, nicht unbedingt zutreffend: Geht man davon aus, dass im Jahre 1945 keiner der Autoren, der für die Publikationen schrieb, jünger als 15 war, und dass eine Lebensdauer von mehr als 110 Jahren so ungewöhnlich ist, dass sie biographisches Aufsehen erregt, so könnte das Bundesland Bayern solche Ansprüche ohne konkrete Namensnennungen noch bis ins Jahre 2110 geltend machen, bevor sie wahrscheinlich auch das letzte Gericht als "lebensfern" verwerfen müsste. Deshalb scheint es mittlerweile sogar möglich, dass das Finanzministerium dem Münchner Institut für Zeitgeschichte seine für 2016 geplante kommentierten Ausgabe von Hitlers Mein Kampf über angebliche "Ghostwriter"-Urheberrechte von Rudolf Hess und anderen später verstorbene Personen zu verbieten versucht.

In einem 12-seitigen Rechtsgutachten, das der Berliner Straf- und Urheberrechtsprofessor Bernd Heinrich für den Albertas-Verlag anfertigte und das gestern der Presse ausgehändigt wurde, werden all diese Fragen als "ungeklärt" ausgeklammert. Stattdessen konzentriert sich Heinrich auf die Zitierfreiheit für "ganze Werke" nach § 51 Satz 2 Nr. 1 des Urheberrechtsgesetzes, die auch im dem Falle greifen soll, dass die bayerische Staatsregierung tatsächlich eine lückenlose Rechtsübertragungskette nachweisen kann. Eine mögliche Schwachstelle in der urheberrechtlichen Argumentation des Verlages könnte sein, dass er sich praktisch ausschließlich auf die finanzielle Verwertungskonkurrenz konzentriert und meint, es sei "unvorstellbar", dass sich die bayerische Staatsregierung "auf die Urheberpersönlichkeitsrechte von Hitler oder Goebbels beruft […]." Genau das aber könnte die Absicht der Staatsregierung sein.

Hinsichtlich der Vorwürfe der Verbreitung von Propagandamaterial (§ 86 StGB) und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) geht Heinrich dagegen auf eine breitere Palette von Argumenten ein und macht nicht nur eine grundsätzliche Legalität "vorkonstitutioneller Schriften" geltend, sondern auch Ausnahmetatbestände wie die der Aufklärung und der Wissenschaftlichkeit. Die Vorwürfe könnten durch das 1956 erneuerte Parteiverbot nicht nur nationalsozialistische Zeitungen betreffen, sondern auch den Kämpfer (ein KPD-Organ, das der ersten Ausgabe beilag) oder das kommunistische Plakat zur Reichstagswahl am 5. März 1933, das in der aktuellen Ausgabe enthalten sein sollte. Hier wurden allerdings von der bayerischen Staatsregierung weder "geistige Eigentumsrechte" noch andere Verbotsvorbehalte geltend gemacht.


Das Agieren der bayerischen Staatsregierung ist mehr als dubios. Die Beschlagnahmungsaktion ist offenkundig völlig unverhältnismäßig. Und wer sich eines Rechts berühmt, sollte im Konfliktfall die Karten (also die Rechtsgrundlage) auf den Tisch legen.

Zum Thema hier:

http://archiv.twoday.net/search?q=zeitungszeugen
Reinhard Markner (Gast) meinte am 2009/01/30 15:15:
Schlecht beraten?
Die Argumentation Bernd Heinrichs geht am Kern der Sache bewußt vorbei. Das mag prozeßstrategisch schlau sein, aber überzeugend ist es nicht.

Mittlerweile haben die Zeitungszeugen-Herausgeber auf ihrer Website klargestellt, daß sich die Beschlagnahmungsaktion ausschließlich auf eine mutmaßliche Verletzung von § 86a StGB gründete. Das war den irreführenden Presseverlautbarungen der bayerischen Behörden nicht zu entnehmen gewesen. 
KlausGraf antwortete am 2009/01/30 15:27:
Großzitat durchaus erwägenswert
Es ist in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass auch die Mitteilung von Quellen der Presse- und Meinungsfreiheit des Art. 5 GG unterfällt. Es können also auch gegen den Willen der Rechteinhaber urheberrechtlich geschützte Werke genutzt werden, wenn ein überragendes Interesse der Öffentlichkeit besteht. Das wurde so auch vom Bundesverfassungsgericht hinsichtlich einer Entscheidung abgesegnet, die sich auf die Veröffentlichung eines von G. Gysi verfassten Anwaltschriftsatzes für den DDR-Dissidenten Havemann bezog und diese für zulässig erklärte. Soweit man nicht bei § 97 UrhG (Rechtswidrigkeit) ansetzen möchte, ist das Großzitat tatsächlich die passende Urheberrechtsschranke. Allerdings steht diese Möglichkeit der Rechtfertigung nach bisheriger Rechtsprechung zum Zitatrecht auf tönernen Füßen. Das zitierte Werk soll ja den Inhalt der Zeitungen erläutern, obwohl das Gesetz das Umgekehrte verlangt.

Dass ohne Zustimmung der Rechteinhaber mutmaßlich urhebverrechtlich NS-Schriftgut in zeitgeschichtlichen Veröffentlichungen ediert wird, ist aber absolut gang und gäbe.

Wenn man die Kommunikationsgrundrechte und die Wissenschaftsfreiheit ernstnimmt, dann muss man die rechtliche Möglichkeit vorsehen, ohne Zustimmung des Rechteinhabers (wer immer dieser ist), Dokumente zu Aufklärungszwecken kommentiert vollständig zu veröffentlichen. Von daher ist der Ansatz Heinrichs absolut nicht abwegig. 
 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma