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Rheinische Post vom 21.03.2009

Suche nach verschütteter Geschichte / von Matthias Grass
Klever Archivar half in Köln.

Dr. Andreas Berger bot sofort seine Hilfe für Köln an - und war gleich zu Beginn vor Ort. An einem Schuttberg, der so groß ist wie der Gelderner Marktplatz auf der Suche nach kleinsten Papierschnipseln des historischen Archivs, die bedeutend für die Region und für Europa sind.

Kleve. (...) Der Kreisarchivar ist wieder zurück an seinem Arbeitsplatz in Geldern. Er kommt von einem Ort, der unwirklich war, von einer Katastrophe, die historisch ist: Er half dabei, Archivalien aus dem Schutthaufen des Historischen Kölner Stadtarchivs zu retten. Der Hilferuf kam vier Tage nach dem Unglück. Andreas Berger, Leiter des Kreisarchivs, hatte schon am Mittwoch, dem Tag nach dem Unglück sofort den Kontakt nach Köln gesucht: Beim Anblick des Schuttberges im Fernsehen, der da war, wo sonst eines der wertvollsten Archive der Republik gestanden hatte, erkannte er die Katastrophe. Hier brauchte es Hilfe. Unendlich viel Hilfe. Und vor allem kompetente Soforthilfe. "Ich habe dann gleich Kontakt per Mail mit meinem Studienfreund Uli Fischer aufgenommen", sagt Berger. Dr. Ulrich Fischer ist nämlich stellvertretender Leiter des historischen Archivs der Stadt Köln. Berger kannte ihn aus Marburg vom Studium. Samstag hatten die beiden den ersten persönlichen Kontakt, Montag traf der Kreisarchivar in der Domstadt ein.

"Es war ein fürchterliches Szenario. Direkt vor Ort hat das Unglück eine ganz andere Dimensionen, als wenn man es im Fernsehen sieht. Der Schuttbereich ist in etwa so groß wie der Marktplatz in Geldern", sagt Berger. In diesem gigantischen Berg haben sich Ziegelsteine, Beton- und Deckenteile, Eisenbewehrungen und die Papiere aus dem Archiv zu einem Ganzen vermengt. "Manchmal fischt man einen ganzen Karton aus dem Schutt, manchmal aber auch nur Schnipsel", sagt Berger. Die wertvollen Papiere wurden, typisch für deutsche Archive, in Pappkartons verwahrt, die in Eisenregalen standen.

Als Berger in Köln am Unglücksort eintraf, war der vermisste zweite junge Mann noch nicht gefunden - auf ihn konzentrierte sich die Suche. Die Feuerwehr arbeitete mit schwerem Gerät an der Unfallstelle, baggerte Schutt und Archivteile in extra dafür vorgesehene Container, die dann durchgearbeitet wurden. Berger durfte natürlich nicht hinunter in die Grube. "Dort ließ uns die Feuerwehr nicht hin", sagt er. Es schwingt sogar ein bisschen Bedauern mit, als er das erzählt. Denn die Aufgabe, eines der wichtigsten Archive Deutschland zu retten, ist historisch wie das Unglück selbst. Der zuerst grob durchgeschaute Schutt kam dann noch einmal in eine Halle und wurde wieder sortiert. Viele trugen Mundschutz gegen den feuchten Mörtelstaub, der sich auf alles legte und fein schimmernd in der Luft stand. "Hier wurde dann noch einmal intensiv nach Papier gesucht", sagt Berger. Die Helfer konnten oft auf den ersten Blick nicht sofort ausmachen, was man denn dort zwischen den Händen hält. Ist es 13. oder 19. Jahrhundert? Da kamen dem Mann aus dem Kreis Kleve Verwaltungsakten aus den 50er und 60er Jahren und gleich darauf ein Dokument aus dem 14. Jahrhundert in die Hand. "Man wird wohl erst in sechs bis zehn Jahren wissen, was man wirklich alles verloren hat", bedauert der 38-Jährige. Das sei besonders schlimm, weil es nur in Nürnberg, Lübeck und Köln solch komplette Überlieferungen über die Jahrhunderte gab. "Köln war besonders wichtig - denn als reiche Stadt war sie nicht nur für die ganze Region, sondern bis weit nach Europa hinein bedeutend", sinniert Berger.

Problematisch wird es, wenn die Papiere nass werden: "Dann wird es sehr schwer, das zu trennen." Er geht nicht davon aus, dass die Bergungs-Arbeiten in diesem Jahr abgeschlossen werden können. Doch nicht nur die acht Stunden-Schichten am Schuttberg selbst waren für ihn wichtig. Anschließend saß man in kleiner Runde zusammen und diskutierte weitere Probleme: Wie sortier’ ich das Ganze, damit man es später wiederfindet, wie sollen die Kisten organisiert und untergebracht werden, die man ’rausholt, wie wird das ganze mit der nötigen Software erfasst und gelistet? Dann dauerten die Arbeitstage locker zwölf Stunden, saß man auch nach 22 Uhr noch an dem einen oder anderen Thema.

"Dieses Feedback der Tage hat unheimlich viel gebracht. Das war vielleicht sogar die wichtigste Arbeit", erinnert sich Berger. Mit dabei auch ein Kollege vom LWL-Archivamt für Westfalen in Münster. Die Hilfsangebote waren enorm, die eingingen: "Ich habe dort eine Studentengruppe einer Hochschule aus Bern getroffen: 20 bis 25 Studenten mit ihrem Professor. Von fast allen Archiven in Deutschland kamen Angebote", sagt er. Inzwischen wurde die Arbeit an der Unglückstelle umgestellt. "Man arbeitet jetzt von Montag bis Freitag von sieben bis 19 Uhr und ist inzwischen soweit, dass auch ungelernte Helfer mit anpacken können."

Für die nahe Zukunft werden weitere Archivarinnen und Archivare abschnittsweise in Köln arbeiten müssen. Es sei wichtig gewesen, dass eben nicht alle gleich am Anfang da waren, sondern dass kontinuierlich mit vielen Fachleuten daran gearbeitet werden kann, sagt Berger. Und was sagte der Arbeitgeber? "Kein Problem - auch für den Kreis war klar, dass dies eine ganz wichtige Hilfe ist, die vorgeht", sagt Andreas Berger.
 

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