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Im Handschriftencensus - http://www.handschriftencensus.de/3625 - liest man:

"Klaus Graf äußerte 2009 angesichts der im Oberdeutschen ungewöhnlichen Namensform Ian die Vermutung, es könne sich um den in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts tätigen Münchner Maler Meister Jan handeln". Das bezieht sich auf einen Archivalia-Beitrag vom 29. März 2009, in dem es nur hieß:

"Cologny, Fondation Martin Bodmer, Cod. Bodmer 117
Bayern, 2. Viertel 15. Jahrhundert
Nibelungenlied, Maihinger Handschrift
http://www.handschriftencensus.de/3625
Zur Einordnung des Prologs siehe meinen Vortrag
http://www.aedph.uni-bayreuth.de/2004/0198.html
http://www.aedph-old.uni-bayreuth.de/2004/0198.html
Bl. 260r wird der Besitzer der Handschrift genannt: "Disez buch ist meist(er) ian". Schreibsprache ist nach Becker mittelbairisch. Nun ist die Namensform Ian (für Johann) im Oberdeutschen alles andere als üblich, weshalb ich mich berechtigt sehe, den aus den Niederlanden stammenden Münchner Maler Meister Jan, der in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts tätig war http://tinyurl.com/db4goa hiermit in Vorschlag zu bringen. "
http://archiv.twoday.net/stories/5612942/

Abgesehen von dem Fehler meist(er) statt richtig maist(er) war auch falsch, dass der um 1500 in München tätige Maler Meister Jan aus den Niederlanden stammte. Die ganze Vermutung war zwar wohl nicht verantwortungslos, aber doch mindestens leicht fahrlässig.

Schon aus chronologischen Gründen kommt der Meister Jan (Polack), der seit Mitte der 1470er Jahre in München ansässig war und (entgegen Annahmen im 19. Jahrhundert) nicht aus den Niederlanden, sondern wohl aus Polen stammte, für die im zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts geschriebene Handschrift als Eigentümer nicht in Betracht. Zu ihm zusammenfassend die NDB

http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00016338/image_609

und die Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Jan_Polack&oldid=119687963

GND
http://beacon.findbuch.de/seealso/pnd-aks?format=sources&id=118831860

Die im Oberdeutschen unübliche Namensform Jan braucht nicht auf niederländisch.flandrischen Ursprung zu deuten, sondern kann sich auch auf eine Herkunft aus dem slawischen Raum, insbesondere aus Böhmen oder Polen, beziehen.

Zur mittelbairischen Schreibsprache ist anzumerken, dass zu ihr auch die Stadtsprachen von Wien und Regensburg gehörten. München war keineswegs der wichtigste Schreibort. Es ist ohne weiteres denkbar, dass es beispielsweise in Wien oder Regensburg im zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts weitere "Meister Jan" gab.

Ebenso denkbar ist, dass der Meister Jan der Handschrift mit dem vor der Anlage des Münchner Klarissenseelbuchs 1424 durch Hermann Sack verstorbenen "maister ian" (verstorben an einem 31. Januar) identisch ist, der den Nonnen 60 Pfennige stiftete: "Obiit maister ian de quo habentur lx denarii", Wortlaut nach dem Digitalisat von BayHStA, KL München, Angerkloster 2, Bl. 16v:

http://goo.gl/vuDqDk

Zur Quelle: http://heraldica.hypotheses.org/489

Edition: Dokumente ältester Münchner Familiengeschichte 1290 - 1620. Aus dem Stifterbuch der Barfüßer und Klarissen in München 1424. München ohne Jahr, S. 217

Bibliothekskataloge nennen mehrere Erscheinungsdaten dieses Buchs (1953, 1954, 1955, wiederholt 1958), laut DNB scheint 1954 zutreffend zu sein.

Kollegen Dr. Manfred Heimers danke ich für seine Recherchen zu weiteren Meister Jan in München: "1496 und 1500 wird in den Steuerbüchern (StadtA München, Steueramt 274 und 275) ein Jan Pehaim als Hausbesitzer der Burgstraße 14 aufgeführt.

1428 wird Jan von Sedlitz, der von 1417-1436 als Hofmeister Herzog Albrechts fungierte, als Bewohner des Alten Hofs im Steuerverzeichnis zur Reichssteuer des Gemeinen Pfennigs (StadtA München Steueramt 584) aufgelistet." (Mail vom 30. August 2013).

Wiguleus Hundt über Jan von Sedlitz:

http://books.google.de/books?id=43FSAAAAcAAJ&pg=PA142

Den Schnipseln
http://books.google.de/books?id=5PQAAAAAMAAJ&q=sedlitz usw.
entnehme ich folgendes aus Klaus Freiherr von Andrian-Werburg: Urkundenwesen, Kanzlei, Rat und Regierungssystem der Herzoge Johann II., Ernst und Wilhelm III. von Bayern-München (1392-1438), 1971, S. 101: "Der erste Hofmeister, der beim jungen Herzog Albrecht als Hofverwaltungschef tätig wurde, war Jan v. Sedlitz. Er wird seit 1417 in seiner amtlichen, jedoch erst 1434 in Ratseigenschaft bei Herzog Ernst genannt. Doch spricht die Wahrscheinlichkeit trotz des großen zeitlichen Unterschieds dafür, daß Sedlitz, der von 1431 bis 1435 als Pfleger zu Pfaffenhofen begegnet, auch 1417 schon dem Rat Herzog Ernsts angehörte und von diesem in das Hofmeisteramt eingesetzt wurde. Er war mit Margarete v. Waldeck verheiratet; bei seiner Eheschließung 1429 hatte er von den Herzogen 600 fl ungar. als Heiratsgut erhalten. Im Januar 1436 wird er letztmalig als Herzog Albrechts Hofmeister bezeichnet; nach dem Regierungsantritt Albrechts III. wurde er von diesem in seinen Rat berufen".

Sedlitz starb nach Lieberich 1455:
http://books.google.de/books?id=gijRAAAAMAAJ&q=%22jan+von+sedlitz%22

Das passt aber nicht zu einem Beleg von 1461, der den Böhmen Jan von Sedlitz, ehemaligen Hofmeister Albrechts, 1461 in München bezeugt:

http://books.google.de/books?id=1-gjAQAAIAAJ&q=%22von+sedlitz%22+hofmeister

Andererseits erwähnte Strauch, dass die Witwe des Hofmeisters Albrecht Johann von Sedlitz, Agnes von Rechenberg, 1455 urkundete:

http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/Strauch1883/0045
unter Berufung auf
http://books.google.de/books?id=290zAAAAMAAJ&pg=PA598

Beleg zu 1452:
http://bavarica.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10384935_00012.html

Jan von Sedlitz (Sedlec) stammte aus Böhmen:

http://books.google.de/books?id=qQRFAAAAcAAJ&pg=PA4
unter Berufung auf
http://books.google.de/books?id=np8MAQAAMAAJ&pg=PA36

Es ist fraglich, ob der Schreiber der Nibelungenhandschrift den adeligen Hofmeister als "maister ian" hätte ansprechen können. Ausgeschlossen ist es freilich nicht. Meister kann sich auf einen Magister, einen Handwerker, aber auch auf einen meisterlich Kundigen (z.B. Dichter) beziehen. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Mennung im metrischen Korsett, nämlich im Rahmen von Versen erfolgt, die hervorheben, dass an der Eigentümerstellung des Meister Jan kein Zweifel bestehen könne.

Für Jan von Sedlitz fällt ins Gewicht, dass er eine prominente Persönlichkeit am Münchner Hof war, der man durchaus den Besitz dieser Handschrift zutrauen kann, und dass er (als verstorben) von Püterich als Mitglied eines bibliophilen Zirkels am Münchner Hof im Ehrenbrief (1462) erwähnt wird.

Christine Wand-Wittkowski würde vermutlich gegen die Existenz eines bibliophilen Zirkels lauthals Einspruch erheben, aber ihr 2005 publizierter Versuch, den vielbeschworenen "Musenhof" Erzherzogin Mechthilds (siehe auch oben die verlinkte Arbeit von Strauch) zum Verschwinden zu bringen, zeigt alles andere als souveräne Stoffbeherrschung (Pfalzgräfin Mechthild und ihr literarischer Zirkel. Ein Irrtum der Mediävistik. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 30,1 (2005), S. 1-27). Da wird etwa Heinrich von Rechberg von Hohenrechberg, Bayern-landshutischer Rat (Biogramm z.B. bei Ettelt-Schönewald, Kanzlei), über dessen Briefe sich Püterich lustig macht, nicht identifiziert, obwohl dies bereits Theodor Schön in den Reutlinger Geschichtsblättern (eine der Autorin unbekannte Arbeit!) getan hatte. Dass sie die Strophe 123 des Ehrenbriefs S. 15 richtig verstanden hat, kann ich nicht finden.

"Von Selicz Jan, der sellig" lautet Vers 6 der 123. Strophe (die maßgebliche Edition stammt jetzt von Martha Mueller (Diss. New York 1985, S. 108; so auch der Wortlaut im Patrimonia-Faksimile 1999).

Püterich inszeniert eine scherzhafte Auseinandersetzung mit seinen "Gegnern" am Münchner Hof. Sedlitz habe eine Mär (Gerücht) über ihn verbreitet: "Bekäme ich nur den Sack wieder, in denen sich die zu treuen Händen verliehenen Bücher befanden" (freie Übersetzung). Wer spricht? Wohl Sedlitz, denn in Strophe 122 hatte Püterich die dubiose Art und Weise seines auf "alte" Bücher konzentrierten Bucherwerbs konzediert, und Strophe 123 schließt mit einem "Darumb" begründend an. Sedlitz wirft Püterich also vor, ausgeliehene Bücher nicht zurückzugeben. Zugleich führt Püterich Sedlitz vor, dem er unterstellt, dass diesem der Sack, in dem er die Bücher übergab, wichtiger ist als die Bücher selbst. Es soll der Eindruck entstehen, dass Sedlitz zwar interessante Bücher besitzt, sich aber nicht viel aus ihnen macht. Ich sehe darin - ebenso wie in den folgenden Versen über die Nachstellungen anderer Münchner Hofleute - ein scherzhaftes Spiel, aus dem man keine eindeutigen Schlüsse über reale Beziehungen am Münchner Hof ziehen kann. Andererseits ist nicht anzunehmen, dass Sedlitz grundlos als Buchbesitzer dargestellt wird. Einigermaßen waghalsig könnte man fragen: Wäre es nicht hübsch, wenn Püterich von Sedlitz die Nibelungenhandschrift a ausgeliehen hätte?

Zur Ehrenbrief-Passage siehe auch Fürbeth über Hartlieb:

http://books.google.de/books?id=X-AZmEqwvdoC&pg=PA221

Grubmüller 1979
http://books.google.de/books?id=fYQrAAAAMAAJ&q=sedlitz+hartlieb

Eine Klärung, ob die Nibelungenhandschrift in Genf nach München gehört, könnte eine genaue Schreibsprachenuntersuchungen erbringen (siehe dazu Seelbach über Sprachatlanten in der [Festschrift Kornrumpf]). Es ist gut möglich, dass München (und damit auch die Münchner Meister Jan einschließlich Jan von Sedlitz) als Schreibort unwahrscheinlich ist.

Zur Kommentierung des Ehrenbriefs wären weitere biographische Erkundungen zu Sedlitz vonnöten. Die hier gegebenen oberflächlichen Belege, die immerhin mehr bieten als die bisherigen germanistischen Fußnoten zu ihm, müssten durch eine intensive landesgeschichtlich-archivalische Recherche ergänzt werden.

Um es deutlich zu sagen: Die Nibelungenhandschrift a konnte weder schlüssig mit München noch mit den Personen "maister ian" (Münchner Klarissenstifter vor 1424) oder Jan von Sedlitz in Verbindung gebracht werden, auch wenn letztere Beziehung aufgrund des von Püterich bezeugten Bücherbesitzes des Sedlitz eine reizvolle Hypothese wäre.

#forschung

http://www.e-codices.unifr.ch/de/cb/0117/260r/x-large
 

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