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Entscheidung über den Umfang der einer Universitätsbibliothek zustehenden Möglichkeiten bei der Digitalisierung verlegter Werke.
LG Frankfurt 13.05.2009, AZ 2-06 O 172/09, Volltext: http://is.gd/TDJK (pdf)

Nachtrag:
Presseinformation des Landgerichts Nr.3/09: Digitalisierung vom 08.06.2009 (pdf)
(Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Gegen die Entscheidung kann im Wege der Berufung vorgegangen werden.)


Urteil:

Der Antragsgegnerin zu 1. wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 EUR, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit Ordnungshaft bis zu 6 Monaten tritt, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung verboten,
Nutzern der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt zu ermöglichen, digitale Versionen der Werke, die im Verlag der Antragstellerin veröffentlicht sind, insbesondere die „Einführung in die Neuere Geschichte“ von W. S. auf USB-Sticks oder andere Träger für digitalisierte Werke zu vervielfältigen und/oder solche Vervielfältigungen aus den Räumen der Bibliothek mitzunehmen.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.


Entscheidungsgründe
(Auszüge, in Paraphrase; Hervorhebungen von uns):

Der Antrag auf Verbot der
- Digitalisierung von Werken aus dem Bestand und Anbieten an elektronischen Leseplätzen, ohne vorher mit dem Verlag zu klären, ob dieser das Werk selbst in digitaler Form zu angemessenen Bedingungen zur Lizenzierung anbietet

sei nach $97 Abs. 1 UrhG (Anspruch auf Unterlassung und Schadensersatz) unbegründet. Eine Urheberrechtsverletzung liege nicht vor, die Schaffung elektronischer Leseplätze sei nach § 52b zulässig, Vervielfältigungs-, Verbreitungsrecht und Recht auf öffentliche Zugänglichmachung seien nicht verletzt.

Nach Aktenlage sei davon auszugehen, dass das Angebot lediglich zur Forschung bzw. für private Studien zugänglich gemacht wird. Die Bedenken des Verlags hinsichtlich Missbrauchsmöglichkeiten werden als spekulativ zurückgewiesen.

Der ausdrückliche Hinweis der Bibliothek auf den gesetzlich limitierten Verwendungszweck wird als ausreichend angesehen, die vom Antragsteller geforderten Kontrollmaßnahmen werden als unwirksam angesehen, da der Zweck der Nutzung letztlich "ein nur schwer überprüfbares Internum des Nutzers" bleibe. Kontrollen mit detaillierter Darlegung und Prüfung des Zwecks seien erkennbar unverhältnismäßig und würden die von § 52b intendierte Nutzungspraxis vollständig aushöhlen.

Die Berufung auf eine entgegenstehende "vertragliche Regelung" i.S. des § 52b Satz 1 UrhG wird zurückgewiesen; nach Auffassung der Kammer wird die Anwendung von § 52b nicht bereits durch das Vorliegen eines Vertragsangebots ausgeschlossen (gegen eine z.T., aber nicht überwiegend andere Auslegung in den vorliegenden Kommentaren und Aufsätzen zu § 52b). Die Kammer leitet dies überzeugend aus dem Wortlaut, dem systematischen Zusammenhang und den Gesetzgebungsmaterialien ab (anders etwa in § 53a Abs. 1 Satz 3 UrhG - Pay-per-View-Angebot beim Kopienversand auf Bestellung, wo bereits ein Vertragsangebot genügt). Auch Art. 5 Abs. 3 Lit. n der InfoSoc-Richtlinie 2001/29/EG stehe dieser Auslegung nicht entgegen, da der Wortlaut auch hier nicht ausdrücklich Lizenzangebote einbeziehe.

Hierdurch werde zweifellos den öffentlichen Bibliotheken eine sehr komfortable Verhandlungsposition im Rahmen von Lizenzverhandlungen mit Verlagen zugesprochen. Der Drei-Stufen-Test sei aber nicht verletzt, weil die öffentlichen Bibliotheken eine angemessene Vergütung für diese gesetzliche Lizenz erstatten müssten. Dieser Eingriff sei nicht gravierender als der seit Jahrzehnten im Rahmen des § 53 Abs. 2 UrhG bestehende (Kopierschranke, Kopierabgabe).

Nach überwiegender Auffassung in der Literatur begründe § 52b eine Annex-Kompetenz zur Vervielfältigung des Werkes, da die fragliche Bestimmung ansonsten weitgehend leer laufe (unter Berufung auf Dreyer/Schulze, die Gesetzesmaterialien, sowie Berger und Spindler).

Der Antrag auf Verbot der Bibliothek,
- ihr Angebot elektronischer Leseplätze in der Bibliothek auf ihren Internetseiten zu bewerben

wird zurückgewiesen, da der Internetauftritt keine Möglichkeit biete, aus dem Internet auf die geschaffenen elektronischen Ressourcen zuzugreifen.

Nur teilweise stattgegeben wird dem Antrag auf Verbot
- Nutzern zu ermöglichen, digitale Versionen der an elektronischen Leseplätzen zugänglich gemachten Werke ganz oder teilweise auszudrucken und/oder auf USB-Sticks o.a. digitale Träger zu vervielfältigen und solche Vervielfältigungen mitzunehmen.

Das Unterlassungsbegehren gegen die Möglichkeit eines Ausdrucks der digitalisierten Werke wird zurückgewiesen.

Dies sei nicht aus § 53 UrhG herzuleiten, sondern aus der grundsätzlichen Berechtigung zum Ausdruck der geschaffenen elektronischen Inhalte als Annexkompetenz aus § 52b UrhG selbst. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle der neu geschaffene § 52b nämlich eine Nutzung ermöglichen, die der analogen Nutzung vergleichbar sei (BT-Drs 16/1828, S. 26).
"Da das Angebot hier im Wesentlichen auf wissenschaftliche Arbeit mit Texten gerichtet ist, umfasst dies auch die Möglichkeit eines Ausdrucks. Eine sinnvolle Arbeit mit längeren Texten setzt regelmäßig die Möglichkeit voraus, in etwaigen Kopien zentrale Passagen des Textes zu markieren und diese in Auszügen auch aus der Bibliothek zum weitergehenden Studium an anderen Ort mitzunehmen. Ließe das Gesetz eine derartige Möglichkeit nicht zu, wäre das geschaffene Angebot einem analogen Angebot nicht vergleichbar, sondern beschränkte sich wohl für die überwiegende Anzahl der wissenschaftlichen Nutzer im Wesentlichen auf die Möglichkeit einer Überprüfung von Zitaten."
Die Unterschiede zur Kopierschranke in § 53 UrhG und der damit verbundene (nach Auffassung des Gerichts nur wenig intensivere) Eingriff sei Folge und auch Zweck der geschaffenen Neuregelung, welche einer Förderung der Medienkompetenz der Bevölkerung dienen solle.

Verneint wird dagegen die Möglichkeit einer digitalen Vervielfältigung, da sich das digitale Angebot nach dem eindeutigen Wortlaut des § 52b auf eine Nutzung in den Räumen der Bibliothek beschränken müsse. Andernfalls würde eine Nutzung des geschaffenen (digitalen) Angebots - anders als bei der Mitnahme eines bloßen Ausdrucks - auch außerhalb der Räumlichkeiten der Bibliothek ermöglicht, was durch die geschaffene gesetzliche Regelung nicht mehr abgedeckt sei.
BCK meinte am 2009/06/09 02:08:
Kommentar
Was also dürfen Bibliotheken nach diesem Urteil bei der Digitalisierung und Wiedergabe von Werken an elektronischen Leseplätzen?
  • Sie dürfen veröffentlichte Werke aus ihrem Bestand selbst digitalisieren oder digitalisieren lassen. (Annexkompetenz aus § 52b)
  • Sie dürfen diese Werke an elektronischen Leseplätzen in den Räumen der Bibliothek zugänglich machen, wobei die Zahl der (gleichzeitig) zugänglich gemachten Exemplare an den eingerichteten Leseplätzen (grundsätzlich, d.h. von Nutzungsspitzen abgesehen, vgl. die amtliche Begründung zum Gesetz) die Stückzahl im Bestand nicht übersteigen darf.
  • Sie müssen dabei keine Rücksicht auf etwa bestehende Verlagsangebote nehmen, solange sie keine vertraglichen Regelungen mit dem Verlag eingegangen sind. Es besteht insofern Vertragsfreiheit, kein Kontraktionszwang.
    (Wenn die Verlage attraktive Angebote machen, die bezahlbar sind und die den Bibliotheken und ihren Nutzern einen deutlichen Mehrwert gegenüber den eingeschränkten Möglichkeiten der gesetzlichen Lizenz von § 52b bieten, werden die Bibliotheken aus eigenem Interesse davon Gebrauch machen. Ob es hierfür eine "Selbstverpflichtung" nach dem Vorbild der "Gemeinsamen Charta zum Verständnis von § 52a braucht, ist fraglich, auch wenn sie vielleicht zur Beruhigung der Gemüter beitragen könnte. Die Aussage der Kammer des LG Frankfurts, dass die Auslegung des Gesetzes den Bibliotheken in dieser Frage eine starke Verhandlungsposition zuspricht, darf dadurch aber nicht verwässert werden.)
  • Nimmt die Bibliothek die gesetzliche Lizenz von § 52b in Anspruch, ist für die Zugänglichmachung aber eine angemessene Vergütung zu zahlen.
  • Die Bibliotheken dürfen auch "Werbung" für ihr Angebot auf ihren Internetseiten machen, solange ihr Internetauftritt keine Möglichkeit bietet, aus dem Internet auf die geschaffenen elektronischen Ressourcen zuzugreifen.
  • Es ist ausreichend, wenn die Bibliothek in ihrem Internetauftritt und an den Leseplätzen ausdrücklich auf den gesetzlich limitierten Verwendungszweck hinweist und klarstellt, dass das Angebot lediglich zur Forschung bzw. für private Studien zugänglich gemacht wird.
  • Kontrollen mit detaillierter Darlegung und Prüfung des Zwecks seien erkennbar unverhältnismäßig und würden die von § 52b intendierte Nutzungspraxis vollständig aushöhlen. Sie sind abzulehnen.
  • Die Bibliotheken dürfen die Möglichkeit schaffen, Ausdrucke aus den an den elektronischen Leseplätzen bereitgestellten Werken anzufertigen und diese auch aus der Bibliothek mitzunehmen. Das Gesetz rechtfertigt in jedem Fall keine vollständige Kopie des Werkes, sondern nur eine auszugsweise. Ein entsprechender Hinweis an den Leseplätzen dürfte auch hier genügen.
  • Es ist den Bibliotheken aber verwehrt, die Speicherung und Mitnahme der Digitalisate selbst zuzulassen. *)




Nach Auffassung des Gerichts ist § 53 UrhG in Verbindung mit § 52b nicht anwendbar: "Weder der Wortlaut des § 52b UrhG enthält einen Hinweis auf eine Anwendungsmöglichkeit des § 53 UrhG, noch spricht die Systematik des geschaffenen Normgefüges für eine derartige Auslegung.". Deshalb wird die Digitalkopie (die zum wissenschaftlichen Gebrauch und für private Studien von § 53 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 gedeckt wäre) nicht zugelassen (weil nicht mit dem Wortlaut von § 52b vereinbar), wohl aber der Ausdruck, weil dies dem erklärten Zweck der Regelung entspreche (Annexkompetenz für die Analogkopie).

Ein Widerspruch freilich bleibt: warum das Gericht einerseits den Zweck der geschaffenen Neuregelung in § 52b darin sieht, einer "Förderung der Medienkompetenz der Bevölkerung" zu dienen, andererseits aber für die angemessene wissenschaftliche Arbeit mit Texten die Möglichkeit für ausreichend hält, in Kopien zentrale Passagen eines Textes zu markieren (mit dem Bleistift!) und diese auch aus der Bibliothek zu weitergehenden Studien mitzunehmen.
"Elektronische Leseplätze", wie sie das ja nur gegen massiven Widerstand der Verlagslobby zustandegekommene Gesetz vorsieht, haben eben herzlich wenig mit dem hehren Ziel einer "Förderung von Medienkompetenz" zu tun, wenn sie die Möglichkeiten digitaler Medien auf das beschränken, was auch das analoge Medium Buch erlaubt. § 52b ist und bleibt eine Mogelpackung, die nichts mit den Erfordernissen eines modernen Urheberrechts für Bildung und Wissenschaft zu tun hat. Diesem Missstand abzuhelfen, wäre freilich Aufgabe der Politik und des Gesetzgebers.

Gewiß, § 52b erlaubt es Bibliotheken, einen virtuellen Präsenzbestand für die Kurzausleihe in den elektronischen Lesesaal zu schaffen, der vor Ort in der Bibliothek genauso genutzt werden kann, wie der reale Bestand (incl. Zulassung von höherer Nutzung in Stoßzeiten als einer strikten Bestandsakzessorietät entspräche) und insgesamt eine intensivere Nutzung des Bestands ermöglicht

Aber reicht das aus? Wohl kaum. Medienkompetente wissenschaftliche und private Nutzer kommen heute mit ihrem Laptop als Arbeits- und Schreibmittel in die Bibliothek, und eine Arbeit an elektronischen Leseplätzen ohne Andockmöglichkeit für den eigenen Laptop und wenigstens die Möglichkeit einer einfache Übernahme von Zitaten oder Formeln via Copy and Paste und/oder Screenshots von Dokumentausschnitten oder Grafiken hat nichts mit Bedingungen einer sinnvollen und effizienten wissenschaftlicher Arbeit im digitalen Zeitalter zu tun. Es ist schon ein Witz, dass die elektronischen Leseplätze in der Bibliothek wirklich nur zum Lesen und als Kopiergeräte für Ausdrucke taugen sollen, aber eben gerade nicht zum wissenschaftlichen Arbeiten im digitalen Umfeld mit dem eigenen Laptop, weil Textübernahmen und Annotierungen nur durch Abtippen möglich sind, wobei das Unterbringen doppelten Computer-Equipments ohne ständige Verrenkungen des Halses schon per se eine logistische Meisterleistung darstellen dürfte.

*) Bemerkenswert ist aber, dass das Urteil - anders als von den Antragstellern im Verbotsantrag gefordert, die Präzisierung "ganz oder teilweise" in Bezug auf die auszuschließenden Vervielfältigungshandlungen weglässt und der Bibliothek lediglich verbietet, ihren Nutzern zu ermöglichen, digitale Versionen der Werke ... insbesondere die „Einführung in die Neuere Geschichte“ von W. S. auf USB-Sticks oder andere Träger für digitalisierte Werke zu vervielfältigen und/oder solche Vervielfältigungen aus den Räumen der Bibliothek mitzunehmen. Ob diese fehlende Präzisierung von materieller Bedeutung ist oder man hieraus vielleicht ableiten könnte, dass zumindest die weiter unten stehenden eingeschränkten elektronischen Nutzungsmöglichkeiten einer Copy & Paste Funktion oder eines Screenshots von Dokumentausschnitten, die auch "vor Ort" sinnvoll sind, wenn sie in ein Arbeitsdokument auf einem angedockten Laptop übertragen werden könnten, im Kontext von § 52b nicht von vornherein ausgeschlossen sind, wage ich als Nicht-Jurist nicht zu beurteilen; mein Argument wäre allerdings, dass solch eingeschränkte Nutzungsmöglichkeiten (Ausschnitte, Zitate, Snippets) nicht geeignet wären, eine Nutzung des geschaffenen elektronischen Angebots auch außerhalb Räumlichkeiten der Bibliothek zu ermöglichen und insofern unschädlich wären. Wenn das Gericht dagegen intendiert hätte, lediglich den kompletten Download zu unterbinden, nicht dagegen den Download nur einzelner Kapitel (die Digitalisate liegen ja in Kapitel aufgeteilt vor), hätte man zumindest einen Hinweis darauf erwartet, dass die Bibliothek geeignete technische Maßnahmen ergreifen müsse, um einen vollständigen Download zu unterbinden. Diese weitergehende Interpretation der durch das Urteil belassenen Spielräume ist also wohl auszuschließen.

 
BCK meinte am 2009/06/09 09:40:
Kommentar von Steinhauer
Kurzzusammenfassung und erste Würdigung des Darmstadt-Urteils zu § 52b durch den Bibliotheksjuristen Eric Steinhauer (Hervorhebungen von uns):
http://www.bibliotheksrecht.de/2009/06/09/darmstadt-urteil-52b-urhg-online-6267122/

"... Insgesamt eine positive Entscheidung für die Bibliotheken. Sie können tatsächlich alles, was sie gedruckt im Bestand haben, digitalisieren und am Leseplatz anbieten.

Nicht überzeugend ist freilich die Ansicht des Gerichts, eine elektronische Kopie durch den Nutzer auszuschließen. Es ist nicht erkennbar, dass § 52b UrhG, der nur eine Schranke für die öffentliche Zugänglichmachung darstellt, § 53 UrhG als Schranke für Vervielfältigungen ausschließt. Danach sind jedenfalls für den eigenen wissenschaftlichen Gebrauch elektronische Kopien zulässig. Ein solche "Schrankenkette" vertritt im Ergebnis Dustmann, in: Fromm/Nordemann, UrhG, 10. Aufl., 2009, § 52b, Rn. 13.

Dogmatisch sauber hätte das Gericht auch die Annexvervielfältigung auf die Archivschranke in § 53 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UrhG stützten können. Aber wer sich bei dieser Frage schon in den Nebel der gesetzgeberischen Intentionen flüchtet, wird sich bei der Nutzervervielfältigung schnell verlaufen.

Die genaue Ausarbeitung der Vervielfältigungskompetenzen bei § 52b UrhG jedenfalls steht noch aus.
BCK meinte am 2009/06/09 11:54:
"Recht auf Ausdrucke ist gesichert" (via DarmstadtNews)


http://tudigilehrbuch.ulb.tu-darmstadt.de/information.html


Recht auf Ausdrucke ist gesichert (Pressemitteilung TU Darmstadt )
http://www.darmstadtnews.de/2009/06/09/recht-auf-ausdrucke-ist-gesichert/

9. Juni 2009 - 07:39 | von DarmstadtNews.de | Kategorie: Wissenschaft

In dem von der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt entschiedenen Eilverfahren zur Digitalisierung von Bibliotheksbeständen wurde das Recht der Bibliotheken bestätigt, in ihrem Bestand befindliche Druckwerke unabhängig von eventuell bestehenden Angeboten der Verlage zu digitalisieren und ihren Nutzern elektronisch verfügbar zu machen.

Der Verleger Ulmer, unterstützt vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, hatte dieses Recht bestritten. Er verklagte die Technische Universität Darmstadt, ein von ihrer Universitäts- und Landesbibliothek digitalisiertes Werk seines Verlages künftig nicht mehr an PC-Arbeitsplätzen in den Räumen der Bibliothek zur Nutzung bereitzustellen. Ziel der Klage war, der Bibliothek grundsätzlich zu verbieten, ohne seine Zustimmung die von ihm verlegten Druckwerke überhaupt zu digitalisieren, um sie dann elektronisch verfügbar zu machen. Gleichzeitig sollte die Bibliothek verpflichtet werden, ein wie auch immer geartetes Kauf- bzw. Lizenzangebot einer elektronischen Version seines Werkes annehmen zu müssen. Beides wäre darauf hinausgelaufen, die Anfang 2008 durch Gesetz neu geschaffene Befugnis der Bibliotheken, an “elektronischen Leseplätzen” in den Räumen der Bibliothek Druckwerke aus ihrem Bestand digitalisiert anzubieten, ins Leere laufen zu lassen.

Das Gericht hat beides nun eindeutig verneint. Das Gericht hat auch das Recht der Nutzer bestätigt, sich Ausdrucke von den am Bildschirm lesbaren Werken zu machen. So ist eine zwingende Voraussetzung für ein wissenschaftliches Arbeiten mit Texten gesichert, geht es doch darum, daraus in anderen Zusammenhängen zu zitieren oder den Inhalt sinngemäß wiederzugeben. Ohne eigene Privatkopie wichtiger Textteile ist dies in der Regel nicht verlässlich möglich. Verboten hat das Gericht allerdings den Nutzern, eine solche Kopie auch in digitaler Form anzufertigen. Die Bibliothek ist verpflichtet, technische Vorkehrungen zu treffen, die eine solche Kopiermöglichkeit unterbinden. Nur in diesem Punkt der Klage war der Verlag erfolgreich, der das Ausdrucken wie den Download verbieten lassen wollte.

Die TU Darmstadt bedauert, dass dem Nutzer dieses Recht beschnitten wird. Es ist schwer nachvollziehbar, dass Nutzer zwar das Buch aus dem Bibliotheksregal nehmen und es in Teilen auch digital kopieren und auf einen USB-Stick laden dürfen (dies ist unbestrittenes Recht auf Privatkopie zum wissenschaftlichen Gebrauch nach § 53 des Urheberrechtsgesetzes), dass dies gleichwohl aber am Bildschirm in der Bibliothek - gewissermaßen neben dem Regal - untersagt sein soll. Die TU Darmstadt sieht hier eine problematische Einschränkung des Rechts auf Privatkopie und Behinderung (modernen) wissenschaftlichen Arbeitens.

Doch scheint der derzeitige gesetzliche Rahmen dieses Recht nicht klar genug zu verankern. Sogar selbst dann nicht, wenn es sich bei den kopierbaren Dateien (wie in Darmstadt der Fall), lediglich um eine sogenannte “reine Graphikdateien” handelt, die völlig analog zu einer normalen Papierkopie lediglich eine Art elektronische Ablichtung darstellen und keinerlei Möglichkeit bieten, den Text etwa durch “copy and paste” digital zu nutzen.

Die TU Darmstadt war davon überzeugt, mit dieser technischen Einschränkung auf jeden Fall gesetzeskonform zu handeln. Sie hielt ihre Rechtsauffassung auch für die Verlagsseite für akzeptabel, geht es bei deren e-book-Angeboten doch in aller Regel um vollständig digital nutzbare Dateien, die es ermöglichen, einzelne Textpassagen gezielt zu suchen und digital weiter zu verarbeiten, etwa in einem eigenen Text. Das Angebot der Bibliothek stellt dazu ganz bewusst keine Konkurrenz dar. Dem Nutzer wurde lediglich ermöglicht, den Text lesbar, aber nicht digital bearbeitbar, für sich elektronisch zu archivieren. Die Parallele zum Papierausdruck als Zitatgrundlage schien klar. Das Gericht hat dies verneint und damit eine Situation geschaffen, die nun interpretiert werden muss. So darf der Nutzer künftig zwar für sich aus dem Druckwerk vollständig digital nutzbare elektronische Kopien einzelner Teile des Textes erstellen, aus dem elektronischen Leseplatzangebot der Bibliothek jedoch nicht einmal eine eingeschränkt nutzbare elektronische Kopie gänzlich analog zum auch dort erlaubten Papierausdruck.

Verleger und Börsenverein haben nach der Verhandlung signalisiert, in Gesprächen mit Bibliotheken nach sinnvollen, die Interessen beider Seiten berücksichtigenden Regelungen zur Nutzung digitaler Angebote im Rahmen des § 52b des Urheberrechts suchen zu wollen. Man will nach Möglichkeit gemeinsam dem Gesetzgeber eine Präzisierung des in seiner Auslegung umstrittenen Paragraphen vorschlagen. Die TU begrüßt diesen Vorschlag und ist bereit, dazu beizutragen. Da nun auch von Verlegerseite nicht mehr grundsätzlich das Recht der Bibliotheken zur Digitalisierung ihrer Bestände bestritten werden kann, ist eine Gesprächsgrundlage gegeben. Es gilt, eine die Interessen wissenschaftlicher Nutzung befriedigende Sachlösung zu finden und eine gemeinsam getragene Rechtspraxis zu entwickeln.


Quelle: TU Darmstadt

 
BCK meinte am 2009/06/09 22:12:
Presseberichte zum Darmstadt-Urteil
(wird fortlaufend ergänzt)

09.06.2009
Aller Voraussicht nach wird das Verfahren in die nächste Instanz gehen.
In der Financial Times Deutschland (Bibliotheken dürfen Bücher digitalisieren, FTD vom 09.06.2009) kommentiert Nils Rauer, Rechtsanwalt im Frankfurter Büro der Wirtschaftsrechtskanzlei Lovells LLP, die die TU Darmstadt im Prozess verteidigt hat, das Urteil:
"Mit diesem Urteil ist ein erster Schritt hin zu größerer Rechtssicherheit gemacht. Dies ist sehr begrüßenswert. Sowohl von Bibliotheks- als auch von Verlegerseite wird das nunmehr in erster Instanz abgeschlossene Verfahren als Musterverfahren angesehen. Beide Parteien wollten die nicht ganz eindeutigen Vorgaben des Gesetzgebers geklärt wissen, um damit in der Praxis umgehen zu können."

Bibliotheken dürfen ihre Bestände weiter für elektronische Leseplätze digitalisieren. Unter den Verlagen macht sich Erleichterung breit, dass das Speichern auf USB-Sticks einstweilen untersagt ist. Aufgrund des Mustercharakters des Verfahrens ist allerdings damit zu rechnen, dass sich ein Berufungsverfahren anschließen wird. Es darf daher mit Spannung erwartet werden, wie die Richter des Oberlandesgerichts die Frage der elektronischen Leseplätze im (sehr wahrscheinlichen) Fall der Berufung bewerten werden."
10.06.2009
Telemedicus
Volltext der Entscheidung (Az. 2-06 O 172209) in der
Urteilsdatenbank von Telemedicus mit Leitsätzen der Redaktion:

LG Frankfurt am Main: Digitalisierung – Reichweite des § 52 b UrhG
http://www.telemedicus.info/urteile/791-2-06-O-17209.html

Im Telemedicus Blog referiert Thomas Mike Peters das Urteil (LG Frankfurt a. M. zur Reichweite des Bibliothekenprivilegs)
http://www.telemedicus.info/article/1354-LG-Frankfurt-a.-M.-zur-Reichweite-des-Bibliothekenprivilegs.html

Peters stellt fest, dass Gericht habe Elektronische Leseplätze für grundsätzlich zulässig erklärt. Das gelte zwar nur dann, wenn es keine entgegenstehenden vertraglichen Regelungen gebe; bloße Vertragsofferten genügen nach Auffassung des Gerichts diesem Tatbestandsmerkmal noch nicht. Nach Auffassung des Gerichts könne eine Annex-Berechtigung zum Anfertigen von Digitalisaten aus § 52 b abgeleitet werden, da die gesamte Regelung ansonsten ins Leere liefe; allerdings sei § 52 b UrhG als Schrankenregelung grundsätzlich eng auszulegen. Daher sei die Anfertigung weiterer digitaler Kopien, die über die eine für den elektronischen Leseplatz hinausgeht, durch § 52 b UrhG nicht gedeckt, so die Frankfurter Richter weiter. Kopien auf Papier seien hingegen weiterhin erlaubt. Auf mögliche Angriffspunkte hinsichtlich der Argumentation des Gerichts geht Peters nicht ein.

10.06.2009
Urheberrechtsstreit im Fall Darmstadt hält an
Bibliotheksverband übt Richterschelte
http://www.boersenblatt.net/324967/
Als bedauerliche Einschränkung des "Rechts auch auf eine digitale Privatkopie" kritisiert der Deutsche Bibliotheksverband (DBV) das Urteil des Landgerichts Frankfurt im Streit zwischen dem Eugen Ulmer Verlag und der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt (ULB). Die Richter hatten festgestellt, dass das digitale Kopieren von Lehrbüchern, die die ULB in ihren Räumen digitalisiert bereithält, durch Bibliotheksnutzer nicht rechtmäßig ist.

In einer Pressemitteilung, die der Bibliotheksverband heute herausgegeben hat, wird die Kritik am Landgerichtsurteil mit Hinweis auf die angebliche Gleichstellung von analogen und digitalen Kopien durch den deutschen Gesetzgeber begründet. Wörtlich: "Das Gesetz kennt keinen Unterschied zwischen beiden Kopierarten." Der DBV fordert den Gesetzgeber auf, hier "noch größere Klarheit" zu schaffen.

Der Börsenverein seinerseits hat angekündigt, gegen das Urteil des LG Frankfurt Rechtsmittel einzulegen, weil es aus seiner Sicht die den Bibliotheken zugestandene Ausnahmeregelung zu großzügig ausgelegt hat. "Einen Anspruch auf digitale Privatkopien von Bibliotheksinhalten gibt es weder nach deutschem noch nach europäischem Recht", sagte Börsenvereinsjustiziar Dr. Christian Sprang auf Anfrage von boersenblatt online.
 
BCK meinte am 2009/06/10 15:08:
dbv-Pressemitteilung
Pressemitteilung des Deutschen Bibliotheksverbands e.V. (dbv)
http://www.bibliotheksverband.de/presse/2009/10%2006%2009-Pressemitteilung-des-%20dbv-pdf.pdf

Berlin, 10.06.2009
LG Frankfurt (M) bestätigt elektronische Leseplätze in Bibliotheken

Das LG Frankfurt am Main hat am 13.5.09 das vom Verlag Ulmer angestrebte Eilverfahren in Sachen Zulässigkeit der Digitalisierung von Bibliotheksbeständen in der ULB Darmstadt nach dem seit dem 1.1.2008 geltenden neuen Ausnahmetatbestand § 52b UrhG entschieden. Aus der nun vorliegenden Urteilsbegründung (PDF-Datei2-06 O 172/09) geht hervor, dass § 52b UrhG den Bibliotheken gestattet, unabhängig von einem etwaigen elektronischen Verlagsangebot ihre eigenen Bestände zu digitalisieren und für Forschung und private Studien zum Abruf in den Räumen der Bibliothek bereitzuhalten. Das LG vertritt die Auffassung, dass „nach dem Willen des Gesetzgebers § 52b UrhG ... lediglich durch bestehende vertragliche Regelungen ausgeschlossen werden (soll)“. Strittig war auch, ob der Bibliotheksbenutzer seinerseits ein Recht hat, von diesen Digitalisaten Kopien für seinen eigenen Gebrauch herzustellen. Das LG stellt dazu fest, dass „eine sinnvolle Arbeit mit längeren Texten regelmäßig die Möglichkeit voraus(setzt), Kopien herzustellen und diese mitzunehmen“. Die Herstellung von Papierkopien ist demnach dem Bibliotheksbenutzer gestattet. Allerdings rechtfertigt dies nach Auffassung des Gerichts „jedoch nicht mehr die Möglichkeit, Digitalisate als Datei auf ein digitales Medium zu speichern und aus der Bibliothek mitzunehmen.“ Das digitale Kopieren wie z. B. das Herunterladen auf USB-Sticks ist demnach zu unterlassen. Leider berücksichtigt das Landgericht bei seiner Entscheidung nicht, dass der Gesetzgeber bereits 2003 ausdrücklich die analoge und die digitale Kopie im Urheberrechtsgesetz (§ 53 Abs. 1 UrhG „auf beliebigem Träger“) gleich gestellt hat. Das Gesetz kennt keinen Unterschied zwischen beiden Kopienarten.

Damit schränkt das LG das in § 53 UrhG durch den Gesetzgeber ausdrücklich für den wissenschaftlichen Gebrauch verankerte Recht auch auf eine digitale Privatkopie in bedauerlicher Weise zulasten der Nutzer ein, hier muss der Gesetzgeber wohl noch größere Klarheit schaffen. Wissenschaftliches Arbeiten mit Texten setzt in der Tat, wie das Gericht zu Recht feststellt, die Möglichkeit voraus, sich Kopien des Gelesenen machen zu können. Nur dann kann man die Texte anderer Autoren zuverlässig zitieren oder ihrem Inhalt nach wiedergeben, also wissenschaftlich kommentieren. Heutzutage selbstverständlich auch in elektronischer Form.

Die Entscheidung des LG Frankfurt ist ein erster Schritt hin zur Rechtssicherheit bei der Anwendung des § 52b UrhG in den Hochschulbibliotheken. Die Technische Universität Darmstadt hat sich stellvertretend für alle Hochschulbibliotheken der Klärung unterschiedlicher Rechtsauffassungen im Dienste von Wissenschaft, Forschung und Lehre angenommen. Der Deutsche Bibliotheksverband spricht ihr dafür im Namen seiner Mitgliedsbibliotheken Dank und Anerkennung aus.

Der Deutsche Bibliotheksverband (dbv) ist von seinem Beirat legitimiert worden, mit im Börsenverein organisierten Verlagen in Gespräche einzutreten.

Kontakt: Deutscher Bibliotheksverband e.V.
Prof. Dr. Gabriele Beger, Vorsitzende, Tel: 0 40/428 38 22 11
Barbara Schleihagen, Geschäftsführerin, Tel: 0 30/644 98 99 12
E-Mail: dbv@bibliotheksverband.de, www.bibliotheksverband.de, www.bibliotheksportal.de 
 

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