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OLG Celle, 01. Strafsenat, Beschluss, 1 Ws 248/09 vom 19.05.2009

Leitsatz: Allein der Umstand, dass der Schriftverkehr eines Gefangenen vollständig oder zum Teil in „Sütterlinschrift“ bzw. „Deutscher Schreibschrift“ abgefasst ist, rechtfertigt nicht die generelle Anordnung des Anhaltens derartiger Schreiben gemäß § 31 NJVollzG.

Auszug:

Eine konkrete Gefahr durch den Inhalt des Schriftverkehrs hat die Strafvollstreckungskammer nicht festgestellt. eine solche wurde von der Antragsgegnerin auch nicht zur Begründung ihrer Maßnahme angeführt. Zwar kann auch der Umfang des Schriftverkehrs eines Gefangenen grundsätzlich Maßnahmen der Anstalt nach § 31 NJVollzG rechfertigen. Dies setzt aber voraus, dass die Kontrolle des Schriftverkehrs einen so übermäßigen Aufwand erfordert, dass die mit der Kontrolle betrauten Bediensteten insgesamt überlastet sind und nicht ohne Beeinträchtigung anderer Aufgaben entlastet werden können. nur dann wäre eine Gefährdung der Ordnung der Anstalt im Sinne des § 31 Abs. 1 Nr. 1 NJVollzG anzunehmen (vgl. OLG Celle ZfStrVo 1985, 184. OLG Hamm NStZ 1989, 359 bei Bungert). Auch eine derartige Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung hat die Strafvollstreckungskammer vorliegend nicht festgestellt. sie ergibt sich auch nicht aus dem Sachvortrag der Antragsgegnerin. Vielmehr ist diesem zu entnehmen, dass nicht der Umfang des Schriftverkehrs an sich, sondern die verwendete Schriftart Anknüpfungspunkt für die Maßnahme ist. Abgesehen davon wäre bei einer Gefährdung der Ordnung durch den Kontrollaufwand regelmäßig nur eine Begrenzung des Schriftverkehrs auf ein zumutbares Maß, nicht aber eine generelle Anhalteanordnung gerechtfertigt (ebenda).

Dementsprechend könnte als Rechtsgrundlage für die Maßnahme nur § 31 Abs. 1 Nr. 6 NJVollzG in Betracht kommen. Danach können Schreiben angehalten werden, wenn sie in Geheimschrift, unlesbar, unverständlich oder ohne zwingenden Grund in einer fremden Sprache abgefasst sind. Indes ist keine dieser Voraussetzungen durch das Verwenden von Sütterlinschrift bzw. Deutscher Schreibschrift erfüllt.

Sütterlinschrift ist eine von dem Berliner Grafiker Ludwig Sütterlin um 1911 im Auftrag des preußischen Kulturministeriums geschaffene Schreibschrift. Sie wurde verschiedenen Orts erprobt, leicht abgeändert und war die Grundlage der 1935 an den deutschen Schulen als „Normalschrift“ eingeführten „Deutschen Schreibschrift“. 1941 wurde die „Deutsche Schreibschrift“ durch die „Deutsche Normalschrift“, eine lateinische Schreibschrift, ersetzt. Diese wiederum wurde 1952 durch den „Iserlohner Schreibkreis“ neu gestaltet und in modifizierter Form 1954 von der Kultusministerkonferenz als „Lateinische Ausgangsschrift“ zur Grundlage des Schreibunterrichts in allen Bundesländern gemacht. Parallel dazu wurde - in einigen Bundesländern zum Teil bis in die 1990er Jahre - die Sütterlinschrift als weitere Schriftart zumindest im Leseunterricht an bundesdeutschen Schulen gelehrt (vgl. Brockhaus Enzyklopädie, 19. Aufl.).

Hiernach liegt es zunächst auf der Hand, dass Sütterlinschrift bzw. Deutsche Schreibschrift keine Geheimschrift ist. Auch die Benutzung einer fremden Sprache ist nicht festzustellen. Zwar können Schreiben mittels Sütterlinschrift bzw. Deutscher Schreibschrift auch in einer fremden Sprache abgefasst werden, weil es sich dabei eben nur um Schriftarten handelt. Dass der Antragsteller und seine Verlobte vorliegend eine fremde Sprache benutzen, hat die Antragsgegnerin indes nicht vorgetragen. Das Tatbestandsmerkmal „unverständlich“ knüpft ersichtlich an den Inhalt des Schreibens an und ist deshalb im vorliegenden Fall, in dem es lediglich um die Form des Schreibens geht, ebenfalls nicht einschlägig. Somit verbleibt „unlesbar“ als einzig in Betracht kommendes Tatbestandsmerkmal. Nach welchen Kriterien sich die Lesbarkeit eines Schreibens beurteilt, ist im Gesetz nicht geregelt. Verbindliche Vorschriften darüber, welche Schriftart im Schriftverkehr zu verwenden ist, existieren in Deutschland nicht. Es finden sich nur Regelungen der Bundesländer darüber, welche Schriften im schulischen Schreibunterricht gelehrt werden. Dies sind nach heutigem Stand die Druckschrift als Erstschrift sowie die Lateinische Ausgangsschrift und die Vereinfachte Ausgangsschrift als weitere Schriften (vgl. Bartnitzky in „GS aktuell“ Heft 91/September 2005, 3 ff.). Was hiernach im Allgemeinen als „lesbar“ angesehen wird, ist somit davon abhängig, welche Schriften der Bevölkerungsdurchschnitt in der Schule zu lesen gelernt hat und wie „formklar“ (vgl. Bartnitzky aaO, 10) diese Schrift dann vom jeweiligen Verfasser in der Ausprägung seiner persönlichen Handschrift verwendet wird. Da die Antragsgegnerin allein auf die verwendete Schriftart, nicht auf die persönliche Handschrift des Antragstellers und seiner Verlobten abstellt, ist hier nur jenes Kriterium maßgeblich. Hierzu stellt der Senat als allgemeinkundig fest, dass Sütterlinschrift bzw. Deutsche Schreibschrift zwar schon seit Jahrzehnten nicht mehr Grundlage des Schreibunterrichts an deutschen Schulen sind, diese Schriften aber nach wie vor von weiten Teilen der Bevölkerung zumindest gelesen werden können. Unstreitig sind auch Bedienstete der Antragsgegnerin in der Lage, diese Schriften zu lesen. Dies mag sich in Zukunft ändern, wie auch der Schreibunterricht in den Schulen ständigen Wandlungen unterworfen ist (vgl. Bartnitzky aaO), derzeit ist es aber noch Stand der gesellschaftlichen Entwicklung.

Da hiernach die Verwendung von Sütterlinschrift bzw. Deutscher Schreibschrift keinen Verbotstatbestand des Gesetzes erfüllt, bedurfte der Antragsteller für die Verwendung dieser Schriften auch keiner Erlaubnis.
Ladislaus meinte am 2009/08/19 19:22:
Ich kenne einen Lehrer, der den Schülern in Geschichte immer erst einmal dt. Schreibschrift beibringt. Und die Schüler verwenden sie dann eifrig allerorten, weil sie kein anderer Lehrer lesen kann. :-) 
 

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