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Die folgende Besprechung erschien in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 161 (2013), S. 566-568

Johannes Reuchlin, Briefwechsel. Bd. 4: 1418-1522. Bearb. von Matthias Dall’Asta und Gerald Dörner (= Johannes Reuchlin Briefwechsel, hrsg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften in Zusammenarbeit mit der Stadt Pforzheim). Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2013. L, 522 S., Ln. EUR 128,- ISBN 978-3-7728-1986-5

Johannes Reuchlin, Briefwechsel. Bd. 4: 1518-1522. Leseausgabe in deutscher Übersetzung von Georg Burkard, hrsg. von Matthias Dall’Asta im Auftrag und mit Unterstützung der Stadt Pforzheim. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2011. 239 S., Brosch. EUR 38,- ISBN 978-3-7728-2018-2

1999 erschien der erste Band des Reuchlin-Briefwechsels, der an die Stelle der heute veralteten Ausgabe Ludwig Geigers dritt, der 1875 312 Briefe - viele aber nur auszugsweise oder als Regest - präsentierte. Nun ist das monumentale Werk abgeschlossen, Bd. 4 kam im Januar 2013.heraus. Die begleitende Leseausgabe mit der Übersetzung des 2010 verstorbenen Georg Burkard erschien bereits im Sommer 2012.

Obwohl es aus meiner Sicht kleinere Mängel gibt (meine Besprechungen der früheren Bände sind zu finden in der ZGO 2002, 2005 und 2012), kann das Gesamturteil nur sehr positiv ausfallen. Die meisten vorliegenden oder noch laufenden Ausgaben von Humanisten-Briefwechseln übertrifft die Reuchlin-Ausgabe: Die Texte werden durch ausführliche genaue Regesten und überwiegend ausgezeichnete Kommentare bestens erschlossen. Selbst die kleine Schere für das Kürzen der Nasenhaare wird liebevoll kommentierend bedacht (S. 306).

Wie schon in Bd. 3 bildet die Auseinandersetzung Reuchlins mit den Dominikanern und den Kölner Theologen um seinen “Augenspiegel” einen Schwerpunkt des vierten Bandes. 1520 wurde in Rom der Augenspiegel verurteilt. Daneben belasteten den greisen Humanisten die mit seinem Exil - die Vertreibung Herzog Ulrichs von Württemberg 1519 und die Pest ließen ihn ins bayerische Ingolstadt fliehen - einhergehenden Sorgen. Als wichtigste Korrespondenten in dieser Zeit würdigt die Einleitung Willibald Pirckheimer und Michael Hummelberger. Am 30. Juni 1522 ist Reuchlin gestorben. Der letzte bekannte Brief, gerichtet an Hummelberger, vom 22. Februar 1522 endet optimistisch: “Wir werden, jeder einzelne von uns, die Grundlagen für eine neue Zukunft legen. ‘Die Wahrheit wird über der Erde aufgehen’, und wenn die Schatten vertrieben sind, wird das Licht hell erstrahlen, das nun schon 400 Jahre von der scholastischen Verderbnis verdunkelt worden ist” (Burkard S. 208).

Aus den 46 Jahren von 1477 bis 1522 sind 405 Briefe überliefert (403 laufende Nummern und die Nachträge ep. 73a und die zweifelhafte ep. 55a). Leider gibt es keinerlei zusammenfassenden Überblick zum Gesamtbestand, und seien es auch nur einige statistische Bemerkungen (von einer Einordnung in die humanistische Briefkultur ganz zu schweigen). Am 3. Januar 1520 beklagte sich Reuchlin, ihm fehle die Ruhe für einen ausführlichen Bericht an Hummelberger, da er seit dem Vortag in großer Eile nicht weniger als 18 Briefe habe eigenhändig schreiben müssen (S. 374). Überliefert ist davon nur einer, an Pirckheimer. Nun handelte es sich um eine Ausnahmesituation, trotzdem wird man schlussfolgern dürfen, dass nur ein kleiner Teil der von Reuchlin geschriebenen Briefe überliefert ist. Ein Handschriftenregister, dem man entnehmen könnte, in welchen Handschriften welche Briefe überliefert sind, fehlt leider.

“Corrigenda und kommentierende Addenda zu Band 1-3" bieten die Seiten 434-452, wobei auch die weiterführenden Hinweise der Rezensionen ausgewertet wurden. Leider jedoch nicht gründlich genug: Nicht berücksichtigt wurden meine Nachweise (ZGO 2001, S. 632; 2005, S. 659) zu Heinrich von Württemberg und Pius Hieronymus Baldung (zu ep. 215) sowie zu Velde (ep. 89). Neuere biographische Literatur (am wichtigsten: das Humanismus-Verfasserlexikon) wurde nur in kleiner, willkürlich anmutenden Auswahl notiert. Beispielsweise wird S. 212 zu Lorenz Truchsess vonPommersfelden auf Bd. 2, Ep. 231 verwiesen, ohne dass man in den Nachträgen von Löbberts Studie im Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 2008 etwas erfährt. Es erschwert die Handhabung, dass die Nummern der Briefe, auf die stets verwiesen wird, nicht in der Kopfzeile zu finden sind.

S. 417 wird der älteren Literatur folgend der Dominikaner Magnus Vetter 1520 als “Prior in Gmünden” bezeichnet. Er war jedoch Prior in Schwäbisch Gmünd (vgl. Christine Stöllinger_löser im Verfasserlexikon 2. Aufl. Bd. 9, Sp. 326), was man übrigens auch ergoogeln kann.

Ein Sachregister gibt es nicht, auch kein Glossar, und die Weglassung der Regionalbezeichnungen im Register ist nun schon zum vierten Mal zu rügen. Zu S. 36 wird zu “ad iugum Hercynium atque Bacenas in Suevia” auf ep. 75 in Bd. 1 verwiesen, nicht jedoch auf die weiteren Belege in Bd. 4: S. 114, 289, 335. Von “transcendi Harcynium iugum” spricht Reuchlin S. 289, was schlüssig als Schwäbische Alb verstanden wird, aber im Wiederspruch zu dem sonst favorisierten Verständnis als Schwarzwald steht. Wer wissen will, ob die Eburonen irgendwo im Briefwechsel erwähnt werden (S. 68), darf alle vier Bände von vorne bis hinten durchlesen. Die Libreka-Volltextsuche von Bd. 2 liefert noch einen Beleg bei Michael Köchlin (II, S. 16).

Damit ist einmal mehr die Frage angesprochen, welchen Sinn es im 21. Jahrhundert noch hat, eine solche Edition nicht Open Access bereitzustellen. Wer an der gedruckten Darbietungsform klebt, verkennt, dass es der Wissenschaft zutiefst schadet, wenn sie bei öffentlich geförderten Forschungsprojekten Verlage subventioniert statt das Potential einer kostenfreien Online-Veröffentlichung auszuschöpfen. Wer intensiv mit den Bänden arbeiten will, kann sie sich nicht einfach kaufen, denn sie kosten einschließlich der Leseausgabe zusammen 640 Euro. Und obwohl natürlich jede Hochschule das wichtige Quellenwerk besitzen sollte, finde ich für die RWTH Aachen keinen Nachweis. Man müsste in die Aachener Diözesanbibliothek pilgern, um die Bände einsehen zu können.

Mit einer übergreifenden Volltextsuche könnte man die erwähnten Registermängel ausgleichen. Nachträge und Ergänzungen könnten problemlos mit den Briefen verknüpft werden. Bei den Biogrammen böte schon jetzt die Einbindung der GND (hinsichtlich der Personennamen, früher: PND) einen erheblichen Mehrwert. Links zu den inzwischen in stattlicher Zahl vorliegenden Digitalisaten der alten Drucke würde die Verifizierung der Quellenstellen extrem erleichtern. In den Augen der Humanisten haben die Scholastiker die Weisheit weggeschlossen. Das Bild möchte ich übertragen und dringend dafür plädieren, dass solche Editionen wie der Reuchlin-Briefwechsel möglichst bald “befreit” werden und der Wissenschaft und Allgemeinheit digital zur Verfügung stehen.
 

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