Allgemeines
Architekturarchive
Archivbau
Archivbibliotheken
Archive in der Zukunft
Archive von unten
Archivgeschichte
Archivpaedagogik
Archivrecht
Archivsoftware
Ausbildungsfragen
Bestandserhaltung
Bewertung
Bibliothekswesen
Bildquellen
Datenschutz
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
null

 
Wie schon im letzten Jahr präsentieren wir auch heuer ein im aktuell einsehbaren Handschriftencensus noch nicht verzeichnetes Handschriftenfragment eines renommierten mittelhochdeutschen Textes - in der Hoffnung, dass uns wenigstens dieses Jahr das "Ick bün allhier" von Klaus Klein erspart bleiben möge. Die Identifizierungsarbeit letztes Jahr leistete Beatrix Knoll, heuer war erst einmal herauszubekommen, welcher Text, in dem Willehalm Protagonist ist, vorliegt. Stammte letztes Jahr das Fragment aus der Vorgeschichte der Willehalm-Trilogie aus der Arabel, Wolframs Willehalm und dem Rennewart, so gehört es heuer der Fortsetzung, also Ulrichs von Türheim 'Rennewart', an.

[Nachtrag: Zu einem weiteren Rennewart-Fragment:
http://archiv.twoday.net/stories/59205764/ ]

Doch zunächst einige Worte zur digitalen Sammlung, in der man ein solches Stück ganz und gar nicht erwartet: Monasterium.net. Am besten steigt man bei Monasterium.net über die Fonds-Seite (sinnigerweise auf der Hauptseite nicht verlinkt) ein:

http://www.mom-ca.uni-koeln.de/mom/fonds

Kürzlich habe ich eine Wikisource-Seite zu digitalen Sammlungen von Archiven (mit deutschsprachigen Schriftdokumenten) begonnen, aus der bereits jetzt vor allem eines deutlich hervorgeht: Ohne das Engagement der Macher von Monasterium (man darf wohl auch sagen: ohne Thomas Aigner) sähe es hinsichtlich der Digitalisierung von Archivalien bzw. ihrer Bereitstellung Open Access im deutschsprachigen Raum noch viel schwärzer aus. Erstaunlich viele vor allem kirchliche Institutionen ließen sich überzeugen, ihre Urkundenschätze durch Digitalisierung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wir haben daher Monasterium in diesem Weblog schon oft erwähnt. Über 250.000 Dokumente sind bis jetzt online, darunter die Urkunden aus dem Stiftsarchiv St. Gallen ab dem Jahr 1000. Im Mitteleuropäischen Raum ist keine andere Archivaliengattung durch Digitalisierungsprojekte (und das heißt bislang vor allem: Monasterium) so gut abgedeckt wie die mittelalterlichen Urkunden.

[Nachtrag: GW findet unbekannte Einblattdrucke in Monasterium:
http://archiv.twoday.net/stories/59204737/ ]

In Monasterium findet man auch folgende Sammlung: Die Professur für Historische Grundwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität besitzt eine Sammlung von Urkunden [und] Handschriftenfragmenten aus der Zeit von 1181 bis ins 19. Jahrhundert. Die zu Lehrzwecken aufgebaute Sammlung enthält vorwiegend kassierte und später als Bucheinband verwendete Pergamentstücke. Mehr als Gedicht; Fragment einer Willehalm-Handschrift erfährt man zu Nr. 198 nicht:

http://www.mom-ca.uni-koeln.de/mom/DE-LMUHGW/Urkunden/198/charter

Im Grunde genommen ist es nur ärgerlich, dass kein separat durchsuch- und einsehbares Corpus der wichtigen mittelhochdeutschen Texte zur Verfügung steht, obwohl die DFG dafür nicht wenig Geld ausgegeben hatte. Das Trierer Projekt präsentiert sich als Torso, die ergänzende Textsammlung der Universität Virginia wurde eingestellt. Die Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank war offline, als ich nach dem Text suchte, da ich nicht einfach ins Regal greifen und die Ausgaben der Arabel, von Wolframs Willehalm und des Rennewart herausziehen konnte. Glücklicherweise hatte jemand in PBB einen Vers aus dem Fragment mit Stellenangabe zitiert, Google hat also wieder einmal entscheidend geholfen.

Üblicherweise identifiziert man den Autor Ulrich von Türheim mit einem Zeugen in zwei Augsburger Urkunden von 1236 und 1244. Die Ministerialenfamilie von Türheim nannte sich nach dem Ort im Zusamtal, heute Oberthürheim und Unterthürheim in der Gemeinde Buttenwiesen, wo eine Schule "Ulrich von Thürheim" im Namen führt (²VL). Der Wikipedia-Artikel Buttenwiesen nennt den Epiker Minnesänger, der Adelsartikel "Thürheimer" ist (wie viele andere Adelsartikel der Wikipedia) einfach unsäglich.

Der Textbestand des Münchner Fragments findet sich in der Ausgabe von Alfred Hübner, Ulrich von Türheim: Rennewart. Aus der Berliner und Heidelberger Handschrift (Deutsche Texte des Mittelalters 39), Berlin 1938 auf S. 496f. (beide Seiten auf Commons).

Die Vorderseite reicht von
33405 so mu+oz michz got beno+eten
und mit gewalte to+eten

bis
33446 sich beginnent aber die heiden
(übergeschriebene Buchstaben mit + codiert)

Die Rückseite von
33447 vaste su+ochen mit ir her
bis
33488 weistu, herre, daz er sprach:

Wer die Stelle in einer Handschrift des 14. Jahrhunderts nachlesen möchte und nicht in einer modernen Ausgabe, sei auf das Digitalisat des Cpg 404, Bl. 257r verwiesen.

Nun galt es festzustellen, ob das Fragment einem bereits bisher bekannten Codex discissus (einer in mehreren Fragmenten vorliegenden zerschnittenen Handschrift) angehört. Dazu musste ich vor allem die Zeilen zählen: 42 und auf die Maße achten. Als Mitglied der Wolfram-Gesellschaft nenne ich Klaus Klein, Neues Gesamtverzeichnis der Handschriften des 'Rennewart' Ulrichs von Türheim, in: Wolfram-Studien XV (1998), S. 451-493 mein eigen, aber die meisten relevanten Angaben wurden in den Handschriftencensus übernommen. Bei 42 Zeilen kam eigentlich nur das Regensburger Fragment in Betracht, da das verschollene Mittler'sche Fragment (mit ebenfalls 42 Zeilen) ganz anders eingerichtet ist.

Kleins Fragment 6 (S. 465) ist in bairischer Schreibsprache verfasst und stammt aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts:

http://www.handschriftencensus.de/1783

"Anfangsbuchstaben der ungeraden Verse, Majuskeln auf eigene Linie ausgerückt . dreizeilige, abwechselnd rote und blaue bzw. grüne Abschnittsinitalen", schreibt Klein. Das passt nun exakt auf das Münchner Fragment. Auch die Maße stimmen in etwa überein: Höhe des Schriftraums ca. 23,6 cm (Regensburg: 24 cm), Höhe des Fragments ca. 33,2 cm (Regensburg 33,5-34 cm).

Das Regensburger Fragment - Bibliothek des Historischen Vereins im Stadtarchiv Regensburg Ms. Misc. 62 - wurde 1856 von Karl Roth in der Vereinszeitschrift publiziert (Separatausgabe bei Google Books, Nachweis des Zeitschriftendigitalisats im Handschriftencensus). Es hat in der Ausgabe Hübners die Sigle G und steht dem Textzeugen K nahe (Hübners Stemma S. XLIV ist auf Commons verfügbar), was sich in den Varianten des Fragments bestätigt, das in Vers 33467 wie K und Z Karitat hat und damit gegen BDHMVZa steht.

Das Stadtarchiv Regensburg wollte nicht helfen, aber ein Schriftvergleich mit SW-Kopien bestätigte, dass das Münchner Stück tatsächlich aus dem Codex stammt, dem das Regensburger Stück angehört. Aussagekräftig sind insbesondere die Majuskeln am Zeilenanfang, und auch die anderen Buchstabenformen stimmen überein (wenngleich die Verteilung der beiden z-Formen in beiden Fragmenten differiert). Damit sind immer noch 41 Handschriften bekannt, da das Fragment einem Codex discissus angehört, der bisher nur vom Regensburger Stück vertreten wurde. Allerdings hat sich die Anzahl der bekannten Rennewart-Fragmente um eins erhöht.

Nicht erklären kann ich die Beschriftung auf der Rückseiteseite des Münchner Fragments von einer Hand des 19. oder frühen 20. Jahrhunderts: 12,380 Liechtenberg.

Alle Türchen 2011

#forschung

LMU-Fragment (ohne Maßstab)

Regensburger Fragment
 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma