Allgemeines
Architekturarchive
Archivbau
Archivbibliotheken
Archive in der Zukunft
Archive von unten
Archivgeschichte
Archivpaedagogik
Archivrecht
Archivsoftware
Ausbildungsfragen
Bestandserhaltung
Bewertung
Bibliothekswesen
Bildquellen
Datenschutz
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
null

 
Die Public Domain und die Archive

Von Klaus Graf

[Preprint des Beitrags für den Tagungsband des 79. Deutschen Archivtags in Regensburg 2009, Programm: http://www.archivtag.de/at2009/programm/progheft_2009.pdf

Gedruckt:

Klaus Graf: Die Public Domain und die Archive, in: Archive im digitalen Zeitalter. Überlieferung - Erschließung - Präsentation. 79. Deutscher Archivtag in Regensburg (=
Tagungsdokumentationen zum Deutschen Archivtag 14), Fulda 2010, S. 177-185
]

Beginnen möchte ich mit der Erläuterung von drei Definitionen:

1. Was ist Open Access?

2. Was ist die Public Domain?

3. Was ist Copyfraud?


Zu Punkt 1: Open Access ist zwar kein juristisch definierter Begriff, aber man kann trotzdem nicht behaupten, dass unklar wäre, was man in der Forschungspolitik darunter versteht. „Als Open Access (englisch offener Zugang) wird der freie Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und anderen Materialien im Internet bezeichnet“, definiert die deutschsprachige Wikipedia.

Eine wichtige Unterscheidung in der Open-Access-Community betrifft gratis und libre Open Access [1].

Gratis Open Access heißt: Die Inhalte werden kostenlos für den Nutzer im allgemein zugänglichen Internet dauerhaft zugänglich gemacht.

Libre Open Access meint dagegen mehr: Es wird zusätzlich zur kostenlosen Nutzung die Möglichkeit einer Nachnutzung gewährt, ohne dass eine ausdrückliche Zustimmung eingeholt werden muss.

Als Beispiel für libre Open Access können die vom Bundesarchiv der Wikipedia zur Verfügung gestellten Fotos genannt werden. Diese befinden sich im „Wikimedia Commons“ genannten Multimedia-Pool der Wikimedia Foundation, der Trägerin der Wikipedia, und können nicht nur von den Wikipedia-Projekten, sondern von beliebigen externen Nutzern kostenlos verwendet werden. Soweit sie nicht gemeinfrei sind, weil die deutsche urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist, sind alle mit einer Creative Commons Lizenz versehen, die es ermöglicht, die Fotos zu verändern und sie beliebig – auch kommerziell – kostenlos zu nutzen, also etwa für andere Webprojekte. Erfolgt eine solche Nutzung, ist der Nachnutzer aufgrund der Creative Commons Lizenz verpflichtet, den Urheber des Fotos und die Lizenz zu nennen. Werden diese Lizenzbedingungen nicht eingehalten, liegt eine Urheberrechtsverletzung vor. Open Access heißt also nicht Public Domain: der Urheber bzw. Rechteinhaber verzichtet zwar auf die meisten, nicht aber auf alle Rechte. Der Nutzer kann mit den Medien nicht machen, was er will, sondern muss sich an bestimmte Spielregeln halten.

Die Abkürzung von Creative Commons ist CC. Die weltweit führenden Open Access Zeitschriftenverlage verwenden die liberalste CC-Lizenz CC-BY. BY steht für „Attribution“ (Urhebernennung). Beispielsweise darf man die dort veröffentlichten Artikel in andere Sprachen übersetzen, ohne den Urheber oder den Verlag zu fragen, solange der Urheber genannt wird.

Die grundlegende „Berliner Erklärung für Open Access“ vom Oktober 2003, die inzwischen weltweit von sehr vielen Wissenschaftsorganisationen unterzeichnet wurde und sich ausdrücklich auch an die kulturgutverwahrenden Institutionen wie die Archive wendet, sieht ausdrücklich nicht nur gratis Open Access, sondern auch libre Open Access vor. Es heißt dort: „Die Urheber und die Rechteinhaber solcher Veröffentlichungen gewähren allen Nutzern unwiderruflich das freie, weltweite Zugangsrecht zu diesen Veröffentlichungen und erlauben ihnen, diese Veröffentlichungen – in jedem beliebigen digitalen Medium und für jeden verantwortbaren Zweck – zu kopieren, zu nutzen, zu verbreiten, zu übertragen und öffentlich wiederzugeben sowie Bearbeitungen davon zu erstellen und zu verbreiten, sofern die Urheberschaft korrekt angegeben wird.“ [2]

Aber nicht überall, wo Open Access draufsteht, ist auch Open Access drin. Weder der Verkauf von Kirchenbuch-CD-ROMs noch der kostenlose Inhouse-Zugriff auf Digitalisate für Personal und Benutzer darf mit Fug und Recht als Open Access bezeichnet werden.

Zu Punkt 2: Was ist die Public Domain?

Public Domain ist ein urheberrechtlicher Begriff, der all das umfasst, was nicht oder nicht mehr urheberrechtlich geschützt ist. Rechteinhaber der Public Domain ist die Öffentlichkeit, sie gehört uns allen. Was zur Public Domain gehört, darf von allen ohne urheberrechtliche Beschränkungen zu beliebigen Zwecken und ohne Auflagen genutzt werden.

Zur Public Domain zählt zunächst einmal alles, was aus der Sicht des Urheberrechts überhaupt nicht schutzfähig ist, beispielsweise eine seltsam geformte Muschel, die am Strand liegt oder Nachbars Apfelbaum. Das sind keine menschlichen geistigen Schöpfungen im Sinne des Urheberrechts. Ebenfalls nicht schutzfähig sind einfache Gestaltungen, denen die sogenannte Schöpfungshöhe [3] fehlt. Ein sehr kurzer alltäglicher Aktenvermerk im Archivgut würde beispielsweise unter die nicht urheberrechtlich geschützte Gattung einfacher Gebrauchstexte fallen.

Sodann zählt zur Public Domain alles, was ein nationaler Gesetzgeber vom Urheberrechtsschutz ausgenommen hat. Beispielsweise sind nach deutschem Recht (§ 5 Urheberrechtsgesetz = UrhG) Gesetze und Verordnungen als „amtliche Werke“ nicht geschützt. In den USA sind die dienstlichen Werke der Bundesbediensteten vom Copyright ausgenommen.

Zur Public Domain gehört schließlich auch, was alt genug ist, damit der Urheberrechtsschutz abgelaufen ist.

In Deutschland und der Europäischen Union läuft der Urheberrechtsschutz 70 Jahre lang nach dem Tod des Urhebers, wobei die Frist jeweils am Jahresende endet. Da der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud 1939 starb, sind seine Werke seit dem 1. Januar 2010 nicht mehr geschützt. Sie sind „gemeinfrei“, denn das deutsche Urheberrecht spricht statt Public Domain von „Gemeinfreiheit“.

Selbstverständlich sind auch mittelalterliche Urkunden gemeinfrei, auch wenn es im Mittelalter noch gar keine Urheberrechtsgesetze gab. Auf die aus meiner Sicht problematische Regelung des § 71 UrhG über die sogenannten „nachgelassenen Werke“, die durch Erstveröffentlichung für 25 Jahre der Public Domain wieder entrissen werden können, kann ich hier nicht näher eingehen.

Dass es kein ewiges Urheberrecht gibt, war eine bewusste Entscheidung des Bundesgesetzgebers. In der amtlichen Begründung zum Urheberrechtsgesetz heißt es, Verbreitung und Wiedergabe der „Meisterwerke der Literatur und Kunst, die in den Kulturbestand eines Volkes eingehen“, müssten „im allgemeinen Interesse jedermann freistehen“ [4]. Welche Vorteile eine reiche Public Domain für das geistige Schaffen und die Kreativität stiftet, wurde vor allem von US-Juristen breit diskutiert [5].

Eine Abgabe auf gemeinfreie Werke, die z.B. als „Goethegroschen“ bezeichnet wurde, wurde wiederholt erwogen, aber nie Gesetz.

Aus der Sicht des Urheberrechts darf man mit gemeinfreien Werken anstellen, was man möchte. Man darf seinen Namen unter ein Goethe-Gedicht setzen, es stümperhaft in Aargauer Dialekt übersetzen oder es verhohnepipeln. Goethes Erben sind dagegen machtlos. Veröffentlicht man eine solche Entstellung bei einem modernen geschützten Gedicht, kann der Urheber dagegen vorgehen.

Entscheidend ist folgende Feststellung: Gemeinfreiheit oder Public Domain bezieht sich nur auf das Urheberrecht (man kann auch ergänzen: auf das jeweilige nationale Urheberrecht).

Ein einfach gestaltetes Logo kann nach urheberrechtlicher Lehre in Deutschland als Geschmacksmuster geschützt sein, nicht aber nach dem Urheberrecht. Die Form des Zugs IntercityExpress (ICE) ist nach dem Geschmacksmustergesetz geschützt [6]. Wer kommerziell Postkarten von ICEs vertreibt, kann Ärger mit der Deutschen Bahn bekommen.

Ein traditionelles altes Stadtwappen ist urheberrechtlich gemeinfrei. Wenn aber ein Unternehmer damit wirbt, verletzt er das im bürgerlichen Recht geschützte Namensrecht der Stadt, und er verstößt gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Führung kommunaler Hoheitszeichen [7].

Bei einer mittelalterlichen Urkunde kommen aber nach deutschem Recht keine solchen konkurrierenden Rechte in Betracht.

Zu Punkt 3: Was ist Copyfraud?

Copyfraud ist ein von dem US-Juristen Jason Mazzone in einem inzwischen einflussreichen Aufsatz aus dem Jahr 2006 [8] geprägter Begriff, der sich – in der Form eines Wortspiels, vergleichbar Copyleft statt Copyright – gegen die unberechtigte Beanspruchung von Urheberrechten bei gemeinfreien Werken wendet. In der deutschen Rechtssprache begegnet man dem Begriff „Schutzrechtsberühmung“ [9].

Firmen, die unberechtigt abgemahnt werden, weil sie angeblich ein Schutzrecht verletzen, können gegenüber dem Abmahner einen Schadensersatzanspruch geltend machen, also beispielsweise die eigenen Anwaltskosten ersetzt verlangen. Die „Wirkung des Ausschließlichkeitsrechts“, befand der Bundesgerichtshof, „verlangt nach einem Korrelat, welches sicherstellt, dass der Wettbewerb nicht über die objektiven Grenzen hinaus eingeschränkt wird, durch die das Gesetz den für schutzfähig erachteten Gegenstand und seinen Schutzbereich bestimmt“ [10]. Wenn man verlangt, dass man das Urheberrecht respektiert, muss man auch die Grenzen des Urheberrechts respektieren.

Wird eine gemeinfreie Notenausgabe mit einem Copyright-Zeichen versehen, so kann ein Mitbewerber nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb dagegen vorgehen [11].

Copyfraud liegt beispielsweise vor, wenn ein Archiv auf Fotokopien einen Stempel anbringt, wonach diese Kopien urheberrechtlich geschützt sind. Dass beim Fotokopieren keine neuen Urheberrechte entstehen, ist unbestritten.

Es leuchtet ein, dass Copyfraud die Public Domain rechtswidrig schädigt. Wer unberechtigte Ansprüche erhebt und ein nicht-existierendes Schutzrecht behauptet, verstößt gegen die gesetzlichen Wertungen. Fügt er anderen einen Vermögensschaden zu, kann sogar eine Strafbarkeit als Betrug gegeben sein.

Copyfraud liegt übrigens auch dann vor, wenn man Medien unter eine Creative Commons Lizenz stellt, die in Wirklichkeit gemeinfrei sind.

Ist ein Fotograf 70 Jahre tot, dürfen Reproduktionen seiner Bilder nicht unter eine solche Lizenz gestellt werden. Seit der Entscheidung „Bibelreproduktion“ des Bundesgerichtshofs vom 8. November 1989 ist klar, dass originalgetreue Reproduktionen von Fotos („Bild vom Bild“) nicht schutzfähig sind [12].

Auch bei der üblichen Flachware in Archiven kann davon ausgegangen werden, dass kein Leistungsschutzrecht nach § 72 UrhG, der sogenannte Schutz einfacher Lichtbilder, besteht [13]. Schriftstücke sind zweidimensionale Vorlagen (auch wenn sie unter dem Mikroskop gebirgig aussehen). Werden sie digitalisiert oder sonst originalgetreu reproduziert, kommt kein Urheberrechtsschutz zustande. Rainer Polley sieht das ebenso wie ich [14]. Also: Die archivüblichen Reproduktionen sind urheberrechtlich nicht geschützt.

Nach diesen ersten drei Punkten, die Open Access, Public Domain und Copyfraud erläutert haben, möchte ich im zweiten Teil meiner Ausführungen die folgende These zu widerlegen versuchen:

Die urheberrechtliche Gemeinfreiheit oder Public Domain ist für die Archive irrelevant, weil sie überlagert wird vom Eigentumsrecht des Archivträgers und archivrechtlichen Rechtsvorschriften.

Zunächst zum Eigentumsrecht. Es ist gerichtlich hinreichend geklärt, dass es kein „Recht am Bild der eigenen Sache“ gibt [15]. Selbst wenn sich aus dem Eigentum oder vertraglichen Vereinbarungen eine Bindung des Erstnutzers ergäbe, könnte ein Dritter, der das Stück verwertet, nicht belangt werden.

Der Bundesgerichtshof hat das in seiner noch immer maßgeblichen Entscheidung „Apfel-Madonna“ 1965 geklärt [16]. Es ging um die Nachbildung einer gemeinfreien mittelalterlichen Marien-Skulptur aus einem Aachener Museum. Ich zitiere aus dem Urteil: Hat „der Eigentümer […] einem Dritten gestattet, das gemeinfreie Werk nachzubilden und diese Nachbildung in den Verkehr zu bringen, so kann er […] weitere Nachbildungen des Originals durch andere Personen, die hierbei die mit seiner Erlaubnis hergestellte Kopie als Vorlage benutzen, nicht verhindern“.

Gestattet ein Unternehmensarchiv einem Benutzer, ein als Kopie zur Verfügung gestelltes Aktenstück in einem Buch als Faksimile abzudrucken, so kann es die weitere Verwertung durch Dritte, die das Schriftstück aus dem Buch scannen und ins Internet stellen können, nicht mehr kontrollieren. Es ist dann irrelevant, welche Knebel- oder Honorarverträge das Archiv mit dem Benutzer geschlossen haben mag. Sobald ein gemeinfreies Werk (vorausgesetzt es handelt sich um „Flachware“) in originalgetreuer Reproduktion in die Öffentlichkeit gelangt, endet die Verfügungsmacht des Eigentümers.

Bei „öffentlichen Sachen“ [17] kommt hinzu, dass die Sachherrschaft des Eigentümers überlagert wird von ihrer öffentlich-rechtlichen Zweckbestimmung. Diese Zweckbestimmung ergibt sich bei Archivalien in öffentlichen Archiven aus dem Archivrecht, also aus den Archivgesetzen.

Ist die Public Domain irrelevant, weil alles Archivgut eingebunden ist in die durch Rechtsnormen, nämlich die Archivgesetze, geregelte Verwaltung des Archivguts in den Archiven?

Zunächst einmal ist festzustellen: Alle deutschen Archivgesetze enthalten keine Befugnisnormen, die es Archiven erlauben, Bildrechte gemeinfreier Vorlagen zu vermarkten. Bis hin zum Landesgesetzgeber von Nordrhein-Westfalen, der bei Niederschrift dieser Zeilen gerade die Novellierung des Archivgesetzes diskutiert, haben die Parlamente des Bundes und der Länder keine Veranlassung gesehen, einen meines Erachtens durchaus wesentlichen Punkt zu regeln: Ob und wie das im Archivgut verkörperte geistige Eigentum vermarktet, also kommerziell verwertet werden darf, und wie sich diese Vermarktung zu den archivrechtlich gewährleisteten Nutzungsrechten der Benutzer verhält [18]. Wesentliche Entscheidungen müssen durch Gesetz getroffen werden, sie der Verwaltungspraxis zu überlassen, kann Eingriffe in Benutzerrechte nicht rechtfertigen.

Nach der jetzigen Systematik der Archivgesetze kommt eine Kontrolle des geistigen Gehalts des Archivguts nur dann in Betracht, wenn es um die Schutzgüter geht, denen diese Gesetze verpflichtet sind. An erster Stelle stehen der Datenschutz und das informationelle Selbstbestimmungsrecht sowie das postmortale Persönlichkeitsrecht, es sind aber auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, soweit sie im Archivgut dokumentiert sind, zu wahren. Soweit das Wohl des Bundes oder eines Landes betroffen ist, liegt die Hürde für die Einsichtsverweigerung so hoch, dass es ausgeschlossen ist, das fiskalische Interesse an der Vermarktung von Bildrechten damit zu verbinden.

Man kann es auch so formulieren: Es gehört nicht zu den gesetzlichen Aufgaben der Archive, Bildrechte gemeinfreier Vorlagen zu kommerzialisieren. Die Archive dürfen aber nur im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben tätig werden.

Entsprechende Genehmigungsvorbehalte in Archivbenutzungsordnungen, die die Veröffentlichung und Weitergabe von Reproduktionen an die Zustimmung des Archivs knüpfen, sind nicht hinreichend ermächtigt [19]. Für Textwiedergaben ist hinreichend geklärt, dass Bibliotheken oder Archive in öffentlicher Trägerschaft keine Befugnis haben, die Edition von ihrer Genehmigung abhängig zu machen. Ein solcher Eingriff in die Forschungsfreiheit bedürfte einer gesetzlichen Ermächtigung [20]. Ich sehe keinen Grund, dieses Ergebnis nicht auch auf die Bilder des Archivguts zu übertragen.

Nicht vernachlässigt werden darf der Gesichtspunkt, dass Archive ein „Monopol“ an ihren Beständen haben. Sie haben den exklusiven Zugriff auf das Vermarktungs-Potential, der von der gemeinsamen Wirtschaftsordnung der EU gewünschte Wettbewerb findet nicht statt. Wer das Bild eines alten Aktenstücks veröffentlichen will, muss mit dem Archiv handelseinig werden. Er kann sich nicht an einen billigeren Anbieter wenden.

Nach der jetzigen Rechtslage wird die Public Domain des Urheberrechts also keineswegs von den Archivgesetzen ausgehebelt. Die Schutzgüter der Archivgesetze, allen voran das Persönlichkeitsrecht, erlauben eine Kontrolle der Benutzung und der Abgabe von Reproduktionen. Sind diese Schutzgüter aber nicht tangiert, etwa bei mittelalterlichen Dokumenten, ist diese Kontrollbefugnis nicht gegeben. Wird sie trotzdem ausgeübt, ist das rechtswidrig.

Eine Änderung der Rechtslage durch Landesgesetz wäre nicht erfolgversprechend, denn das Recht des geistigen Eigentums ist abschließend vom Bund geregelt worden. Urheberrechtsgesetz, Patentgesetz, Geschmacksmustergesetz usw. sind Bundesgesetze. Die Kompetenzenordnung des Grundgesetzes schließt es aus, dass ein Landesgesetzgeber ein „Immaterialgüterrecht“ am Archivgut begründet, das mit dem Bundesgesetz über das Urheberrecht kollidiert.

Die Grundsatzentscheidung des Bundesgesetzgebers, das geistige Eigentum bei Werken, die in das Feld des Urheberrechts gehören, zu befristen, ist auch vom Bundesverfassungsgericht abgesegnet worden. Das Urheberrecht als Bundesrecht blockiert also ein „geistiges Eigentum des Landes“ (bzw. des öffentlichen Archivträgers) am Archivgut als Exklusiv- oder Ausschließlichkeitsrecht.

Kulturgut ist kulturelles Allgemeingut, das sich, so das Bundesverfassungsgericht, privatrechtlicher Verfügbarkeit entzieht [21]. Versteht man Kulturgut in diesem Sinn als Eigentum der Allgemeinheit, so muss man das rechtlich geschützte Interesse der Allgemeinheit respektieren, wenn dieses den Privatinteressen der jeweiligen bürgerlichrechtlichen Eigentümer und der urheberrechtlichen Rechtsinhaber entgegengehalten wird [22]. 1811 formulierte Ludwig von Oettingen-Wallerstein über seine Kunstsammlungen: „Alle Werke des Geistes gehören der Nation, gehören der Menschheit an und in diesem Sinne allein krönen sie den Besitzer mit dem Golde ihres Reichtums“ [23].

Wenn die Kulturgüter uns allen gehören, wieso sollen wir dafür zahlen, wenn wir sie nutzen wollen?

Im Januar 2010 wurde ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 17. Dezember 2009 bekannt [24], das vermutlich erhebliche Auswirkungen auf die Bildrechtegebühren-Praxis der Archive haben wird. Es ging um das Abfilmen von Archivalien im Landesarchiv. Die bildliche Wiedergabe im Rahmen eines Fernsehbeitrags wurde vom Gericht nicht als Benutzungshandlung im Sinne der Benutzungsordnung angesehen. Ich bezweifle, dass das zugrunde liegende Problem mit ein paar flinken Umformulierungen in der Benutzungsordnung beseitigt werden kann. Wenn man den Prüfungsaufwand bei der Abgabe von Reproduktionen der Gebühr zugrunde legt, ist es fraglich, ob beliebig Nachnutzungen eingerechnet werden können, denn das Äquivalenzprinzip verlangt, so das Verwaltungsgericht Dresden schon am 25. Juli 2002 [25], eine Obergrenze der Gebühr. Reproduktionsgebühren nach dem Muster urheberrechtlicher Vergütungen zu erheben ist, um es vorsichtig zu formulieren, nach dem Münsteraner Urteil eher schwieriger als leichter geworden. Es wäre zu wünschen, wenn die Archivverwaltungen diesen „Schuss vor den Bug“ als solchen wahrnehmen würden und auf „libre Open Access“ setzen würden.

Nicht zu verkennen ist ja das Gerechtigkeitsproblem, das sich aus der Ungleichbehandlung von Erstnutzer und Nachnutzer ergibt. Der Erstnutzer einer gemeinfreien Reproduktion ist sozusagen „der Dumme“, während der Zweitnutzer die bestehende Veröffentlichung vergütungsfrei nutzen kann, ohne das Archiv zu fragen. Das Benutzungsverhältnis bindet immer nur den Benutzer, der vor Ort oder durch Bestellung einer Reproduktion nutzt. Ein Dritter, der Archivgut in Veröffentlichungen oder anhand von ihm zugänglichen Reproduktionen nutzt, ist kein Benutzer im Sinne der Archivbenutzungsordnungen. Sonst wäre auch jeder, der im Lesesaal einer Universitätsbibliothek den Abdruck einer in einem Archiv befindlichen Kaiserurkunde im Rahmen der MGH Diplomata nutzt, ein Archivbenutzer.

Für viele Archivarinnen und Archivare ist die Rechtslage längst nicht so klar. Sie fühlen sich unsicher und haben den Wunsch, die Nutzung ihres Archivguts umfassend zu kontrollieren und bei kommerziellen Nutzungen Geld für den Haushalt ihres Trägers zu vereinnahmen. Sie überspielen die Unsicherheit mit Copyfraud, indem sie nicht bestehende Archivgut-Verwertungsrechte für das Archiv postulieren. Dabei kann kein Zweifel daran bestehen, dass die nach wie vor bestehende Bindung an Recht und Gesetz der öffentlichen Verwaltung Copyfraud ausschließt. Auch wenn es dem Stadtkämmerer nicht gefällt: Es können nicht Rechte behauptet werden, die es nicht gibt.

Was gemeinfrei ist, muss gemeinfrei bleiben. Auch die Archive müssen die Public Domain respektieren. Bei älteren Dokumenten, bei denen Rechte Betroffener wie der Datenschutz nicht zu beachten sind, sollte der Benutzer mit den vom Archiv oder ihm selbst erstellten Reproduktionen von Archivgut machen dürfen, was er möchte. Ihn daran hindernde Gebühren-Schranken stehen, das hat das erwähnte Münsteraner Urteil gezeigt, auf äußerst wackeliger juristischer Grundlage. Wenn die Archive die Public Domain achten und wie das Bundesarchiv Medien, über deren Urheberrechte sie verfügen, unter Creative Commons Lizenz zur Nachnutzung („libre Open Access“) insbesondere für freie Projekte wie die Wikipedia bereitstellen, genügen sie ihrem Bildungsauftrag und der Aufgabe, das Archivgut nutzbar zu machen, am besten.

[1] Vgl. dazu Peter Suber 2008, online: http://www.earlham.edu/~peters/fos/newsletter/08-02-08.htm (alle Internetadressen wurden am 25. Januar 2010 überprüft). Zu Open Access gibt es eine Fülle von Online-Ressourcen. Materialreich und zum Einstieg geeignet ist das deutschsprachige Portal: http://www.open-access.net/. Aus archivischer Sicht beschäftigen sich viele Beiträge der Rubrik „Open Access“ des Weblogs Archivalia http://archiv.twoday.net/topics/Open+Access/ mit Open Access. Hier ist auch mein Kurzreferat über Open Access auf dem Essener Archivtag am 28. September 2006 nachlesbar: http://archiv.twoday.net/stories/2712317/ .

[2] Zitiert nach der nicht-offiziellen deutschen Übersetzung: http://oa.mpg.de/openaccess-berlin/Berliner_Erklaerung_dt_Version_07-2006.pdf .

[3] Siehe dazu instruktiv: http://de.wikipedia.org/wiki/Schöpfungshöhe. Zu den hier und im Folgenden angesprochenen urheberrechtlichen Problemen habe ich ausführlich kritisch Stellung bezogen in dem Buch: Klaus Graf, Urheberrechtsfibel – nicht nur für Piraten. Der Text des deutschen Urheberrechtsgesetzes, erklärt und kritisch kommentiert (PiratK-UrhG). Berlin 2009 Online unter CC-BY-SA 3.0
http://ebooks.contumax.de/02-urheberrechtsfibel.pdf
oder
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-63164 .

[4] Bundestags-Drucksache IV/270, auch online: http://www.urheberrecht.org/law/normen/urhg/1965-09-09/materialien/ds_IV_270_B_01_08.php3 .

[5] Es genüge der Hinweis auf die jüngste Monographie: James Boyle, The Public Domain. Enclosing the commons of the mind. New Haven [u.a.] 2008. Online: http://www.thepublicdomain.org/download/ .

[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Geschmacksmuster .

[7] http://de.wikipedia.org/wiki/Amtliches_Wappen .

[8] Jason Mazzone, Copyfraud. In: New York University Law Review 81 (2006), S.1026–1100. Online:
http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=787244 .

[9] http://de.wikipedia.org/wiki/Schutzrechtsberühmung .

[10] Urteil vom 15. Juli 2005, Az.: GSZ 1/04. Online: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2005&Sort=3&nr=33818&linked=bes&Blank=1&file=dokument.pdf

[11] So das Landgericht München am 21. September 1995, Az: 7 O 1384/95.

[12] Az.: I ZR 14/88. Online: http://de.wikisource.org/wiki/Bundesgerichtshof_-_Bibelreproduktion .

[13] Vgl. Klaus Graf, Urheberrecht: Schutz der Reproduktionsfotografie? In: Kunstchronik 61 (2008), S. 206-208. Online: http://archiv.twoday.net/stories/4850312/

[14] Rainer Polley, Rechtsfragen bei der Präsentation und Benutzung digitaler Publikationen im archivischen Kontext. In. Archivpflege in Westfalen-Lippe 63 (2005), S. 33-39, hier S. 36. Online: http://www.lwl.org/waa-download/archivpflege/heft63/seite033_039_polley.pdf .

[15] Vgl. dazu Henrik Lehment, Das Fotografieren von Kunstgegenständen (Schriften zum deutschen und internationalen Persönlichkeits- und Immaterialgüterrecht 20). Göttingen 2008, S. 99-109.

[16] Az.: ZR 111/63. Online: http://de.wikisource.org/wiki/Bundesgerichtshof_-_Apfel-Madonna .

[17] Vgl. Dieter Strauch, Das Archivalieneigentum (Archivhefte 31). Köln 1998, S. 27-36.

[18] Wie sich Urheberrecht und Archivrecht bei der Benutzung urheberrechtlich geschützter Unterlagen verhalten, ist alles andere als geklärt. Ich konstruiere ein Beispiel: Ein Benutzer des Bundesarchivs will aus einer unveröffentlichten Denkschrift eines Bundesbeamten zitieren, der noch keine 70 Jahre tot ist. Wenn er eine Textpassage auswählt, die selbst Schöpfungshöhe hat, bedarf er nach § 51 UrhG der Zustimmung des Rechteinhabers. Unterstellt, der Bund als Dienstherr ist dieser Rechteinhaber, wird man aus der Sicht der Archivpraxis argumentieren können, dass das Bundesarchiv konkludent allen seinen Benutzern solche Zitate erlaubt, zumal alles andere offenkundig eine Behinderung der zeithistorischen Forschung wäre. Aber wenn man es genau nimmt, stehen die Nutzung eines geschützten Fotos oder Films, bei dem die Rechte vom Bundesarchiv gegen Entgelt wahrgenommen werden, und die soeben beschriebene „Zitat-Nutzung“ bei einem unveröffentlichten Werk urheberrechtlich auf derselben Stufe.

[19] Siehe etwa http://archiv.twoday.net/stories/3177566/ mit weiteren Hinweisen.

[20] Die einschlägigen Beiträge von Jürgen-Christoph Gödan und anderen im Bibliotheksdienst 1994 und 1995 sind online greifbar unter: http://deposit.ddb.de/ep/netpub/89/96/96/967969689/_data_stat/www.dbi-berlin.de/dbi_pub/einzelth/rechtpub/re_pu_00.htm . Wer Archivgut verwerten will – ob in Form textlicher Auszüge oder durch Bildveröffentlichung – kann sich auf die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Grundgesetz) und die Pressefreiheit (Art. 5 Grundgesetz) berufen.

[21] So BVerfGE 58, 137 vom 14. Juli 1981. Online: http://www.servat.unibe.ch/law/dfr/bv058137.html .

[22] Vgl. Klaus Graf, Kulturgut muß frei sein! In: Kunstchronik 60 (2007), S. 507-510. Online: http://archiv.twoday.net/stories/4477824/ bzw. http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2008/529/ .

[23] Zitiert nach Jahrbuch des Historischen Vereins für Nördlingen 1917, S. 73f.

[24] Az.: 9 A 2984/07. Online: http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2009/9_A_2984_07urteil20091218.html .

[25] Az.: 7 K 613/00. Online: http://www.jurpc.de/rechtspr/20030076.htm .
Nowak meinte am 2010/01/30 18:00:
re: Die Public Domain und die Archive
Ein sehr ausführlicher Beitrag, der alles beinhaltet was zum Thema zu sagen ist. Über Public Domain und Open Access werden sich die Gemüter auch weiterhin erregen... 
Adrian Pohl (Gast) meinte am 2010/01/30 22:01:
Sehr schön. Ich hoffe die Diskussion über die Public Domain und Copyfraud wird dieses Jahr - auch in der Bibliothekswelt - an Fahrt aufnehmen.

Vor einigen Tagen ist übrigens das Public Domain Manifesto erschienen (http://www.publicdomainmanifesto.org), in dem es unter anderem heißt:

"Kulturinstitutionen sollten es als eine besondere Aufgabe ansehen, Werke der kulturellen Allmende auszuweisen und zu erhalten. Seit Jahrhunderten ist es Auftrag gemeinnütziger Einrichtungen, unsere Kultur- und Wissensbasis zu erhalten. Als Teil dieser Aufgabe sollten sie durch Kennzeichnungs- und Konservierungsmaßnahmen sicherstellen, dass Werke der kulturellen Allmende für die gesamte Gesellschaft frei verfügbar sind."

Die deutsche Fassung gibt es (als pdf ) unter:
http://www.publicdomainmanifesto.org/sites/www2.publicdomainmanifesto.org/files/Public_Domain_Manifesto_ge.pdf 
 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma