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" .... Architekt Fähmel hat eine Abtei gebaut. Sein Sohn ließ sie sprengen, wenige Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Enkel will sie nun wieder errichten. Heinrich Bölls Roman "Billard um halb zehn" spielt in Köln und passt perfekt als Kommentar zum heutigen Umgang der Stadt mit ihrer Architektur. Gerade erst haben die Bürger den Stadtrat gezwungen, das denkmalgeschützte Schauspielhaus nicht abzureißen. Gegen den Sturz des Stadtarchivs in einen U-Bahn-Schacht konnten sie nichts ausrichten. Da grenzt es fast an ein Wunder, dass der Dom noch steht.
Anna Viebrock, die geniale Bühnen- und Kostümbildnerin, ist in Köln geboren, wie Heinrich Böll und die Schauspielintendantin Karin Beier. Seit einiger Zeit inszeniert Viebrock auch. Bölls komplexen Roman, in dem Rückblenden, Erinnerungen und Gegenwart sich fließend ineinander verschlingen, hat sie unter dem Titel "Wozuwozuwozu" auf die Bühne gebracht. Das fragen sich im Buch auch die Bauern, als der Sprengmeister Robert Fähmel im Auftrag der Nazis die Abtei in die Luft jagt. Für die Regisseurin schwebt diese Frage über der gesamten Handlung.
Aus dem Muff der 50er-Jahre hat Anna Viebrock schon als Mitarbeiterin von Christoph Marthaler Inspirationen gezogen, holzvertäfelte Wartesäle sind ihr Erkennungszeichen. Wieder hat sie so einen Verlorenheitsraum entworfen, der als Restaurant, Büro und Kino fungiert. Die Männer tragen graue Anzüge und Pomade im Haar, die Sekretärin Kostüm und Toupetfrisur, eine jüngere Frau Petticoat. Die Aufführung richtet sich ganz in der Zeit ein, die der Roman vorgibt.
Die nationalsozialistischen Verbrechen sind noch sehr nah. Alle drei Generationen der Familie Fähmel wirken wie gelähmt. Michael Wittenborns als Vater Heinrich spricht fast nur über seine Frühstückstradition mit Paprikakäse, Sohn Robert (Ernst Surberg) findet seine Erfüllung im einsamen Billardspiel jeden Morgen um halb zehn, und Maik Solbachs Enkel Joseph rast todessehnsüchtig mit dem Auto über die Straßen. Wenn die Handlung ganz zum Stehen kommt, singt Rosemary Hardy, aus vielen Marthaler-Inszenierungen bekannt, melancholische Melodien. Nur die tapfere Mutter Johanna (Julia Wieninger) wagt eine Aktion und schießt auf einen Altnazi.
Anna Viebrock ist tief eingetaucht in den Roman und seine Rezeptionsgeschichte. Am Anfang tönt per Einspielung eine Diskussion über die Möglichkeit epischen Erzählens in die Szene, auch Straub/Huillets Verfilmung des Romans unter dem Titel "Nicht versöhnt" von 1965 spielt eine große Rolle. So wie die französischen Filmemacher, die damals noch für ihren betont kargen Stil verhöhnt wurden, sucht Viebrock in den meisten Rollen nach einem direkten, einfachen Ton. Aber das zieht sie nicht konsequent durch, andere Schauspieler gestalten psychologisch ausgefeilte Figuren. Martin Reinke hat einen unglaublich starken Auftritt als Mitläufer Dr. Nettlinger, ein Mensch ohne Gesinnung und Gewissen, erst Nazi, dann Demokrat. Wie er einem zurück gekehrten Flüchtling die Vorteile einer Lachsvorspeise anpreist, wirkt unendlich fies, gerade weil er so freundlich ist und an seine Liebenswürdigkeit glaubt. Auf diese Nettlingers wurde die frühe Bundesrepublik gebaut. Neben Reinkes Auftritt wirkt die Bescheidenheit vieler Akteure wie laienhaftes Textaufsagen. ...."
- aus der Rezension in der Welt.
 

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