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Workshop für Doktorandinnen und Doktoranden:
Termin: 26. November 2010
Ort: LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, Münster

"Nach den Akten des Jugendamtes: Horst ist durch Kaiserschnitt
geholt, sehr schwere Geburt, als Kind schwächlich, sehr spät
gehen und sprechen gelernt. Durch Unglücksfall Verlust eines
Fingers. Jetzt gut entwickelt, Ernährungszustand gut. Er hat
einen Hang zur Gefühlslosigkeit und Grausamkeit (Tiere
gequält). Umgang mit Schwarzhändler. Leidenschaft für
Zigarettenrauchen, nasch- u. verschwendungssüchtig. Der Junge
ist allen Lehrern bekannt, sie erklären, daß sie ihm schon eine
Verbrecherlaufbahn vorausgesagt haben. Vom Amtsgericht München
am 8.5.46 vorläufige Fürsorgeerziehung angeordnet."

Ein aktuelles Projekt des LWL-Instituts für westfälische
Regionalgeschichte befasst sich mit der Geschichte der
Heimerziehung und dem Schicksal von Heimkindern in Westfalen
zwischen 1945 und 1980: Tausende Jugendliche wurden in der
Nachkriegszeit aufgrund von 'Verwahrlosung' in die
Fürsorgeerziehung eingewiesen und wurden damit zum 'Fall', den
die zuständige Behörde nach 'Recht und Gesetz' behandelte und
der sich in Form von Akten niederschlug.

Die zahlreich in diesen Einzelfallakten enthaltenen,
vermeintlich objektiven Angaben zur Biografie, zum sozialen
Umfeld und zum Charakter des 'Zöglings' speisten sich aus
höchst subjektiven Informationen von Fürsorgern,
Familienangehörigen, Lehrern oder Geistlichen und hielten meist
nur Negatives auf dem Papier fest. Die aktenmäßige Abstraktion
sagt daher unter Umständen mehr über ihre Verfasser aus, als
über ihre eigentlichen Objekte.

Generell gilt: Schriftgut aus Verwaltungsbehörden spiegelt in
einer besonderen Abstraktion bestimmte Momente aus dem Leben
eines Menschen wider. Tritt ein Mensch in Berührung mit
Verwaltung, wird er fast immer 'aktenkundig' - und unter
günstigen Voraussetzungen der Quellenüberlieferung zu einem
möglichen Untersuchungsgegenstand von Historikern.

Bisher standen kulturgeschichtliche Untersuchungen der
Schnittstelle von Verwaltung und Mensch nicht im Zentrum der
Verwaltungsgeschichte. Die Neue Kulturgeschichte widmet sich
vornehmlich den historischen Akteuren, deren Erfahrungen sowie
deren Wahrnehmungs- und Handlungsmustern, beachtet dabei aber
auch institutionelle und strukturelle Bedingungen; sie
untersucht Diskurse und versucht Quellen - insbesondere
Ego-Dokumente - neu zu erschließen. Thomas Mergel plädierte
bereits 2002 in seinen programmatischen "Überlegungen zu einer
Kulturgeschichte des Politischen" dafür, sich mit dem Rüstzeug
der Neuen Kulturgeschichte auch der Verwaltungstechnik
zuzuwenden.

Nach Thomas Ellwein zeichnet sich gute Verwaltung dadurch aus,
dass sie routiniert und effektiv arbeitet, auch den Einzelfall
berücksichtigt, dabei menschlich handelt und den gesunden
Menschenverstand anwendet. Dennoch kann mechanisch
durchgeführte Verwaltung den von ihr abhängigen Menschen leicht
bevormunden, wobei viel vom Ausreizen stets vorhandener
Ermessensspielräume durch die in Verwaltungen handelnden
Personen abhängt.

Wie und unter welchen Umständen wurde jedoch der freie, aber
ebenso der unmündige oder entmündigte Mensch zu einer Sache, zu
einem Objekt von Verwaltung degradiert? Ab wann kann man
überhaupt von einem "verwalteten Menschen" (Adler) sprechen?
Gibt es diesbezüglich Konstanten von Verwaltungshandeln, die
sich durch das 20. Jahrhundert verfolgen lassen? Welche
historischen Kontexte sind dabei zu berücksichtigen?

Diesen Leitfragen und damit den Auswirkungen von
Verwaltungshandeln auf das menschliche Individuum in
unterschiedlichen Epochen des 20. Jahrhunderts will der
geplante Workshop nachgehen. Neben dem genannten Beispiel der
Heimerziehung aus dem Bereich Jugendhilfeverwaltung seien hier
weitere denkbare Themenfelder angeführt:

- Gesundheitsverwaltung
(psychiatrische Anstalten, Erbgesundheitsgerichte)
- Ausländerbehörden (Asyl-Frage, Integrationsbeauftragte)
- Sozialverwaltung (Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe)
- Finanzverwaltung ('Arisierungen', Wiedergutmachung/
Entschädigungen)
- allgemeine Verwaltungsaspekte
('Behördensprache', 'Kundenorientierung')

Verwaltung soll als eine 'fremde Welt' gedacht werden, um diese
sodann mit einem frischen kulturgeschichtlichen Blick zu
entschlüsseln. Nicht eine 'blutleere Verwaltung' soll
betrachtet werden, sondern Menschen und deren Berührung mit
Verwaltungshandeln sollen im Fokus stehen. Erklärungsansätze
für die Handlungsmuster der historischen Akteure sollen
vorgestellt werden.


INFO

Der Workshop dient der stärkeren Profilierung der eigenen
Fragestellung sowie dem Austausch über forschungspraktische
Fragen und methodisch-theoretische Probleme. Die
Veröffentlichung der 20-minütigen Vorträge in der
Schriftenreihe des LWL-Instituts für westfälische
Regionalgeschichte ist geplant.

Ein Abstract im Umfang von 1-2 Seiten mit kurzen Angaben zum
bisherigen wissenschaftlichen Werdegang reichen Interessierte
bitte bis zum 15. Juli 2010 unter martin.droege@lwl.org oder
matthias.froelich@lwl.org als pdf-, doc- oder rtf-Datei ein.
Reise- und Unterbringungskosten werden vom Veranstalter
übernommen
.


via Mailingliste "Westfälische Geschichte"
 

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