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Die folgende Rezension erschien in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 155 (2007), S. 551-553

Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache WMU auf
der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurkunden
bis zum Jahr 1300. Unter Leitung von Bettina Kirschstein
und Ursula Schulze erarbeitet von Sibylle Ohly, Peter
Schmitt und Nicole Spengler (ab Lief. 20: erarbeitet von
Sibylle Ohly und Daniela Schmidt). Berlin: Erich Schmidt
Verlag. 17. Lieferung: schuolhof - sprechen S. 1537-1632
(2001); 18. Lief.: sprechen - swester S. 1633-1728 (2002);
19. Lief.: swesterkint - ûf S. 1729-1824 (2003); 20. Lief.:
ûfbieten - unrehte S. 1825-1920 (2004); 21. Lief.: unrehte
- vaschang S. 1921-2016 (2005); 22. Lief.: vaschanchuon -
verswern S. 2017-2112 (2006).

Gut 80 Prozent dürfte geschafft sein. Pünktlich jedes Jahr
legte die Berliner Arbeitsstelle des Wörterbuchprojekts
eine neue Lieferung des Spezialwörterbuchs zur Geschäfts-
und Rechtssprache des 13. Jahrhunderts vor. Geht man von
sechs ausstehenden Lieferungen aus, so wird das
ambitionierte Unternehmen 2012 beendet sein. Die Rezension
der ersten Lieferung erschien in dieser Zeitschrift 1988,
es folgten drei weitere Besprechungen (1991, 1996 und
2002).

Qualitätsschwankungen waren nicht zu registrieren, die
Bearbeiter haben ein hohes Niveau durchgehalten.
Selbstverständlich ist der Historiker ab und an mit den
Erklärungen unzufrieden. Wenn "stuolbruder" als
"Angehöriger einer (Laien-)Bruderschaft" erklärt wird, so
ist das zu unpräzise. Der Beleg bezieht sich auf die zwölf
Bamberger Stuhlbrüder. Es geht nicht um irgendeine
Laienbruderschaft, sondern eine spezifische Institution des
Memorialwesens, die den Lesern der ZGO aus Speyer vertraut
sein dürfte. Und ob "konzessionierte Schenke" für "rehten
taevern" nicht doch eine Spur zu anachronistisch ist,
darüber mag man trefflich streiten.

Für das Nachschlagen unbekannter Wörter wird man dieses
Wörterbuch freilich ohnehin kaum nutzen, wie überhaupt sein
Hauptadressatenkreis weniger die Historiker und
Rechtshistoriker sind als die Sprachhistoriker und
Lexikographen. Sie finden hier unschätzbares Material zu
den Schreibsprachen des 13. Jahrhunderts, das stets genau
lokalisierbar und datierbar ist.

Historiker und Rechtshistoriker können das WMU vor allem
als "Sachregister" zum "Corpus der altdeutschen
Originalurkunden bis zum Jahr 1300" verwenden, das im WMU
sozusagen "verzettelt" ist. Es enthält aufschlußreiche
Belege zur Rechtssprache und zum agrarhistorischen
Vokabular. So wird man die Artikel selde, seldener,
seldenhûs, seldenlêhen, selhûs und selman als willkommene
Ergänzung zu der von dem Tübinger Geographen Hermann Grees
erstellten Tabelle von Selden-Nennungen vor 1300
heranziehen müssen (Ländliche Unterschichten und ländliche
Siedlung in Ostschwaben, 1975, S. 87-91). Erwähnung
verdienen auch die vielen Personennamen-Deutungen. Nicht
selten erscheinen die Begriffe nur als Bestandteil eines
Personennamens (z.B. solsnîder, Sohlenschneider: her
Gotfrid der solsneider in Wien).

2004 hat der Schmidt-Verlag das Corpus neu aufgelegt. Für
die vier 1932 bis 1963 erschienenen vier Urkundenbände, den
Nachtragsband (bis Lieferung 54, 1986) und den
Regestenband, insgesamt 4500 Seiten, muss man stolze 1788
Euro auf den Tisch legen. Glücklicherweise steht inzwischen
die von Kurt Gärtner in Trier veranlasste Digitalisierung
der Corpus-Texte (ohne Regesten) online kostenfrei zur
Verfügung: http://www.corpus.uni-trier.de. Ein großartiges
Angebot, das für viele nicht-sprachhistorische
Fragestellungen das WMU entbehrlich macht! Mit der
Volltextsuche kann man nun auch mehr als die 100 Belege
auffinden, die das WMU maximal nachweist. Allerdings muss
man im digitalen Volltext alle denkbaren Wortformen suchen,
während das WMU mit normalisierten Lemmata punkten kann.

Da die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
unterstützte Open-Access-Bewegung die freie Zugänglichkeit
von mit öffentlichen Mitteln erstellten
Forschungsergebnissen im Internet fordert (vgl. Klaus Graf,
Edition und Open Access, in: Vom Nutzen des Edierens, 2005,
S. 197-203), wäre es an der Zeit, eine kostenfreie
Online-Ausgabe des WMU ins Netz zu stellen. Auch wenn eine
Volltextsuche im WMU keine Erschließung nach Wortfeldern
ersetzt, die zusätzlich dringend wünschenswert wäre (siehe
ZGO 2002, S. 604f.), so steht doch außer Zweifel, dass mit
einer Volltextsuche die Qualität der Recherche in einem
Nachschlagewerk erheblich zunimmt. Alle Erfahrungen mit
"Open Access" zeigen überdies, dass dieser den Verkauf
ankurbelt und nicht etwa beeinträchtigt. Das Heidelberger
Deutsche Rechtswörterbuch hat den kompletten Bestand des
gedruckten Nachschlagewerks kostenlos ins Netz gestellt. Es
wäre zu wünschen, dass die Bayerische Akademie der
Wissenschaften als Projektträger sich bei der Entscheidung
über eine digitale Ausgabe des WMU darauf besinnt, dass
Wissenschaft betrieben wird, um Wissen möglichst weit zu
verbreiten und nicht, damit traditionelle Verlagsstrukturen
mit "Apotheken-Preisen" für immer fortbestehen.

***

Kommentar: Die letzte 27. Lieferung erschien 2010.

Update: http://archiv.twoday.net/stories/110777038/
 

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