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Na toll! Statt die letzten Stunden der Open Access-Woche auf die Niederschrift der lange angekündigten Abrechnung mit Steinhauers Open-Access-Buch verwenden zu können, muss ich nun auf die eher unbedarften Bedenken zweier von vielen geschätzten Mitgliedern der Biblogosphäre eingehen:

Wenke Richter
http://digiwis.de/blog/2010/10/20/zukunftsgespraeche-open-access-2010-in-berlin-kritische-gedanken/
Dörte Böhner (bibliothekarisch.de) in den dortigen Kommentaren.

Eigentlich könnte ich mich einfach Lambert Heller anschließen, und ich will's auch kurz machen.

1. Finanzierung von Open Access

Open Access bleibt als Ansatz richtig und erstrebenswert, auch wenn er nicht finanzierbar wäre!

Der freie Zugang zu Informationen ist ein Menschenrecht, das sollte man Bibliothekarinnen nicht erklären müssen.

Wissenschaft hat erst einmal nichts mit Ökonomie zu tun, es geht um Erkenntnis. Neoliberale Ideologie neigt dazu, alles ökonomistisch zu verkürzen. Fehlentwicklungen im Hochschulwesen legen von dieser verfehlten Denkweise Zeugnis ab. Siehe http://archiv.twoday.net/stories/6400145/

Nicht-ökonomische Gründe für Open-Access habe ich 2006 aufgelistet:
http://archiv.twoday.net/stories/1435124/

Überdies entzieht sich der Mehrwert von "libre Open Access" bislang ökonomistischen Rechenspielchen.

Wissenschaftliches Publizieren ist - vor allem im STM-Bereich - vor allem deshalb so teuer, weil unendlich fette Monopolgewinne der Verlage von der öffentlichen Hand finanziert werden müssen.

Die eindrucksvollste Milchmädchenrechnung zu Open Access 2010 stammt von Heather Morrison:
http://poeticeconomics.blogspot.com/2010/09/full-open-access-to-articles-with.html
Wissenschaftliche Bibliotheken könnten für 30 % ihres Zeitschriftenetats alle Artikel weltweit Open Access machen!

Dass bei dem goldenen Weg - den Open-Access-Zeitschriften Low-Budget-Projekte erfolgreich sein können, darauf habe ich mehrfach hingewiesen:

http://archiv.twoday.net/stories/6469419/ m.w.N.
http://archiv.twoday.net/search?q=artikelgeb%C3%BChr

Bei den Repositorien (grüner Weg) frage ich mich wirklich, woher die hohen Kosten kommen. Die IR-Software gibts für lau, die Universitäten müssen keinen extra Webspace berappen. Kosten für Langzeitarchivierung fallen bei Universitäten ohnehin an. Ist ein funktionierendes Langzeitarchivierungs-Modell gefunden, ist dies für alle Datentypen (Texte, Bilder usw.) anwendbar - zusätzliche Kosten für das Repositorium entstehen nicht.

Wer als Wissenschaftler selbstarchivieren will, kann dies quasi kostenlos tun, z.B. bei Scribd oder Mendeley, wenn er keine eigene Homepage finanzieren will. Die Achillesferse ist die fehlende Langzeitarchivierung, bei der auf beiden Seiten Risiken bestehen: bei den Anbietern durch Einstellung des Angebots, bei den Wissenschaftlern durch Umzug (Wechsel der Universität), Interesseverlust oder Tod. Aber für den Nutzer, der heute einen Artikel braucht, ist es egal, ob der in 5 Jahren noch im Netz steht.

Empirische Untersuchungen stellen immer wieder heraus, dass die Einstellung im Nicht-IR-Internet erheblich mehr Bedeutung für die Literaturversorgung hat als die IRs. Wenn die Universitäten zu doof sind, um IRs kostengünstig zu betreiben, werden sich vielleicht andere Träger finden, die Langzeitarchivierung garantieren können.

Es sei dahingestellt, ob die Verlage der unzähligen Zeitschriften, die delayed Open Access bieten (die meisten wohl bei Highwire), rein altruistisch agieren - aber offensichtlich schadet diese Generosität ihrem Geschäftsmodell nicht.

2. Open Access nur für Wissenschaftler?

“Wen meinen wir denn genau, wenn wir von freien Zugang für jedermann sprechen? Ist es denn nicht vielmehr so, daß Wissenschaft heute so stark spezialisiert ist, daß die breite Bevölkerung (=Steuerzahler) gar keinen Zugang findet, weil sie einfach die Texte nicht mehr verstehen?” (Richter)

Andrea Kamphuis hat darauf treffend in ihrem Kommentar geantwortet. Auch auf der Kölner Tagung Digitale Wissenschaft http://archiv.twoday.net/stories/8393712/ wurde dieses Thema diskutiert. Als jemand, der als Geisteswissenschaftler seit 1975 (erste Zeitungsartikel als 17jähriger) immer auch für die Öffentlichkeit geschrieben hat und der seit 2004 bei Open-Content-Projekten wie der Wikipedia mitmacht, fällt es mir schwer, diese elitäre Argumentation zu verstehen. Wir Geisteswissenschaftler verbessern die Welt nicht in der Weise, wie dies STM-Fächer tun; die Legitimität unseres Tuns ergibt sich aus gesellschaftlichen Bedürfnissen. Auch wenn es auch in meiner Disziplin, der Geschichtswissenschaft, extrem spezialistische Publikationen gibt, so können doch auch die entlegensten Themen von geeigneten Mittelsleuten so aufbereitet werden, dass der Allgemeinheit der Sinn und Zweck dieses wissenschaftlichen Treibens klar wird.

Wenn man Open Access aus globaler Sicht betrachtet, so bin ich überzeugt, dass tagtäglich Menschen sterben, die weiterleben könnten, wenn ihre Ärzte Zugang zur relevanten Fachliteratur hätten. Die meisten sterben, weil die zu entwickelnden Länder keine angemessene medizinische Versorgung bereitstellen; aber im Bereich der Frühdiagnostik ist es entscheidend, dass bestimmte Wissensbestände den Ärzten kostenlos zur Verfügung stehen. Auch in den entwickelten Ländern kann man den Patienten das Googeln nach seiner Krankheit nicht verbieten. Ärzte und Selbsthilfegruppen finden in mündigen, informierten Patienten verständnisvolle Partner. Wenn es um extrem seltene Krebserkrankungen geht - welche anderen Möglichkeiten hat denn der Patient oder Angehörige als sich zum Quasi-Spezialisten anhand von medizinischer Fachliteratur zu entwickeln, wenn er das elementare Informationsrecht zu wissen, was ihm oder seinem Angehörigen widerfährt, in Anspruch nehmen will?

3. Informationsinkompetente Bibliothekare

"Ist es erlaubt, auf einzelne, auf fremden Servern abgelegte Dokumente zu verlinken?" (Böhner, eine besorgte Frage aus dem KollegInnenkreis referierend)

Meine Güte! Ahnungslose Bibliothekare sind nun wirklich nicht das Problem von Open Access, sondern das des Bibliothekswesens. Wer nicht soviel Informationskompetenz aufbringt, in der Wikipedia den Artikel
http://de.wikipedia.org/wiki/Haftung_f%C3%BCr_Hyperlinks
aufzufinden und als Orientierung für brauchbar zu bewerten, hat den Beruf verfehlt.

Da ich selbst immer wieder kritisch zu Fragen der Open-Access-Strategie Stellung nehme und finde, dass zu viele Probleme unter den Teppich gekehrt werden, sollte ich das kritische Hinterfragen eigentlich sympathisch finden. Aber ich hinterfrage deshalb keine Sekunde lang Open Access als solchen.

"[I]ch bin [...] keine Expertin, was Open Access angeht" (Böhner). Dem stimme ich voll und ganz zu.

Dörte Böhner (Gast) meinte am 2010/10/24 22:52:
Kleine Anmerkung


Ahnungslose BibliothekarInnen sind ein Problem sind ein Problem, wenn es darum geht, ein Lanze für Open Access zu brechen. Sie behindern eine Weitergabe und eine Akzeptanz der Ideen hinter Open Access durch nicht nachvollziehbare Vorstellungen. Da hilft auch nicht ein ellenlanger Artikel in Wikipedia, weil Bedenken und Vorurteile nicht ausgeräumt werden können. Hier sind Gespräche auch auf nichttechnischer Ebene von Nöten. Die offenen Fragen führen zu Unsicherheit und Unsicherheit zu Ablehnung.

Dies ist eine Ebene, die Sie gerne auslassen, nämlich das Vermitteln von und zwischen Positionen. Ich finde es schon wichtig, dass diese Außenpositionen immer mal wieder auch in die Diskussionen von Experten einfließen. Hochschwebene Ideen brauchen eine Erdung, um erfolgreich umgesetzt werden zu können. Man muss jene gewinnen, die sie letztendlich umsetzen müssen. Sehen Sie daher solche Diskussionen auf niederer Ebene als "Verständniswerbung" an.

Open Access ist der richtige Weg, was die Notwendigkeit des Zugangs in vielen Bereichen angeht. Der Erfolg ist aber auch eine Frage der Finanzierung, was meiner Meinung nach vor allem ein Problem seitens der Bibliotheks-, Hochschul- und der allgemeinen Forschungsfinanzierungspoltik ist.

Als einzelner Wissenschaftler habe ich natürlich mit Scribd & Co die Möglichkeit, meine Texte selbst und scheinbar kostenlos zu archivieren. Bei kostenlosen Angeboten zahle ich mit Namen, persönlichen Daten und gesammelten Profildaten und häufig mit einer ziemlichen Werbebelästigung, vernachlässigbar, aber doch eine Art von Bezahlung der verursachten Kosten.

In einem Repositorium entstehen aber versteckte Kosten: Hardware, Strom, Gelder für Personal, dass die Server betreut und die Software am Laufen hält... Das ist natürlich nicht so hoch wie bei den aufgeblähten Systemen der Verlage, weil es sich verteilt, aber Kosten entstehen dennoch. Ein Teil der Kosten entsteht auch für die Entwicklung von Zugangs- und Recherchesystemen und ein weiterer Teil entsteht für die Entwicklung von (Langzeit-)Archvierungsmöglichkeiten (Teil der Aufgaben von Bibliotheken und Archive) und den dafür notwendigen Bearbeitungsschritten. Kosten dieser Art fallen sicherlich an Hochschulen und Forschungseinrichtungen an, aber sie erhöhen sich relativ gesehen durch die Datenmassen des Open Access. Und hier damit finde ich, ist eine Frage nach der Bezahlung von Open Access auf jeden Fall zulässig.

Zudem muss Open Access verstärkt den Weg in Bibliotheken und in die Nachweisinstrumente von Bibliotheken finden, bzw. in die Rechercheinstrumente der Wissenschaftler, um wirklich effektiv und vor allem nachhaltig Teil der Wissenschaftskultur aller Fachbereiche zu werden. Dies mag für OA im Bereich Medizin funktionieren, aber in vielen anderen Bereichen ist OA noch nicht ein gut sichtbarer Teil der wichtigsten fachspezifischen Nachweisinstrumente. Warum? Ist es das fehlende Verständnis für die Situation der Wissenschaft an sich? Falsche Erwartungen? Unwissenheit? 
 

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