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GRUR-RR 2012, S. 246ff.

LG München I, Schlussurteil vom 8. 3. 2012 - 7 O 1533/12 (nicht rechtskräftig) „Mein Kampf”

Zum Sachverhalt:

Die Parteien streiten um die Berechtigung der Verfügungsbekl. (im Folgenden: Bekl.), Auszüge aus dem Buch „Mein Kampf” von Adolf Hitler zu veröffentlichen.

Verfügungskl. (im Folgenden Kl.) ist der F, Bekl. zu 1 ist eine britische Verlagsgesellschaft mit Sitz in L., die das Zeitungsprojekt „Zeitzeugen” in wöchentlicher Ausgabe seit 5. 1. 2012 neu aufgelegt herausgibt, Bekl. zu 2 ist ihr Director. Für die am 26. 1. 2012 erscheinende Ausgabe der „Zeitzeugen” kündigte die Bekl. zu 1 als „exklusiven Beitrag zu Nr. 3” eine Broschüre mit Originalauszügen aus „Mein Kampf” von Adolf Hitler an. Die Ausgaben von „Zeitzeugen” wird auch in München erscheinen. Die Seiten der Broschüre sind zweispaltig gestaltet. In einer Spalte befinden sich umfangreiche Auszüge des Buches „Mein Kampf”, in der zweiten Spalte wird auf einzelne Aspekte dieser Auszüge eingegangen. Verfasser dieser Anmerkungen ist Prof. P, Professor am Institut für Journalistik der Technischen Universität D.

Der Kl. hat im Januar über Medienveröffentlichungen von der geplanten Beiführung von Auszügen aus „Mein Kampf” in „Zeitungszeugen” erfahren. Mit Schreiben vom 16. 2. 2012 forderte er die Bekl. zu einer Stellungnahme auf und teilte mit, dass die geplante Veröffentlichung einen Urheberrechtsverstoß darstelle. Die Bekl. führte daraufhin mit Schreiben vom 23. 1. 2012 aus, dass die Broschüre durch das Zitatprivileg gerechtfertigt sei.

Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 24. 1. 2012 hat der Kl. geltend gemacht, die Bekl. planten eine urheberrechtswidrige Verbreitung umfangreicher Auszüge aus dem von Adolf Hitler verfassten Buch „Mein Kampf”. Es treffe nicht zu, dass die Bekl. bei einer angeblich „verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung des Zitatrechts” die Veröffentlichung von Hitlers Werk „entmystifizierten und als profan darstellten”. Die Broschüre serviere das 800 Seiten umfassende Buch „Mein Kampf” gerade in gut lesbaren Häppchen und versuche Verständnis für die Ausführungen Hitlers zu erwecken. Zudem sei die Broschüre keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Werk Hitlers, sondern diene der Verbreitung desselben in kommerzieller Weise. Im Vordergrund stehe nicht die wissenschaftliche Auseinandersetzung als vielmehr die – nur kursorisch mit Anmerkungen versehene – Verbreitung von Originalauszügen.

Der Kl. sei aktivlegitimiert, denn gem. § 3 der Verordnung über die Einziehung, Verwaltung und Verwertung von Vermögen und Vermögenswerten nach dem Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus (Einziehungsverordnung) vom 23. 11. 1948 seien die Vermögenswerte Hitlers, die vollständig eingezogen worden seien, auf den F übertragen worden. Als Rechtsnachfolger des E-Verlags sei der Kl. auch Inhaber aller Verlagsrechte an dem Werk „Mein Kampf” (vgl. hierzu auch LG München I, NJOZ 2009, 3419). Es fehle bereits am gem. § 51 UrhG privilegierten Zitatzweck, da dieser erfordere, dass das zitierte Werk zur Erläuterung des Inhalts des aufnehmenden – und nicht des zitierten Werks – erfolge. Vorliegend stehe das vermeintliche Zitat im Vordergrund, diesem an die Seite gestellt sei ein erläuternder Textteil, vergleichbar einer Sprechblase. Das Zitat habe allein das Ziel, dem Leser das Werk überhaupt zugänglich zu machen. In der streitgegenständlichen Broschüre hätten die Ausführungen häufig keinen Bezug zum angeblichen Zitat, setzten sich nicht mit dem Inhalt von „Mein Kampf” auseinander und beinhalteten wiederum andere Stellen des Werks zur Erläuterung, weshalb eine Belegfunktion nicht gegeben sei. Eine Berufung auf das Zitatprivileg in § 51 S. 2 UrhG (Kleinzitat) scheide aus, da nach der von den Bekl. angekündigten Machart der Beilage nicht lediglich Stellen eines Werks in ein selbstständiges Werk aufgenommen würden, sondern umfangreiche Auszüge aus „Mein Kampf” veröffentlicht würden. Auch die Berufung auf ein wissenschaftliches Großzitat gem. § 51 S. 2 Nr. 1 UrhG sei ausgeschlossen. Zum einen handele es sich nicht um ein wissenschaftliches Werk, da politische und weltanschauliche Darstellungen nicht von der Regelung erfasst würden. Zum anderen führe auch die von den Bekl. ins Feld geführte „verfassungsrechtlich gebotene Auslegung des Zitatrechts” nicht zu einer Negierung der Urheberrechte des Kl. dergestalt, dass sich ein an sich nach § 51 UhrG unzulässiges Zitat durch eine entsprechende Abwägung rechtfertige. Für eine allgemeine Güter- und Interessenabwägung außerhalb der Schrankenbestimmungen von § 44aff. UrhG sei deshalb kein Raum. § 51 UrhG sei auch grundsätzlich eng auszulegen.

Die Kammer hat am 25. 1. 2012 – berichtigt durch Beschluss vom 3. 2. 2012 – die beantragte einstweilige Verfügung erlassen, wonach den Bekl. untersagt wird, im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Auszüge aus dem Buch „Mein Kampf” von Adolf Hitler herzustellen und/oder zu vervielfältigen und/oder zu verbreiten und/oder herstellen und/oder vervielfältigen und/oder verbreiten zu lassen.

Der Widerspruch der Bekl. hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:

Die einstweilige Verfügung war aufrecht zu erhalten. Der zulässige Verfügungsantrag ist begründet, da dem Kl. Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund zur Seite stehen.

A. Die Bekl. sind dem Kl. aus §§ 97I i.V. mit §§ 16, 17, 23 UrhG zur Unterlassung weiterer Vervielfältigungen und zur Unterlassung der geplanten Verbreitung der streitgegenständlichen Broschüren verpflichtet.

I. 1. Soweit die Bekl. die Passivlegitimation des Bekl. zu 2 bestritten haben, fehlt es diesbezüglich an substanziierten Darlegungen. (Wird ausgeführt.)

2. Die Aktivlegitimation des Kl. ist ebenfalls gegeben. Der Kl. hat, was von den Bekl. nicht bestritten worden ist, dargelegt, dass gem. § 3 der Verordnung über die Einziehung, Verwaltung und Verwertung von Vermögen und Vermögenswerten nach dem Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus (Einziehungsverordnung) vom 23. 11. 1948 die Vermögenswerte Hitlers, die nach Kriegsende vollständig eingezogen worden sind, auf den F übertragen worden sind. Als Rechtsnachfolger des E-Verlags ist der Kl. auch Inhaber aller Verlagsrechte an dem Werk „Mein Kampf” (vgl. hierzu auch LG München I, NJOZ 2009, 3419).

II. Auch die auszugsweise Vervielfältigung und deren Verbreitung steht nach §§ 16, 23, 17 UWG alleine dem Rechtsinhaber zu. Der Kl. hat daher gegen die Bekl. wegen der Wiederholungsgefahr erneuter Vervielfältigungshandlungen und der aus den beabsichtigten Verbreitungen resultierenden Begehungsgefahr einen Unterlassungsanspruch gem. § 97I UrhG.

III. Die von den Bekl. beabsichtigte Veröffentlichung der streitgegenständlichen Broschüren mit Auszügen aus Adolf Hitlers „Mein Kampf” ist nicht durch das Zitatprivileg nach § 51 UrhG gedeckt. Ein Werk zu kürzen und mit Anmerkungen und Erläuterungstexten zu versehen, gibt kein eigenes Nutzungsrecht an dem gekürzt vervielfältigten und verbreiteten Originalwerk.

1. Maßstab der Prüfung ist § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG.

a) Die angegriffene Broschüre ist aus einem kartonierten Umschlag und einem paginierten sechzehnseitigen Inhaltsteil zusammengesetzt. Die Frontseite des Umschlags enthält in einem über die Augen einer Hitlerdarstellung gelegten schwarzen Balken den Titel „Das unlesbare Buch”, darüber in einer von der Illustration abgesetzten schwarzen Kopfzeile die Worte: „Mein Kampf: Originalauszüge und Expertenkommentare” und darunter in einer ähnlich gestalteten Fußzeile die Angabe „Teil 1: Autobiografie”. Seite II des Umschlags enthält ein einseitiges Vorwort von Prof. Dr. B, emeritierter Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, das sich mit den derzeitigen Möglichkeiten, legal (in Bibliotheken, Antiquariaten, aus Omas und Opas Erbschaft) oder illegal (in Neonazikreisen zirkulierende Raubdrucke, im Internet) Zugang zu Hitlers „Mein Kampf” zu erlangen, und der Frage, ob die Entscheidung des Kl., das Buch weiterhin nicht zu veröffentlichen, noch zeitgemäß ist, beschäftigt. Es schließt mit der Feststellung:

„‚Mein Kampf’ als angeblich indiziertes Werk ist längst zum Mythos des ‚verbotenen Buches' geworden. Statt kontraproduktiver Behinderung ist Aufklärung notwendig. Das geschieht, wenn sich jeder Interessierte vom Wortlaut der Sprache und vom Geist des Ideologen Hitler selbst überzeugen kann. Dazu braucht es aber ein wenig Hilfestellung durch Auswahl und Erläuterung die bekommt er in dieser Beilage. Wer dann auch den vollen Text noch konsumieren mag, ist selbst verantwortlich für die Mühe, die er sich macht.”

Unter der Überschrift, „Das unlesbare Buch – Originalauszüge aus ‚Mein Kampf’ mit Expertenkommentaren von Prof. Dr. H P” weist dieser, Professor am Institut für Journalistik der TU D. und Mitglied des Expertenteams von Zeitungszeugen auf S. 2 auf die Bedeutung der autobiografischen ersten Kapitel hin. Sie seien wichtig, um zu verstehen, warum so viele Deutsche der nationalsozialistischen Ideologie gefolgt sind, stellten wie jede Autobiografie gleichzeitig eine mit besonderer Skepsis zu betrachtende Quelle dar und endet mit der Einschätzung:

„Hitler beweist propagandistische Geschicklichkeit, sich mithilfe gängiger Klischees und spießbürgerlichschwülstiger, dem breiten Publikum gerade deshalb verständlicher Sprache ins Heroische, Außergewöhnliche zu stilisieren. Das hat es leicht gemacht, aus der Person ein aus dem Rahmen des Menschlichen fallendes Monster zu formen, das als Sinnbild des Anderen, absolut Bösen gilt. An Hitler zu lernen heißt aber, ihn als Menschen zu betrachten, von dem auch etwas in uns selbst steckt. Dazu eignen sich die ersten Kapitel von ‚Mein Kampf', wenn man sie quellenkritisch liest und die Selbststilisierung des Autors beachtet.”

Auf den S. 2–16 des Hauptteils finden sich dann nach einer Einleitung mit dem Titel „So lesen Sie dieses Heft”, in der empfohlen wird, zunächst einen Abschnitt im Original und dann direkt den Kommentar zu lesen, in außen angeordneten etwas breiteren Spalten jeweils längere Auszüge aus „Mein Kampf”, neben denen innen etwas schmalere, blau hinterlegte Spalten mit Anmerkungen von Prof. Dr. P angeordnet sind. Das Verhältnis auf diesen Seiten liegt bei etwa 55 – 60 Prozent Originaltext gegenüber 40 – 45 Prozent Anmerkungen….

Die vorletzte Umschlagseite enthält unter der Überschrift „Das unlesbare Buch wird in drei Teilen veröffentlicht” den Hinweis auf die geplanten Teile 2 Propaganda und 3 Ideologie, exklusiv erhältlich jeweils als Beilage von Zeitungszeugen. Ferner findet sich ein Impressum und eine Bibliografie. Die letzte Umschlagseite begründet das Schlagwort „unlesbar”. Sie endet:

„Das unlesbare Buch möchte mit einem Mythos aufräumen. ‚Mein Kampf’ ist ein ermüdendes und dumpfes Buch, das einen geheimnisvollen Ruf und unberechtigte Bedeutsamkeit erlangen konnte, weil es versteckt, verboten und verbannt wurde.

In diesem Heft finden Sie Auszüge aus ‚Mein Kampf’ mit detaillierten Erläuterungen und Analysen. Lesen Sie es. Machen Sie sich Ihr eigenes Bild. Damit wir endlich den Mythos von ‚Mein Kampf’ begraben können.”

b) Angesichts der Tatsache, dass die wiedergegebenen Originalauszüge nicht das gesamte Werk umfassen, ist die Zulässigkeit der Übernahmen nicht an § 51 S. 2 Nr. 1 (wissenschaftliches Großzitat), sondern an § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG (Kleinzitate) zu messen (vgl. BGH, GRUR 1986, 59 = NJW 1986, 131 – Geistchristentum, juris-Rdnr. 13).

Es kann dabei dahinstehen, ob – wie die Bekl. argumentieren – in jeder der drei geplanten Broschüren nur 1 Prozent des Textes des knapp 800 Seiten umfassenden zweibändigen Originalwerkes wiedergegeben werden soll oder ob der Anteil sich angesichts der Tatsache, dass jede der Seiten der Bekl. etwa so viel Originaltext enthält wie ein bis eineinhalb Seiten der Originalausgabe von „Mein Kampf” eher bei 2,5 Prozent bewegt. Jedenfalls handelt es sich nicht annähernd um die Wiedergabe eines gesamten Werks, sondern um eine Aneinanderreihung von Textausschnitten eines Werks.

c) Im Ergebnis muss daher auch die Frage nicht geklärt werden, ob § 51 S. 2 Nr. 1 UrhG auch auf populärwissenschaftliche Werke, die sich nicht ausschließlich an die Fachwelt richten, anwendbar ist.

Im Grenzbereich der zunehmenden Verschmelzung von wissenschaftlicher Information und unterhaltender Darstellung kommt es darauf an, ob die wissenschaftliche Auseinandersetzung den Unterhaltungszweck eindeutig überwiegt (vgl. Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. [2008], § 51 Rdnr. 8 m.w. Nachw.). Dies könnte vorliegend auch unter Heranziehung des Umstands, dass die Anmerkungen von einem Wissenschaftler stammen und auf Umschlagseite III eine kurze Bibliografie wiedergegeben wird, trotz der im Text weitgehend fehlenden Auseinandersetzung mit Sekundärquellen, noch anzunehmen sein.

2. Die vorliegend zu beurteilende Nutzung ist durch den Zitatzweck nicht mehr gedeckt, auch wenn dessen Rahmen bei § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG weiter als bei § 51 S. 2 Nr. 1 UrhG zu ziehen ist. Die Anfertigung einer gekürzten, kommentierten und erläuterten Ausgabe begründet kein Nutzungsrecht am Originaltext.

a) Der in § 51 S. 1 UrhG und am Ende von S. 2 Nr. 1 erwähnte Zitatzweck ist die entscheidende Voraussetzung für die Anwendung des § 51 UrhG (BGHZ 85, 1 [10f.] = GRUR 1983, 25 = NJW 1983, 1196 – Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe I, zit. nach Schricker, UrheberR, 3. Aufl. [2006], § 51 UrhG Rdnr. 14). Zu fordern ist eine innere Verbindung zwischen dem eigenen und dem aufgenommenen fremden Werk, in der Weise, dass das aufgenommene Werk dem aufnehmenden Werk dient (vgl. die bei Schricker, § 51 Rdnr. 16 zit. umfangreiche Rspr.).

Dreier weist in Dreier/Schulze (UrhG, § 51 UrhG Rdnr. 3) unter Berufung auf die Entscheidung des KG, GRUR 1970, 616 ([618] – Eintänzer) darauf hin, dass die Hinzufügung nicht allein zum Ziel haben darf, dem Endnutzer das übernommene Werk leichter zugänglich zu machen oder sich selbst eigene Ausführungen zu ersparen.

Der BGH hat insoweit in der auch von den Bekl. für ihren Standpunkt reklamierten Entscheidung „Geistchristentum” (GRUR 1986, 59 = NJW 1986, 131, juris-Rdnr. 17) ausgeführt: „Andere sollen durch die Zitierfreiheit lediglich in die Lage versetzt werden, Entlehnungen als Hilfsmittel der eigenen Darstellung zu benutzen.” Als mögliche legitime Zwecke dieser Entlehnungen benennt der BGH hierbei konkret:

„sei es, dass sie das fremde Werk kritisch beleuchten,

sei es, dass sie es als Ausgangspunkt und insbesondere zur Bekräftigung und Erläuterung des eigenen Gedankenganges auswerten,

sei es schließlich auch, dass sie es in Gestalt von Leseproben zur Veranschaulichung eines selbstständigen Berichts verwenden wollen (BGHZ 28, 234 [240] = GRUR 1959, 197 = NJW 1959, 336 – Verkehrskinderlied).”

Neben diesen auch bei § 51 S. 2 Nr. 1 UrhG anerkannten Zitatzwecken erscheint es im Rahmen von § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG auch legitim, eine Textstelle aus einem anderen Sprachwerk dem eigenen Werk oder dessen Abschnitten als Motto, Devise oder im Sinne einer Hommage voranzustellen. Auch die Nutzung zur bloßen Illustration von Stimmungen oder als Blickfang kann zulässig sein.

Stets muss aber das übernommene Werk dem aufnehmenden Werk dienen. Der BGH hat daher in der Entscheidung „Geistchristentum” im oben genannten Kontext (juris-Rdnr. 17; unmittelbar vor und kurz nach den oben bereits zitierten Stellen) explizit festgehalten: „Mit diesem Zweck des Gesetzes wäre es nicht vereinbar, ein Werk um seiner selbst willen zur Kenntnis der Allgemeinheit zu bringen.” Ein Zitat ist nur zulässig, wenn es als Beleg für eigene Erörterungen des Zitierenden erscheint (BGHZ 50, 147 [155] = GRUR 1968, 607 = NJW 1968, 1875 – Kandinsky I; BGH, GRUR 1973, 216 [218] = NJW 1972, 2304 – Handbuch moderner Zitate).

Diese dienende Funktion ist schließlich auch bei der am Zitatzweck zu orientierenden Bestimmung des zulässigen Umfangs von Zitaten zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang hat der BGH bereits an früherer Stelle ausgeführt, Zitate dürften nicht ein derartiges Ausmaß erreichen, dass sie nicht mehr lediglich eine in dem zitierenden Werk vertretene Ansicht stützen, sondern dieses Werk über weite Strecken selbstständig tragen (BGH, GRUR 1982, 37 [40] – WK-Dokumentation): „Die Übernahme von Werkteilen durch die Bekl. ist angesichts des ganz erheblichen Umfangs – wie er sich aus den Ausführungen oben unter II ergibt – nicht als bloßes Hilfsmittel zur eigenen Darstellung benutzt worden (vgl. dazu BGHZ 28, 234 [240] – Verkehrskinderlied, zur Fußn. 4). Die Entlehnungen erreichen vielmehr ein solches Ausmaß, dass sie einen besonderen Hauptteil im Buch der Bekl. bilden. Sie stützen nicht lediglich eine im Buch der Bekl. vertretene Ansicht, sondern sie tragen das Buch über weite Strecken selbstständig. Damit sind sie aber durch die in § 51 UrhG normierte Zitierfreiheit, die im Interesse des allgemeinen kulturellen und wissenschaftlichen Fortschritts in das Gesetz aufgenommen worden ist (vgl. BGHZ 28, 234 = GRUR 1959, 197 = NJW 1959, 336 – Verkehrs-Kinderlied, zur Fußn. 4; BGHZ 50, 147 [152] = GRUR 1968, 607 = NJW 1968, 1875 – Kandinsky, zur Fußn. 5), nicht mehr gedeckt.”

b) Eine absolute Grenze des zulässigen Zitatzwecks ist dort überschritten, wo die oben abgesteckten Rollen von aufnehmendem und aufgenommenem Werk vertauscht werden, wo also nicht das zitierte Werk dem neuen Werk dient, sondern das neue Werk lediglich als Rahmen für eine Nutzung des aufgenommenen Werks dient.

Da es sich beim Zitatzweck um einen subjektiven Umstand handelt, der in der objektiven Gestaltung seinen Niederschlag finden muss (Schricker, § 51 Rdnr. 14), ist die Frage, welches Werk dem anderen dient, sowohl an der objektiven Gestaltung als auch an den aufzufindenden Hinweisen auf die Intention des Zitierenden zu bemessen.

c) Die vorliegende Broschüre überschreitet diese Grenze, denn sie stellt bei einer Gesamtbetrachtung nach Aufmachung, Inhalt und Marktorientierung einen Abdruck von Originalauszügen des Werks „Mein Kampf” mit fachkundigen Anmerkungen dar. Diese dienen nur der ergänzenden Erläuterung des Originaltextes, der vorrangig für sich selbst sprechen soll. Die Broschüre erscheint dagegen nicht als Monografie von Prof. Dr. H P über ein Thema, dessen Darstellung mit Zitaten aus „Mein Kampf” belegt oder illustriert wird. Die Wiedergabe der Originalpassagen ist daher insgesamt nicht vom erforderlichen Zitatzweck i.S. von § 51 S. 1 gedeckt.

aa) Für diese Einschätzung spricht zunächst die äußere Aufmachung der Broschüre.

Diese ist auf der Titelseite über-/unterschrieben mit „Mein Kampf: Originalauszüge und Expertenkommentare Teil 1: Autobiografie”. Sie nennt dort keinen Autor, zeigt aber ein Bild von Adolf Hitler mit einem schwarzen Balken vor den Augen, der den Titel „Das unlesbare Buch” trägt. Auch im Inneren wird klar unterschieden zwischen den Originalauszügen und den Expertenkommentaren:

Das Vorwort auf der vorderen Innenseite des Umschlags legt dar, warum es notwendig sei, dass sich jeder Interessierte vom Wortlaut der Sprache und vom Geist des Ideologen Adolf Hitler selbst überzeugen könne. Er brauche dazu lediglich ein wenig Hilfestellung durch Auswahl und Erläuterung. Die bekomme er in dieser Beilage. Den vollen Text könne sich der Interessierte dann in eigener Verantwortung an den angegebenen Stellen verschaffen.

Die S. 1 des Hauptteils nennt im Fußbereich erstmals einen Autor. Auf Grund der Seitenüberschrift „Das unlesbare Buch – Originalauszüge aus ‚Mein Kampf’ mit Expertenkommentaren von Prof. Dr. H P” wird klar, dass es sich um den Autor der Expertenkommentare handelt, nicht um den Autor des Gesamtwerks.

Der auf den S. 2 – 16 enthaltene Hauptteil enthält jeweils einen weißen Hintergrund, vor dem sich größere Spalten in schwarzem Druck abheben, die die Originalauszüge aus „Mein Kampf” enthalten. Sie enthalten jeweils etwas mehr Text als die daneben angeordneten, vom weißen Hintergrund durch blaue Hinterlegung abgehobenen Kästen, die jeweils mit einem vorspringenden Dreieck auf die Originaltexte weisen und die Kommentare von Prof. Dr. P enthalten.

Die Selbstständigkeit der Originalauszüge wird von den Bekl. auch zu Beginn ihres Abdrucks auf S. 2 des Hauptteils betont: Unter dem Titel „So lesen Sie dieses Heft” wird empfohlen, zunächst einen Abschnitt im Original und dann direkt den Kommentar zu lesen.

Ein ähnlicher Hinweis auf die Trennung von Auszügen und Erläuterungen findet sich auch noch auf der IV. Umschlagseite auf der Rückseite der Broschüre.

bb) Auswahl und Darstellung der Auszüge folgen in ihrer Reihenfolge der Anordnung im Originalwerk, nicht einer autonomen inhaltlichen Themensetzung des Kommentators. Querverweise und Hinweise auf andere Literaturquellen fehlen.

Die Darstellung der ausgewählten Originalabschnitte folgt der Abfolge in den ersten fünf Kapiteln des ersten Bandes von „Mein Kampf”, aus denen sie entnommen sind. Die Auszüge und die auf sie bezogenen Kommentare tragen jeweils eigene Überschriften, z.B. „Im Elternhaus” bzw. „Brutale Ideen”. Die Überschriften der Originalauszüge decken sich in einzelnen Fällen mit denen der Originalkapitel (bei Kapitel 1 und 4); in den anderen Fällen handelt es sich gemäß Hinweis auf S. 2 oben der Broschüre um Kopfzeilen der NS-Ausgabe von 1943. Die Überschriften der Kommentare beziehen sich meist auf den tragenden Gedanken der jeweiligen Anmerkungen.

cc) Die gewählte Darstellung führt auch inhaltlich dazu, dass eine enge Verwebung der eigenen Gedanken mit den ausgewählten Zitatstellen nicht erfolgt. Eine übergeordnete Gedankenführung von Anmerkung zu Anmerkung ist auf den ersten Blick nicht erkennbar. Vielmehr scheinen die Anmerkungen jeweils Assoziationen zu folgen, die durch die in den Auszügen behandelten Themen bestimmt werden. Bezugnahmen auf andere Stellen des Originals mit ähnlichen oder konträren Gedanken fehlen in den Anmerkungen, solche auf Sekundärquellen sind selten.

Bereits auf Grund der bewusst gewählten formalen Gestaltung ist ein sehr enger Bezug zwischen Zitat und Text nicht gewährleistet. Der Leser kann den Originaltext aus „Mein Kampf” völlig unabhängig von den Erläuterungen aufnehmen. Dies lässt auch eine innere Verwobenheit beider Textpassagen vermissen. Inhaltlich zeigt sich gerade kein ganz enger Bezug zwischen den Zitaten und den erläuternden Texten. Die Zitate werden eher zum Ansatz- bzw. Ausgangspunkt weiterer Betrachtungen genommen, dienen somit häufig als „Aufhänger”, mitunter auch für weiterführende Zitate aus „Mein Kampf” (vgl. hierzu das Kapitel „GESCHICHTSUNTERRICHT”, in dem die Darstellung des Geschichtslehrers in „Mein Kampf” zu Hitlers Adaption der Ansichten Nietzsches führt). Der erläuternde Text wird hierdurch aber nicht durch das Zitat belegt, sondern dieses dient quasi nur als „Überleitung”. Soweit in dem Kapitel „Soziale Gegensätze Wiens”, das Prof. Dr. P unter der Überschrift „Der amerikanische Traum” kommentiert, in der ersten Spalte ein Zitat aufgegriffen wird, das dann weiter unten im dritten Absatz des daneben stehenden Originalauszugs von „Mein Kampf” erscheint, zeigt dies, dass auch die abgekürzte Version eines Zitats für die erläuternden Darstellungen ausreichend sein können. Das Zitat wird hier auch zum Beleg der Gedankenführung des Kommentators eingesetzt. Dieser Bezug gelingt zwischen den längeren Originalauszügen und den Kommentaren seltener. Dies ist häufig gerade durch die getrennte Darstellung von Text und Erläuterung begründet; diese verhindert u.a., dass Zitate in die Betrachtung unmittelbar – auch grammatikalisch – eingearbeitet einfließen. Auch das Kapitel „DER PARLAMENTARISMUS” enthält in den Erläuterungen zwar Hintergründe über die Reichtagswahl 1933, ohne aber konkret auf die daneben stehenden Originalzitate einzugehen. Dies trifft auch auf das Kapitel „DER JUDE ALS FÜHRER DER SOZIALDEMOKRATIE” zu. In weiten Teilen werden eher nur punktuelle Erläuterungen gegeben.

Es finden sich auch keine Querverweise auf andere Stellen des Originals mit ähnlichen oder konträren Gedanken. Soweit in den Anmerkungen Kurzzitate wiedergegeben sind, sind diese jeweils den nebenstehenden längeren Textauszügen entnommen und stellen keine übergreifenden Bezüge über das Gesamtwerk hinweg zur Verfügung. Auch Hinweise auf Sekundärquellen finden sich äußerst selten (zweimal wird auf Fest, zweimal auf Zehnpfennig verwiesen) und erfolgen dann ohne exakte Quellenangabe.

dd) Das Marketing der Bekl. und das von ihr ausgelöste Medienecho fokussieren sich auf die Tatsache, dass die Bekl. Auszüge aus „Mein Kampf” als Beilagen zu den Zeitungszeugen an die Kioske bringen wollen. Der Beitrag von Prof. Dr. P findet darin nur zweitrangige Erwähnung.

Dieser Umstand spiegelt das öffentliche Interesse in Deutschland, das vorrangig der Person Adolf Hitlers gilt und nur äußerst nachrangig einzelnen Wissenschaftlern oder sonstigen Autoren, die über Hitler publiziert haben. Hinzu kommt die von den Bekl. selbst thematisierte Aura des Verbotenen, hervorgerufen nicht zuletzt durch die Entscheidung des Kl., das ihm zugefallene exklusive Nutzungsrecht zu einer weitest möglichen Verhinderung der Verbreitung von Hitlers Schriften, allen voran „Mein Kampf” zu nutzen. Entsprechend lässt sich auch mit dem Verkauf von Originalauszügen aus den Schriften Hitlers und bereits mit dessen Ankündigung eine ganz andere Aufmerksamkeit erzielen als durch die Ankündigung einer Analyse dieses Buches, sei es auch durch einen noch so renommierten Wissenschaftler. Es ist daher nachzuvollziehen, dass ein an die breite Öffentlichkeit gerichtetes kommerzielles Angebot seinen Fokus auf den Abdruck der Originaltexte richtet, auch wenn diese mit erläuternden Kommentaren versehen werden, und nicht auf den Vertrieb einer autonomen Werkanalyse, in denen nur einzelne Originalzitate als Belegstellen oder zur Illustration der eigenen Gedankenführung angeordnet sind.

ee) Die in der Auswahl der Textausschnitte liegende Leistung allein genügt nicht, um diesen ein eigenes, sich vom Originalwerk in relevanter Weise absetzendes Gepräge zu geben. Die Broschüre erscheint dadurch nicht als eigenständiges Werk, deren eigenschöpferische Züge das Original in den Hintergrund treten lassen, sondern als das was sie ist: eine Sammlung typischer Auszüge aus dem Originalwerk, ergänzt wie oben beschrieben um erläuternde Anmerkungen.

3. Da ein ausreichender Zitatzweck somit schon wegen der vertauschten Rollen zwischen dienendem und unterstütztem Werk nicht gegeben ist, kommt es auf die Tatsache, dass angesichts des Umfangs der Zitate im Verhältnis zum eigenen Werk der Bekl. auch bei unterstelltem Zitatzweck fraglich wäre, ob die sich aus ihm ergebenden quantitativen Grenzen eingehalten wären, nicht mehr an.

Maßgeblich ist sowohl das Verhältnis der Länge des Zitats zum Umfang des Werks, aus dem zitiert wird und zum aufnehmenden Werk (relativer Maßstab) als auch die Länge des Zitats selbst (absoluter Maßstab). Beide Maßstäbe sind miteinander zu kombinieren und die Zulässigkeit in Abwägung der gesamten Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Zitatzwecks zu ermitteln. Daher kann bei größeren Werken mehr, bei kleineren Werken weniger zitiert werden. Die zulässige Grenze des § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG wäre wohl bei einer Verteilung von 55 – 60 Prozent Textstellen aus „Mein Kampf” und 50 – 45 Prozent Kommentierungen im Hauptteil in jedem Falle überschritten. Auch bei einem angenommenen Gesamtanteil der in den drei Broschüren geplanten Veröffentlichungen von 7,5 Prozent Originalauszügen des Gesamtwerks, die zudem angesichts ihrer Spaltendarstellung auch im Zusammenhang und damit ungestört vom Gedankenfluss des Autors der Anmerkungen gelesen werden können, scheint ein Ausmaß erreicht, das potenziell geeignet ist, das Interesse am Gesamtwerk zu befriedigen und damit das Auswertungsinteresse eines Nutzungsrechtsinhabers direkt tangiert. Da es aus den oben genannten Gründen aber ohnehin auf den Nutzungsumfang für die Entscheidung nicht mehr ankommt, musste weder eine genaue Bestimmung des Anteils der Originalauszüge am Gesamtwerk erfolgen, noch muss auf die Frage eingegangen werden, ob angesichts der Entscheidung des Kl. sein Nutzungsrecht zur Verhinderung weiterer Veröffentlichungen einzusetzen, hier eine andere Betrachtung geboten ist.

4. Auch der Umstand, dass ein großes öffentliches Interesse an einer kommentierten Ausgabe des Werks „Mein Kampf” bestehen mag, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Gleiches gilt hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Konflikts zwischen den Eigentumsgrundrechten beider Parteien.

a) Wie der Kl. dargelegt hat, entspricht es seiner erklärten Zielsetzung, unter Hinweis auf die ausschließlich ihm übertragenen Urheberrechte jegliche Veröffentlichung außerhalb des Zitatprivilegs des § 51 UrhG zu untersagen. Dabei stützt sich der Kl. nicht auf das Urheberpersönlichkeitsrecht Hitlers, sondern auf den Rechtsakt, der Grundlage dafür ist, dass der Kl. Inhaber sämtlicher Urheber- und Urheberpersönlichkeitsrechte geworden ist. Den Zweck des Kontrollratsgesetzes und den daraus resultierenden Auftrag an den Kl. sieht dieser darin, die Verbreitung von Hitlers nationalsozialistischem Gedankengut ausschließlich der Kontrolle des Kl. zu unterwerfen.

b) Die urheberrechtliche Schrankenregel des Zitatrechts soll sicherstellen, dass die im Urheberrecht gewährten Nutzungsmonopole nicht den allgemeinen kulturellen und wissenschaftlichen Fortschritt blockieren. Der BGH hat in der Entscheidung „Geistchristentum” (GRUR 1986, 59 = NJW 1986, 131, juris-Rdnr. 17) insoweit ausgeführt:

„Dabei ist für eine angemessene Abgrenzung auf den Grundgedanken des Gesetzes und den Interessenkonflikt zurückzugehen, dessen billige Lösung unter Berücksichtigung der Belange aller Beteiligten § 51 UrhG anstrebt. Die darin festgelegte Zitierfreiheit soll der Freiheit der geistigen Auseinandersetzung mit fremden Gedanken dienen und auch in der Form stattfinden können, dass politische, wissenschaftliche oder geistige Strömungen durch die wörtliche Wiedergabe einzelner Stellen aus den geschützten Werken verschiedener Autoren deutlich gemacht werden (BGH, GRUR 1973, 216 [217] = NJW 1972, 2304 – Handbuch moderner Zitate). Ausgehend von dem Gedanken, dass der Urheber bei seinem Schaffen auf den kulturellen Leistungen seiner Vorgänger aufbaut, wird es dem Urheber im Interesse der Allgemeinheit zugemutet, einen verhältnismäßig geringfügigen Eingriff in sein ausschließliches Verwertungsrecht (§ 15I UrhG) hinzunehmen, wenn dies dem geistigen Schaffen Anderer und damit zum Nutzen der Allgemeinheit der Förderung des kulturellen Lebens dient.”

Durch die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit bestehenden Werken soll also die Weiterentwicklung des ideengeschichtlichen Erfahrungsschatzes der Menschheit gewährleistet werden. Das Zitatrecht wurde ausdrücklich nicht geschaffen, um den bereits bestehenden Werkschatz parallel zu den hieran Berechtigten oder gar gegen deren erklärten Willen stärker auszuwerten. Mit anderen Worten kann ein vermeintliches Bedürfnis, bestehende aber weggeschlossene Werke der Menschheit zugänglich zu machen, nicht über das Vehikel des Zitatrechts zu einer Ersetzung der Nutzungs- bzw. Nichtnutzungsentscheidung des Berechtigten führen. Ein diesbezüglich gefühltes Bedürfnis hat daher in der im Rahmen von § 51 UrhG und der dahinter stehenden verfassungsrechtlichen Kollisionsabwägung entgegen der Ansicht der Bekl. schlicht keinen Platz. Genau dies bringt der BGH zum Ausdruck, wenn er im direkten Anschluss an das oben Wiedergegebene (GRUR 1986, 59 = NJW 1986, 131, juris-Rdnr. 17) fortfährt:

„Mit diesem Zweck des Gesetzes wäre es nicht vereinbar, ein Werk um seiner selbst willen zur Kenntnis der Allgemeinheit zu bringen.”

c) Es bedarf daher weder einer Entscheidung über Vorzüge und Nachteile der kl. Entscheidung, das Werk bis zum Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist nicht auszuwerten, noch einer Abwägung dieser Entscheidung gegen die Interessen der Allgemeinheit an Zugang zum Werk oder gegen die Interessen der Bekl. mit einer auszugsweisen Vervielfältigung und Verbreitung des Werks wirtschaftliche Vorteile zu erzielen. Schützenswert und in eine Abwägung einzubeziehen wäre allenfalls das Interesse der Bekl. mit einem eigenen Werk legitime unternehmerische Vorteile zu erzielen. Wenn dieses (sich im Rahmen des Zitatzwecks haltende) Zitate eines fremden Werks enthielte, müsste gegebenenfalls bei der Frage, ob deren Umfang vom Zitatzweck noch in vernünftiger Weise geboten ist, eine Einzelfallabwägung gegen das Auswertungs- oder Nichtauswertungsinteresse des Rechteinhabers durchgeführt werden. Da dies aber – wie oben dargestellt – hier nicht der Fall ist, bedarf es keiner weiteren Abwägung. Auch unter allgemeinen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist eine solche nicht veranlasst, da kein isolierter Anspruch auf Auswertung fremden Eigentums besteht. Der Sozialpflicht des Eigentums wird dagegen durch die vom BGH vorgenommene Auslegung des Zitatrechts völlig ausreichend Rechnung getragen, wonach der Nutzungsrechtsinhaber nur die Pflicht hat, solche Nutzungen zu dulden, die der Entstehung neuer Werke dienen. Eine Pflicht, sein Werk jedem widerspruchs- und insbesondere kostenlos zur Nutzung zu überlassen, der einen Kommentar zu diesem Werk verfasst hat, hieße die Sozialpflicht des Eigentums weit zu überspannen. Andernfalls könnte über das Verfassen von Kladdentexten, Erläuterungen, in: Booklets, Programmheften und auf Covern auch ein eigenes Nutzungsrecht an Büchern, Musikwerken, Theaterstücken oder Filmen erlangt werden, das das Gesetz und die verfassungsmäßige Ordnung insgesamt schlicht nicht vorsieht. Eine unangemessene Einschränkung der wirtschaftlichen Auswertungsfreiheit der Verfasser entsprechender kommentierender Texte geht damit auch nicht einher. Zum einen besteht die Möglichkeit, Lizenzen an den kommentierten Werken zu erwerben, wenn Werke und Anmerkungen gemeinsam ausgewertet werden sollen. Zum anderen besteht auch die Möglichkeit, Kommentierungen im Sinne von Kritiken, Essays oder Monografien zu verselbstständigen. Diese können isoliert ausgewertet werden und dürfen überdies, wenn der Rahmen des § 51 UrhG eingehalten ist, auch in einem vom Zitatzwecke gebotenen Umfang einzelne Passagen aus den kommentierten Werken wiedergeben. Das Gesetz sieht also ausreichende Möglichkeiten vor, den Konflikt zwischen den widerstreitenden Eigentums- und Berufsausübungsfreiheiten angemessen zu regeln, so dass für die vorliegende Konstellation eine erweiternde Auslegung des § 51 UrhG aus verfassungsrechtlicher Sicht mangels Erforderlichkeit nicht geboten ist.

IV. Zuletzt ist die Rechtsausübung des Kl. auch nicht gem. § 242 BGB i.V. mit Art. 3I GG (allgemeines Gleichbehandlungsgebot) als unzulässig einzustufen.

a) Die Bekl. haben geltend gemacht, der Kl. habe in ähnlich gelagerten Fällen einen Abdruck des Werks „Mein Kampf” nicht unterbunden und damit inzident gestattet. Jedenfalls zu einer Gleichbehandlung gleicher Fälle sei der Kl. – anders als andere Nutzungsrechtsinhaber – als Hoheitsträger aber aus Art. 3 GG unmittelbar verpflichtet.

b) Die Bekl. sind Darlegungen, bei welchen konkreten Werken welche konkreten Ähnlichkeiten eine parallele Handhabung erfordern würden, bis zur mündlichen Verhandlung schuldig geblieben. In der mündlichen Verhandlung wiesen sie auf das Werk von Ch Z „Adolf Hitlers ‚Mein Kampf’, Eine Kommentierte Auswahl” hin, welches vom Kl. nicht beanstandet worden sei. Daher sei dieser verpflichtet, auch die streitgegenständlichen Broschüren zu gestatten. Das Werk von Ch Z wurde zwar dann vom Klägervertreter dem Gericht noch in der Verhandlung zur Verfügung gestellt. Einen dezidierten Vortrag im Hinblick auf den Umfang der Nutzung von Auszügen des streitgegenständlichen Werks brachten die Bekl. dann aber – allerdings auch ohne nähere Ausführungen dazu, wo tatsächliche Ähnlichkeiten in der Art der Nutzung gesehen werden – erst im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 17. 2. 2012. … Dieser Vortrag kann nicht berücksichtigt werden, da er nach der mündlichen Verhandlung erfolgte (§ 296a ZPO).

c) Selbst wenn der Vortrag noch berücksichtigungsfähig wäre, wozu im Rahmen von § 296a ZPO kein Ermessensspielraum besteht, würde er die geltend gemachte Rechtsfolge wohl nicht tragen.

aa) Das Werk Ch Zs kommt den oben unter Punkt III 2 dargelegten Anforderungen des BGH an den Zitatzweck wesentlich näher als die vorliegend zu beurteilende Broschüre.

Die Zitate aus „Mein Kampf” sind mit den Betrachtungen und Interpretationen Zs eng und unmittelbar verwoben. Ausgehend von dessen Thesen werde diese mit Zitaten aus „Mein Kampf” belegt und verbunden. Die Zitate aus „Mein Kampf” sind zudem häufig keine durchgängigen Passagen an einem Stück, sondern sind aus weitverstreuten Kapiteln des Buches zusammengestellt. Die Darstellung Zs folgt daher auch nicht durchgängig der Abfolge im Ausgangswerk, sondern lässt – bereits beginnend im Vorwort – eine Gewichtung nach den von Z aufgestellten Thesen und Betrachtungen erkennen. Zudem finden sich im Werk Zs auch vielfältige andere Zitate aus Werken, die nicht von Hitler stammen. Sehr häufig finden sich die Zitate bei Z bruchstückhaft in Sätze eingebaut, wodurch die besonders enge Verbindung von Zitat und wissenschaftlicher Betrachtung deutlich wird. Daraus ergibt sich trotz eines höheren Anteils von Zitaten bei Z eine Überordnung des erläuternden Textes gegenüber den Zitaten. In der streitgegenständlichen Broschüre lebt der Text indes allein neben den Kommentaren, die nur erläuternde Funktion haben.

bb) Ohne eine abschließende Einschätzung über die urheberrechtliche Zulässigkeit der umfangreichen Zitierungen bei Z zu treffen, steht dem Kl. jedenfalls ein sachlicher Grund zu Seite, wenn er sich entscheidet, das Werk von Z nicht anzugreifen, gegen die geplanten Veröffentlichungen der Bekl. aber vorzugehen: Die Aussichten einen Anspruch nach § 97I UrhG durchzusetzen, sind im letztgenannten Fall wesentlich höher.

cc) Weitere sachliche Unterschiede führen aus der Anwendbarkeit des Art. 3 GG heraus:

Nicht nur die Art der Aufbereitung der Abhandlungen bei Z einerseits und Prof. P andererseits unterscheiden sich grundlegend. Auch was den jeweils angesprochenen Kreis der Leserschaft angeht, wird die eben nicht nur populärwissenschaftliche Abhandlung von Z sehr viel weniger eine breite Leserschaft ansprechen, wie dies bei der Broschüre der Bekl. der Fall ist. Daher ist auch die vom Kl. empfundene Aufgabe, die Werke Hitlers nicht „in die falschen Hände gelangen zu lassen” vom Grundsatz her bei dem Werk Zs, dessen Zitate kaum ohne ihren Kontext gelesen werden können und das sich an eine deutlich ausgewähltere Leserschaft wendet, wesentlich weniger stark tangiert als bei den hier zur Beurteilung stehenden Broschüren. Eine Entscheidung darüber, ob die Bekl. dieser Gefahr nicht durch ihre Vorreden und Kommentare ausreichend begegnet sind, ist mit dieser Feststellung nicht verbunden. Fest steht aber, dass die Ausgangssachverhalte sich jeweils deutlich unterscheiden, so dass dem Kl. gerade nicht vorgeworfen werden kann, im Wesentlichen Gleiches ungleich behandelt zu haben.

dd) Damit lässt sich aber auch die denkbare Einwendung nach § 242 BGB nicht mit dem Hinweis auf ein fehlendes Vorgehen des Kl. gegen das Werk Ch Zs begründen.

d) Andere, von den Bekl. in Bezug genommene, angeblich vom Kl. geduldete Werke bleiben mangels Vorlage ebenfalls außer Betracht.

B. Der Verfügungsgrund der Dringlichkeit gem. § 940 ZPO ist gegeben. Die einstweilige Verfügung wurde beantragt, als davon auszugehen war, dass jedenfalls die Bearbeitung und Vervielfältigung der ersten der drei geplanten Broschüren bereits abgeschlossen war. Die angekündigte Verbreitung drohte unmittelbar. Die Entscheidung, die Broschüren nur mit vernebelter Darstellung der Originalauszüge auf den Markt zu bringen, ging nicht mit der Ankündigung einher, von der geplanten Veröffentlichung dauerhaft Abstand zu nehmen. Es sollte nur im Sinne einer Schadensminderung kein Anlass zu etwaigen Beschlagnahmehandlungen gegeben werden. Die Veröffentlichung in drei (unvernebelten) Ausgaben ist weiterhin beabsichtigt, so dass eine vorläufige Regelung bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu treffen war.

Anm. d. Schriftltg.:

Die Berufung gegen dieses Urteil wird beim OLG München unter dem Az. 29 U 1204/12 geführt.


Alles andere als überzeugend, siehe auch
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