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Ein Eigenplagiat ist kein Plagiat, da man das Ergebnis einer eigenen und nicht einer fremden Leistung verwertet. Sich selbst kann man nicht bestehlen.

Nun aber soll der NRW-Medienstaatssekretär Marc Jan Eumann dran glauben. Die TU Dortmund teilt mit: „In Würdigung des Kommissionsberichts und des externen Rechtsgutachtens stellt das Rektorat erhebliches wissenschaftliches Fehlverhalten des Herrn Dr. Eumann fest und beschließt daher, die Angelegenheit dem Fakultätsrat der Fakultät 15 zur Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Doktorgrads gem. § 19 der ‚Promotionsordnung der Universität Dortmund der Fakultät Kulturwissenschaften vom 06.12.2001‘ zuständigkeitshalber zuzuleiten.“
http://www.tu-dortmund.de/uni/Medien/aktuelles/meldungen/2013-07/13-07-19_eumann/index.html

Ich kann beim besten Willen kein erhebliches wissenschaftliches Fehlverfalten Eumanns erkennen, das es rechtfertigt, den Doktorgrad zu entziehen. Hier (und nicht in der Causa Schavan) liegt Tugendterror vor. Eumann hat sich - im Licht der neueren Diskussion und des wissenschaftlich Wünschenswerten - zwar unkorrekt/ungeschickt verhalten. es ist aber absolut nicht hinnehmbar, ihm den Doktortitel zu entziehen, zumal wenn der Plagiator Detlev Dähnert seinen behalten darf, wie die BTU Cottbus befand:

http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Forum:Offener_Brief_wegen_D%C3%A4hnert_/_BTU_Cottbus

Dähnert hat in erheblichem Umfang fremde Arbeiten ohne Kennzeichnung verwendet. Dies als handwerkliche Fehler zu entschuldigen beweist einmal mehr, dass man in die universitätsinternen Verfahren kein Vertrauen haben kann. Erinnert sei an die Berichterstattung zu den HRK/DFG-Empfehlungen:

http://archiv.twoday.net/stories/444866075/
http://archiv.twoday.net/topics/Wissenschaftsbetrieb/

Aber auch unabhängig vom Versagen mancher Hochschulen bei der Plagiatsprüfung bin ich der festen Überzeugung, dass die sogenannten Eigenplagiate - also die nicht gekennzeichnete oder kenntlich gemachte Übernahme früherer eigener Textpassagen - zwar unschön und zu bekämpfen sind, aber längst nicht den Unrechtsgehalt haben, die es rechtfertigen einen Titel zu entziehen. Ich hoffe sehr, dass die Verwaltungsgerichte das genauso sehen und würde mir wünschen, dass Eumann einen Titelentzug anficht. Im Sinne eines zügigen Studienabschlusses ist es zudem kontraproduktiv, wenn Hochschulen eine Wiederverwertung früherer Qualifikationsarbeiten in Dissertationen unterbinden möchten.

I. Stellungnahme zum Fall Eumann

Im Qualitäts-Journalismus etwa der FAZ ist das Eigenplagiat unverzichtbar. Am 25.6.2013 schrieb Reiner Burger in der FAZ:

Ein Vergleich der Arbeiten, die der F.A.S. vorliegen, zeigt: Eumanns Doktorarbeit ist nicht viel mehr als eine - gewissenhaft angefertigte - Neuauflage der Magisterarbeit. An wenigen Stellen hat er neue Archivquellen eingebaut. Auch hat Eumann die seit 1991 erschienene Literatur zum Thema fleißig eingearbeitet.
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/unter-plagiatsverdacht-die-pruefung-12240445.html

Einen knappen Monat später lautet die Formulierung Burgers:
Ein Vergleich der beiden Arbeiten, die FAZ.NET vorliegen, zeigt: Eumanns Doktorarbeit ist nicht viel mehr als eine - gewissenhaft angefertigte - Neuauflage der Magisterarbeit. An wenigen Stellen hat er neue Archivquellen eingebaut. Auch hat Eumann die seit 1991 erschienene Literatur zum Thema fleißig eingearbeitet.
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/nrw-medienstaatssekretaer-eumann-soll-doktortitel-verlieren-12288519.html

Bemerkenswert erscheint mir, dass der Ärger für Eumann auf eine Denunziation des eigenen Doktorvaters zurückgeht. Burger im älteren Artikel:

„Aufbau und Text dieser Dortmunder Dissertation sind in großen Teilen identisch mit der Arbeit gleichen Titels, mit der der Autor 1991 an der Universität Köln sein Magisterexamen erwarb.“ Freilich suche man den Titel dieser Magisterarbeit im Literaturverzeichnis oder andernorts in der vorliegenden Veröffentlichung vergebens. Eine konzeptionelle oder methodische Erweiterung lasse sich nicht erkennen, „auch keine wirklich inhaltlich-substantielle“, schrieb Rezensent Arnulf Kutsch. Am Tag darauf kontaktierte Pöttker die „Kommission zur Sicherstellung guter wissenschaftlicher Praxis“ der TU Dortmund.

Er bat, ein Prüfverfahren wegen illegitimen Erwerbs der Doktorwürde gegen Eumann einzuleiten. Anders als bei vielen anderen Politiker-Dissertationen war es kein anonymes Internetforum, das Eumann auf die Schliche kam. Arnulf Kutsch ist noch ganz im Papierzeitalter zu Hause. Seit den achtziger Jahren führt der Leipziger Wissenschaftler für seine Forschungszwecke eine Bibliographie zu dem Thema „Medienpolitik der Alliierten“, in die er auch unveröffentlichte Manuskripte aufnimmt. Sich die Magisterarbeit zu besorgen, die Eumann 1991 beim Kölner Historiker Eberhard Kolb geschrieben hatte, war aber selbst für den kundigen Kutsch keine leichte Sache.

An der Universität zu Köln müssen Magisterarbeiten maximal zehn Jahre aufbewahrt werden. Im Bundesarchiv wurde Kutsch schließlich fündig, Eumann hatte dort ein Belegexemplar abgegeben.


Was ist das für ein Wissenschaftler, der sich bei der Übernahme einer Doktorarbeit nicht nach den früheren Leistungen seines neuen Doktoranden erkundigt? Um einschätzen zu können, ob jemand mit der Anfertigung einer Dissertation überfordert ist, ist es gute wissenschaftliche Praxis, sich Arbeitsproben zeigen zu lassen oder eben wie im vorliegenden Fall die Magisterarbeit. Burger hat diesbezüglich gründlich recherchiert: Eumann kam mit einem fertigen Manuskript zu Pöttker, der darauf verzichtet hat, die Magisterarbeit heranzuziehen. "Sein Doktorvater Pöttker gibt zu, dass es aus heutiger Sicht blauäugig gewesen sei, sich die Magisterarbeit nicht vorlegen zu lassen", schreibt Burger.

Unterschiedliche Aussagen gibt es zum Zweitgutachter Pätzold:

Auf Anfrage der F.A.S. teilt der frühere Journalistikprofessor mit, dass er sich die Magisterarbeit im Promotionsverfahren nicht von Eumann zeigen ließ und sie auch nicht zum Vergleich heranzog, als er sein Zweitgutachten für die Dissertation schrieb - und das, obwohl ihm nach eigenem Bekunden bekannt war, dass Eumann schon in seiner Magisterarbeit über sein Promotionsthema geforscht hatte. (Pätzold)

Dagegen David Schraven:
Der Ko-Doktorvater von Eumann, Professor Ulrich Pätzold, sagte dagegen, er habe Eumanns Magisterarbeit gekannt und Eumann gerade deswegen zur Doktorarbeit gedrängt. Von einem Selbstzitat könne keine Rede sein. Das gebe es gar nicht. Prof. Pätzold scheint die Definition des Selbstzitats in den Richtlinien seiner TU Dortmund unbekannt zu sein.
http://www.derwesten-recherche.org/2013/02/nrw-medienstaatssekretar-mit-doktorproblemen/

Der Journalist und Blogger David Schraven ist nicht unumstritten und vor allem bei einem SPD-Politiker nicht unparteiisch. Man warf ihm vor, Wahlkampf für die CDU gemacht zu haben:

http://rotstehtunsgut.de/2009/06/29/causa-kraft-wie-blogger-wahlkampf-fur-die-cdu-machen/

Der Tenor seines Blogbeitrags gegen Eumann ist eher gehässig. Gern wüsste ich, wo denn in den Richtlinien der TU Dormund das Selbstzitat definiert wurde. Schraven gibt keinen Beleg an und mit einer Site-Suche bei Google auf uni-dortmund.de mit den Suchbegriffen Selbstzitat, Eigenzitat, Selbstplagiat und Eigenplagiat wurde ich nicht fündig. Maßgeblich sind die Dortmunder Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, denen ich beim besten Willen weder implizit noch explizit einen Hinweis auf Selbstzitate entnehmen kann:

https://www.tu-dortmund.de/uni/Uni/Organisation/Kommission_gute_wissenschaftliche_Praxis/Regeln_guter_wissenschaftlicher_Praxis_der_TUDO_17_06_09.pdf

Möglicherweise hat Eumann eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben, denn schon in einer Dortmunder Dissertation aus dem Jahr 2007 liest man:

"Ich versichere weiterhin an Eides Statt, daß die vorgelegte Dissertation weder ganz noch in einer anderen Fassung oder Teilen einer anderen Hochschule im Zusammenhang mit einer staatlichen oder akademischen Prüfung vorliegt oder vorgelegen hat und daß die vorgelegte Dissertation weder ganz noch in einer anderen Fassung bereits veröffentlicht worden ist".

https://eldorado.tu-dortmund.de/bitstream/2003/24432/1/Karikaturen_in_der_Zeitung.pdf

Eine falsche eidesstattliche Versicherung ist strafbar. Die Strafbarkeit entfällt allerdings, wenn die Abgabe einer solchen Versicherung im Promotionsverfahren gesetzlich nicht vorgesehen ist:

http://de.wikipedia.org/wiki/Versicherung_an_Eides_statt
http://www.gesetze-im-internet.de/vwvfg/__27.html (§ 27 VwVfG)

Eine solche Rechtsgrundlage kann ich nicht erkennen. Die Promotionsordnung von 2011, eine Hochschulsatzung, keine Rechtsverordnung, verlangt nur eine Erklärung hinsichtlich der früheren Qualifikationsarbeiten, keine eidesstattliche Versicherung:

http://www.kulturwissenschaften.tu-dortmund.de/cms/Medienpool/03__Promotionsordnung_2011.pdf

Die Erklärungspflicht galt in Dortmund so schon 2001:
http://www.kulturwissenschaften.tu-dortmund.de/cms/Medienpool/PromOrdnung_FK15_2001.pdf

§ 22 der Promotionsordnung von 2011 lässt eine Aberkennung nur zu, wenn "wenn sich nachträglich herausstellt, dass er durch
Täuschung erworben worden ist oder wenn wesentliche Voraussetzungen für die Verleihung irrtümlich als gegeben angesehen worden sind."

RP Online zitiert eine Stellungnahme Eumanns:

Eumann ließ am Freitag schriftlich mitteilen, dass er um seinen Doktorgrad kämpfen will: "Ich habe weiterhin keinen Zweifel, dass meine Dissertation eine inhaltlich substanzielle Erweiterung meiner Magisterarbeit darstellt. Und ich habe nicht getäuscht." Der Titel seiner Magisterarbeit habe dem Doktorvater, dem Prüfungsausschuss und dem Dekanat vorgelegen.

Weiter heißt es dort:

In der Doktorarbeit legt Eumann offen, dass er Recherche-Ergebnisse für seine Magisterarbeit später für die Doktorarbeit aufgriff: "Glücklicherweise habe ich die damals gewonnenen Informationen aufbewahrt, um sie schließlich - über 15 Jahre später - verwenden zu können", heißt es in der Vorbemerkung der Doktorarbeit. Thema ist die Geschichte der Nachrichtenagentur "Der Deutsche Presse-Dienst" in der britischen Zone von 1945 bis 1949.
http://www.rp-online.de/politik/nrw/staatssekretaer-eumann-soll-doktortitel-verlieren-1.3549844

Für die Frage der Täuschung kann das Vorwort Eumanns außer Betracht bleiben, da nach Recherchen Schravens dies nicht der eingereichten Fassung beigegeben war.

Allein im Vorwort der Druckfassung seiner Doktorarbeit kommt Eumann verklausuliert auf seine Magisterarbeit zu sprechen. Die Informationen zum dpd flossen „aber nur zu einem Teil in meine von Herrn Professor Dr. Eberhard Kolb betreute Arbeit im Rahmen meines Magister-Artium-Studiums ein. Glücklicherweise habe ich die damals gewonnenen Informationen aufbewahrt, um sie schließlich – über 15 Jahre später – verwenden zu können.” Im Literaturverzeichnis verschweigt Eumann seine Magisterarbeit, zitiert jedoch zwei seiner Aufsätze korrekt.

Vor Studenten sagte Prof. Pöttker, dieser wage Hinweis auf eine bereits existierende Eumann-Arbeit zum Thema habe in der Fassung der Doktorarbeit gefehlt, die ihm zur Beurteilung vorgelegt worden sei. Der Hinweis müsse kurz vor Drucklegung eingefügt worden sein.


Auf der Urkunde über das Bestehen der Magisterprüfung ist selbstverständlich das Thema der Magisterarbeit vermerkt. Dieses Zeugnis wird im Rahmen des Promotionsverfahrens zu den Akten gegeben. Es spricht also alles dafür, dass Eumanns Angabe, dass der Titel der Magisterarbeit bekannt gewesen sei, zutreffend ist. Nichts spricht dafür, dass das zuständige Prüfungsgremium oder jemand anderes, der die Titel beider Arbeiten vergleichen konnte, die ins Auge fallende Themenverwandtschaft nicht erkennen konnte. Die Frage ist nun, welche juristischen Konsequenzen sich daraus ergeben.

Es ist nach den Grundsätzen des Verwaltungsrechts ausgeschlossen, aufgrund nur formaler Verstöße einen akademischen Titel zu entziehen. Der Behörde ist der gesamte vom Kandidaten eingereichte Bestand an Unterlagen als Kenntnis anzurechnen.

a) Eumann hat eine falsche Erklärung abgegeben.

Da die TU Dortmund anders als die meisten anderen Universitäten viel Wert darauf legt, dass nicht anderweitig eingereichte Qualifikationsarbeiten als Doktorarbeiten anerkannt werden, ergibt sich für mich zwingend die Rechtspflicht des Promotionsausschusses, dem offenkundigen Widerspruch nachzugehen. Wenn der Titel der Magisterarbeit und der Promotionstitel erkennen lassen, dass das gleiche Thema behandelt wurde, kann eine solche Erklärung Eumanns nicht richtig gewesen sein. Der Promotionsausschuss hätte Eumann also auffordern müssen, seine Erklärung zu berichtigen. Beanstandet der Promotionsausschuss die "Täuschung" nicht, kann dies aus meiner Sicht nicht zu einem späteren Zeitpunkt gegen den Doktoranden verwendet werden.

b) Eumann hat, anders als erforderlich, keine Erklärung abgegeben.

Selbstverständlich kann niemand einen Doktortitel verlieren, weil er eine von der Promotionsordnung vorgeschriebene Erklärung nicht abgegeben hat. Die Promotion ist trotzdem gültig, eine Täuschung liegt nicht vor. Hier gilt das Gleiche wie unter a): Ist dem Promotionsausschuss die Erklärung so wichtig, muss er von sich aus die unterbliebene Abgabe anmahnen. Und auch hier gilt: Der Promotionsausschuss wusste, dass Eumann das Thema schon als Magisterarbeit behandelt hatte.

Dass Eumann in der eingereichten Arbeit nicht eigens auf die Vorarbeit hingewiesen hat, ist ein "handwerklicher" Mangel, der aber nicht als "Täuschung" zu werten ist. Eumann hat den Titel und damit das Thema seiner Magisterarbeit im Verfahren nicht verschwiegen, nur darauf kommt es meines Erachtens an.

Die Formulierung in der gedruckten Fassung hätte eindeutiger sein müssen. Aber es kann keine Rede davon sei, dass Eumann die wissenschaftliche Öffentlichkeit getäuscht habe. Er hat auf die quasi unveröffentlichte Vorarbeit explizit im Vorwort aufmerksam gemacht. Für den wissenschaftlichen Diskurs ist das Verhältnis zu einer so gut wie unzugänglichen ungedruckten eigenen Qualifikationsarbeit irrelevant. Der Rezensent Kutsch hat also aus meiner Sicht extrem unredlich gehandelt, als er dieses Verhältnis beanstandete.

Aus der Dortmunder Promotionsordnung ergibt sich nicht, wie der Promotionsausschuss zu entscheiden hat, wenn eine frühere Qualifikationsarbeit in veränderter Form eingereicht wird - ob nun vom Verfasser entsprechend deklariert oder nicht. Genau das müsste aber eine als Rechtsgrundlage verlässliche Hochschulsatzung regeln, wenn es um einen Sachverhalt geht, bei dem sich klare und eindeutige Standards erst allmählich herausbilden. Es kann hier nochmals auf die erwähnten Dortmunder Regeln für die gute wissenschaftliche Praxis verwiesen werden, die das Eigenplagiat eben nicht ausdrücklich thematisieren.

"Durch die Promotion", sagt die zitierte Dortmunder Promotionsordnung 2011, "wird eine über das allgemeine Studienziel hinausgehende, besondere Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen. Die Befähigung
wird aufgrund einer schriftlichen Arbeit (Dissertation), die den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse weiterführt, einer mündlichen Prüfung (Disputation) sowie eines erfolgreichen Absolvierens eines strukturierten Promotionsprogramms nach Vorgabe der Fakultät festgestellt".

Die mit Summa cum laude bewertete Arbeit und die Tatsache, dass eine nur wenig veränderte "Zweitauflage" der Magisterarbeit von 1991 als Promotion anerkannt wurde, sprechen dafür, dass Eumann tatsächlich die "besondere Befähigung" attestiert werden kann. Während Guttenberg und Konsorten sich mit fremden Federn geschmückt haben und nicht eigenständig gearbeitet haben, hat Eumann schon bei der Magisterarbeit, die offenbar schon als Promotion hätte eingereicht werden können, Bemerkenswertes geleistet. Dass man ihn nun für diese herausragende Leistung bestrafen und in einen Topf mit den dreisten PlagiatorInnen wie Guttenberg oder Schavan werfen will, ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.

Wenn eine Hochschule etwas dagegen hat, dass man mit einer bereits eingereichten Qualifikationsarbeit auch noch promoviert, hat sie normenklar den Sachverhalt zu regeln. Nicht mehr und nicht weniger. Ich halte eine solche Regelung, wie noch zu zeigen sein wird, für absolut unangebracht, aber die herrschende Meinung geht wohl davon aus, dass eine solche Norm rechtlich zulässig sei.

Es kann nicht Aufgabe des Kandidaten sein, die richtigen Worte für das Verhältnis von zwei Fassungen des Textes zu finden. Ebensowenig, wie er selbst darüber befinden kann, in welchem Ausmaß seine Arbeit innovativ ist oder die bisherige Forschung weiterführt, kann er entscheiden ob ein substantieller Fortschritt gegeben ist.

Eine konzeptionelle oder methodische Erweiterung lasse sich nicht erkennen, „auch keine wirklich inhaltlich-substantielle“, schrieb Rezensent Arnulf Kutsch. (Burger im Juni)

Wenn der Promotionsausschuss zwischen substantiellen und nicht-substantiellen Neubearbeitungen differenzieren will, muss dies meiner Ansicht nach in der Promotionsordnung festgelegt werden, da es keine anerkannten wissenschaftlichen Standards in dieser Beziehung gibt, auf die man sich ergänzend beziehen kann.

Immerhin: Komplett neu sind lediglich wenige Seiten, und das knapp 30 Seiten umfassende, siebte Kapitel. Bei 252 Seiten Umfang fällt das neue Kapitel durchaus ins Gewicht. Der Hauptteil von Eumanns Arbeit umfasst laut Inhaltsverzeichnis (PDF) die Seiten 14-216 (203 S.), das siebte Kapitel geht von 183 bis 208 (Leerseiten sind nicht erkennbar und dürften das Ergebnis auch kaum entscheidend verfälschen). Mindestens 14 % der Arbeit sind also KEIN Eigenplagiat, sondern ganz neu.

Im Kern lässt sich meine Argumentation, dass Eumann seinen Doktortitel behalten soll, so zusammenfassen. Mit der Bekanntgabe des Titels und damit auch des Themas seiner Magisterarbeit durch Einreichung des entsprechenden Zeugnisses ist Eumann seiner Pflicht nachgekommen, dem Prüfungsausschuss die Existenz einer themenidentischen früheren Qualifikationsarbeit zu offenbaren. Wenn der Prüfungsausschuss - vermutlich unter Berufung auf die ausgezeichneten Beurteilungen der Gutachter - davon abgesehen hat, dem Sachverhalt von Amts wegen (Offizialmaxime) nachzugehen, kann das jetzt nicht zu Lasten Eumanns gehen. Eine den Entzug rechtfertigende Täuschung liegt nicht vor. Auch wenn zu tadeln ist, dass Eumann in der Druckfassung die Abhängigkeit von der Magisterarbeit nicht deutlicher klargestellt hat, so ist der Wissenschaft doch kein Schaden entstanden. Da die Magisterarbeit ausschließlich im Bundesarchiv zugänglich war, sind seine Ergebnisse - nach üblicher Praxis, wenngleich nicht nach den Grundsätzen des Patentrechts (siehe unten) - insgesamt als "neu" zu werten.

II. Veröffentlichung und Zitierfähigkeit von Prüfungsarbeiten

Mit meinem inzwischen im Internet zugänglichen Aufsatz zu Prüfungsarbeiten habe ich 1989 die, soweit ich sehe, nicht durch neuere Forschungen überholte maßgebliche wissenschaftliche Darstellung (lobendes Selbstzitat!) zu Prüfungsarbeiten vorgelegt:

Klaus Graf: Zur archivischen Problematik von Prüfungsunterlagen (1989)
http://www.db-thueringen.de/servlets/DocumentServlet?id=4165

An der unbefriedigenden Lage bei den Qualifikationsarbeiten unter und über der Promotion (also bei den Habilitationsschriften) hat sich nichts geändert. Nach wie vor werden wertvolle wissenschaftliche Ergebnisse in Prüfungsarbeiten weggesperrt. Diese Rhetorik der unhebbaren Schätze begegnet nicht nur bei mir:

Every year tens of thousands of Swedish university students spend many million hours researching and writing their final theses. The end result - all the essays - is a knowledge resource of great weight. However, up until quite recently, it was common that the finished essays where stored away in the darkest corners of the university libraries, where no-one would ever find them.
Zitiert nach http://archiv.twoday.net/stories/4454764/

Siehe auch
http://archiv.twoday.net/stories/3499929/

Inzwischen fordere ich, dass alle akzeptierten Qualifikationsarbeiten zwingend im Internet zu veröffentlichen sind.

Im Sinne des von Hubert Kohle propagierten "Publish first, filter later" sehe ich die Nachteile, dass qualitativ minderwertige Arbeiten veröffentlicht werden, aufgewogen von dem Vorteil, den die besseren Arbeiten stiften. Jede dieser Arbeiten, auch die schlechteste, ist durch die Annahme in einem universitären Verfahren "qualitätsgesichert". Plagiate können von der Öffentlichkeit sehr viel schneller entdeckt werden, wenn Arbeiten online zugänglich sind.

Siehe dazu auch meine Stellungnahme von 2012:

http://article.gmane.org/gmane.culture.libraries.inetbib/22928

Die BOAI-10-Empfehlungen werden von mir nicht nur auf Dissertationen bezogen (advanced degree meint: a university degree (as a master's or doctor's degree) higher than a bachelor's).

http://www.soros.org/openaccess/boai-10-recommendations

"Every institution of higher education offering advanced
degrees should have a policy assuring that future theses
and dissertations are deposited upon acceptance in the
institution's OA repository. At the request of students who
want to publish their work, or seek a patent on a
patentable discovery, policies should grant reasonable
delays rather than permanent exemptions."

Eumann wird jetzt quasi dafür "bestraft", dass er so dumm war, artig ein Belegexemplar beim Bundesarchiv abzuliefern, denn ohne dessen Existenz hätte der Rezensent keinen Zugriff auf die Magisterarbeit gehabt.

Besonders infam empfinde ich Schravens Passage: Zudem hatte Eumann in einer Stellungnahme gesagt, dass seine Magisterarbeit „unveröffentlicht“ sei. Letztere Aussage trifft allerdings nicht ganz zu. So wurde die Eumann-Magisterarbeit zumindest im Bundesarchiv Koblenz veröffentlicht.

Vermutlich 99,9 % aller Wissenschaftler würden da nicht von einer Veröffentlichung sprechen. Wer weiß denn schon, dass urheberrechtlich schon die Einstellung in einer öffentlich zugänglichen Bibliothek für die Veröffentlichung genügt (Katzenberger in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht. 4. Aufl. 2010 § 10 Rz. 14)? Schon 1989 bezog ich mich auf ein Urteil des Bundespatentgerichts, GRUR 1988, S. 189: "Jedenfalls im
Jahr 1971 war eine Diplomarbeit nicht nur dann der Öffentlichkeit zugänglich, wenn sie in mehreren Bibliotheken eingestellt war." Es handelte sich um eine Diplomarbeit, die nur für das
Fachpublikum der DDR in einer Hochschulbibliothek zugänglich war. (Achtung Eigenplagiat: Der letzte Satz stammt wörtlich aus meiner Ausarbeitung von 1989.)

Ständig werden in wissenschaftlichen Veröffentlichen Arbeiten als unveröffentlichte Abschlussarbeiten zitiert, die in Wirklichkeit nur ungedruckt sind. Von daher ist es scheinheilig, wenn der CDU-nahe Schraven Eumann vorwirft, er habe seine Magisterarbeit als nicht-öffentlich bezeichnet.

Die Sichtbarkeit der Arbeiten ist drastisch eingeschränkt, da sie nicht über die Fernleihe bestellt werden dürfen, siehe z.B.
http://www.ub.uni-kassel.de/online_fernleihe.html

Mehrfach habe ich in wissenschaftlichen Anleitungen die Warnung vor dem Zitieren von Diplomarbeiten gelesen, siehe etwa
Diplomarbeiten sind unveröffentlichte Prüfungsarbeiten und daher nur bedingt zitierfähig, nach strenger Auffassung
sogar nicht zitierfähig (vgl. THEISEN 1990, S.133). Auf jeden Fall
muß auf diesen Status hingewiesen und eine genaue Bezugsquelle
der Diplomarbeit genannt werden.

http://bibliothek.fh-potsdam.de/fileadmin/fhp_bib/dokumente/Schulungen/wissenschaftliches_Arbeiten/Zitieren_Lorenzen.pdf

Aus meiner Sicht es ein Fall von schamloser Doppelmoral, in der bibliothekarischen Praxis und in Anleitungen zum wissenschaftlichen Arbeiten Abschlussarbeiten unterhalb der Dissertation nach Kräften zu diskriminieren und als nicht zitierfähig hinzustellen, andererseits aber ein Kesseltreiben auf Eumann zu eröffnen, der sich an diesen Standard gehalten hat und seine eigene Arbeit - wie früher üblich - eben nicht zitiert hat.

Bei den Tübinger Historikern war es, als ich dort als Hilfskraft tätig war und später promovierte, nichts Verwerfliches, Abschlussarbeiten zu Dissertationen auszubauen. Man sehe etwa nur die Zusammenstellung von Franz Quarthal zu Abschlussarbeiten von 1981:

http://elib.uni-stuttgart.de/opus/volltexte/2009/4289/pdf/qua21.pdf

Eine dieser aus einer Abschlussarbeit hervorgegangenen Dissertationen liegt, versehen mit einer freundschaftlichen Widmung des Autors, vor mir. Sie lässt mit keiner Silbe erkennen, dass ihr eine voluminöse zweibändige Zulassungsarbeit (die auch einmal im Internet und einmal in einer gedruckten Publikation - nach Ausweis von Google - zitiert wird) mit deutlich engerem Themenzuschnitt vorausgegangen ist. Es kann aber trotzdem keinen Zweifel geben, dass die Dissertation etwas substantiell völlig anderes ist als die Zulassungsarbeit. (Angesichts der neuen Eigenplagiate-Hysterie wird man es mir nicht verdenken, wenn ich aus Kollegialität hier Ross und Reiter einmal nicht nenne.) Aus heutiger Sicht wäre es freilich angemessen, den Titel der Zulassungsarbeit im Vorwort und dem Literaturverzeichnis anzuführen.

Eine nicht allgemein überprüfbare Arbeit zu zitieren, gilt in Qualifikationsarbeiten meist als nicht zulässig. Wieso sollte das nicht auch für die eigene Arbeit gelten, wenn man sie (anders als Eumann, der sie löblicherweise dem Bundesarchiv übergab) vernünftigerweise nicht in eine Bibliothek einstellen lässt, weil man sie ja ausbauen möchte?

Heutige, sehr junge Ansichten über Eigenplagiate und die lange währende unverantwortliche Geringschätzung akademischer Abschlussarbeiten unterhalb der Promotion kollidieren. Ich bin dafür, die Geringschätzung zu beenden und dass Wissenschaftler mit der Abhängigkeit von eigenen Vorarbeiten transparent umgehen sollten. Aber Eumann ausbaden zu lassen, was die Wissenschaftspolitik seit Jahrzehnten verbockt hat, ist einfach nur unfair.

Hätte Eumann (wie von mir gefordert) seine Magisterarbeit im Netz veröffentlichen müssen, wäre die ganze Diskussion, was man von der Arbeit in Dortmund gewusst hat, überflüssig. Jeder hätte selbst vergleichen können, was neu und was alt ist.

Auf eigenen Qualifikationsarbeiten eine Dissertation aufzubauen ist legitim und sollte nicht unterbunden werden.

Für ein Verbot kann man natürlich das Prinzip der Chancengleichheit anführen. Wer aus dem Stand springt, hat es schwerer als jemand, der Anlauf nehmen kann. Aber dieser Gesichtspunkt ist sekundär, da es um den Erkenntnisgewinn der Wissenschaft geht und um die Bescheinigung, in dem für eine Dissertation erforderlichen selbständig wissenschaftlich arbeiten zu können.

Ob der Erkenntnisgewinn mit einer oder zwei Arbeiten des gleichen Autors erzielt wird, ist egal. Und wenn jemand so gut ist, dass er schon bei der Magisterarbeit eine promotionswürdige Leistung vorlegt, dann sollte man ihn fördern und nicht mit der Forderung, dass die Dissertation substantiell etwas anderes sein müsse, bestrafen.

Zwar profitiert die Wissenschaft auf den ersten Blick mehr, wenn bei Magisterarbeit und Promotion unterschiedliche Themen bearbeitet werden, aber hier muss der Gesichtspunkt des ökonomischen Studienabschlusses absoluten Vorrang haben. Viele sehr gute Studenten arbeiten zu lang an ihren Abschlussarbeiten (und Dissertationen), was an unangemessenen Erwartungen seitens der Prüfer und der wissenschaftlichen Community liegt. Der Ausbau einer Qualifikationsarbeit zur Dissertation spart Zeit: Der Doktorand muss sich nicht in ein neues Thema einarbeiten, es gibt weniger Schreibblockaden, da er das Thema bereits überblickt und nach den Rückmeldungen der Prüfer der Abschlussarbeit einigermaßen sicher weiß, dass etwas Brauchbares herauskommen wird. Wer gezwungen wird, ein neues Thema zu bearbeiten, bricht womöglich eher die Promotion ab.

Jede Art von Veröffentlichung (z.B. auch promotionsbegleitende Blogs) während der Promotion ist zu fördern und nicht zu untersagen. Allerdings müssen diese Publikationen vom Doktoranden in seiner Arbeit zitiert werden. Vielfach dienen solche Vorabpublikationen der Entlastung des Textes, wenn Spezialprobleme, die sonst in Exkursform behandelt werden müssten, separat geklärt werden.

III. Klare wissenschaftliche Standards zu Eigenzitaten liegen noch nicht vor

Ich habe bereits erwähnt, dass die Dortmunder Regeln für gute wissenschaftliche Praxis zu Eigenzitaten nichts aussagen. Nach der Guttenberg-Krise formulierten der Allgemeine Fakultätentag (AFT), die Fakultätentage und der Deutsche Hochschulverbands (DHV) 2012 im Sommer 2012 ein gemeinsames Positionspapier zu Qualifikationsarbeiten, in dem es heißt:

Die Übernahme eigener Arbeiten und Texte verstößt dann gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, wenn diese Übernahme in einer Qualifikationsarbeit nicht belegt und zitiert wird. Prüfungsordnungen können die Wiederverwertung desselben oder ähnlichen Textes desselben Verfassers ausschließen. Dies gilt insbesondere für Dissertationen.

Das ist relativ schwammig. Was heißt "nicht belegt und zitiert"? Für mich wäre die Forderung absurd, dass Eigenzitate in genau der gleichen Weise kenntlich gemacht werden müssen wie die Arbeiten fremder Autoren. Auch aus ästhetischen Gründen muss ein pauschaler Hinweis auf inhaltliche und/oder wörtliche Übernahmen genügen. Und: Was heißt "ähnlicher" Text?

Zu welch irrwitzigen Konsequenzen eine Forderung, exakt die gleichen Maßstäbe an eigene wie an fremde Arbeiten anzulegen, führen würde, mag ein Beispiel verdeutlichen. Meine Magisterarbeit von 1981 war in einer Bibliothek einsehbar, bevor ich sie 1984 drucken ließ. Da ich natürlich bei der einigermaßen ausführlichen Überarbeitung vom Wortlaut des maschinenschriftlichen Exemplars oft nicht abgewichen bin, hätte ich jede wörtliche Übernahme mit Anführungszeichen kennzeichnen müssen. Das Gleiche würde für die Überarbeitung einer zunächst auf einem Hochschulschriftenserver und dann in einem Verlag veröffentlichten Dissertation gelten. Ich kenne für einen solchen, die Lesbarkeit extrem beeinträchtigenden Umgang mit eigenen Arbeiten schlichtweg keinen Präzedenzfall!

In den DFG-Empfehlungen von 1998 findet sich nichts zum Begriff Selbstzitat, Selbstplagiat, Eigenzitat, Eigenplagiat, sondern nur:

Veröffentlichungen sollen, wenn sie als Bericht über neue wissenschaftliche Ergebnisse intendiert sind,

- die Ergebnisse vollständig und nachvollziehbar beschreiben,

- eigene und fremde Vorarbeiten vollständig und korrekt nachweisen (Zitate),

- bereits früher veröffentlichte Ergebnisse nur in klar ausgewiesener Form und nur insoweit wiederholen,wie es für das Verständnis des Zusammenhangs notwendig ist.


http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/reden_stellungnahmen/download/empfehlung_wiss_praxis_0198.pdf
Diese Passage blieb 2013 unverändert
http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/reden_stellungnahmen/download/empfehlung_wiss_praxis_0198_ergaenzungen.pdf

Eumann hat die eigene Vorarbeit nicht korrekt nachgewiesen. Er hätte sie in das Literaturverzeichnis aufnehmen müssen und im Vorwort die Abhängigkeit deutlicher aussprechen müssen. Ein gravierender Verstoß, der auch nur annäherend mit einem Fremdplagiat vergleichbar ist, ist das allerdings nicht.

2011 thematisierte die ZEIT die Wiederverwertung früherer Qualifikationsarbeiten:

http://www.zeit.de/studium/hochschule/2011-04/abschlussarbeiten-doktor

Zitat:

Peter Funke, Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), sagt heute: "Zumindest im Vorwort seiner Dissertation sollte der Autor auf eigene Vorarbeiten klar hinweisen." Das Ombuds-Gremium der DFG für gute wissenschaftliche Praxis mahnte gelegentlich, dass in den Promotionsordnungen an deutschen Universitäten "eindeutige Regelungen" für die Zweitverwertung von Prüfungsschriften zu oft fehlen, aber gerade "im Interesse der Doktoranden" nötig seien. Es geht um Chancengleichheit "in gestuften Qualifikationsverfahren". Zumindest müsse der Erstgutachter im Promotionsverfahren "über die Intensität der Übernahme (aus der eigenen Studienabschlussarbeit des Kandidaten) präzise informieren."

Wenn das nicht der Fall ist, kann der Doktortitel nachträglich aberkannt werden. Das zeigte sich vor wenigen Jahren an der Uni Erfurt. Erst im Nachhinein stellte sich heraus, dass eine politikwissenschaftliche Dissertation zur Hälfte im Wortlaut mit der Magisterarbeit des Verfassers übereinstimmte – allerdings ohne jeden Hinweis auf den "sechs Jahre alten kalten Kaffee", wie manche Professoren schimpften. Der Doktorvater und der Doktorand hatten die Vorgeschichte verschwiegen. Der Titel wurde zunächst entzogen, schließlich aber zwecks Streitvermeidung doch gelten gelassen.


Faktum ist: Eumann hat im Vorwort der gedruckten Fassung auf eigene Vorarbeiten hingewiesen!

Und von "kaltem Kaffee" kann nicht die Rede sein, wenn man die Arbeiten wie üblich unter Verschluss hält. (Womöglich, damit sich Professoren besser an ihnen bedienen können?
http://lexetius.com/1980,1 )

Wissenschaftlich kann nur das als vollgültige Veröffentlichung zählen, was im Druck oder im Internet erschienen ist.

Etwas verschwurbelt äußerte sich 2012 Magnus Klaue (SIC) im "Freitag":

http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/publikationenvermehrung-durch-eigenplagiat

Recht amüsant eine Glosse von Wolf Lepenies:

http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article106411036/Selbstzitat-Eigenplagiat.html

Eine Suche in Google Books zum Suchwort Eigenplagiat offenbar gerade mal eine aus dem Jahr 2012 stammende Thematisierung im Wissenschaftskontext, wobei die Autorin es bedenklich findet, wenn man Formulierungen aus einer Hausarbeit in eine Masterarbeit übernimmt - was ich meinerseits bedenklich finde.

https://www.google.de/search?q=eigenplagiat&tbm=bks

Mehr findet man zu Selbstplagiaten, u.a. eine Bachelorarbeit von 2013, in der die Rechtfertigung einer Wiener Medizinerin zitiert wird, dass Selbstplagiate in der Wissenschaft durchaus üblich seien.

http://books.google.de/books?id=Hz2wq-FS1joC&pg=PA14

Ich kann das aus meiner eigenen Erfahrung nur bestätigen. Das angebliche Problem von Selbstplagiaten wurde mir erst nach dem Guttenberg-Skandal richtig bewusst. Ich selbst habe gelegentlich "Neuauflagen" früherer Aufsätze veranstaltet und dabei natürlich die älteren Fassungen zitiert bzw. die Abhängigkeit vermerkt. In der Regel ergab sich auch ein deutlicher Erkenntnisgewinn, soweit ich das selbst beurteilen kann. Soweit ich in jüngster Zeit wörtliche Übernahmen aus früheren Arbeiten getätigt habe, habe ich das pauschal vermerkt - nun auch mit explizitem Hinweis auf die wörtliche Übernahme.

Beispiele:
http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/536/
http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/1506/
http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/8758/

De minimis non curat praetor - man sollte die Kirche im Dorf lassen und kleinere Eigenplagiate nicht weiter thematisieren. Im Sinne wissenschaftlicher Transparenz sollte man größere "Eigenplagiate" durchaus kritisieren, aber (noch) keine negativen Sanktionen daran knüpfen, da sich eine entsprechende Erwartung erst allmählich entwickelt.

IV. Vom Umgang mit eigenen Veröffentlichungen

Wer seinen Themen treu bleibt, ist kein schlechter Wissenschaftler. Als klassischer "Vielschreiber" wurde ich nie, soweit ich mich erinnere, mit dem Vorwurf konfrontiert, mich indezent oft selbst zitiert zu haben. Aber ich hatte oft selbst dieses Unbehagen. Es ist aber ganz natürlich, dass man das beim Zitieren bevorzugt, was man kennt, wozu zuallererst die eigenen Publikationen gehören. Die eigenen Vorarbeiten aus dem gleichen Themenbereich zu zitieren gehört zur wissenschaftlichen Redlichkeit, da so eine Überprüfung der eigenen Leistung besser möglich ist.

Wenn die Firmen, die Zitations-Statistiken anbieten, Eigenzitate nicht herausrechnen können oder wollen, dann ist das deren Problem und nicht das des Wissenschaftlers. Siehe dazu auch

http://www.laborjournal.de/editorials/639.lasso

Ich habe die oben zitierten DFG-Richtlinien hier einmal als Unfug angesprochen:

http://archiv.twoday.net/stories/19471143/

Ich will das nun ausführlicher begründen. Die Forderung, "bereits früher veröffentlichte Ergebnisse nur in klar ausgewiesener Form und nur insoweit wiederholen,wie es für das Verständnis des Zusammenhangs notwendig ist" geht hinsichtlich des zweiten Teils klar an der Praxis der geisteswissenschaftlichen Forschung vorbei. Entscheidend ist natürlich die Einschränkung "Bericht über neue wissenschaftliche Ergebnisse".

Zweitauflagen von Monographien oder Neubearbeitungen von juristischen Kommentaren, die zu großen Teilen mit der vorangehenden Fassung identisch sind, sind selbstverständlich vollgültige wissenschaftliche Veröffentlichungen. Und selbst die beliebten Aufsatzsammlungen eines Autors, bei denen die Erstpublikationen nicht wesentlich verändert werden, bieten neue Sichtweisen und damit auch wissenschaftlich Neues, sonst wären sie nicht so beliebt. Oft werden diese gar nicht vom bescheidenen Autor selbst, sondern seinen Schülern veranlasst.

Exkurs: Die urheberrechtliche Problematik des Selbstzitats will ich hier nur ganz kurz ansprechen. Offensichtlich nicht die mindeste Ahnung hat Plagiatjägerin Debora Weber-Wulff:

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1772188/

Aufsatzsammlungen sind beispielsweise auch im Rahmen des § 38 UrhG ohne Zustimmung des Verlags möglich, und bei nicht als Verlagsveröffentlichung publizierten Qualifikationsarbeiten ist die Verwertung der eigenen Vorarbeit überhaupt nicht zu beanstanden. Da viele Verlage Hochschulschriftenserverpublikationen als unschädlich betrachten, sehe ich geringe Chancen, wenn sich nachträglich ein Verlag auf eine angebliche Täuschung berufen will, wenn die Existenz einer (im Fall Eumanns nur formal, aber nicht faktisch veröffentlichten) Vorarbeit verschwiegen wurde. Eine Kündigung des Vertrages oder ein Rückzug der Arbeit mit Schadenersatzleistung des Autors kann aus meiner Sicht bei einem Eigenplagiat nicht begründet werden.

Grundsätzlich unterliegt es der freien Entscheidung des Autors, in welcher Form und wie ausführlich er frühere Publikationen wörtlich weiterverwertet. Das ist von der Wissenschaftsfreiheit geschützt (Art. 5 GG), die Autoren wie Steinhauer - siehe http://archiv.twoday.net/stories/8401787/ - nicht müde werden, wie eine Monstranz vor sich herzutragen.

Wieso sollte man zwanghaft umformulieren, wenn einem bereits eine angemessene Formulierung gelungen ist? In den Geisteswissenschaften kommt es mehr als in den Naturwissenschaften auf eine abgerundete, flüssige Darstellung an, die man insbesondere durch Rückgriff auf eigene Textbausteine erzielen kann.

Selbstverständlich verteidige ich auch die Möglichkeit, wissenschaftliche Arbeiten fremder Autoren, die unter CC-BY stehen, neu zu bearbeiten und zu verbessen, sofern dies in transparenter Form und unter Wahrung der Autorenrechte (erforderlich sein dürfte regelmäßig die Nennung als Mitautor mit entsprechender Kennzeichnung, dass eine Zustimmung nicht vorliegt) geschieht. Ich kenne allerdings noch keinen Präzedenzfall, bei der eine solche Bearbeitung vorgenommen wurde.

Dass gerade im landesgeschichtlichen Bereich ein heftiges Recycling eigener Publikationen üblich ist, will ich damit nicht verteidigen. Als besonders dreistes Beispiel fällt mir ein (aus dem RI-OPAC):

Deutsche Anführer beim Ersten Kreuzzug in der Geschichtsschreibung der Frühen Neuzeit. Zur Kreuzzugsdarstellung der Zimmerischen Chronik
Murray, Alan V.. (2002) - In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte vol. 61 (2002) p. 145-158

Hochmittelalterlicher Kreuzzug als frühneuzeitliche Adelslegitimation: Die schwäbisch-rheinländischen Teilnehmer des Ersten Kreuzzugs in der Chronik des Grafen Froben Christoph von Zimmern
Murray, Alan V.. (2002) - In: Herrschaft und Legitimation. Hochmittelalterlicher Adel in Südwestdeutschland p. 171-185

Ein Herzog von Teck als Teilnehmer des ersten Kreuzzugs?: Ein Beitrag zur süddeutschen Geschichtsschreibung der Kreuzzugsbewegung
Murray, Alan V.. (2002) - In: Stadt Kirchheim unter Teck. Tamilen p. 137-156

Die drei Aufsätze unterscheiden sich kaum.

Veröffentlichte Beiträge mit nur geringfügigen Veränderungen erneut einzureichen, um das eigene Schriftenverzeichnis aufzublähen, schadet der Wissenschaft. Es nützt dagegen der Wissenschaft, wenn eigene Studien verbessert und korrigiert erneut vorgelegt werden, wobei schon ein vergleichsweise kleiner Erkenntnisgewinn erfreulich ist.

Und selbstverständlich sollten Online-Vorabpublikationen nicht mit der zutiefst fragwürdigen Ingelfinger-Rule dazu führen, dass ein Beitrag zurückgewiesen wird, auch wenn die DFG das anders zieht, siehe dazu mit weiteren Nachweisen:

http://archiv.twoday.net/stories/444866341/

Wer es bei Eigenplagiaten übertreibt, kann im üblichen wissenschaftlichen Diskurs zur Verantwortung gezogen werden. Es ist zwar richtig, dass man inzwischen mehr Transparenz anmahnt, aber im Vergleich zu wirklichen Plagiaten wird das Problem hysterisch übertrieben, wenn sich universitäre Gremien wie jetzt bei Eumann damit befassen. Nochmals: Etwas wirklich Schlimmes haben Guttenberg und Schavan getan, nicht Eumann!

Es gibt eine ganze Menge anderer wissenschaftlicher Missstände, die man im Zeichen des digitalen Zeitalters endlich einmal anpacken müsste. Die Selbstermächtigung der Universitäts-Kommissionen, die sich als Richter über wissenschaftliches Fehlverhalten in den Vordergrund spielen wollen (weil ihnen die Plagiate-Wikis lange genug die Show gestohlen haben), erinnert mich ein wenig an die Praxis frühneuzeitlicher Territorialherren, die Hexenprozesse nicht zuletzt deshalb durchführten, um ihre Hochgerichtsbarkeit unter Beweis zu stellen ("Justiznutzung durch die Herren").

Update: Aus den Kommentaren zu dem Artikel von Hermann Horstkotte (von Horstkotte selbst)

http://www.zeit.de/studium/hochschule/2013-07/eumann-verdacht-auf-plagiat

ergeben sich folgende Ergänzungen:

Rezension in der "Publizistik"

Definition der Uni Dortmund zum Selbstplagiat
http://www.tu-dortmund.de/uni/Uni/Organisation/Kommission_gute_wissenschaftliche_Praxis/Merkblatt_Plagiate-1c.pdf

http://www.uli-paetzold.de/beitrag-lesen-11/items/dieses-mal-verrennt-sich-die-meute-marc-jan-eumann-gehoert-nicht-in-die-schusslinie.html

Weiterer Nachtrag: Erklärung Eumanns
http://archiv.twoday.net/stories/444876493/

http://archiv.twoday.net/stories/498220194/

Eumann (PD via Freigabe "Werbeagentur", Commons)
R.Kühne meinte am 2013/07/22 06:29:
Wider dem Eifer der Jäger im Unterholz der Wildtriebe
Lieber Klaus Graf, habe gerade Deinen leidenschaftlichen Beitrag zu
dem wohl etwas nebengleisigen Wissenschaftsverhalten EUMANNs
gelesen. Danke für Dein Engagement gegen eine schon etwas ver-
schrobene, in der Optik wohl leicht getrübte, Sicht- und Gedankenwelt
von Gliedern des Wissenschaftsbetriebes. Deren Motivation ist
schwer bis garnicht ergründbar, mir scheinen hier die Triebkäfte
im persönlichen, ja schon eher psychischen, Sicherheitsbedürfnis ei-
nes nicht ganz in der Welt stehenden Lehrkörpers verdeckt oder ver-
steckt zu sein.
In der Sache hat Eumann sicher sich im möglicherweise Übermaß der Einarbeitung seines eigenen Potentials von Geist, Konstruk-
tion und deren möglicherweise neuen Vernetzung unter besonderer
Berücksichtigung neu erschlossener Einsichten bedient. Selbst in
diesem Falle wäre es nicht als Faktor der Bequemlichkeit zu ent-
werten, denn auch ein solches Vehikel braucht neue Räder.
Der Katalog von Lässigkeiten und Fahrlässigkeiten im Wissen-
schaftsbetrieb müsste dann doch einmal überdacht werden, be-
vor reihenweise die in die Grube fallen, die sie gegraben haben.
Wie in so manchen Fällen, z. B. MOLLATH, denke ich, daß der be-
rühmt-berüchtigte gesunde Menschenverstand uns allen ein ganzes
Stück weiter helfen könnte, neben WISSENSCHAFT und JUSTIZ den
Faktor MENSCH in das Strickmuster des GESELSCHAFTLICHEN
LEBENS einzuarbeiten.
Ich hoffe, Euch ein wenig Mut gemacht zu haben. Mehr kann ich nun einmal nicht bewirken. Und was VERSTAND und VERNUNFT in
weiten Segmenten unserer Gesellschaft an GEWICHTUNG im Wettbewerb mit MACHTERHALT und -MEHRUNG in der Waag-
schale der TRAURIGEN GESTALT JUSTITIA an Masse gegenhalten
kann, da habe ich arge Zweifel.
Herzliche Grüße, auch oder gerade an Herrn Eumann,
Rainer Kühne rainer.twoday.net 
Erbloggtes (Gast) meinte am 2013/07/25 15:43:
Ich habe mir ein paar ergänzende Gedanken gemacht:
http://erbloggtes.wordpress.com/2013/07/25/eigenplagiator-marc-jan-eumann/ 
Fredegar (Gast) meinte am 2013/09/18 17:20:
DFG-Richtlinien
Danke für den klaren und eindeutigen Kommentar. Ich bleibe hier ja lieber anonym, denn in meiner Dissertation finden sich tatsächlich zwei Sätze meiner Magisterarbeit, ohne dass ich Anführungszeichen gesetzt hätte. Angesichts der weit verbreiteten Praxis in den historischen Wissenschaften habe ich bisher nie daran gedacht, hier als Plagiator tätig geworden zu sein. Die Stellen sind ja auch klar gekennzeichnet: Sie stammen aus meiner Feder und mein Name steht auf dem Titelblatt.

Die DFG-Richtlinien, hier Empfehlung 12, als Kriterium heranzuziehen, geht völlig in die Irre. Denn dort geht es explizit um Zeitschriftenveröffentlichungen. Hintergrund ist die impact-Zählung in den Naturwissenschaften, die eine Mehrfachveröffentlichung tatsächlich wettbewerbsverzerrend macht. Juristisch gedacht scheint es mir nicht nachvollziehen, eine Formulierung eines Textes, der sich mehrfach explizit auf "Zeitschriften" bezieht, nun einfach auf das Gebiet "Dissertation" zu übertragen. Das wäre etwa so, wie wenn man die Fristenregeln des Verwaltungsrechts auf den Tatbestand Totschlag überträgt um eine Verjährungsfrist zu begründen.

Es ist wirklich gut, dass im Fall Eumann letztlich ein Gericht entscheidet. Es spricht hier doch viel für den Kläger, in entscheidender Weise das Votum seines Zweitgutachters. Wenn an der betreffenden Uni die eine Hand nicht weiß, was die andere tut, kann man das kaum dem Kandidaten negativ anrechnen. Wissenschaftliche Regeln beruhen in erster Linie auf Konsens.

Nicht ganz zustimmen kann ich, dass eine Ergänzung um ein Kapitel bereits einen substantiellen Beitrag darstellt. Ich hätte eine solche Dissertation nicht akzeptiert. Da es der Zweitkorrektor aber getan hat, ist daran nachträglich nichts zu beanstanden. 
KlausGraf meinte am 2013/11/07 21:51:
Siehe auch
http://causaschavan.wordpress.com/2013/09/11/der-fall-marc-jan-eumann-und-der-schavan-skandal/ (11.09.2013) 
 

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