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Peter Michael Ehrle und Ute Obhof (Hrsg.)
Die Handschriftensammlung der Badischen Landesbibliothek: Bedrohtes Kulturerbe?
Casimir Katz Verlag, Gernsbach 2007
ISBN 978-3-938047-25-5
160 Seiten, gebunden, Preis: EUR 19.80
(im Buchhandel und an der Garderobe der Landesbibliothek erhältlich)



Hl. Hieronymus mit Bücherturm, BLB Cod. Aug. perg. XLVIII

Das neue Buch zur Causa Karlsruhe wurde bereits mehrfach in der Tagespresse besprochen:

FAZ vom 28.3.2007, siehe
http://archiv.twoday.net/stories/3489599/

BNN vom 29.3.2007
http://www.blb-karlsruhe.de/blb/blbhtml/aktuelles/news.php?n=bnn,29.03.2007,2007/presse-bnn070329.gif,1102,982

Stuttgarter Zeitung vom 30.3.2007
http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/1392505?_suchtag=2007-03-30

Der Sonntag vom 1.4.2007
http://www.blb-karlsruhe.de/blb/blbhtml/aktuelles/news.php?n=so,01.04.2007,2007/presse-so070401.gif,1402,1013

Der reich mit Abbildungen - vor allem aus den bedrohten Karlsruher Codices - illustrierte Band ist kein kurzlebiges Pamphlet. Er dokumentiert mit wissenschaftlichem Anmerkungsapparat in seinen Beiträgen sowohl den Rang der Karlsruher Handschriftensammlung als auch eine ungeheuerliche Affäre. Das schmale Buch gehört auf den Nachttisch aller Kulturpolitiker und zwar nicht nur der baden-württembergischen. Es kann aber auch allen empfohlen werden, die sich fundiert über den Verlauf und Sachstand des Kulturgut-Debakels unterrichten wollen.

Es wäre wünschenswert, wenn der Band (oder einzelne Beiträge) "Open Access" zur Verfügung stehen würde. Erfahrungsgemäß kurbelt eine solche Bereitstellung den Verkauf an ( http://archiv.twoday.net/stories/3326893/ ).

Ute Obhof gibt einen Überblick über die Handschriftensammlung anhand ihrer Hauptprovenienzen (Durlach und Rastatt, Reichenau, St. Peter, Ettenheimmünster, Lichtenthal, St. Blasien, St. Georgen) und hebt die jeweiligen "Highlights" hervor.

Ein gewisses Manko sehe ich in dem Umstand, dass in dem ganzen Band die Handschriften nicht in die allgemeine Bibliotheksgeschichte eingebettet und mit dem Schicksal der Inkunabeln und anderen Drucke in Verbindung gesetzt werden. Da es doch auch auf juristische Argumente ankommt, hätte der öffentlich-rechtliche Charakter der "Hofbibliothek" herausgearbeitet werden müssen.

* Die Reuchlin-Bibliothek ist St. Michael in Pforzheim "auf ewig" geschenkt worden. Es gibt keinerlei Hinweise, dass eine Usurpation als markgräfliches oder grossherzogliches Privateigentum wirksam stattgefunden hätte.

* Wenn Markgraf Karl Friedrich aufgrund eines Gutachtens von Reinhard die Bibliothek des Geheimen Rats (also einer landesherrlichen Behörde) und seine familiäre Büchersammlung zusammenwarf, so steht am Anfang der Karlsruher Landesbibliothek ganz offenkundig das Konzept einer öffentlichen "Landesbibliothek" .

* Wenn Zensurexemplare und im 19. Jahrhundert Pflichtstücke von Druckwerken in die Hofbibliothek gelangten, so beweist dies ebenfalls schlagend den öffentlich-rechtlichen Charakter der Büchersammlung. Siehe
http://archiv.twoday.net/stories/3212740/

* Auch wenn es manchen Austausch zwischen den Privatbibliotheken der Grossherzöge und der Hofbibliothek gegeben haben mag, so zeigt doch die Existenz der 1995 für die BLB angekauften Privatbibliothek in Baden-Baden (1958 als "Zähringer Bücherei" mit öffentlichen Mitteln gefördert: http://archiv.twoday.net/stories/3039334/ ), dass die Hofbibliothek keine private Büchersammlung war, mit denen die Grossherzöge tun und lassen konnten, was sie wollten.

* Unerwähnt bleibt der verhängnisvolle Rechtsbegriff des Hausfideikommiss, der in der Regierungszeit Friedrich I. die kompletten Säkularisationsbestände der heutigen BLB als Eigentum beanspruchte. (Was Klein S. 138f. dazu schreibt, ist unzureichend.)

Die Journalistin Annette Borchardt-Wenzel wendet sich mit ihrer kleinen Geschichte des Hauses Baden an den interessierten Laien. Die Darstellung ist doch recht "hofnah", die desaströsen Auswirkungen der Auktion von 1995 für das badische Kulturgut werden nur zwischen den Zeilen spürbar.

Eine sehr sachliche Zusammenstellung des Ablaufs der Affäre (Stand: Januar 2007) gibt vor allem anhand der Presseberichte BLB-Chef Ehrle. Wer angesichts der unübersichtlichen Fülle der in diesem Weblog seit September 2007 mitgeteilten Nachrichten (nur bis zum 6.1.2006 durch eine "Gesamtübersicht" erschlossen: http://archiv.twoday.net/stories/2895938/ ) verzweifeln mag, wird gern zu dieser - mit vielen gut ausgewählten Zitaten gewürzten - Darstellung greifen, die zwar im Kern nichts Neues enthält, aber gelegentlich doch von den Insider-Kenntnissen des Autors profitiert. (Eine umfangreiche Pressedokumentation bereitet nach Anm. 1 der Mittellateiner Michele C. Ferrari vom Mediävistenverband vor.)

Die abschließenden "Lehren für die Zukunft" (S. 105f.) unterstreichen die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit, die deutlich machen müsse, dass die Originale unverzichtbar seien.

Meine eigenen "Lehren aus dem Karlsruher Kulturgutdebakel" in der Kunstchronik 2007/2,
http://archiv.twoday.net/stories/3287721/ ,
konnte Ehrle noch nicht berücksichtigen, da sie erst Anfang Februar gedruckt vorlagen.

Die Domänenfrage stellt RA Winfried Klein in den Mittelpunkt seines Beitrags zum Rechtsstatus der Handschriften. Es handelt sich im wesentlichen um einen Auszug aus der Anfang 2007 erschienenen Dissertation zur Domänenfrage.

Da Klein weder die wichtigen Rechtsgutachten erörtert noch die vielen diffizilen Ausführungen zur Rechtslage (insbesondere zum Hausfideikommiss) in diesem Weblog verarbeitet hat, ist sein Beitrag zwar vom Ergebnis her überzeugend, für eine in die Tiefe gehende Auseinandersetzung ist er aber nur bedingt hilfreich.

Vertreter des Hauses Baden könnten Klein entgegnen: Die fraglichen Bestände gehörten nicht zum Domänenvermögen, das 1919 zur Debatte stand, und auch nicht zum Inventar der Gebäude der Hofausstattung. Sie waren Eigentum des Hausfideikommisses und sind 1923 mit diesem freies Eigentum des Hauses Baden geworden.

Mit Spannung zu erwarten ist (wohl im Herbst 2007) der Bericht der Kommission aus Historikern und Rechtshistorikern, die derzeit umfangreiche Quellenrecherchen vornimmt.

Eine kulturpolitische Abrechnung mit der Politik der Landesregierung legt der BNN-Redakteur Michael Hübl vor. Ich zitiere die StZ:

Mit Erstaunen stellt er fest, dass es der Landesregierung wie dem Haus Baden in ihren "Geheimabsprachen" leicht fiel, "die Bestände der Badischen Landesbibliothek als Verfügungsmasse einzustufen", er markiert den "Deal" als "eine Vokabel aus dem Drogenmilieu" und bedauert die "merkantile Brutalität", mit der vorgegangen wurde. Deutlich weist Hübl auf den Tabubruch hin: dass jetzt Haushalte durch erbarmungslosen Kulturausverkauf saniert werden sollen. Und er fordert ganz nebenbei, nachzuprüfen, ob auch beim Verkauf des Schlosses Baden-Baden wirklich alles mit rechten Dingen zuging. Für Hübl zeigt der Streit, dass die Kultur für die Politiker "nur eine untergeordnete Rolle" spielt.

Willkommen sind die Hinweise auf Kulturgutverkäufe des Hauses Baden im 19. Jahrhundert, die eindeutig "Fehleinschätzungen" waren (S. 156f.).

Der Hinweis auf den Ankauf der Donaueschinger Handschriftensammlung 1993, der Musikalien 1999 und der Nibelungenhandschrift C 2001 sowie weiterer Donaueschinger Buchbestände durch Ehrle (S. 83) lässt die Kulturpolitik der Landesregierung vor der Causa Karlsruhe in einem weit güldeneren Licht dastehen als sie es verdient.

Das Versagen der großen Koalition angesichts des "Fürsten-Nippes" von 1995 wurde bereits erwähnt. Die Causa Donaueschingen hat leider längst nicht die öffentliche Ausmerksamkeit gefunden wie die Causa Karlsruhe. Dabei war der 1999 begonnene Ausverkauf der Donaueschinger Druckschriftensammlung und die Zerschlagung der Lassberg'schen Bibliothek eine Kulturschande, die ungeachtet der (vergleichsweise leisen) Proteste durchgezogen wurde. Das Land hätte diesem unersetzlichen Ensemble als Ganzes Schutz gewähren müssen - mit seinem elenden Dubletten-Argument hat es Beihilfe zur unwiderruflichen Vernichtung eines Kultudenkmals beigetragen und die Landesverfassung gebrochen:
http://www.histsem.uni-freiburg.de/mertens/graf/don.htm

Historische Sammlungen in Adelsbesitz (Donaueschingen), aber auch in Kirchenbesitz (Eichstätt: http://archiv.twoday.net/stories/3534122/#3534125) haben nur eine schwache Lobby. Eigentümer und ein willfähriger Staat, der seinen Auftrag zum Kulturgutschutz bei privaten beweglichen Denkmälern nicht ernst nehmen mag, können zum Nachteil der Ensembles irreversible Fakten schaffen. Man mag hoffen, dass der deutliche "Aufschrei" in Sachen Karlsruhe, den der vorliegende Band dokumentiert, einen Meilenstein im sensibleren Umgang mit unersetzlichem Erbe bedeutet.
 

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