Allgemeines
Architekturarchive
Archivbau
Archivbibliotheken
Archive in der Zukunft
Archive von unten
Archivgeschichte
Archivpaedagogik
Archivrecht
Archivsoftware
Ausbildungsfragen
Bestandserhaltung
Bewertung
Bibliothekswesen
Bildquellen
Datenschutz
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
null

 
In der FAZ leistet der Münchner Jurist Volker Rieble dem unsäglichen Roland Reuß juristische Schützenhilfe: Forscher seien keine normalen Angestellten.

Der „Heidelberger Appell“ von Roland Reuß sorgt sich um die Freiheit des Autors, selbst zu entscheiden, ob, wo und wie seine Werke veröffentlicht werden. Diese Freiheit ist in Gefahr, wenn Wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse mit dem Argument einem „open-access-System“ überantworten müssen, dass der Staat ihre Forschung finanziere und deswegen verlangen könne, dass Forschungsergebnisse kostenfrei und insbesondere im Netz veröffentlicht werden.

Rieble erwähnt kurz das Arbeitnehmererfindungsrecht, das im Hochschulbereich das frühere Hochschullehrer-Privileg abgeschafft hat, um anschließlich das hohe Lied der Wissenschaftsfreiheit zu singen:

Die Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG verleiht ihm das unentziehbare Recht, selbst zu entscheiden, ob, wo und wie seine Werke veröffentlicht werden. Ein publizistischer Anschluss- und Benutzungszwang (vergleichbar der kommunalen Wasserversorgung) ist verfassungswidrig. Diese Individualfreiheit gilt schon immer und ungeachtet des Umstandes, dass die Forschung an Universitäten und Großforschungseinrichtungen mit Steuergeldern finanziert ist. Der Staat erwirbt durch Wissenschaftsfinanzierung keine Nutzungsrechte an Forschungsergebnissen. Das Grundgesetz baut darauf, dass Wissenschaftler eigenverantwortlich publizieren – und hierzu vom wissenschaftlichen Wettbewerb und von der persönlichen Neugier und Schaffenskraft angetrieben werden. Jedweder Publikationszwang ist damit unvereinbar. Abgesehen davon: In der Lebenswirklichkeit werden Publikationen nachts und am Wochenende, also in der Freizeit geschrieben. Da gehört der Forscher sich selbst.

Selbstverständlich ist es sinnvoll, dass öffentlich finanzierte Forschungsergebnisse auch publiziert werden. Ist dies nicht der Fall, werden Steuergelder schlicht und einfach verschwendet.

Der Forscher ist unter Umständen sogar verpflichtet, Forschungsergebnisse, an denen er Eigentum erworben hat, der Universität anzubieten, hat der BGH in seiner sonst vielfach kritikwürdigen Entscheidung Grabungsmaterialien entschieden:

http://lexetius.com/1990,13

Selbstverständlich werden in Projekten erarbeitete Publikationen in der Arbeitszeit geschrieben, mag das auch bei Herrn Rieble anders sein. Als Hochschullehrer kann er ja ohnehin weitgehend frei entscheiden, was Freizeit und was Dienstzeit ist. Und während Professor Rieble mal kurz einen FAZ-Artikel in seiner vermutlich allzu karg bemessenen Freizeit aus dem Ärmel schüttelt, gilt bei echter wissenschaftlicher Forschung, dass der eigentlichen Niederschrift immer zeitaufwändige Recherchen und Vorarbeiten vorangehen, wobei die Informationsversorgung bei Leuten wie Rieble die öffentliche Hand übernimmt, also bezahlt. Aus seiner Privatbibliothek kann er vielleicht einen schlechten FAZ-Artikel bestreiten, aber keine genuine Forschungsarbeit.

Weitere Falschaussagen folgen:

Eben darin liegt der Fehler der Open-access-Bewegung: Sie sieht Wissenschaftspublikationen nur unter Ertrags- und Kostengesichtspunkten und meint deswegen, auf das Publikationsrecht des steuerfinanzierten Autors Zugriff nehmen zu können. Verbindungen eines Wissenschaftlers zu einem Verlag sind keine „Profit- oder Vertriebsstrukturen“, sondern Ausdruck einer persönlichen und wissenschaftsgeprägten Vertrauensbeziehung. In welcher Zeitschrift und bei welchem Verlag er veröffentlichen möchte, entscheidet der Autor nach wissenschaftlichen und nicht nach ökonomischen Gründen. Dieses Recht würde schon durch eine Zweitveröffentlichungspflicht nachhaltig verwässert.

Warum? Ich kann beim besten Willen keine Beeinträchtigung der Vertrauensbeziehung zum Verlag durch grünen Open Access sehen, schließlich akzeptieren die weltweit größten Wissenschaftsverlage das Selbst-archivieren in Repositorien. Die Formel "nachhaltig verwässert" ist natürlich ein rhetorisches Falschspiel, denn es ist doch ein erheblicher Unterschied, ob man eine bestimmte Publikationsform für die Primärpublikation vorschreibt oder - ggf. nach einem Embargo - eine kostenfreie Sekundärpublikation fordert.

Einfach nur perfide Polemik ist der Satz:

Man sieht: Frei ist bei Open access nur der Leser; seine Freiheit wird durch die „anti-autoritäre“ Entrechtung des Autors erkauft.

Halten wir fest: Von einem Zwang sind wir (leider) in Deutschland meilenweit entfernt. Unzählige deutsche Wissenschaftler unterstützen persönlich Open Access, veröffentlichen in Open-Access-Zeitschriften oder nützen die Hochschulschriftenserver, um ihre Veröffentlichungen dort unterzubringen. Open Access baut auf die freiwillige Einsicht der Wissenschaftler. Wenn die wichtigste Harvard-Fakultät einmütig für eine Verpflichtung für Open Access votiert - wer hat sie dazu gezwungen?

Die internationale Open-Access-Community setzt auf Mandate - der deutsche Sonderweg ist ihr nicht eigentlich vermittelbar. Ist Deutschland wirklich der allerletzte Hort der Wissenschaftsfreiheit? Geht diese in allen anderen wichtigen Forschungs-Staaten vor die Hunde, weil Open-Access-Verpflichtungen (Mandate) ausgesprochen werden?

Meine eigene Position habe ich mehrfach hier dargelegt: Ich bin ohne Wenn und Aber für Mandate auf der Grundlage von Hochschulsatzungen. Diese sind autonomes Hochschulrecht, nicht etwas "von oben" Aufgezwungenes.

http://archiv.twoday.net/search?q=mandat
http://archiv.twoday.net/stories/4369539/

Mein Vorschlag lautet:

Veröffentlichung von Publikationen nach den Grundsätzen von "Open Access".

(1) Hochschullehrer und Beschäftigte der Universität sind verpflichtet, alle Veröffentlichungen in Zeitschriften und Sammelbänden sowie Buchveröffentlichungen an den Hochschulschriftenserver in elektronischer Form abzuliefern.
(2) Abzuliefern ist die für den Druck akzeptierte Fassung oder die gedruckte Fassung.
(3) Solange den Hochschulschriftenserver keine Freigabe des Rechteinhabers bzw. Verlags erreicht hat, sind nur die Metadaten der jeweiligen Veröffentlichung für die Allgemeinheit zugänglich.
(4) Gibt der Rechteinhaber die für den Druck akzeptierte Fassung oder die gedruckte Fassung frei, wird der Zugriff durch die Allgemeinheit freigegeben.
(5) Auf Antrag des Hochschullehrers oder Beschäftigten kann der Zugriff für die Allgemeinheit auch bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 4 gesperrt bleiben oder werden, wenn die berechtigten Interessen des Hochschullehrers oder Beschäftigten an der Nicht-Veröffentlichung auf dem Hochschulschriftenserver überwiegen. Ein solcher Antrag ist alle fünf Jahre zu erneuern.


Leider stehe ich damit damit in Deutschland allein auf weiter Flur. Open-Access-Unterstützer wie der Bibliotheksjurist Steinhauer lehnen Mandate als Zwang kompromisslos ab. Die herrschende juristische Meinung lehnt den Ertmann/Pflüger-Vorschlag ab, den ich als verfassungsrechtlich machbar ansehe:

http://archiv.twoday.net/stories/2962609/

Stattdessen wurde (insbesondere vom Bundesrat bei den Verhandlungen zum 2. Korb des Urheberrechts) der schlechte Hansen-Vorschlag favorisiert, der in die Vertragsbeziehungen zwischen Verlag und Wissenschaftler eingreift und dem Wissenschaftsautor das Recht verschafft, nach einer Frist von sechs Monaten seinen Beitrag in einem Repositorium einzustellen:

http://archiv.twoday.net/stories/2060875/

Zurück zu Reible. Seine Überlegungen zur "Staatsfreiheit der Wissenschaftspresse" sind abwegig. Einzig und allein öffentlichrechtliche Speicher können die dauerhafte Verfügbarkeit elektronischer Daten sicherstellen. Repositorien, die ohne Peer Review Publikationen dokumentieren, entsprechen einer universitätsweiten Pflichtexemplar-Sammlung und stellen keine Verlagskonkurrenz dar. Die Hochschulen gewähren ihren Wissenschaftlern ja auch Netzplatz, auf denen diese Forschungsergebnisse zum Abruf bereit stellen können, was zum Teil in erheblichem Umfang genutzt wird. Auch die traditionellen, im Selbstverlag der Universitäten erschienenen Publikationen waren selbstverständlich zulässig.

Es liegt doch auf der Hand, dass es Möglichkeiten geben muss, seriöse Forschung, die von Verlegern nicht oder nur um den Preis extremer Subventionen akzeptiert wird, dauerhaft elektronisch zu veröffentlichen. Wenn die Server öffentlichrechtlicher Institutionen das ermöglichen, nehmen sie den Verlagen kein Geschäft weg. Sie ermöglichen Publikationen, die Verlagen nicht lukrativ genug sind.

Rieble wiederholt das falsche Argument von den schlechten Dissertationen: Traditionelle Nutzer sind froh, wenn schlechte Dissertationen auf Servern verschimmeln.

Das Beispiel einer sehr schlechten Dissertation, die in erlesener Aufmachung vom traditionsreichen Winter-Verlag gedruckt wurde, habe ich hier vorgestellt:

http://archiv.twoday.net/stories/5531082/

Rieble stellt die Verhältnisse auf den Kopf, wenn er statt der ekelhaften Verlagsmonopole, die auf Profitmaximierung aus sind und bei denen es abweichende Meinungen bekanntlich auch schwer haben, die Gefahr eines übermächtigen Staatswissenschaftsservers an die Wand malt: Nur solange es eine Alternative zum staatlichen open-access-Server gibt, sind Wissenschaftler vor der Monopolmacht des Staatswissenschaftsverlages (oder -servers) geschützt. Man denke an die Zensurgefahr durch political correctness.

Ist es ein Zufall, dass die von der digitalen Revolution bedrohten traditionellen Printmedien vor allem kompetenzfreie Open-Access-Gegner zu Wort kommen lassen?

Repositorien sind anders als die FAZ politisch neutral und nur einem Mindeststandard an Wissenschaftlichkeit verpflichtet.

Abschließend resümiert der Münchner Hochschullehrer: Man kann also Roland Reuß und seinem „Heidelberger Appell“ zweifach zustimmen: Der einzelne Wissenschaftler darf nicht einmal „sanft“ an der freien Wahl des Veröffentlichungsmediums für seine Erkenntnisse gehindert werden. Universitäten und Großforschungseinrichtungen haben keine wissenschaftspublizistische Funktion. Wissenschafts- und Pressefreiheit setzen auf freie Autoren und freie Verleger. Das Kosten- und das Sparinteresse des Wissenschaftsverbrauchers rechtfertigt keine Freiheitsbeschränkung.

Aus der Wissenschaftsfreiheit folgt nicht, dass Wissenschaftsverlage auf alle Zeiten das Recht auf hohe Monopolgewinne haben und den Staat zwingen dürfen, öffentlich geförderte Forschung "zurückzukaufen".

Wir haben mit der Zeitschriftenkrise ein klassisches Marktversagen: wird mehr Geld in das System gepumpt, wird dies von den Monopolisten abgeschöpft.

Also muss es der Staat auch hier "richten", er muss regulierend eingreifen und die Wissenschaftskommunikation den aufregenden digitalen Möglichkeiten anpassen, da sich die fetten Wissenschaftsverlage dazu nicht in angemessener Weise bereit finden.

Niemand kann bestreiten, dass in den mittelalterlichen Klöstern oder Städten, die weitgehend "ehrenamtliche Schreiber" kannten, eine lebhafte intellektuelle Kultur herrschte - übrigens ganz ohne Urheberrechtsgesetze. Bücher auf Pergament waren teuer, dann kam das Papier und ein Aufschwung des allgemeinen Lesens.

Open Access unterstützt die Freiheit der Wissenschaft, da er die traditionellen Verbreitungsstrukturen durchbricht. Wissenschaft darf nicht länger in den Kerkern der Verlage schmachten, dazu ist sie zu wichtig. Der Staat als größter Wissenschaftsfinanzierer hat die Pflicht, nicht nur "sanft" die Öffentlichkeit von Wissenschaft durchzusetzen. Die absolute Entscheidungsfreiheit der Wissenschaftler muss da ebenso zurückstehen wie bei ethisch fragwürdigen Experimenten.

UPDATE: Steinhauer gegen Rieble
http://www.wissenschaftsurheberrecht.de/2009/04/29/open-access-staatsferne-wissenschaft-6027289/

IB-Weblog http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6829

KOMMENTARE:

Norbert (anonym) meinte am 30. Apr, 12:29:
Ich vermute Herr Reuss ist deshalb unsäglich, weil er Texteditionen auf den Weg gebracht hat, während der Verfasser dieses Artikel nirgendwo publizieren könnte, wenn nicht in Open Access. Der Zwang zu "open acess" stellt die Looser, wie Graf, auf eine Stufe mit den Leistungsträgern. Deshalb der Veränderungsehrgeiz.

KlausGraf antwortete am 30. Apr, 16:44:
Ich ein Looser?
Bei über 200 gedruckten Publikationen (ohne Rezensionen und Zeitungsartikeln, u.a. FAZ) würde ich mal behaupten, das ist einfach anonyme Verleumdung. Wären Sie nicht anonym, würde ich mir überlegen, den Staatsanwalt einzuschalten.

http://archiv.twoday.net/stories/4974627/

Clemens Radl antwortete am 30. Apr, 16:50:
Nur echte Loser ...
... schreiben Loser mit Doppel-O, gell "Norbert"?

Den restlichen Mist an persönlichen Angriffen, der hier abgeladen wurde, habe ich mir zu löschen erlaubt. Die Kommentare sind geschlossen.
 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma