Eric W. Steinhauer: Das Recht auf Sichtbarkeit. Überlegungen zu Open Access und Wissenschaftsfreiheit. Münster 2010, 96 S. online:
http://fiz1.fh-potsdam.de/volltext/aueintrag/10497.pdf
oder http://deposit.fernuni-hagen.de/2752/
Am 17. August 2010 kündigte ich eine nähere Stellungnahme an. Während meines Urlaubs in Südtirol notierte ich mir auf der Seiser Alm Stichworte dazu (aus dem Gedächtnis, das Buch liegt mir physisch nicht vor, und bei Bergausflügen nehme ich denn doch keinen Laptop mit). Kurz vor Schluss der Open-Access-Woche möchte ich mein Versprechen endlich einlösen.
Rainer Kuhlen: Ein Recht auf Sichtbarkeit – aber nicht auch ein Recht auf Sichtbarwerden?
http://www.kuhlen.name/MATERIALIEN/Publikationen2010/Kommentar%20zu%20Steinhauer%20OA-Wissenschaftsfreiheit%20240810-PDF.pdf
hat Steinhauers Buch bereits sehr ausführlich kommentiert. Wer das folgende liest, sollte unbedingt auch Kuhlens Beitrag zur Kenntnis nehmen.
Weitere Aspekte bei Ben Kaden
http://libreas.wordpress.com/2010/08/26/sichtbarkeit/
Es mag ja sein, dass die meisten Steinhauers Buch als Plädoyer für Open Access und schlüssige Widerlegung der unsäglichen Reußiaden lesen. Als Werbung für Open Access ist es ohne Zweifel ein wichtiger monographischer Beitrag. Aber als jemand, der "diletto" am Urheber- und Wissenschaftsrecht (und sehr wenig Gefallen am Staatskirchenrecht, das sich vehement gegen staatliche Eingriffe wehren muss) hat, bin ich enttäuscht.
Mein Unbehagen resultiert nicht primär aus der Tatsache, dass hier zwei Vorträge auf den Göttinger Urheberrechtstagen 2008 und 2009 zusammengebunden wurden, die sich doch erheblich inhaltlich überschneiden. Das ist für den Leser unbequem, hat aber für die inhaltliche Auseinandersetzung keine größeren Konsequenzen, auch wenn der jüngere Beitrag manche Aspekte vertieft.
Gegenüber Steinhauers Position bin ich ein eher radikaler Open-Access-Verfechter. Sein Buch ist daher - formuliert man es wohlwollend - zu zaghaft; weniger wohlwollend gesprochen: nahezu reaktionär. Ein eigener Gegenentwurf müsste selbst wieder eine Monographie werden, also kann ich meine Kritik im folgenden leider nur andeuten. Positive Aspekte mögen bei Kuhlen oder Kaden nachgelesen werden.
§ 1. Irritierend ist bereits die an der Linux-Klausel orientierte Bemerkung zum Urheberrecht: "Das Werk darf im Internet frei verbreitet und kopiert werden.
Der Autor räumt jedermann hierfür ein einfaches
Nutzungsrecht ein. Die Rechte an der gedruckten Ausgabe
liegen beim Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat." Wieso denn um Himmels willen keine CC-Lizenz, wieso diese Extrawurst? Gut, CC-BY kollidiert mit den Verlagsrechten im analogen Bereich, und CC-BY-NC wäre bei der Online-Verbreitung zu restriktiv. Aber das Gleiche hätte Steinhauer doch durch CC-BY-NC mit Freigabe der kommerziellen Nutzung im Online-Bereich bewirken können. Nicht klar ist (wäre aber klar bei CC), ob Bearbeitungen (z.B. Auszüge) möglich sind. Der Wortlaut spricht dagegen.
§ 2. Steinhauer entwickelt kein Gesamtkonzept. Dabei denke ich weniger an patentrechtliche Fragen, sondern an die Forschungsdaten, für die ja immer mehr gefordert wird, dass sie als "Open data" der Nachnutzung (libre Open Access) durch andere Projekte zur Verfügung stehen müssen. Die dem einzelnen Wissenschaftler/Projekt zuordenbaren Informationsbestände (früher bei Historikern Leitzordner mit Kopien und Aufzeichnungen, heute eher Datenbankinhalte und Textdateien) sind nicht freies Eigen des Forschers, sondern Teil einer wissenschaftlichen Allmende. Es muss also Regeln geben - staatliche Vorgaben oder solche der scientific community - die eine angemessene Balance herstellen zwischen der Freiheit des Wissenschaftlers, mit ihnen nach Belieben zu verfahren, und den Bedürfnissen der Wissenschaft.
Wissenschaftsrechtlich adäquat ist nur eine Reflexion, die z.B. zur Kenntnis nimmt was Joseph L. Sax anhand der Qumranschriften herausgearbeitet hat: Exklusive Veröffentlichungsbefugnisse schaden der Wissenschaft. Wieso gehen denn gerade Meldungen durch die Presse, man wolle diese Zeugnisse im Internet zugänglich machen? Weil sich gezeigt hat, dass die künstliche Verknappung, die bestimmte Forschungsdaten einem kleinen Kreis reserviert, kontraproduktiv war, was den wissenschaftlichen Fortschritt angeht.
Ums klar zu sagen: Ich vertrete also den Primat des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns. Die Interessen des einzelnen Wissenschaftsgenossen müssen zurückstehen.
Wenn man eine allgemeine Pflicht für Wissenschaftler, Forschungsergebnisse zu publizieren, nicht bejahen will, so sollte man wenigstens erwägen, ersatzweise eine Pflicht zur Veröffentlichung der entsprechenden Forschungsdaten zu erwägen.
"Eine Verpflichtung zur Registrierung und Publikation der Ergebnisse aller klinischen Studien hat [2009] das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) gefordert. Die Bundesregierung müsse darauf dringen, dass auf EU-Ebene eine verbindliche Regelung umgesetzt wird, wie sie seit 2008 in den USA in Kraft ist. Anlass für die Forderung ist die Publikation des Abschlussberichts zu drei Antidepressiva, dessen Erstellung durch den Hersteller Pfizer massiv behindert worden war. Das Unternehmen hatte sich über lange Zeit geweigert, dem IQWiG Informationen zu Studien zur Verfügung zu stellen. Erst unter öffentlichem Druck legte Pfizer die Daten schließlich offen."
http://www.iqwig.de/index.982.html?random=deb8fa
Es kann also, was Steinhauer verschweigt, durchaus Kontexte geben, wo eine Veröffentlichungspflicht geboten ist.
Steinhauer nimmt nur die Forschungsergebnisse in den Blick, schon das Auslassen der Forschungsdaten macht seine Position fragwürdig.
§ 3. Steinhauer setzt sich nicht mit der verfehlten BGH-Entscheidung Grabungsmaterialien auseinander:
http://lexetius.com/1990,13
Urheberrechtspapst Schricker ging diese doch eher restriktive Entscheidung noch zu weit! Schrickers Beitrag in der FS Lorenz 1991 ist nahezu komplett einsehbar unter:
http://books.google.de/books?id=JRoOV5mhkuYC&lpg=PA234
Steinhauer hätte diesen zentralen Beitrag zur Anbietungspflicht eines Hochschullehrers erörtern müssen - er zitiert (kennt?) ihn noch nicht einmal!
Ich habe ein paar Kritikpunkte in meinem Beitrag "Die letzten Mandarine" 2008 angesprochen:
http://archiv.twoday.net/stories/4599054/
Steinhauers Anschluss an die konservative Dogmatik der Wissenschaftsfreiheit, die stark auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums bei den Professoren rekurriert, ist alles andere als zukunftsfähig.
Exemplarisch möchte ich auf einen Satz Steinhauers eingehen: "Dienstlich verpflichtet ist er [der beamtete Hochschullehrer, KG] allein zu Forschung und Lehre, nicht jedoch zum Publizieren."
Die Fußnote dazu lautet: "Statt vieler Westen, Zur urheberrechtlichen Stellung des
Wissenschaftlers im Arbeits- und Dienstverhältnis nach deutschem
Recht, in: JR 1967, S. 405. Ob man daraus die
(unpassende) Konsequenz zieht, das wissenschaftliche Publizieren
von Hochschullehrern dem Nebentätigkeitsrecht zu unterstellen,
ist eine andere Frage, vgl. VG Berlin NJW 1978, S. 848;
BVerfGE 41, S. 375 f."
Nun ist ein Aufsatz von 1967 nicht gerade taufrisch zu nennen - selbst in der Rechtswissenschaft. Das VG Berlin entschied in seinem Urteil vom 31.3.1977 – VII A 96/76, DÖV 1977, 643 (so von BVerfGE 47, 375 zitiert), das wissenschaftliche Publizieren eines Hochschullehrers sei keine Nebentätigkeit. Das Nachtbackverbot in BVerfGE 41 ist ersichtlich nicht einschlägig, Steinhauer hat also falsch BVerfGE 41, 375f. statt richtig BVerfGE 47, 375f. geschrieben.
Liest man die (von Schricker herangezogene) Stelle in der 1978 getroffenen Entscheidung, so kommt man aus dem Staunen nicht heraus.
Urteilstext: http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv047327.html
Dort steht nämlich genau das Gegenteil von dem, was Steinhauer behauptet:
"Grundsätzlich ist nicht nur die Lehre, sondern auch die Forschung an den öffentlichen Universitäten aufgrund der engen Verbindung von Forschung und Lehre auf Publizität und Veröffentlichung der Forschungsergebnisse hin angelegt. In der Rechtsprechung wird dementsprechend die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen zu den Dienstpflichten eines Universitätsprofessors gerechnet (vgl. VG Berlin, DÖV 1977, S. 643)." BVerfGE 47, 379 betont das Gericht nochmals, "daß die Forschung letztlich auf Kommunikation und Publikation ausgerichtet und die Tätigkeit in der Universität für Hochschullehrer mit ständigen Äußerungen zu wissenschaftlichen Fragen verbunden ist".
Die Anbietungspflicht urheberrechtlicher Werke im Arbeitsverhältnis ist im Rahmen eines reformierten § 43 UrhG zu regeln. Eine Extrawurst für Professoren darf es dabei nicht mehr geben. Zu den Problemen des § 43 UrhG verweise ich auf meine "Urheberrechtsfibel":
http://ebooks.contumax.de/02-urheberrechtsfibel.pdf
Juristen pflegen hier eine extrem "einseitige Diät" (Wittgenstein), da sie sich nur von einer Art von Beispielen nähren. Die Urheberrechtspäpste sind meist selbst Hochschullehrer und argumentieren insofern schamlos pro domo. Bei den Professoren scheint für die herkömmliche Sicht der Dinge sonnenklar, dass diese keiner Anbietungspflicht unterworfen werden dürfen. Aber wie sieht es mit ihren wissenschaftlichen Mitarbeitern bzw. dem anderen Personal der Hochschule oder Wissenschaftlern in Unternehmen aus? Klare Aussagen dazu sind im Schrifttum rar.
Dass ein von der Universität bezahlter Grabungsfotograf die Nutzungsrechte seiner Lichtbilder dem Grabungsleiter überträgt, wenn dieser ein Professor ist (so der BGH in den "Grabungsmaterialien"), aber der Universität, wenn die Grabung von einem Angestellten betreut wird, leuchtet gewiss nicht ein.
Also: Weg mit dem alten Zopf Beamtenrecht, weg mit dem Fetisch Wissenschaftsfreiheit (soweit es um vernünftige und besonnene Regeln zu Forschungsdaten und Publikationen geht).
§ 4. Die übervorsichtigen Ausführungen Steinhauers S. 40 ff. zu Hochschulsatzungen sind nur insoweit brauchbar, als eine Pflichtveröffentlichung elektronischer Dissertationen als denkbar bezeichnet wird. Einfach nur ärgerlich ist das rasche Abtun einer Veröffentlichungspflicht bei Abschlussarbeiten (wie sie in Österreich bei den Diplomarbeiten ohne weiteres besteht). Steinhauer, der selbst dafür gesorgt hat, dass mein Beitrag
http://www.db-thueringen.de/servlets/DocumentServlet?id=4165
in die DBT kam, erwähnt weder ihn noch die vielen anderen Stellungnahmen von mir zu diesem Thema seit ca. 1997. Aussagen werden nicht dadurch richtig, dass man sie apodiktisch behauptet. Selbstverständlich wäre es möglich, eine entsprechende Hochschulsatzung zu erlassen.
2005 hatte Steinhauer noch differenzierter über den Wert der Abschlussarbeiten geurteilt:
http://archiv.twoday.net/stories/797747/
§ 5. Steinhauer ignoriert die internationale Diskussion über Mandate. Zwar stehe ich diesen selbst kritisch gegenüber, aber noch wunderlicher finde ich den deutschen "Sonderweg" mit dem Fetisch Wissenschaftsfreiheit. Um nicht weiter zu ermüden, möge der Hinweis auf die zahlreichen Stellungnahmen in diesem Weblog genügen:
http://archiv.twoday.net/search?q=mandat
Ich halte meinen Formulierungsvorschlag nach wie vor für verfassungskonform:
Veröffentlichung von Publikationen nach den Grundsätzen von "Open Access".
(1) Hochschullehrer und Beschäftigte der Universität sind verpflichtet, alle Veröffentlichungen in Zeitschriften und Sammelbänden sowie Buchveröffentlichungen an den Hochschulschriftenserver in elektronischer Form abzuliefern.
(2) Abzuliefern ist die für den Druck akzeptierte Fassung oder die gedruckte Fassung.
(3) Solange den Hochschulschriftenserver keine Freigabe des Rechteinhabers bzw. Verlags erreicht hat, sind nur die Metadaten der jeweiligen Veröffentlichung für die Allgemeinheit zugänglich.
(4) Gibt der Rechteinhaber die für den Druck akzeptierte Fassung oder die gedruckte Fassung frei, wird der Zugriff durch die Allgemeinheit freigegeben.
(5) Auf Antrag des Hochschullehrers oder Beschäftigten kann der Zugriff für die Allgemeinheit auch bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 4 gesperrt bleiben oder werden, wenn die berechtigten Interessen des Hochschullehrers oder Beschäftigten an der Nicht-Veröffentlichung auf dem Hochschulschriftenserver überwiegen. Ein solcher Antrag ist alle fünf Jahre zu erneuern.
http://archiv.twoday.net/stories/5671750/
§ 6. Das Problem des "grünen" Open Access sind die leeren Repositorien. Die für § 38 UrhG vorgeschlagene Änderung, derzufolge Wissenschaftler ein unabdingbares Recht darauf haben sollen, dass sie nach einem Embargo-Zeitraum ihre Publikation im Internet zugänglich machen dürfen, ändert daran nicht das geringste. Es würde wohl bei der bekannt niedrigen spontanen Deposit-Rate bleiben.
Ob Mandate (Staat, Forschungsförderungs-Organisationen, Arbeitgeber) bessere Resultate erbringen würden, müsste man ausprobieren - am besten nicht bei den "Mandarinen", also im Hochschulbereich, sondern im Arbeitsrecht angestellter Wissenschaftler. Die DFG sieht ihr "Mandat" dank der Reußischen Umtriebe ja als schwache Empfehlung. Solche Empfehlungen für Open Access haben diverse Universitäten beschlossen, ohne dass dies am Selbstarchivierungsverhalten der Wissenschaftler etwas geändert hat.
§ 7. Steinhauer nimmt nicht zur Kenntnis, dass der § 38 UrhG insgesamt reformbedürftig ist. Ich zitiere aus meiner "Urheberrechtsfibel": "Wieso man nicht – im Zweifel für den Urheber – alle drei Fälle zusammenfasst, auf ein ausschließliches Nutzungsrecht für den Verleger und eine Sperrfrist verzichtet, erschließt sich mir nicht. Wenn der Verleger ein ausschließliches Nutzungsrecht benötigt, kann er es sich ja vertraglich einräumen lassen."
Auch hier also kein Gesamtkonzept, das die Interessen der nicht-wissenschaftlichen Urheber mitbedenkt.
§ 8. Steinhauer lehnt mit pauschalem Verweis auf die vertragliche Rücksichtnahme nach § 242 BGB die von mir vertretene Rechtsauffassung ab, dass sofort nach Veröffentlichung im Rahmen von § 38 UrhG eine Online-Publikation möglich ist. Das ist Unsinn: die öffentliche Zugänglichmachung steht nun einmal nicht dem Verlag zu, § 38 UrhG trifft hier eine abschließende Regelung, und angesichts der bekannten Befunde zur Unschädlichkeit freier Publikationen für den Druckabsatz
http://www.delicious.com/Klausgraf/monograph_open_access
ist es hahnebüchen zu behaupten, der Autor müsse auf den Verlag Rücksicht nehmen, wenn dieser keinen Schaden erleidet. Der Wunsch, die eigene Publikation möglichst bald Open Access verfügbar zu machen, kann sich dagegen auf Art. 5 GG stützen.
Will der Verlag das Werk sofort als Ebook vermarkten, wird ohnehin § 38 UrhG nicht in Betracht kommen, sondern eine explizite Regelung im Verlagsvertrag.
Siehe auch
http://archiv.twoday.net/search?q=38+urhg
§ 9. Entgegen treten möchte ich den S. 59f. geäußerten Ansichten Steinhauers. Für die Geistes- und Sozialwissenschaften gelte: "Open Access kann hier eine Öffentlichkeit bedeuten, die der Autor eines Werkes so nicht haben möchte." Für mich ist es ganz irrelevant, was der Autor möchte oder nicht, denn einmal (gedruckt) in der Welt ist der geistige Gehalt nicht mehr zu kontrollieren. Der Wunsch, dass eine bestimmte Abhandlung nur gedruckt zirkulieren dürfe, aber nicht online, ist mit Blick auf Art. 5 GG aus meiner Sicht nicht im mindesten schutzwürdig.
Für weitere Argumente sei auf
http://archiv.twoday.net/stories/6400882/
verwiesen.
Der Staat, Arbeitgeber oder eine Förderorganisation kann also jedem Wissenschaftler ohne Verstoß gegen Art. 5 GG abverlangen, dass er die Existenz einer kostenfreien elektronischen Version eines gedruckten oder kostenpflichtig online zugänglichen Werks dulden muss.
Da Steinhauer mit dogmatischen Scheuklappen herumläuft, gerät die Frage, ob auch "libre Open Access" mandatiert werden dürfte, nicht in sein Blickfeld, denn schon "gratis Open Access" ist ja für ihn ein Tabu.
§ 10. "Gut begründen lässt sich die Pflicht, eigene Publikationen
im Intranet der Hochschule für alle Hochschulangehörigen bereitzustellen." (S. 67) Das ist völliger Unfug. Aus urheberrechtlicher Sicht macht das keinen Unterschied, und eine entscheidende geradezu ontologische Differenz zwischen der allgemeinen Öffentlichkeit des Internet und den tausenden Nutzern an der Universität sehe ich nicht. Auch hier gilt, dass Steinhauer das Gegensatzpaar Geheimnis/Öffentlichkeit mit dem Tripel Drucköffentlichkeit/Internetöffentlichkeit/(Universitäts-)Intranetöffentlichkeit zusammenwirft und so nur Konfusion erzeugt.
Wie immer man das juristisch wertet - moralisch ist das Einstellen von veröffentlichten Beiträgen im Universitäts-Intranet statt allgemeinen Internet einfach nur unfair und eine widerliche Zugangs-Barriere. Das gilt auch für Preprints, denn diese vor der "version of record" vorab veröffentlichten Texte sind ja weder geheim noch im urheberrechtlichen Sinn unveröffentlicht. Wer einen Wissenschaftler an der Universität kennt, kann diesen bitten, ihm den Beitrag zur Verfügung zu stellen.
Siehe auch
http://archiv.twoday.net/stories/5420548/
http://archiv.twoday.net/stories/6166949/
http://archiv.twoday.net/search?q=button+request
§ 11. Der Fetisch Wissenschaftsfreiheit, dem die Jura-Professoren und Steinhauer huldigen, ist nicht zukunftsfähig, sondern ein Tabu, dessen Geltung im Licht ausländischer Entwicklungen mehr und mehr in Frage steht. Auch die Bekundungen des Bundesverfassungsgerichts sind nicht in Stein gemeißelt, der verfassungsrechtliche Diskurs ist durchaus offen für Neubewertungen. Insofern sind meine wesentlich radikaleren Ansichten mehr als nur utopisches Wunschdenken.
Steinhauers enger Horizont (oder selbstgewählte Beschränkung im Rahmen eines Vortrags) verhindert, dass übergreifende Zusammenhänge (z.B. der Zusammenhang von Forschungsunterlagen und Publikationen) in den Blick geraten. Seine oft zu apodiktischen Aussagen sind nicht hilfreich.
Steinhauer hat ein wichtiges Thema aufgegriffen und die Reußianer überzeugend in die Schranken verwiesen. Kuhlens Widerspruch und meine Kritik zeigen aber, dass "Steinhauer locuta, causa finita" in diesem Fall nicht gilt. Open Access braucht vielleicht beides: Vorsichtiges, um Deckung bemühtes Voranschleichen, das listig den althergebrachten Dogmen ein Open-Access-Kuckucksei unterjubelt, und mutiges Vorwärtsdrängen, das alte Mandarin-Zöpfe abschneidet.
Eigenes Schlernbild unter freier Lizenz.
http://fiz1.fh-potsdam.de/volltext/aueintrag/10497.pdf
oder http://deposit.fernuni-hagen.de/2752/
Am 17. August 2010 kündigte ich eine nähere Stellungnahme an. Während meines Urlaubs in Südtirol notierte ich mir auf der Seiser Alm Stichworte dazu (aus dem Gedächtnis, das Buch liegt mir physisch nicht vor, und bei Bergausflügen nehme ich denn doch keinen Laptop mit). Kurz vor Schluss der Open-Access-Woche möchte ich mein Versprechen endlich einlösen.
Rainer Kuhlen: Ein Recht auf Sichtbarkeit – aber nicht auch ein Recht auf Sichtbarwerden?
http://www.kuhlen.name/MATERIALIEN/Publikationen2010/Kommentar%20zu%20Steinhauer%20OA-Wissenschaftsfreiheit%20240810-PDF.pdf
hat Steinhauers Buch bereits sehr ausführlich kommentiert. Wer das folgende liest, sollte unbedingt auch Kuhlens Beitrag zur Kenntnis nehmen.
Weitere Aspekte bei Ben Kaden
http://libreas.wordpress.com/2010/08/26/sichtbarkeit/
Es mag ja sein, dass die meisten Steinhauers Buch als Plädoyer für Open Access und schlüssige Widerlegung der unsäglichen Reußiaden lesen. Als Werbung für Open Access ist es ohne Zweifel ein wichtiger monographischer Beitrag. Aber als jemand, der "diletto" am Urheber- und Wissenschaftsrecht (und sehr wenig Gefallen am Staatskirchenrecht, das sich vehement gegen staatliche Eingriffe wehren muss) hat, bin ich enttäuscht.
Mein Unbehagen resultiert nicht primär aus der Tatsache, dass hier zwei Vorträge auf den Göttinger Urheberrechtstagen 2008 und 2009 zusammengebunden wurden, die sich doch erheblich inhaltlich überschneiden. Das ist für den Leser unbequem, hat aber für die inhaltliche Auseinandersetzung keine größeren Konsequenzen, auch wenn der jüngere Beitrag manche Aspekte vertieft.
Gegenüber Steinhauers Position bin ich ein eher radikaler Open-Access-Verfechter. Sein Buch ist daher - formuliert man es wohlwollend - zu zaghaft; weniger wohlwollend gesprochen: nahezu reaktionär. Ein eigener Gegenentwurf müsste selbst wieder eine Monographie werden, also kann ich meine Kritik im folgenden leider nur andeuten. Positive Aspekte mögen bei Kuhlen oder Kaden nachgelesen werden.
§ 1. Irritierend ist bereits die an der Linux-Klausel orientierte Bemerkung zum Urheberrecht: "Das Werk darf im Internet frei verbreitet und kopiert werden.
Der Autor räumt jedermann hierfür ein einfaches
Nutzungsrecht ein. Die Rechte an der gedruckten Ausgabe
liegen beim Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat." Wieso denn um Himmels willen keine CC-Lizenz, wieso diese Extrawurst? Gut, CC-BY kollidiert mit den Verlagsrechten im analogen Bereich, und CC-BY-NC wäre bei der Online-Verbreitung zu restriktiv. Aber das Gleiche hätte Steinhauer doch durch CC-BY-NC mit Freigabe der kommerziellen Nutzung im Online-Bereich bewirken können. Nicht klar ist (wäre aber klar bei CC), ob Bearbeitungen (z.B. Auszüge) möglich sind. Der Wortlaut spricht dagegen.
§ 2. Steinhauer entwickelt kein Gesamtkonzept. Dabei denke ich weniger an patentrechtliche Fragen, sondern an die Forschungsdaten, für die ja immer mehr gefordert wird, dass sie als "Open data" der Nachnutzung (libre Open Access) durch andere Projekte zur Verfügung stehen müssen. Die dem einzelnen Wissenschaftler/Projekt zuordenbaren Informationsbestände (früher bei Historikern Leitzordner mit Kopien und Aufzeichnungen, heute eher Datenbankinhalte und Textdateien) sind nicht freies Eigen des Forschers, sondern Teil einer wissenschaftlichen Allmende. Es muss also Regeln geben - staatliche Vorgaben oder solche der scientific community - die eine angemessene Balance herstellen zwischen der Freiheit des Wissenschaftlers, mit ihnen nach Belieben zu verfahren, und den Bedürfnissen der Wissenschaft.
Wissenschaftsrechtlich adäquat ist nur eine Reflexion, die z.B. zur Kenntnis nimmt was Joseph L. Sax anhand der Qumranschriften herausgearbeitet hat: Exklusive Veröffentlichungsbefugnisse schaden der Wissenschaft. Wieso gehen denn gerade Meldungen durch die Presse, man wolle diese Zeugnisse im Internet zugänglich machen? Weil sich gezeigt hat, dass die künstliche Verknappung, die bestimmte Forschungsdaten einem kleinen Kreis reserviert, kontraproduktiv war, was den wissenschaftlichen Fortschritt angeht.
Ums klar zu sagen: Ich vertrete also den Primat des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns. Die Interessen des einzelnen Wissenschaftsgenossen müssen zurückstehen.
Wenn man eine allgemeine Pflicht für Wissenschaftler, Forschungsergebnisse zu publizieren, nicht bejahen will, so sollte man wenigstens erwägen, ersatzweise eine Pflicht zur Veröffentlichung der entsprechenden Forschungsdaten zu erwägen.
"Eine Verpflichtung zur Registrierung und Publikation der Ergebnisse aller klinischen Studien hat [2009] das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) gefordert. Die Bundesregierung müsse darauf dringen, dass auf EU-Ebene eine verbindliche Regelung umgesetzt wird, wie sie seit 2008 in den USA in Kraft ist. Anlass für die Forderung ist die Publikation des Abschlussberichts zu drei Antidepressiva, dessen Erstellung durch den Hersteller Pfizer massiv behindert worden war. Das Unternehmen hatte sich über lange Zeit geweigert, dem IQWiG Informationen zu Studien zur Verfügung zu stellen. Erst unter öffentlichem Druck legte Pfizer die Daten schließlich offen."
http://www.iqwig.de/index.982.html?random=deb8fa
Es kann also, was Steinhauer verschweigt, durchaus Kontexte geben, wo eine Veröffentlichungspflicht geboten ist.
Steinhauer nimmt nur die Forschungsergebnisse in den Blick, schon das Auslassen der Forschungsdaten macht seine Position fragwürdig.
§ 3. Steinhauer setzt sich nicht mit der verfehlten BGH-Entscheidung Grabungsmaterialien auseinander:
http://lexetius.com/1990,13
Urheberrechtspapst Schricker ging diese doch eher restriktive Entscheidung noch zu weit! Schrickers Beitrag in der FS Lorenz 1991 ist nahezu komplett einsehbar unter:
http://books.google.de/books?id=JRoOV5mhkuYC&lpg=PA234
Steinhauer hätte diesen zentralen Beitrag zur Anbietungspflicht eines Hochschullehrers erörtern müssen - er zitiert (kennt?) ihn noch nicht einmal!
Ich habe ein paar Kritikpunkte in meinem Beitrag "Die letzten Mandarine" 2008 angesprochen:
http://archiv.twoday.net/stories/4599054/
Steinhauers Anschluss an die konservative Dogmatik der Wissenschaftsfreiheit, die stark auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums bei den Professoren rekurriert, ist alles andere als zukunftsfähig.
Exemplarisch möchte ich auf einen Satz Steinhauers eingehen: "Dienstlich verpflichtet ist er [der beamtete Hochschullehrer, KG] allein zu Forschung und Lehre, nicht jedoch zum Publizieren."
Die Fußnote dazu lautet: "Statt vieler Westen, Zur urheberrechtlichen Stellung des
Wissenschaftlers im Arbeits- und Dienstverhältnis nach deutschem
Recht, in: JR 1967, S. 405. Ob man daraus die
(unpassende) Konsequenz zieht, das wissenschaftliche Publizieren
von Hochschullehrern dem Nebentätigkeitsrecht zu unterstellen,
ist eine andere Frage, vgl. VG Berlin NJW 1978, S. 848;
BVerfGE 41, S. 375 f."
Nun ist ein Aufsatz von 1967 nicht gerade taufrisch zu nennen - selbst in der Rechtswissenschaft. Das VG Berlin entschied in seinem Urteil vom 31.3.1977 – VII A 96/76, DÖV 1977, 643 (so von BVerfGE 47, 375 zitiert), das wissenschaftliche Publizieren eines Hochschullehrers sei keine Nebentätigkeit. Das Nachtbackverbot in BVerfGE 41 ist ersichtlich nicht einschlägig, Steinhauer hat also falsch BVerfGE 41, 375f. statt richtig BVerfGE 47, 375f. geschrieben.
Liest man die (von Schricker herangezogene) Stelle in der 1978 getroffenen Entscheidung, so kommt man aus dem Staunen nicht heraus.
Urteilstext: http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv047327.html
Dort steht nämlich genau das Gegenteil von dem, was Steinhauer behauptet:
"Grundsätzlich ist nicht nur die Lehre, sondern auch die Forschung an den öffentlichen Universitäten aufgrund der engen Verbindung von Forschung und Lehre auf Publizität und Veröffentlichung der Forschungsergebnisse hin angelegt. In der Rechtsprechung wird dementsprechend die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen zu den Dienstpflichten eines Universitätsprofessors gerechnet (vgl. VG Berlin, DÖV 1977, S. 643)." BVerfGE 47, 379 betont das Gericht nochmals, "daß die Forschung letztlich auf Kommunikation und Publikation ausgerichtet und die Tätigkeit in der Universität für Hochschullehrer mit ständigen Äußerungen zu wissenschaftlichen Fragen verbunden ist".
Die Anbietungspflicht urheberrechtlicher Werke im Arbeitsverhältnis ist im Rahmen eines reformierten § 43 UrhG zu regeln. Eine Extrawurst für Professoren darf es dabei nicht mehr geben. Zu den Problemen des § 43 UrhG verweise ich auf meine "Urheberrechtsfibel":
http://ebooks.contumax.de/02-urheberrechtsfibel.pdf
Juristen pflegen hier eine extrem "einseitige Diät" (Wittgenstein), da sie sich nur von einer Art von Beispielen nähren. Die Urheberrechtspäpste sind meist selbst Hochschullehrer und argumentieren insofern schamlos pro domo. Bei den Professoren scheint für die herkömmliche Sicht der Dinge sonnenklar, dass diese keiner Anbietungspflicht unterworfen werden dürfen. Aber wie sieht es mit ihren wissenschaftlichen Mitarbeitern bzw. dem anderen Personal der Hochschule oder Wissenschaftlern in Unternehmen aus? Klare Aussagen dazu sind im Schrifttum rar.
Dass ein von der Universität bezahlter Grabungsfotograf die Nutzungsrechte seiner Lichtbilder dem Grabungsleiter überträgt, wenn dieser ein Professor ist (so der BGH in den "Grabungsmaterialien"), aber der Universität, wenn die Grabung von einem Angestellten betreut wird, leuchtet gewiss nicht ein.
Also: Weg mit dem alten Zopf Beamtenrecht, weg mit dem Fetisch Wissenschaftsfreiheit (soweit es um vernünftige und besonnene Regeln zu Forschungsdaten und Publikationen geht).
§ 4. Die übervorsichtigen Ausführungen Steinhauers S. 40 ff. zu Hochschulsatzungen sind nur insoweit brauchbar, als eine Pflichtveröffentlichung elektronischer Dissertationen als denkbar bezeichnet wird. Einfach nur ärgerlich ist das rasche Abtun einer Veröffentlichungspflicht bei Abschlussarbeiten (wie sie in Österreich bei den Diplomarbeiten ohne weiteres besteht). Steinhauer, der selbst dafür gesorgt hat, dass mein Beitrag
http://www.db-thueringen.de/servlets/DocumentServlet?id=4165
in die DBT kam, erwähnt weder ihn noch die vielen anderen Stellungnahmen von mir zu diesem Thema seit ca. 1997. Aussagen werden nicht dadurch richtig, dass man sie apodiktisch behauptet. Selbstverständlich wäre es möglich, eine entsprechende Hochschulsatzung zu erlassen.
2005 hatte Steinhauer noch differenzierter über den Wert der Abschlussarbeiten geurteilt:
http://archiv.twoday.net/stories/797747/
§ 5. Steinhauer ignoriert die internationale Diskussion über Mandate. Zwar stehe ich diesen selbst kritisch gegenüber, aber noch wunderlicher finde ich den deutschen "Sonderweg" mit dem Fetisch Wissenschaftsfreiheit. Um nicht weiter zu ermüden, möge der Hinweis auf die zahlreichen Stellungnahmen in diesem Weblog genügen:
http://archiv.twoday.net/search?q=mandat
Ich halte meinen Formulierungsvorschlag nach wie vor für verfassungskonform:
Veröffentlichung von Publikationen nach den Grundsätzen von "Open Access".
(1) Hochschullehrer und Beschäftigte der Universität sind verpflichtet, alle Veröffentlichungen in Zeitschriften und Sammelbänden sowie Buchveröffentlichungen an den Hochschulschriftenserver in elektronischer Form abzuliefern.
(2) Abzuliefern ist die für den Druck akzeptierte Fassung oder die gedruckte Fassung.
(3) Solange den Hochschulschriftenserver keine Freigabe des Rechteinhabers bzw. Verlags erreicht hat, sind nur die Metadaten der jeweiligen Veröffentlichung für die Allgemeinheit zugänglich.
(4) Gibt der Rechteinhaber die für den Druck akzeptierte Fassung oder die gedruckte Fassung frei, wird der Zugriff durch die Allgemeinheit freigegeben.
(5) Auf Antrag des Hochschullehrers oder Beschäftigten kann der Zugriff für die Allgemeinheit auch bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 4 gesperrt bleiben oder werden, wenn die berechtigten Interessen des Hochschullehrers oder Beschäftigten an der Nicht-Veröffentlichung auf dem Hochschulschriftenserver überwiegen. Ein solcher Antrag ist alle fünf Jahre zu erneuern.
http://archiv.twoday.net/stories/5671750/
§ 6. Das Problem des "grünen" Open Access sind die leeren Repositorien. Die für § 38 UrhG vorgeschlagene Änderung, derzufolge Wissenschaftler ein unabdingbares Recht darauf haben sollen, dass sie nach einem Embargo-Zeitraum ihre Publikation im Internet zugänglich machen dürfen, ändert daran nicht das geringste. Es würde wohl bei der bekannt niedrigen spontanen Deposit-Rate bleiben.
Ob Mandate (Staat, Forschungsförderungs-Organisationen, Arbeitgeber) bessere Resultate erbringen würden, müsste man ausprobieren - am besten nicht bei den "Mandarinen", also im Hochschulbereich, sondern im Arbeitsrecht angestellter Wissenschaftler. Die DFG sieht ihr "Mandat" dank der Reußischen Umtriebe ja als schwache Empfehlung. Solche Empfehlungen für Open Access haben diverse Universitäten beschlossen, ohne dass dies am Selbstarchivierungsverhalten der Wissenschaftler etwas geändert hat.
§ 7. Steinhauer nimmt nicht zur Kenntnis, dass der § 38 UrhG insgesamt reformbedürftig ist. Ich zitiere aus meiner "Urheberrechtsfibel": "Wieso man nicht – im Zweifel für den Urheber – alle drei Fälle zusammenfasst, auf ein ausschließliches Nutzungsrecht für den Verleger und eine Sperrfrist verzichtet, erschließt sich mir nicht. Wenn der Verleger ein ausschließliches Nutzungsrecht benötigt, kann er es sich ja vertraglich einräumen lassen."
Auch hier also kein Gesamtkonzept, das die Interessen der nicht-wissenschaftlichen Urheber mitbedenkt.
§ 8. Steinhauer lehnt mit pauschalem Verweis auf die vertragliche Rücksichtnahme nach § 242 BGB die von mir vertretene Rechtsauffassung ab, dass sofort nach Veröffentlichung im Rahmen von § 38 UrhG eine Online-Publikation möglich ist. Das ist Unsinn: die öffentliche Zugänglichmachung steht nun einmal nicht dem Verlag zu, § 38 UrhG trifft hier eine abschließende Regelung, und angesichts der bekannten Befunde zur Unschädlichkeit freier Publikationen für den Druckabsatz
http://www.delicious.com/Klausgraf/monograph_open_access
ist es hahnebüchen zu behaupten, der Autor müsse auf den Verlag Rücksicht nehmen, wenn dieser keinen Schaden erleidet. Der Wunsch, die eigene Publikation möglichst bald Open Access verfügbar zu machen, kann sich dagegen auf Art. 5 GG stützen.
Will der Verlag das Werk sofort als Ebook vermarkten, wird ohnehin § 38 UrhG nicht in Betracht kommen, sondern eine explizite Regelung im Verlagsvertrag.
Siehe auch
http://archiv.twoday.net/search?q=38+urhg
§ 9. Entgegen treten möchte ich den S. 59f. geäußerten Ansichten Steinhauers. Für die Geistes- und Sozialwissenschaften gelte: "Open Access kann hier eine Öffentlichkeit bedeuten, die der Autor eines Werkes so nicht haben möchte." Für mich ist es ganz irrelevant, was der Autor möchte oder nicht, denn einmal (gedruckt) in der Welt ist der geistige Gehalt nicht mehr zu kontrollieren. Der Wunsch, dass eine bestimmte Abhandlung nur gedruckt zirkulieren dürfe, aber nicht online, ist mit Blick auf Art. 5 GG aus meiner Sicht nicht im mindesten schutzwürdig.
Für weitere Argumente sei auf
http://archiv.twoday.net/stories/6400882/
verwiesen.
Der Staat, Arbeitgeber oder eine Förderorganisation kann also jedem Wissenschaftler ohne Verstoß gegen Art. 5 GG abverlangen, dass er die Existenz einer kostenfreien elektronischen Version eines gedruckten oder kostenpflichtig online zugänglichen Werks dulden muss.
Da Steinhauer mit dogmatischen Scheuklappen herumläuft, gerät die Frage, ob auch "libre Open Access" mandatiert werden dürfte, nicht in sein Blickfeld, denn schon "gratis Open Access" ist ja für ihn ein Tabu.
§ 10. "Gut begründen lässt sich die Pflicht, eigene Publikationen
im Intranet der Hochschule für alle Hochschulangehörigen bereitzustellen." (S. 67) Das ist völliger Unfug. Aus urheberrechtlicher Sicht macht das keinen Unterschied, und eine entscheidende geradezu ontologische Differenz zwischen der allgemeinen Öffentlichkeit des Internet und den tausenden Nutzern an der Universität sehe ich nicht. Auch hier gilt, dass Steinhauer das Gegensatzpaar Geheimnis/Öffentlichkeit mit dem Tripel Drucköffentlichkeit/Internetöffentlichkeit/(Universitäts-)Intranetöffentlichkeit zusammenwirft und so nur Konfusion erzeugt.
Wie immer man das juristisch wertet - moralisch ist das Einstellen von veröffentlichten Beiträgen im Universitäts-Intranet statt allgemeinen Internet einfach nur unfair und eine widerliche Zugangs-Barriere. Das gilt auch für Preprints, denn diese vor der "version of record" vorab veröffentlichten Texte sind ja weder geheim noch im urheberrechtlichen Sinn unveröffentlicht. Wer einen Wissenschaftler an der Universität kennt, kann diesen bitten, ihm den Beitrag zur Verfügung zu stellen.
Siehe auch
http://archiv.twoday.net/stories/5420548/
http://archiv.twoday.net/stories/6166949/
http://archiv.twoday.net/search?q=button+request
§ 11. Der Fetisch Wissenschaftsfreiheit, dem die Jura-Professoren und Steinhauer huldigen, ist nicht zukunftsfähig, sondern ein Tabu, dessen Geltung im Licht ausländischer Entwicklungen mehr und mehr in Frage steht. Auch die Bekundungen des Bundesverfassungsgerichts sind nicht in Stein gemeißelt, der verfassungsrechtliche Diskurs ist durchaus offen für Neubewertungen. Insofern sind meine wesentlich radikaleren Ansichten mehr als nur utopisches Wunschdenken.
Steinhauers enger Horizont (oder selbstgewählte Beschränkung im Rahmen eines Vortrags) verhindert, dass übergreifende Zusammenhänge (z.B. der Zusammenhang von Forschungsunterlagen und Publikationen) in den Blick geraten. Seine oft zu apodiktischen Aussagen sind nicht hilfreich.
Steinhauer hat ein wichtiges Thema aufgegriffen und die Reußianer überzeugend in die Schranken verwiesen. Kuhlens Widerspruch und meine Kritik zeigen aber, dass "Steinhauer locuta, causa finita" in diesem Fall nicht gilt. Open Access braucht vielleicht beides: Vorsichtiges, um Deckung bemühtes Voranschleichen, das listig den althergebrachten Dogmen ein Open-Access-Kuckucksei unterjubelt, und mutiges Vorwärtsdrängen, das alte Mandarin-Zöpfe abschneidet.
Eigenes Schlernbild unter freier Lizenz.
KlausGraf - am Sonntag, 24. Oktober 2010, 22:09 - Rubrik: Open Access
KlausGraf meinte am 2015/05/29 18:31:
Siehe nun zum LHG BW
http://archiv.twoday.net/stories/1022439020/