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Archivrecht

Masing, Johannes: RiBVerfG Masing: Vorläufige Einschätzung der „Google-Entscheidung“ des EuGH, VerfBlog, 2014/8/14, http://www.verfassungsblog.de/ribverfg-masing-vorlaeufige-einschaetzung-der-google-entscheidung-des-eugh

Lieber Herr Steinhauer,

der Landtag hat die Chance verschenkt, bei der Anhörung zur Evaluierung des NRW-Archivgesetzes am 28. August 2014

http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/GB_I/I.1/Tagesordnungen/WP16/800/E16-829.jsp

Stimmen aus dem Umfeld der gegen den Verkauf von Archivgut gerichteten Petition

https://www.openpetition.de/petition/online/kein-verkauf-von-kommunalem-archivgut-in-nrw (derzeit 1771 Unterstützer)

oder auch nur Vertreter der mitbetroffenen Universitätsarchive als Sachverständige einzuladen. Der Sprecher unserer Arbeitsgemeinschaft der NRW-Universitätsarchive, Herr Freitäger, hat bei seiner Unterschrift unter die Petition zu Protokoll gegeben, dass seine Eingabe an das federführende Ministerium noch nicht einmal einer Antwort gewürdigt wurde.

Ich darf Sie bitten, dringend dafür zu plädieren, die im deutschen Archivrecht singuläre Vorschrift, wonach kommunales und Archivgut der unter der Aufsicht des Landes stehenden Körperschaften (also vor allem der Universitäten) veräußert werden darf, ersatzlos zu streichen.

Ich darf zur Begründung auf die Begründung der Petition und meine eigene Stellungnahme von 2009 verweisen:

http://archiv.twoday.net/stories/6070626/

Ergänzend dazu:

Der von den Archivaren festzustellende bleibende Wert von Unterlagen entfällt nicht dadurch, dass eine Kommune in Zeiten klammer Kassen Archivgut verkaufen möchte. Ich darf Sie an die Causa Stralsund erinnern. Glücklicherweise konnte dort die Entscheidung, eine historische Gymnasialbibliothek zu veräußern, rückgängig gemacht werden.

Auch die Kommunalarchivare selbst sind - anders als ein Teil der kommunalen Spitzenverbände - gegen die Veräußerungsmöglichkeit. Nach herrschender archivrechtlicher Ansicht impliziert die gesetzliche Bewertungskompetenz der Archivare eine Weisungsfreiheit, siehe etwa mit Bezug auf Manegold

http://archiv.twoday.net/stories/2699909/

Die amtliche Begründung sagt zu § 2 Abs. 6 Archivgesetz NRW

http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD14-10028.pdf

"Darüber hinaus wird klargestellt, dass die Entscheidungsbefugnis
über die Archivgutbildung allein unter fachlichen Gesichtspunkten zu treffen ist und daher ausschließlich beim zuständigen Archiv liegt." Nicht beim Archivträger! Es besteht also klar ein Wertungswiderspruch zwischen der Entscheidung des Gesetzgebers, die Bewertungskompetenz - weisungsfrei - in die Hände des Fachpersonals zu geben, und dem Freibrief für den Archivträger, Sammlungsgut zu veräußern.

Nachkassationen sind umstritten, wie die auch archivrechtlich argumentierende Transferarbeit von Hanke 2006 zeigt:

http://www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/120/44242/transf_hanke.pdf

Nachkassationen regelt das NRW-Archivgesetz in dem auch für kommunale und die weiteren öffentlichen Archive geltenden § 5 Abs. 2. Hierzu die amtliche Begründung:

"Satz 4 eröffnet dem Landesarchiv ausnahmsweise in besonders begründeten Einzelfällen (z.B., wenn zum Zeitpunkt der Übernahme keine vollständige Bewertung möglich war) die Möglichkeit, nicht mehr archivwürdige Unterlagen zu vernichten. Die Entscheidung über die Archivwürdigkeit liegt auch in diesen Fällen ausschließlich beim Landesarchiv."

Um eine solche Nachkassation handelt es sich bei der Freigabe von Sammlungsgut nicht. Wenn die Archivare Sammlungsgut zum bleibenden Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses erklärt haben und aus fachlichen Gründen eine Nachkassation, die zwingend auf die Vernichtung hinausläuft, nicht in Betracht kommt, kann trotzdem der Archivträger sich - faktisch beliebig - über die Fachkompetenz hinwegsetzen und den Archivar oder die Archivarin anweisen, das Archivgut etwa einem Auktionshaus auszuhändigen. Einen Rechtsschutz gegen diese Maßnahme für die betroffenen Archivare oder andere Betroffene (z.B. Schenkungsgeber) bietet das Verwaltungsrecht nicht an.

Dieter Strauch hat in der kürzlich erschienenen Zweitauflage seines Standardwerks "Das Archivalieneigentum" im Kapitel "Kommunale Archive als GmbH?" (2014, S. 207ff.) die Veräußerungsproblematik erörtert. Seine Ausführungen sind zwar prima facie für die Veräußerungsgegner eher positiv, gehen aber an den faktischen Machtverhältnissen vorbei und können auch juristisch in Frage gestellt werden, da sich eine feste Auslegung nicht etabliert hat.

Nach Ansicht von Strauch (S. 216) verletzt die Veräußerung von Archivgut dann geltendes Recht und kann von der allgemeinen Rechtsaufsicht beanstandet werden, wenn es zu den in § 18, II Verf NRW genannten Geschichts- und Kulturdenkmalen gehört. Dann wäre der Kaufvertrag und die Übereignung der Archivalien nach § 134 BGB nichtig. Ein Gericht könnte die Auslegung der Begriffe Geschichts- und Kulturdenkmale voll überprüfen. Aber das würde voraussetzen, dass eine Klagebefugnis besteht. Nach herrschender Meinung kann sich nur die betroffene Kommune gegen die Kommunalaufsicht wehren. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass das Land bei der Kommunalaufsicht hinsichtlich der Veräußerung von Archivgut sonderlich streng vorgeht. Beanstandet es nicht, kann kein Gericht eingreifen.

Weder Schenkungsgeber noch betroffene Forscher, denen die Arbeitsgrundlage durch eine Veräußerung entzogen wird, steht eine Klagebefugnis nach derzeit überwiegender Meinung zu. Das hat auch das VG Sigmaringen signalisiert, als ich als betroffener Wissenschaftler eine Klage gegen die Veräußerung des Wolfegger Hausbuchs einreichte, die ich wieder zurückziehen musste, da die Veräußerung bereits erfolgt war.

Strauch verkennt, dass das Land NRW skandalöserweise nicht bereit ist, privates und öffentliches Archivgut denkmalschutzrechtlich zu schützen. Das Denkmalschutzgesetz des Landes klammert das Archivgut aus!

Es ist außerordentlich fraglich, ob ein Verwaltungsgericht so mutig sein wird, denkmalschutzrechtlich nicht eintragbares Archivgut trotzdem als nach der NRW-Landesverfassung als "Denkmal" geschützt anzusehen. Zur allgemeinen juristischen Problematik verweise ich auf meinen Aufsatz in LIBREAS 2013:

http://www.ib.hu-berlin.de/~libreas/libreas_neu/02graf.htm

Strauch argumentiert, dass die Entscheidung über die Veräußerung von Archivgut nicht zu den Geschäften der laufenden Verwaltung gehört, sondern vom Rat beschlossen werden muss (S. 217), was die Chance eröffnet, dass der Casus in der Presse oder Öffentlichkeit diskutiert wird. Im Fall Stralsund hat aber der in einer Ausschusssitzung getroffene Beschluss weder bei Presse noch bei der Öffentlichkeit zu Nachfragen geführt. Ob die Kommunalaufsicht tätig wird, kann sie selbst - faktisch nach Gutdünken - entscheiden. Ein Rechtsanspruch auf ein Einschreiten besteht erneut nicht.

Selbst wenn man Strauch folgt, spricht alles dafür, dass eine rechtswidrig von der Verwaltung statt vom Rat vorgenommene Veräußerung folgenlos bleibt.

Strauch referiert eine Rechtsansicht, dass die Veräußerung von Archivgut anerkennungsbedürftig sei, da ein staatliches Mitwirkungsrecht gegeben sei, also ein Kondominium vorliege (S. 217). In diesem Fall dürfte die Aufsichtsbehörde auch Zweckmäßigkeitserwägungen anstellen.

Nun könnte man fordern, dass
- bei Archivgutveräußerungen ein förmliches Genehmigungsverfahren installiert werden müsse
- wenigstens für die Universitätsarchive bzw. die weiteren öffentlichen Archive nach § 11 ArchivG NRW die Unveräußerlichkeit auch bei Sammlungsgut festgeschrieben wird

Aber am besten streicht man die Möglichkeit der Gemeinden, ungestraft Teile des kulturellen Gedächtnisses verscherbeln zu dürfen, ganz! Sie verstößt gegen den in der Landesverfassung angeordneten Schutz der Denkmale der Geschichte und Kultur, zu denen immer auch das nach archivfachlichen Grundsätzen bewertete archivische Sammlungsgut zählt.

Lieber Herr Steinhauer, hören Sie bitte auf die Stimme der Archivarinnen und Archivare, die sich in der Ablehnung einig sind, und auf die vielen Unterzeichner der Petition und machen Sie unser Anliegen auch zu Ihrem.

Herzlichen Gruß
Ihr Klaus Graf

Update: Auch in INETBIB und
http://kulturgut.hypotheses.org/407

Was Drohnenjournalisten (nicht) dürfen, erläutert viel zu restriktiv:

http://irights.info/artikel/drohnenjournalismus-recht-am-bild-urheberrecht-luftvo-journalistisches-arbeiten/23823

Zur Panoramafreiheit stelle ich fest: Wenn es journalistisch notwendig ist, muss die vom Gesetz nicht vorgesehene eng(stirnig)e Auslegung von § 59 UrhG zurücktreten. Bei Landschaftsaufnahmen aus größerer Höhe sind einzelne Gebäude als Bauwerk Beiwerk zu betrachten. [ http://www.gesetze-im-internet.de/urhg/__57.html ]

Da ist es nur folgerichtig, es ins Internet zu stellen:

http://www.presseportal.de/pm/62754/2806733/presserechtliches-informationsschreiben-bettina-wulff

Via
http://www.internet-law.de/2014/08/presserecht-a-la-rechtsanwalt-schertz.html

Siehe auch
http://www.derwesten.de/panorama/bettina-wulff-will-bunte-wegen-oben-ohne-foto-verklagen-id9697474.html

Gute Bilanz vom WSJ:

http://www.wsj.de/article/SB10001424052702303800604580074833020489738.html

http://www.internet-law.de/2014/08/informationsfreiheitsgesetz-darf-nicht-durch-abschreckende-gebuehrenbescheide-ausgehebelt-werden.html

"Das Vorgehen des Bundesministeriums des Inneren, einen Antrag auf Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz in mehrere Begehren aufzuspalten und dadurch 66 (!) gebührenpflichtige Amtshandlungen zu bescheiden, ist rechtswidrig und verstößt gegen § 10 IFG (a.F.). Das hat das Verwaltungsgericht Berlin mit Urteil vom 10.07.2014 (Az.: VG 2K 232.13) entschieden."

http://skriptorium.blog.de/2014/08/12/verbreitung-juristischer-verlagsdissertationen-19114572/

"Wir haben in der UB Hagen 110 juristische Verlagsdissertationen untersucht, die zwischen 1997 und 2010 erschienen sind. Es ist davon auszugehen, dass für diese Arbeiten die Erwerbungen der Bibliotheken weitgehend abgeschlossen sind, so dass in der Rückschau nunmehr die tatsächliche Verbreitung der Arbeiten sichtbar wird.

Hier nun das Ergebnis: Die Arbeiten sind im Schnitt in 21 Bibliotheken zu finden. 22 Arbeiten stehen in weniger als 10 Bibliotheken, 25 in mehr als 30 Einrichtungen. Lediglich 3 Arbeiten waren in mehr als 50 Bibliotheken zu finden. Der höchste Wert lag bei 87 Bibliotheken, allerdings war dies eine Arbeit, die in einem großen eBook-Paket enthalten war und insoweit nicht repräsentativ ist.

Festzuhalten ist, dass nur ein kleiner Teil der Mindestauflage von 150 Exemplaren tatsächlich in Bibliotheken landet. Bedenklich ist, dass der Durchschnitt kleiner ist als die Zahl der Juristischen Fakultäten in Deutschland."

Steinhauer schließt daraus den Schluss: "Für die reine Zugänglichkeit zu einem Text sind gedruckte Verlagsdissertationen als Verbreitungsweg nicht zu empfehlen."

Bei anderen Geisteswissenschaften sieht es nach meinen Erfahrungen noch schlechter aus.

Leider erfährt man bei Steinhauer nichts über die Preise der Verlagsprodukte. Ob die Mindestauflage überhaupt abverkauft wird, unterliegt natürlich der Geheimniskrämerei der Verlage.

Der von Hinte und Steinhauer herausgegebene Sammelband ist auch Open Access zugänglich:

http://kups.ub.uni-koeln.de/5720/1/Buchblock_Digitale_Bibliothek_und_ihr_Recht.pdf

Steinhauer macht auf ein altbekanntes Problem aufmerksam:

http://skriptorium.blog.de/2014/08/08/gute-raubkopie-schlechte-raubkopie-19079832/

"Zur Zeit ist der Aufsatz auch noch frei zugänglich." Das trifft nicht zu! Vielleicht hat Steinhauer von seinem Dienst-PC zugegriffen und die Uni Hagen Rechte erworben.

http://archiv.twoday.net/stories/5889948/#948992493

Am Fuß eines Datenbank-Eintrags liest man z.B.:

www.aerztebriefe.de/id=00011506 "(Bitte beim Zitieren angeben)" - aber was soll, das wenn der Link nicht funzt?

"Die Inhalte der Datenbank sind durch eine Creative Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 3.0 DE) geschützt."

Die Lizenz ist natürlich Schwachsinn. Eigentlich sollten ja alle Forschungsdaten PD sein. Eine Datenbank, die man nicht weiterentwickeln kann (also keine Bearbeitung = ND), stiftet unter freier Lizenz NULL Nutzen, niente. Und wieder einmal hat man nicht begriffen, dass die Lizenz ND absolute Feinarbeit erfordert, weil der Gegenstand, der nicht verändert werden darf, unmissverständlich anzugeben ist:

Der einzelne Eintrag dürfte kaum urheberrechtlich geschützt sein - so what?

ODER

Die ganze Datenbank darf 1:1 für nicht-kommerzielle Zwecke gespiegelt werden, aber wer möchte das, wenn er nichts ergänzen darf?

Wann hört solche bodenlose Dummheit mal auf? Wer CC nicht kapiert, soll dann halt ganz darauf verzichten und sich mit einem "Alle Rechte vorbehalten" als Wissenschaftsschädling outen. CC ist nicht dazu da, um etwas zu schützen, sondern um etwas FREIZUGEBEN.

 

twoday.net AGB

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